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Krieg und Frieden
Vorabdruck aus “Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt“
Gewissen statt Gehorsam
Von Jürgen Rose
Jürgen Rose auf einer Friedenskundgebung in München
NRhZ-Archiv
Der 9. März 2007 markiert eine Zäsur im Einsatz der Bundeswehr am fernen Hindukusch. An jenem Frühlingstag nämlich stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag der Bundesregierung auf Entsendung von Tornado-Waffensystemen zur Luftaufklärung in ganz Afghanistan zu. Daraufhin legte ich wenige Tage später, am 15. März 2007, meinem Disziplinarvorgesetzten im Wehrbereichskommando IV in München einen „Dienstlichen Antrag“ vor (1), in dem es hieß: „Im Hinblick auf die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung ... erkläre ich hiermit, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, den Einsatz von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan ... zu unterstützen, da meiner Auffassung nach nicht auszuschließen ist, daß ich hierdurch kraft aktiven eigenen Handelns zu einem Bundeswehreinsatz beitrage, gegen den gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, strafrechtliche sowie völkerstrafrechtliche Bedenken bestehen. Zugleich beantrage ich hiermit, auch von allen weiteren Aufträgen ... im Zusammenhang mit der ‚Operation Enduring Freedom‘ ... entbunden zu werden.“
In meiner Begründung stützte ich mich auf die Leitsätze zum Urteil des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005 sowie auf die vom Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg, Professor Dr. Dietrich Murswiek, verfaßte Klageschrift, welche der Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer (CDU), ehemals Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium der Verteidigung und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, sowie der Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Dr. Peter Gauweiler (CSU) im Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt hatten.
Im einzelnen brachte ich vor, daß der Einsatz der Bundeswehr-Tornados in Afghanistan notwendigerweise die Teilnahme Deutschlands an völkerrechtswidrigen und vom NATO-Vertrag nicht gedeckten Militäraktionen bedeutete, weil nämlich die von den Bundeswehr-Tornados erfaßten Aufklärungsergebnisse an das amerikanische Oberkommando übermittelt würden, wobei trotz der in der Begründung der Beschlußvorlage genannten Restriktion im ISAF-Operationsplan nicht gewährleistet sei, daß die Aufklärungsergebnisse nicht zu anderen als den dort genannten Zwecken im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) verwendet würden. Darüber hinaus war in meinen Augen die Kriegführung der USA im Rahmen der OEF unter mehreren Aspekten völkerrechtswidrig, denn:
• sie ließ sich nicht mehr als Selbstverteidigung rechtfertigen und war nicht auf ein Mandat des Sicherheitsrats gestützt,
• sie überschritt bei der Art und Weise, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, selbst die Ermächtigung der Regierung Karzai,
• sie war im Hinblick auf die in Kauf genommenen sogenannten Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung mit den völkerrechtlichen Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht vereinbar, und
• sie verstieß hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen gegen fundamentale menschenrechtliche Grundsätze.
Summa summarum beteiligte sich die Bundesregierung, indem sie den Einsatz der Tornados in Afghanistan beschloß, aktiv an einem Kriegseinsatz, der auf der Grundlage einer Militärstrategie geführt wurde, die mit den fundamentalen Grundsätzen der UN-Charta und des Art. l des NATO-Vertrages unvereinbar war, und verwickelte hierin die deutschen Streitkräfte.
Vorausgegangen war diesem Antrag eine nahezu ein Jahr zuvor abgegebene „Dienstliche Erklärung“, in der unter anderem stand: „In Anerkennung des Primats der Politik und verpflichtet meinem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen sowie Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, erkläre ich hiermit, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, Befehle auszuführen, die gegen das Völkerrecht oder das deutsche Recht verstoßen.“ Diese Erklärung war unbeanstandet zu meiner Personalakte genommen worden.
Meine Weigerung, zur logistischen Unterstützung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan beizutragen – konkret ging es um die Sicherstellung der Versorgung mit Flugbetriebskraftstoff auf dem Einsatzflugplatz in Mazar-i-Sharif – wurde anschließend Gegenstand bundesweiter Berichterstattung. Nicht zuletzt aufgrund der großen Publizität der Angelegenheit sowie mehrerer beim Bundesverfassungsgericht anhängiger Klagen gegen den Tornado-Einsatz entschied die zuständige militärische Führung umgehend, mich fortan „gewissenschonend“ in einer anderen Abteilung meiner Dienststelle einzusetzen, ganz so wie dies im einschlägigen Gewissensfreiheitsurteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes normiert worden war. Mit einer gewichtigen Einschränkung freilich, denn in seinem schriftlichen Bescheid führte der zuständige Disziplinarvorgesetzte aus: „Wie ich Ihnen ... mitgeteilt habe, handelt es sich bei dieser Entscheidung über Ihre neue Verwendung ausdrücklich nicht um die Anerkennung der in Ihrem Schreiben ... genannten Gründe. Darüber wird – gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.“
Zwar wurde die Organklage der beiden Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer (CDU) und Peter Gauweiler (CSU) vom Bundesverfassungsgericht kurz darauf zurückgewiesen, da einzelne Abgeordnete gemäß der in Karlsruhe vertretenen Rechtsauffassung nicht klageberechtigt sind, doch brachte die Bundestagsfraktion der PDS/Die Linke die Angelegenheit mit nahezu gleicher, lediglich in Teilen ergänzter Begründung erneut auf die Agenda, so daß eine höchstrichterliche Entscheidung unumgänglich wurde. Formal war die Verletzung der grundgesetzlich normierten Beteiligungsrechte des Bundestages Gegenstand beider Klagen, doch zielten sie inhaltlich darauf ab, die parallel zu einer sich weltweit entgrenzenden NATO Schritt für Schritt erweiterte ISAF-Mission der Bundeswehr als verfassungs- und völkerrechtswidrig erklären zu lassen. Am 3. Juli 2007 wiesen jedoch die Verfassungsrichter die Klage mit einer in weiten Teilen als skandalös zu bewertenden Begründung ab.
Ins Auge springen mußte, daß das Gericht in seiner Urteilsbegründung zwar einerseits eine Eloge auf die NATO und deren ISAF-Mission darbrachte, sich andererseits aber auffällig distanziert und einsilbig zu der in dem zentralasiatischen Land parallel stattfindenden “Operation Enduring Freedom“ äußerte. Den Dreh- und Angelpunkt der höchstrichterlichen Argumentation bildete die Fiktion einer strikten Trennung der realiter freilich eng miteinander verwobenen Militäreinsätze: „ISAF und die Operation Enduring Freedom richten sich nach getrennten Zwecksetzungen, unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und klar abgegrenzten Verantwortungssphären.“ Darauf rekurrierend lehnte das Gericht in der Folge jedwede rechtliche Bewertung von OEF strikt ab: „Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Operation Enduring Freedom stehe, wie sie sich in Afghanistan vollziehe, mit dem Völkerrecht nicht im Einklang, kann dies in der vorliegenden prozessualen Konstellation vom Bundesverfassungsgericht nicht isoliert überprüft werden.“ Zugleich ließen die Verfassungsrichter durchaus ihre Zweifel an der Völkerrechtskonformität der OEF durchblicken, indem sie konstatierten: „Zwar mag, soweit die Operationen in der dargestellten begrenzten Weise zusammenwirken, eine Zurechnung völkerrechtswidrigen Handelns im Einzelfall nicht auszuschließen sein; soweit etwa eine Aktion der Operation Enduring Freedom mit dem Völkerrecht nicht im Einklang stünde und sich auch auf Aufklärungsergebnisse der Tornados zurückführen ließe, könnte dies möglicherweise die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der NATO oder ihrer Mitgliedstaaten auslösen. Auf diese völkerrechtlichen Fragen ist hier jedoch nicht näher einzugehen.“ Trotz – oder vielleicht gerade wegen – des offenkundigen Unwillens, sich mit den völkerrechtlichen Implikationen der OEF näher zu befassen, läßt sich aus diesen Einlassungen darauf schließen, was das höchste deutsche Gericht von jenem „Kreuzzug gegen den Terror“ hält, den US-Präsident George W. Bush ausgerufen hatte: rein gar nichts.
Angesichts der offensichtlichen völkerrechtlichen und damit zugleich verfassungsrechtlichen Zweifel, welche die Beteiligung der Bundeswehr am sogenannten „Krieg gegen den Terror“ betreffen, spricht also einiges für die Annahme, daß im Berliner Bendlerblock in der Tat jene diffuse “Angst vor der Massenverweigerung“ in der Armee grassiert, die der ehemalige Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Hans Rühle, nach Bekanntwerden meines “Dienstlichen Antrages“ in Sachen Tornado-Einsatz öffentlich an die Wand gemalt hatte (2).
Empirisch unterfüttern läßt sich diese These durch den Umstand, daß sich mehrere Dutzend Bundeswehrsoldaten, die ihre Aktivitäten in Afghanistan nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können, bei ihren Anwälten nach Möglichkeiten für eine anderweitige Verwendung innerhalb der Truppe erkundigt haben und auch beim “Arbeitskreis Darmstädter Signal“, in dessen Vorstand ich fungiere, entsprechende Anfragen eingingen. Die Option der Gehorsamsverweigerung dürfte somit in den Reihen der Bundeswehr angesichts der fortdauernden deutschen Beteiligung an der “Operation Enduring Freedom“, deren tatsächlicher Zweck darin besteht, das bislang auch unter dem neuen US-Präsidenten noch fortexistierende “System Guantánamo“ mit Menschenfleisch zu füttern, auch weiterhin ihre hochbrisante Aktualität bewahren. (PK)
In Kürze erscheint im Verlag Ossietzky Jürgen Roses Buch »Ernstfall Angriffskrieg – Frieden schaffen mit aller Gewalt?« mit einem Vorwort von Prof. Dr. Werner Ruf.
Anmerkungen:
(1) Vgl. Rose, Jürgen: „Aufklären, damit die anderen bomben können. Dokumentation. Antrag des Oberstleutnants Jürgen Rose, von allen dienstlichen Aufgaben bei einem Tornado-Einsatz in Afghanistan entbunden zu werden“, Freitag, 23. März 2007, S. 7. und Interview mit Tornado-Einsatzverweigerer Oberstleutnant Rose von Peter Kleinert in NRhZ Online-Flyer Nr. 87 vom 21. März 2007 „Völkerrechts- und Verfassungsbruch!“, siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10658
(2) Rühle, Hans: Angst vor der Massenverweigerung. Warum die Bundesregierung mit allen Mitteln versucht, die Bundeswehr aus dem Süden Afghanistans herauszuhalten, in: Süddeutsche Zeitung, vom 28. März 2007, S. 2. Vgl. hierzu auch Rose, Jürgen: Massenflucht aus dem soldatischen Gehorsam? Macht und Ohnmacht des Gewissens. Es gibt keinen Anlass für Hysterie bei der Bundeswehrführung. Befehlsverweigerung bleibt ein riskantes Unterfangen, in: Freitag, Nr. 15, 13. April 2007, S. 6.
Online-Flyer Nr. 212 vom 26.08.2009
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Vorabdruck aus “Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt“
Gewissen statt Gehorsam
Von Jürgen Rose
Jürgen Rose auf einer Friedenskundgebung in München
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Der 9. März 2007 markiert eine Zäsur im Einsatz der Bundeswehr am fernen Hindukusch. An jenem Frühlingstag nämlich stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag der Bundesregierung auf Entsendung von Tornado-Waffensystemen zur Luftaufklärung in ganz Afghanistan zu. Daraufhin legte ich wenige Tage später, am 15. März 2007, meinem Disziplinarvorgesetzten im Wehrbereichskommando IV in München einen „Dienstlichen Antrag“ vor (1), in dem es hieß: „Im Hinblick auf die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung ... erkläre ich hiermit, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, den Einsatz von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan ... zu unterstützen, da meiner Auffassung nach nicht auszuschließen ist, daß ich hierdurch kraft aktiven eigenen Handelns zu einem Bundeswehreinsatz beitrage, gegen den gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, strafrechtliche sowie völkerstrafrechtliche Bedenken bestehen. Zugleich beantrage ich hiermit, auch von allen weiteren Aufträgen ... im Zusammenhang mit der ‚Operation Enduring Freedom‘ ... entbunden zu werden.“
In meiner Begründung stützte ich mich auf die Leitsätze zum Urteil des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005 sowie auf die vom Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg, Professor Dr. Dietrich Murswiek, verfaßte Klageschrift, welche der Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer (CDU), ehemals Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium der Verteidigung und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, sowie der Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Dr. Peter Gauweiler (CSU) im Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt hatten.
Im einzelnen brachte ich vor, daß der Einsatz der Bundeswehr-Tornados in Afghanistan notwendigerweise die Teilnahme Deutschlands an völkerrechtswidrigen und vom NATO-Vertrag nicht gedeckten Militäraktionen bedeutete, weil nämlich die von den Bundeswehr-Tornados erfaßten Aufklärungsergebnisse an das amerikanische Oberkommando übermittelt würden, wobei trotz der in der Begründung der Beschlußvorlage genannten Restriktion im ISAF-Operationsplan nicht gewährleistet sei, daß die Aufklärungsergebnisse nicht zu anderen als den dort genannten Zwecken im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) verwendet würden. Darüber hinaus war in meinen Augen die Kriegführung der USA im Rahmen der OEF unter mehreren Aspekten völkerrechtswidrig, denn:
• sie ließ sich nicht mehr als Selbstverteidigung rechtfertigen und war nicht auf ein Mandat des Sicherheitsrats gestützt,
• sie überschritt bei der Art und Weise, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, selbst die Ermächtigung der Regierung Karzai,
• sie war im Hinblick auf die in Kauf genommenen sogenannten Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung mit den völkerrechtlichen Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht vereinbar, und
• sie verstieß hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen gegen fundamentale menschenrechtliche Grundsätze.
Summa summarum beteiligte sich die Bundesregierung, indem sie den Einsatz der Tornados in Afghanistan beschloß, aktiv an einem Kriegseinsatz, der auf der Grundlage einer Militärstrategie geführt wurde, die mit den fundamentalen Grundsätzen der UN-Charta und des Art. l des NATO-Vertrages unvereinbar war, und verwickelte hierin die deutschen Streitkräfte.
Vorausgegangen war diesem Antrag eine nahezu ein Jahr zuvor abgegebene „Dienstliche Erklärung“, in der unter anderem stand: „In Anerkennung des Primats der Politik und verpflichtet meinem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen sowie Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, erkläre ich hiermit, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, Befehle auszuführen, die gegen das Völkerrecht oder das deutsche Recht verstoßen.“ Diese Erklärung war unbeanstandet zu meiner Personalakte genommen worden.
Meine Weigerung, zur logistischen Unterstützung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan beizutragen – konkret ging es um die Sicherstellung der Versorgung mit Flugbetriebskraftstoff auf dem Einsatzflugplatz in Mazar-i-Sharif – wurde anschließend Gegenstand bundesweiter Berichterstattung. Nicht zuletzt aufgrund der großen Publizität der Angelegenheit sowie mehrerer beim Bundesverfassungsgericht anhängiger Klagen gegen den Tornado-Einsatz entschied die zuständige militärische Führung umgehend, mich fortan „gewissenschonend“ in einer anderen Abteilung meiner Dienststelle einzusetzen, ganz so wie dies im einschlägigen Gewissensfreiheitsurteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes normiert worden war. Mit einer gewichtigen Einschränkung freilich, denn in seinem schriftlichen Bescheid führte der zuständige Disziplinarvorgesetzte aus: „Wie ich Ihnen ... mitgeteilt habe, handelt es sich bei dieser Entscheidung über Ihre neue Verwendung ausdrücklich nicht um die Anerkennung der in Ihrem Schreiben ... genannten Gründe. Darüber wird – gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.“
Zwar wurde die Organklage der beiden Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer (CDU) und Peter Gauweiler (CSU) vom Bundesverfassungsgericht kurz darauf zurückgewiesen, da einzelne Abgeordnete gemäß der in Karlsruhe vertretenen Rechtsauffassung nicht klageberechtigt sind, doch brachte die Bundestagsfraktion der PDS/Die Linke die Angelegenheit mit nahezu gleicher, lediglich in Teilen ergänzter Begründung erneut auf die Agenda, so daß eine höchstrichterliche Entscheidung unumgänglich wurde. Formal war die Verletzung der grundgesetzlich normierten Beteiligungsrechte des Bundestages Gegenstand beider Klagen, doch zielten sie inhaltlich darauf ab, die parallel zu einer sich weltweit entgrenzenden NATO Schritt für Schritt erweiterte ISAF-Mission der Bundeswehr als verfassungs- und völkerrechtswidrig erklären zu lassen. Am 3. Juli 2007 wiesen jedoch die Verfassungsrichter die Klage mit einer in weiten Teilen als skandalös zu bewertenden Begründung ab.
Ins Auge springen mußte, daß das Gericht in seiner Urteilsbegründung zwar einerseits eine Eloge auf die NATO und deren ISAF-Mission darbrachte, sich andererseits aber auffällig distanziert und einsilbig zu der in dem zentralasiatischen Land parallel stattfindenden “Operation Enduring Freedom“ äußerte. Den Dreh- und Angelpunkt der höchstrichterlichen Argumentation bildete die Fiktion einer strikten Trennung der realiter freilich eng miteinander verwobenen Militäreinsätze: „ISAF und die Operation Enduring Freedom richten sich nach getrennten Zwecksetzungen, unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und klar abgegrenzten Verantwortungssphären.“ Darauf rekurrierend lehnte das Gericht in der Folge jedwede rechtliche Bewertung von OEF strikt ab: „Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Operation Enduring Freedom stehe, wie sie sich in Afghanistan vollziehe, mit dem Völkerrecht nicht im Einklang, kann dies in der vorliegenden prozessualen Konstellation vom Bundesverfassungsgericht nicht isoliert überprüft werden.“ Zugleich ließen die Verfassungsrichter durchaus ihre Zweifel an der Völkerrechtskonformität der OEF durchblicken, indem sie konstatierten: „Zwar mag, soweit die Operationen in der dargestellten begrenzten Weise zusammenwirken, eine Zurechnung völkerrechtswidrigen Handelns im Einzelfall nicht auszuschließen sein; soweit etwa eine Aktion der Operation Enduring Freedom mit dem Völkerrecht nicht im Einklang stünde und sich auch auf Aufklärungsergebnisse der Tornados zurückführen ließe, könnte dies möglicherweise die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der NATO oder ihrer Mitgliedstaaten auslösen. Auf diese völkerrechtlichen Fragen ist hier jedoch nicht näher einzugehen.“ Trotz – oder vielleicht gerade wegen – des offenkundigen Unwillens, sich mit den völkerrechtlichen Implikationen der OEF näher zu befassen, läßt sich aus diesen Einlassungen darauf schließen, was das höchste deutsche Gericht von jenem „Kreuzzug gegen den Terror“ hält, den US-Präsident George W. Bush ausgerufen hatte: rein gar nichts.
Angesichts der offensichtlichen völkerrechtlichen und damit zugleich verfassungsrechtlichen Zweifel, welche die Beteiligung der Bundeswehr am sogenannten „Krieg gegen den Terror“ betreffen, spricht also einiges für die Annahme, daß im Berliner Bendlerblock in der Tat jene diffuse “Angst vor der Massenverweigerung“ in der Armee grassiert, die der ehemalige Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Hans Rühle, nach Bekanntwerden meines “Dienstlichen Antrages“ in Sachen Tornado-Einsatz öffentlich an die Wand gemalt hatte (2).
Empirisch unterfüttern läßt sich diese These durch den Umstand, daß sich mehrere Dutzend Bundeswehrsoldaten, die ihre Aktivitäten in Afghanistan nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können, bei ihren Anwälten nach Möglichkeiten für eine anderweitige Verwendung innerhalb der Truppe erkundigt haben und auch beim “Arbeitskreis Darmstädter Signal“, in dessen Vorstand ich fungiere, entsprechende Anfragen eingingen. Die Option der Gehorsamsverweigerung dürfte somit in den Reihen der Bundeswehr angesichts der fortdauernden deutschen Beteiligung an der “Operation Enduring Freedom“, deren tatsächlicher Zweck darin besteht, das bislang auch unter dem neuen US-Präsidenten noch fortexistierende “System Guantánamo“ mit Menschenfleisch zu füttern, auch weiterhin ihre hochbrisante Aktualität bewahren. (PK)
In Kürze erscheint im Verlag Ossietzky Jürgen Roses Buch »Ernstfall Angriffskrieg – Frieden schaffen mit aller Gewalt?« mit einem Vorwort von Prof. Dr. Werner Ruf.
Anmerkungen:
(1) Vgl. Rose, Jürgen: „Aufklären, damit die anderen bomben können. Dokumentation. Antrag des Oberstleutnants Jürgen Rose, von allen dienstlichen Aufgaben bei einem Tornado-Einsatz in Afghanistan entbunden zu werden“, Freitag, 23. März 2007, S. 7. und Interview mit Tornado-Einsatzverweigerer Oberstleutnant Rose von Peter Kleinert in NRhZ Online-Flyer Nr. 87 vom 21. März 2007 „Völkerrechts- und Verfassungsbruch!“, siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10658
(2) Rühle, Hans: Angst vor der Massenverweigerung. Warum die Bundesregierung mit allen Mitteln versucht, die Bundeswehr aus dem Süden Afghanistans herauszuhalten, in: Süddeutsche Zeitung, vom 28. März 2007, S. 2. Vgl. hierzu auch Rose, Jürgen: Massenflucht aus dem soldatischen Gehorsam? Macht und Ohnmacht des Gewissens. Es gibt keinen Anlass für Hysterie bei der Bundeswehrführung. Befehlsverweigerung bleibt ein riskantes Unterfangen, in: Freitag, Nr. 15, 13. April 2007, S. 6.
Online-Flyer Nr. 212 vom 26.08.2009
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