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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Nach der Wahl wird Deutschland anders
Ablenkungsmanöver
Von Hans-Dieter Hey

Aktivisten der Bürgerbewegung „Attac“ fordern von den Parteien, vor der Bundestagswahl endlich die Karten auf den Tisch zu legen. Sie fürchten den nächsten sozialen Kahlschlag im Lande, weil durch ein in weiten Bereichen bedenkliches Krisenmanagement der Regierung Angela Merkel den Bürgern das Geld aus der Tasche gezogen wird und die Verschuldung ein ungeahntes Ausmaß erreicht hat, während sich Vermögende aus der Krisenbewältigung verabschiedet haben.

Scheindebatten statt Lösungen

Attac fordert das Ende von Schein- und Ablenkungsdebatten um Dienstfahrzeuge, Schweinegrippe und neue Arbeitslosenhetze, sondern handfeste Lösungen. Wer kennt das nicht: Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird. „Wir wollen nicht mit Scheindebatten über Dienstwagenaffairen, die Stammbäume von Ministern, die Schweinegrippe oder das mangelnde Charisma von Kanzlerkandidaten abgelenkt werden, sondern jetzt von den Parteien wissen, was sie nach der Wahl vorhaben: Mit welchen Prioritäten werden sie den nächsten Bundeshaushalt aufstellen? Wie wollen sie die Einnahmen der öffentlichen Hand erhöhen? Und wo planen sie bereits Sozialabbau? Das sind die drängenden Fragen, auf die wir eine Antwort verlangen“, sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koodinierungskreis während der Attac-Sommerakademie in Karlsruhe, die für die 700 Teilnehmer am vergangenen Wochenende erfolgreich zu Ende ging.


Proteste gegen Merkels falsche Politik.... 

Stattdessen werde die öffentliche Diskussion über zentrale politische Fragen beharrlich vermieden. Dabei spielen offensichtlich die Mainstream-Medien eine unrühmliche Rolle, weil sie die drängenden Fragen nicht in der Weise aufgreifen, wie dies für eine demokratische Auseinandersetzung erforderlich wäre, für die sie sich offenbar aber nicht verantwortlich fühlen.  „Karten auf den Tisch!“ lautete daher das Motto einer Polit-Aktion von Attac Karlsruhe, bei der aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger schauspielerisch einen Politiker samt seiner Stretch-Limousine vom Marktplatz drängten. In Sprechchören und auf Transparenten forderten die Demonstranten Politiker und Parteien auf, statt Worthülsen endlich sinnvolle Konzepte für die Lösung der drängenden Probleme zu liefern.

Verarmungsprogramm vorprogrammiert


Ersten Schätzungen zufolge werden den Sozialversicherungs-Systemen bis Ende 2010 ca. 30 Milliarden Euro an Einnahmen fehlen. Die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise erwarteten Steuerausfälle für Bund, Länder und Gemeinden werden stetig nach oben korrigiert, während die Einnahmenseite nahezu völlig vernachlässigt wird. Das sogenannte Bankenrettungspaket werde die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten, so Attac. Hinzu kämen die Milliarden für die Konjunkturpakete.
 
Ein Vorwurf lautete deshalb: „Keine der großen Parteien führt in ihrem Wahlprogramm nennenswerte Steuererhebungen auf Vermögen an. Angesichts der leeren öffentlichen Kassen bedeutet das nichts anderes, als dass sie Kürzungen in Milliardenumfang planen: bei den Sozialversicherungssystemen und bei den öffentlichen Ausgaben für Bildung, Soziales, Kultur und Gesundheit. Aber das sagen sie uns nicht“, stellte Boris Loheide, Attac-Mitglied aus Köln und Autor des kritischen Buches zur Dienstleistungsgesellschaft „Wer bedient hier wen?“, fest. Deshalb verlange Attac, die Krisenkosten nicht auf die Allgemeinheit abzuwälzen und forderte stattdessen als ersten Schritt eine einmalige Abgabe auf große Vermögen. Loheide: „Wenn nicht endlich diejenigen mit zur Verantwortung gezogen werden, die Jahrzehnte lang von den liberalisierten Finanzmärkten profitiert haben, droht ein drastisches öffentliches Verarmungsprogramm. Darüber müssen wir öffentlich diskutieren, nicht über Michelle Obamas Oberarme.“


....und Entwicklung nachhaltiger Lösungen bei attac
Fotos: attac


Attac protestiert nicht nur, sondern hat während der Sommerakademie noch weitere Vorschläge und Konzepte erarbeitet. Beispielsweise für Belegschaften in Betrieben, die Massenentlassungen und Insolvenzen erwarten müssen. Attac bietet Unterstützung deshalb auch bei Betriebsübernahmen an. Außerdem soll der Widerstand gegen den weiteren Ausverkauf öffentlichen Eigentums eine zentrale Rolle spielen. Denn unbeeindruckt durch die dadurch entstandenen Probleme für den Staat werden Privatisierungen zu lasten der Bürgerinnen und Bürger weiterbetrieben.    

Weitere Proteste gegen gescheiterte Politik

Geplant sind Protestaktionen gegen den G20-Gipfel in Berlin und Frankfurt/M., der am 24. und 25. September in Pittsburgh stattfindet. Attac fordert, dass endlich ein Kurswechsel bei der Regulierung der Weltwirtschaft, vor allem der Finanzwirtschaft stattfindet. Inzwischen werden bei letzterer wieder zweistellige Gewinne eingefahren, deren Folgen in der absehbaren nächsten Krise erneut die Steuerzahler zahlen dürften. Mit einem „weiter mit den falschen Methoden von gestern“ ist wohl zu rechnen, vor allem mit einer schwarz-gelben Koalition. Die von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen finanzierte „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ aus Köln zeigt sich in der Öffentlichkeit sichtbar gern mit Angela Merkel. Als Verband von Hardcore-Kapitalisten beabsichtigt er aber, dem „derzeit verstärkten Ruf nach mehr Staatseingriffen in der Krise entgegenzuwirken“ und gibt sich damit allerdings inzwischen der Lächerlichkeit preis. Denn Angela Merkel hatte in dieser Krise entweder gar nicht, mit den falschen Mitteln, oder mit dem Notwendigsten zu spät gehandelt, wie die unzureichend funktionierenden Konjunkturprogramme zeigen. Durch seinen Umzug von Köln nach Berlin will nun die INSM „zusätzlichen Einfluss auf Politiker und Politikerinnen in allen Parteien sichern“, so Attac am 22. Juli. Doch die „Wirtschaftskrise beweist, dass das System unregulierten Wirtschaftens, wie es in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt durch die INSM massiv gefördert wurde, auf Kosten von Mensch und Umwelt geht und aus sich selbst heraus zum Scheitern verurteilt ist“.


Filmclip: attac

Die Politik der „Kanzlerin des Kapitals“ geht also weiter wie bisher, als wäre nichts geschehen. Während ihr berühmter Satz „Wir müssen eine gemeinsame Lösung finden“ Eingang ins politische Kabarett gefunden hat, waren andere europäischen Länder wie Spanien in der Krisenbewältigung längst erfolgreicher mit nationalen Lösungen – abgesehen von deren Immobilienkrise. Wenn Merkel lernfähig wäre, müsste der deutliche Protest von vielen sie eigentlich nachdenklich stimmen, weil er zutreffend ist. Während Deutschland als mächtigstes europäisches Land ein klares Wort bei den G20 mitzureden hätte, wird stattdessen Merkels Fehleinschätzung der Lage überdeutlich: „Offenbar sind die Regierungen nur zu oberflächlichen Maßnahmen bereit: Ein substantielles Schrumpfen der Finanzmärkte steht ebenso wenig auf der Agenda wie eine Abkehr vom Freihandel. Das lässt sich natürlich leichter mit den undemokratischen Strukturen der G20 durchsetzen als mit einer reformierten UNO, in der auch die Länder mitbestimmen, die am stärksten unter den liberalisierten Kapitalmärkten und ihren Krisen zu leiden haben“, sagte Alexis Passadakis, Politikwissenschaftler und Mitglied der Projektgruppen „Krise und Protest" bei Attac.

Proteste gegen minimale Klimaschutzregelungen


Auch zum Klimagipfel im Dezember in Kopenhagen will Attac mobilisieren. „Wir lassen nicht zu, dass die Krise genutzt wird, um den Klimaschutz im Interesse der Konzerne hinten runter fallen zu lassen. Die soziale und ökologische Frage sind untrennbar und dürfen nicht weiterhin gegeneinander ausgespielt werden“, sagte Chris Methmann, Mitglied im Attac-Koordinierungskreis, der bereits Organisator des Klimakongresseses „4. McPlanet.com“ im Jahr 2007 war. Er spielt dabei auf die Politik von Angela Merkel an, die zu dieser Bundstagswahl 2009 den Klimaschutz „größten Herausforderung für die Menschheit“ erklärte und „schnelles und entschiedenes Handeln“ forderte. Doch alles blieb erheblich hinter vollmundigen Ankündigungen zurück. Um zu retten was zu retten ist, müssten die Industrieländer bis zum Jahr 2020 mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen und die Entwicklungsländer von den Industrienationen ausreichend Geld für Erneuerbare Energien, die Anpassung an den Klimawandel und den Urwaldschutz erhalten. Deutschland müsste jährlich mit sieben Milliarden Euro dazu beitragen. Doch davon sind wir weit entfernt.

Attac hat allein in Deutschland inzwischen über 22.000 Mitglieder und einem hochkarätig besetzten Wissenschaftbeisrat. In diesem Jahr freute sich Attac besonders: Rund die Hälfte der Anwesenden nahm zum ersten Mal an einer Sommerakademie teil. In zahlreichen der mehr als 100 Workshops der Sommerakademie, in Seminare und Podiumsdiskussionen wurden weitere konkrete Vereinbarungen für gemeinsame Projekte für die Zukunft unserer Gesellschaft beschlossen. (HDH)

Weitergehende Informationen:

Video-Vortrag (Ausschnitt):
Vorlesung von Prof. Dr. Elmar Altvater, Mitglied im Wissenschaftsbeirat von Attac, vom 15.04.09 im Rahmen der Vorlesungsreihe „Die Rückkehr des Staates? Politik, Staat und Gesellschaft nach der Finanzkrise" an der Freien Universität Berlin

















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Reader des Wissenschaftlichen Beirats von Attac (Broschiert)
von Thomas Sauer (Herausgeber), Silke Ötsch (Herausgeber), Peter Wahl (Herausgeber)
VSA-Verlag 2008, EUR 14,80

Online-Flyer Nr. 210  vom 12.08.2009

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