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Kultur und Wissen
Wir sind (keine) „fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland
Die Geschichte der Gebrüder Özoguz
Von Sabine Schiffer
Zweifeln ist angebracht - dies demonstrieren die Gebrüder Özoguz, Gründer und Betreiber von www.muslim-markt.de, ebenso amüsant wie tiefsinnig in ihrem völlig überarbeiteten bekanntesten Buch, das soeben neu erschienen ist. Der Vorgängertitel war zwar noch provokanter - da fehlte das „keine“ - aber er wurde von vielen eben nicht als das verstanden, was er meinte: eine ironische bis zynische Zuspitzung. Nun, den Inhalten nimmt das nichts von ihrer Provokation.
Vermeintliches Wissen hinterfragen
Die Leserschaft lässt sich entweder auf die Perspektivwechsel der beiden "fundamentalistischen Islamisten" ein und hinterfragt gängige Sprachregelungen öffentlicher Diskurse. Vielleicht sogar bis hin zur Entlarvung selbstidealisierender Vorstellungen über unsere Gesellschaft, die Ausgegrenzten eher auffallen dürften - wie unseren beiden Glaubensbrüdern. Oder man zweifelt an deren Darstellung. Dann hat man die Möglichkeit alles zu überprüfen. Genau dazu laden sie ein und bemängeln sicher zu recht, dass dieses in vielen Jahren der "Hofberichterstattung" über sie in völlig unzureichendem Maße geschah - zumal eine ihrer Prämissen ist, alles in deutscher Sprache zu äußern. Das Buch bietet viele Anregungen, neue Fragen zu stellen und vor allem, vermeintliches Wissen zu hinterfragen.
Und das ist immer mal wieder notwendig, vor allem im relativ mediengläubigen Westdeutschland, wie die beiden betonen. Anhand eines Abschnitts über den Begriffswirrwar im politischen Diskurs wird eine solche Übung vorexerziert. Prüft man etwa die Begriffe „Terrorist“, „Islamist“, Extremist“ auf ihre Anwendung, dann muss man feststellen, dass sie in ihrer Bedeutung interessante und verräterische Wandlungen durchlaufen. So scheint zum Begriff „Terrorist“ mindestens noch das Merkmal „Verlierer“ zu gehören (S. 245), denn erfolgreiche Terroristen können darauf hoffen, irgendwann als Staatsgast einer westlichen Regierung eingeladen zu werden, wie dies im Falle Yitzhak Schamirs der Fall gewesen sei. Hingegen können Partner schnell zum „Terroristen“ mutieren, wie etwa im Falle Saddam Husseins. Überhaupt wird klar, dass die Bezeichnung ausschließlich als Fremdbezeichnung verwendet wird, niemals als Selbstbezeichnung. Dies sei jedoch im Falle so mancher Großmacht durchaus einmal angebracht. (S. 244ff). Das köstlich zu lesende Kapitel „Begrifsswirrwarr“ sei jedem Globalisierungsgegner und Militarisierungskritiker empfohlen - man muss mitnichten Muslim sein, um diese Dinge so oder so ähnlich zu sehen.
Gründer und Betreiber von
www.muslim-markt.de - Dr. Yavuz Özoguz
(rechts) und Dr. Gürhan Özoguz
Hier allerdings stößt man immer wieder auf den Verweis, dass dieses eben Muslime so sähen und es wird ein Antagonismus forciert, der meiner Meinung nach so nicht haltbar ist – die Gegenüberstellung kann auch der zur konstruktiven Zusammenarbeit einladende Schluss nicht mehr ganz aufheben. Es ist aber gut und wohl durchaus im Sinne der Autoren, die Frage nach der Sinnhaftigkeit der in den letzten Jahren betonten Unterscheidung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu stellen. Denn auf Grund der gemeinsamen Aufgaben etwa gegen die Aushungerung der Dritten Welt wie auch der Verhinderung von noch mehr Krieg und Ausbeute von Mensch und Natur haben wir ja alle eigentlich auch gar keine andere Wahl, als uns gegen die dünne Schicht der Mächtigen und Ausbeuter gemeinsam aufzulehnen.
“Islamischen Befreiungstheologie“
Und so erstaunt es auch weniger, dass die Autoren durch ihre Beschäftigung mit der Dritten Welt - genauer mit Lateinamerika und der christlichen Befreiungstheologie -schließlich zur „Islamischen Befreiungstheologie“ kommen. Die sehen sie in den Äußerungen der Iranischen Revolutionsführer Khomeini und Khamenei verwirklicht. Freilich kann man auch hier - wie man es überall sonstwo auch tun sollte - Wort und Tat miteinander vergleichen, aber so manche Schriften aus dem Iran sind tatsächlich erst durch die Übersetzungen der Brüder Özoguz in Deutschland zugänglich und damit überprüfbar geworden - nicht durch unsere „freie“ Presse. „Iran“ ist inzwischen eher zu einem weiteren Signalwort der Stigmatisierung geworden, so dass man schon Gefahr läuft, bei einfacher Nennung des Landes als Extremist eingestuft zu werden - wofür viele Berichte über den „Muslim-Markt“ exemplarisch stehen und einige im Buch aufgearbeitet werden, wie beispielsweise Schriften des ehemaligen FAZ-Redakteurs Udo Ulfkotte.
Noch schlimmer dürfte es kommen, wenn man in der Rede eines Ayatollah Khamenei die ultimative Lösung für den Nahostkonflikt sieht. In der Tat überrascht die klare Stellungnahme für eine demokratische Grundentscheidung in der Rede des Staatsoberhaupts. Die Lösungsidee ist mindestens originell, wenn sie nicht an tausend Tabus in Deutschland rütteln würde: lasst alle Palästinenser wählen, wie sie es haben wollen und danach die Mehrheitsmeinung umsetzen. Dass man die Palästinenser und zwar auch die Vertriebenen überhaupt fragen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen kann, wäre ja ein Gedanke, der dem Völkerrecht entspricht. Während man aber schnell geneigt ist, darin eine Unmöglichkeit zu sehen, wird doch deutlich, dass so manche Position bezüglich des Konflikts gar nicht auf eine Lösung desselben abzielt. Streng nach den Lösungsmöglichkeiten gefragt, entblößt sich gar so manche Initiative als Hinhaltestrategie mit vielen weiteren Toten.
Damit verstoßen die beiden Doktoren für Abwassertechnologie nun endgültig gegen die Deutsche Staatsräson, die inzwischen sogar in einer Rede von Gregor Gysi für den Fall künftiger Regierungsverantwortung zugesichert wurde: Solidarität mit jedweder Politik der Herrschenden in Israel.
Vom “Verfassungsschutz“ beobachtet
Entsprechend hat der Verfassungsschutz die beiden Fundis auf dem Beobachtungsschirm, und wie das Buch enthüllt, schützt dieser dabei nicht die deutsche Verfassung, sondern eben jene Staatsräson. Die orientiert sich aber weniger an Menschen- und Völkerrecht und damit auch nicht am Grundgesetz. Zur absoluten Rechtstreue in Deutschland rufen die beiden Autoren aber konsequent immer wieder auf.
Hier legen die beiden gnadenlos die Finger in die Wunde der deutschen Geschichte und halten auch an anderer Stelle immer wieder den Spiegel vor und entblößen gnadenlos doppelte Maßstäbe. Das ist natürlich schon „genuin“ Deutschen nicht erlaubt, aber Deutschen mit türkisch klingenden Namen schon gleich gar nicht und zudem noch Muslimen… Was erdreisten die sich? Dabei wird mehr als deutlich, dass man es hier mit aufrichtigen Menschen zu tun hat. Sie mögen einer religiösen Ausrichtung angehören, die man nicht teilt und Dinge praktizieren, die auch viele Muslime nicht teilen, aber wer keine Macke hat, werfe den ersten Stein!
Nichts passt in gängige Schemata und Schubladen. Das machen die Brüder mit ihren gradlinigen, teils zynischen, teils humorvollen - denn sonst wäre es manchmal wohl nicht auszuhalten - aber stets gut reflektierten Schilderungen mehr als deutlich.
Dem aufmerksamen Beobachter aktueller Politik mag es öfters ähnlich ergehen, wie die beiden Weltverbesserer es feststellen: ein echtes Interesse an Problemlösungen scheint von bestimmten offiziellen Stellen nicht wirklich angestrebt, und das decken sie gnadenlos auf. Dabei entpuppt sich der Glaube daran, dass diese unsere Gesellschaft schon die Aufklärung assimiliert habe und gerecht und tolerant sei, als vielleicht noch weniger realistisch als der Glaube an einen Gott. (PK)
Özoguz, Gürhan & Yavuz (2009): Wir sind (keine) „fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland. Bremen: m-haditec. 299 Seiten (DIN A5 Paperback), 15 Euro, ISBN 978-3-939416-26-5.
Leseprobe unter http://www.mhaditec.de/verlag/leseproben/wirsind.pdf
Online-Flyer Nr. 210 vom 12.08.2009
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Kultur und Wissen
Wir sind (keine) „fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland
Die Geschichte der Gebrüder Özoguz
Von Sabine Schiffer
Zweifeln ist angebracht - dies demonstrieren die Gebrüder Özoguz, Gründer und Betreiber von www.muslim-markt.de, ebenso amüsant wie tiefsinnig in ihrem völlig überarbeiteten bekanntesten Buch, das soeben neu erschienen ist. Der Vorgängertitel war zwar noch provokanter - da fehlte das „keine“ - aber er wurde von vielen eben nicht als das verstanden, was er meinte: eine ironische bis zynische Zuspitzung. Nun, den Inhalten nimmt das nichts von ihrer Provokation.
Vermeintliches Wissen hinterfragen
Die Leserschaft lässt sich entweder auf die Perspektivwechsel der beiden "fundamentalistischen Islamisten" ein und hinterfragt gängige Sprachregelungen öffentlicher Diskurse. Vielleicht sogar bis hin zur Entlarvung selbstidealisierender Vorstellungen über unsere Gesellschaft, die Ausgegrenzten eher auffallen dürften - wie unseren beiden Glaubensbrüdern. Oder man zweifelt an deren Darstellung. Dann hat man die Möglichkeit alles zu überprüfen. Genau dazu laden sie ein und bemängeln sicher zu recht, dass dieses in vielen Jahren der "Hofberichterstattung" über sie in völlig unzureichendem Maße geschah - zumal eine ihrer Prämissen ist, alles in deutscher Sprache zu äußern. Das Buch bietet viele Anregungen, neue Fragen zu stellen und vor allem, vermeintliches Wissen zu hinterfragen.
Und das ist immer mal wieder notwendig, vor allem im relativ mediengläubigen Westdeutschland, wie die beiden betonen. Anhand eines Abschnitts über den Begriffswirrwar im politischen Diskurs wird eine solche Übung vorexerziert. Prüft man etwa die Begriffe „Terrorist“, „Islamist“, Extremist“ auf ihre Anwendung, dann muss man feststellen, dass sie in ihrer Bedeutung interessante und verräterische Wandlungen durchlaufen. So scheint zum Begriff „Terrorist“ mindestens noch das Merkmal „Verlierer“ zu gehören (S. 245), denn erfolgreiche Terroristen können darauf hoffen, irgendwann als Staatsgast einer westlichen Regierung eingeladen zu werden, wie dies im Falle Yitzhak Schamirs der Fall gewesen sei. Hingegen können Partner schnell zum „Terroristen“ mutieren, wie etwa im Falle Saddam Husseins. Überhaupt wird klar, dass die Bezeichnung ausschließlich als Fremdbezeichnung verwendet wird, niemals als Selbstbezeichnung. Dies sei jedoch im Falle so mancher Großmacht durchaus einmal angebracht. (S. 244ff). Das köstlich zu lesende Kapitel „Begrifsswirrwarr“ sei jedem Globalisierungsgegner und Militarisierungskritiker empfohlen - man muss mitnichten Muslim sein, um diese Dinge so oder so ähnlich zu sehen.
Gründer und Betreiber von
www.muslim-markt.de - Dr. Yavuz Özoguz
(rechts) und Dr. Gürhan Özoguz
“Islamischen Befreiungstheologie“
Und so erstaunt es auch weniger, dass die Autoren durch ihre Beschäftigung mit der Dritten Welt - genauer mit Lateinamerika und der christlichen Befreiungstheologie -schließlich zur „Islamischen Befreiungstheologie“ kommen. Die sehen sie in den Äußerungen der Iranischen Revolutionsführer Khomeini und Khamenei verwirklicht. Freilich kann man auch hier - wie man es überall sonstwo auch tun sollte - Wort und Tat miteinander vergleichen, aber so manche Schriften aus dem Iran sind tatsächlich erst durch die Übersetzungen der Brüder Özoguz in Deutschland zugänglich und damit überprüfbar geworden - nicht durch unsere „freie“ Presse. „Iran“ ist inzwischen eher zu einem weiteren Signalwort der Stigmatisierung geworden, so dass man schon Gefahr läuft, bei einfacher Nennung des Landes als Extremist eingestuft zu werden - wofür viele Berichte über den „Muslim-Markt“ exemplarisch stehen und einige im Buch aufgearbeitet werden, wie beispielsweise Schriften des ehemaligen FAZ-Redakteurs Udo Ulfkotte.
Noch schlimmer dürfte es kommen, wenn man in der Rede eines Ayatollah Khamenei die ultimative Lösung für den Nahostkonflikt sieht. In der Tat überrascht die klare Stellungnahme für eine demokratische Grundentscheidung in der Rede des Staatsoberhaupts. Die Lösungsidee ist mindestens originell, wenn sie nicht an tausend Tabus in Deutschland rütteln würde: lasst alle Palästinenser wählen, wie sie es haben wollen und danach die Mehrheitsmeinung umsetzen. Dass man die Palästinenser und zwar auch die Vertriebenen überhaupt fragen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen kann, wäre ja ein Gedanke, der dem Völkerrecht entspricht. Während man aber schnell geneigt ist, darin eine Unmöglichkeit zu sehen, wird doch deutlich, dass so manche Position bezüglich des Konflikts gar nicht auf eine Lösung desselben abzielt. Streng nach den Lösungsmöglichkeiten gefragt, entblößt sich gar so manche Initiative als Hinhaltestrategie mit vielen weiteren Toten.
Damit verstoßen die beiden Doktoren für Abwassertechnologie nun endgültig gegen die Deutsche Staatsräson, die inzwischen sogar in einer Rede von Gregor Gysi für den Fall künftiger Regierungsverantwortung zugesichert wurde: Solidarität mit jedweder Politik der Herrschenden in Israel.
Vom “Verfassungsschutz“ beobachtet
Entsprechend hat der Verfassungsschutz die beiden Fundis auf dem Beobachtungsschirm, und wie das Buch enthüllt, schützt dieser dabei nicht die deutsche Verfassung, sondern eben jene Staatsräson. Die orientiert sich aber weniger an Menschen- und Völkerrecht und damit auch nicht am Grundgesetz. Zur absoluten Rechtstreue in Deutschland rufen die beiden Autoren aber konsequent immer wieder auf.
Hier legen die beiden gnadenlos die Finger in die Wunde der deutschen Geschichte und halten auch an anderer Stelle immer wieder den Spiegel vor und entblößen gnadenlos doppelte Maßstäbe. Das ist natürlich schon „genuin“ Deutschen nicht erlaubt, aber Deutschen mit türkisch klingenden Namen schon gleich gar nicht und zudem noch Muslimen… Was erdreisten die sich? Dabei wird mehr als deutlich, dass man es hier mit aufrichtigen Menschen zu tun hat. Sie mögen einer religiösen Ausrichtung angehören, die man nicht teilt und Dinge praktizieren, die auch viele Muslime nicht teilen, aber wer keine Macke hat, werfe den ersten Stein!
Nichts passt in gängige Schemata und Schubladen. Das machen die Brüder mit ihren gradlinigen, teils zynischen, teils humorvollen - denn sonst wäre es manchmal wohl nicht auszuhalten - aber stets gut reflektierten Schilderungen mehr als deutlich.
Dem aufmerksamen Beobachter aktueller Politik mag es öfters ähnlich ergehen, wie die beiden Weltverbesserer es feststellen: ein echtes Interesse an Problemlösungen scheint von bestimmten offiziellen Stellen nicht wirklich angestrebt, und das decken sie gnadenlos auf. Dabei entpuppt sich der Glaube daran, dass diese unsere Gesellschaft schon die Aufklärung assimiliert habe und gerecht und tolerant sei, als vielleicht noch weniger realistisch als der Glaube an einen Gott. (PK)
Özoguz, Gürhan & Yavuz (2009): Wir sind (keine) „fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland. Bremen: m-haditec. 299 Seiten (DIN A5 Paperback), 15 Euro, ISBN 978-3-939416-26-5.
Leseprobe unter http://www.mhaditec.de/verlag/leseproben/wirsind.pdf
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