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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Medien
Interview mit Harald Neuber vom Forum für ein anderes Amerika
Portal amerika21.de
Von Peter Kleinert

Die “Berichterstattung“ der üblichen deutschen Medien über Lateinamerika hat eine Gruppe von Journalisten vor zwei Jahren dazu veranlasst, das Internetportal amerika21.de zu gründen. Neben dem “Geburtstag“ war vor allem der Putsch in Honduras und das, was man darüber in der Regel lesen, hören und sehen kann, Anlass für das folgende Interview.

Amerika21.de -- aktueller Blick auf die Seite 

 
Peter Kleinert: Am 12. Juli wurde das Internetportal amerika21.de zwei Jahre alt. Du hast von Anfang an in diesem Medienprojekt zu Lateinamerika mitgearbeitet. Warum hältst Du dieses Portal für notwendig? 
 
Harald Neuber: Amerika21.de ist als gemeinsames Projekt mehrerer Journalisten und Aktivisten entstanden, die sich regelmäßig mit dem politischen Geschehen in Lateinamerika auseinandersetzen. Wir alle haben, weil wir Deutsch und Spanisch sprechen, Defizite in der Berichterstattung der deutschsprachigen Presse gesehen. Das betraf und betrifft vor allem Beiträge über die neue Linke in der Region. Bevor wir die Seite planten, hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Ich war in Berlin mit einigen Freunden ausgegangen, und irgendwann drehte sich das Gespräch um Lateinamerika. Ich erzählte, dass ich mich in meiner journalistischen Arbeit vor allem mit Venezuela befasste. Eine Bekannte, die übrigens auch Spanisch sprach und sich also hätte informieren können, sagte: „Ach Venezuela, da ist doch dieser verrückte Diktator an der Macht:“ Erstmal habe ich mich geärgert. Später dann geriet ich ins Grübeln. Wie entsteht ein solches Bild von einem Staatschef, in dessen neue Sozial- und Bündnispolitik Millionen Menschen Hoffnungen legen?
 
PK: Und wie entsteht es?
 
HN: Vor allem der venezolanische Präsident Hugo Chávez wurde in den vergangenen Jahren regelrecht als Feindbild aufgebaut. Dabei spielen sich in Deutschland die bürgerlichen Parteien – Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne – die Bälle zu. Leider gibt es in den etablierten Medien nur wenige Versuche, hinter die Kulissen dieses politischen Konfliktes zu schauen. Was geschieht wirklich in Venezuela? Welche Vorgeschichte hat der Chavismus? Viele Redaktionen haben diese Informationen nicht und – was noch viel schlimmer ist – sie versuchen auch gar nicht, sie zu bekommen. Das Ergebnis: Venezuela taucht in den hiesigen Schlagzeilen fast nur auf, wenn es zu innenpolitischen Konflikten kommt. Vergleicht man dann Headlines und Inhalte der Berichte, dann fällt auf, dass sie sich in erschreckender Weise mit denen der venezolanischen Privatpresse decken. Die aber nimmt seit Jahren eine aggressiv-feindliche Stellung zur Regierung Chávez ein. Wenn sich deutschsprachige und europäische Medien auf diese Informationen stützen, muss ein verzerrtes Bild der venezolanischen Realität entstehen. Dahinter steht neben politischen Vorbehalten auch ein ganz banales Problem: Die Korrespondentennetze sind in den vergangenen Jahren stark ausgedünnt worden. Und ob ich von Berlin aus über das Geschehen in Venezuela schreibe oder vom Studio eines öffentlich-rechtlichen Senders aus Mexiko-Stadt – das macht keinen Unterschied. In dieser Situation kommt es nur noch darauf an, ob ich mich unterschiedlicher Quellen bediene. Aber frag doch einmal bei den deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ob sie die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina oder die venezolanische Agentur ABN benutzen. Das wäre undenkbar.
 
PK: Kannst Du mir ein paar konkrete Beispiele von tendenziöser, kapital- und regierungsabhängiger Berichterstattung in den deutschen Medien über Lateinamerika nennen?
 
HN: Ich habe auf der Internetseite des Nachrichtenmagazins Der Spiegel einmal den Suchbegriff „Chávez“ mit einigen der üblichen herablassenden Adjektive und Verben kombiniert. Das Ergebnis: Der mehrfach gewählte Staatschef ist ein „Caudillo“, laut Duden also ein „politischer Machthaber, Diktator“. Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel spricht oder redet Chávez nicht. Er „tönt“, „wettert“, „schwadroniert“, „poltert“, er „entmachtet sein Volk“ und „schimpft“. Kurzum: Er ist „die größte Nervensäge des Kontinents“, wie der inzwischen abgesetzte Kulturchef Matthias Mattusek einmal schrieb. Es gibt unzählige solcher Beispiele! Als in Venezuela vor einigen Jahren Nachbarschaftskomitees aufgebaut wurden, die sogenannten Bolivarischen Zirkel, konnte man in Deutschland lesen, dass diese Komitees in Wirklichkeit bewaffnete Banden sind. Ich selbst war zu der Zeit dort: In den Bolivarischen Komitees haben sich Hausfrauen zusammengeschlossen, um ihr Viertel zu verschönern, Männer haben Schlaglöcher ausgebessert, man hat die Sozialarbeit im Barrio beraten. Langfristig ist von dieser Propagandalüge, die direkt von der venezolanischen Opposition übernommen wurde, nichts übrig geblieben. All das, was ich hier kritisiere, trifft auch auf die anderen Länder zu, die einen Weg aus dem neoliberalen System suchen. Weil sie mit der ungleichen Wirtschaftsordnung zwischen Norden und Süden brechen wollen, werden sie per se als Gegner gesehen und journalistisch, also propagandistisch, so behandelt. Das letzte Beispiel in dieser langen Kette der Desinformation ist gar nicht so lange her. Als der honduranische Präsident Manuel Zelaya Ende Juni Opfer eines Militärputsches wurde, war in den deutschen Medien zunächst zu lesen, er sei „vom Militär festgenommen“ worden. Ohne Godwins Gesetz überzustrapazieren: Das ist so, als ob sich die demokratische Presse am 2. September 1939 damit zufrieden gegeben hätte, über die „mutwillige Beschädigung polnischer Schlagbäume durch die deutsche Wehrmacht“ zu berichten.
 
PK: Wie reagieren die Verantwortlichen in den üblichen Medien auf Kritik von amerika.21? Kommt es gelegentlich vor, dass sie dann - möglicherweise auf Hinweis von Euch - etwas korrigieren oder sogar etwas veröffentlichen, was sie bis dahin unterschlagen haben?
 
HN: Als wichtigen Teil des Medienprojektes amerika21.de betreiben wir einen Weblog, in dem wir falsche und verzerrende Berichterstattung kritisieren. In manchen Fällen heben wir auch positive Beispiele hervor. Das deutsch-polnische Jugendmagazin „Kowalski trifft Schmidt“ des Rundfunks Berlin-Brandenburg hat etwa durchaus positiv über die Berliner Jugendgruppe Interbrigadas berichtet, die politische Reisen nach Venezuela organisiert, wo die Teilnehmer in Sozialprojekte eingebunden sind. Diese positiven Beispiele sind aber leider selten. Deswegen versuchen wir durchaus, mit den Redaktionen in Kontakt zu treten. Wir fordern unsere Leserinnen und Leser aber auch auf, Briefe an die Redaktionen zu schreiben. 
 

Während in Honduras Zehntausende für den gewählten Präsidenten auf die Straße gingen, zeigt das Portal tagesschau.de nur einige Steineschmeißer - im Gegensatz zu den vermeintlichen Massenprotesten der Putschisten.
Screenshots: Harald Neuber
 
Die Reaktionen dabei sind unterschiedlich. Manchmal trifft man auf Interesse, oft aber auf Ablehnung. Dennoch ist unser Interesse, die Kollegen zum Nachdenken zu bringen. In manchen Fällen ist das aber vergebens. Wenn etwa die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) die gewaltsame Verschleppung des honduranischen Präsidenten und seine Deportation nach Costa Rica als „Flucht ins Exil“ bezeichnet. Als einer unserer Leser die Agenturleitung empört anschrieb, verteidigte der Chef vom Dienst, Thomas Winkel, diese Berichterstattung als „sachlich“, „zuverlässig“ und „seriös“. Dennoch halten wir die Beobachtung von Medien und den Dialog neben der Gegeninformation für eines der wichtigsten Elemente, um die Berichterstattung über die neue Linke in Lateinamerika objektiver zu machen.
 
PK: Woher bekommt Ihr Eure Informationen? Durch Reisen, Kontakte zu KollegInnen vor Ort, lateinamerikanische Medien wie TeleSur? Auf jeden Fall müsst Ihr ja Spanisch und/oder Portugiesisch sprechen.
 
HN: Wir alle sind mehrfach im Jahr in Lateinamerika und sprechen die lokalen Sprachen. Wir bedienen uns vor allem aber der Medien, deren Informationen und deren Sicht in hiesigen Medien keine Beachtung finden, Medien der linksregierten Staaten also. Um Kritikern zuvorzukommen: Das bedeutet nicht, dass wir uns als Verlautbarungsorgan der linksgerichteten Regierungen in Lateinamerika sehen. Ganz im Gegenteil: Einige der Basismedien, mit denen wir zusammenarbeiten, kritisieren etwa die Politik dieser Regierung von unten, aus der Sicht der sozialen Bewegungen. An ihnen orientieren auch wir uns.
 
PK: Euer im Impressum genanntes Redaktionsteam und der Webmaster wird seinen Lebensunterhalt vermutlich genauso wenig mit dieser Arbeit verdienen wie wir bei der NRhZ. Wie finanziert Ihr Eure Arbeit? Gibt es Unterstützung durch LeserInnen?
 
HN: Amerika21.de ist ein Non-Profit-Projekt. Will heißen: Niemand bezahlt uns. Ganz im Gegenteil finanzieren wir selbst mit unseren privaten Mitteln den Betrieb der Seite. Derzeit gehört ein halbes Dutzend Journalisten und Aktivisten zum Team, Unterstützung bekommen wir von noch ein Dutzend Freunden und Lesern, die etwa übersetzen. Mitunter ist dieser zeitliche und finanzielle Aufwand schwer zu bewältigen. Die letzten zwei Jahre von amerika21.de haben damit aber auch bewiesen, dass niemand von uns auf Kosten des venezolanischen Staates nach Caracas fliegen muss, um Geldrollen entgegenzunehmen oder 100.000 US-Dollar für die Basisarbeit in Deutschland zu beantragen. Ich glaube, diese Erfahrung teilen wir mit der NRhZ und anderen Basismedien in Deutschland. Wichtig ist uns, trotz der dünnen oder, besser gesagt, nicht vorhandenen Finanzdecke eine möglichst professionelle Arbeit zu leisten. Das unterscheidet unsere beiden Projekte von Foren, die noch nicht einmal die 7-W-Regel des Journalismus beherrschen.
 
PK: Habt Ihr bestimmte Länder als Schwerpunkte für Eure Berichterstattung? Wenn ja, welche und warum? Zu Kuba beispielsweise hab ich auf Eurer Seite im Juni/Juli relativ wenig gefunden.
 
HN: Das diskutieren wir in der Tat auch. Wir haben uns zu Beginn als Venezuela-Portal definiert. Allerdings haben wir schnell auch auf die anderen links regierten Staaten Bezug genommen. Kuba kam immer mal wieder bei uns vor, im Schwerpunkt aber berichten wir über Venezuela, Bolivien und Ecuador. Wir würden die Arbeit gerne ausweiten, wenn wir die Ressourcen dazu hätten.
 
PK: Was bedeutet eigentlich die Zahl 21 hinter “amerika“
 
HN: Vor dem Start von amerika21.de haben wir mehrere Namen zur Auswahl gehabt. Für amerika21 haben wir uns entschieden, weil der Erfolg der neuen Linken im Süden des Kontinents einen Aufbruch im 21. Jahrhundert markiert. Da wird ja auch ein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ diskutiert. Daran haben wir uns bei der Namensgebung orientiert. (PK)
 
Harald Neuber schreibt für verschiedene deutsche und spanische Tageszeitungen. Schwerpunktmäßig befasst er sich mit internationalen Konflikten und Lateinamerika. Er lebte und arbeitete in Cuba, Mexico und Venezuela.  .
 
Mehr unter www.amerika21.de und www.haraldneuber.de 

Online-Flyer Nr. 206  vom 15.07.2009

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