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Lokales
Einweihung des Denkmals für Deserteure
Dem Krieg geschadet
Von Hans-Dieter Hey

Weshalb man Deserteure herabgesetzt hat? Sie haben den Kriegen schon immer geschadet. Deshalb mussten sie mit standrechtlicher Erschießung bedroht, verfolgt, ausgelöscht und aus Bewusstsein und Geschichte getilgt werden. 70 Jahre nach dem Beginn des 2. Weltkriegs und 56 Jahre nach Heinrich Bölls Frage „Wo sind die Deserteure?“ wurde am Dienstag, dem 1. September, nun endlich auch in Köln ihrer gedacht und das lange geforderte Denkmal würdig eingeweiht. Eine Gegendemonstration von Neonazis blieb bis zum Schluss verboten.


Aufforderung zur Denunziation – oft mit Todesfolge
Quelle: Bundesarchiv

Ziviler Mut und Widerstandskraft

Der Widerstand konservativer oder rechter Kräfte gegen das Gedenken an die Deserteure des 2. Weltkriegs hat eine bittere Nachkriegsgeschichte bis in die jüngste Zeit. Noch im November 2004 trieb es der Berliner Bürgermeister Herbert Weber (CDU) mit seiner Hetze auf die Spitze. Vor 300 Reservisten zitierte er den früheren FDP-Politiker und „Ritterkreuzträger" Erich Mende und äußerte: „Die meisten Deserteure hatten etwas auf dem Kerbholz und wussten, warum sie abhauten. Der unbekannte Deserteur, welche Verhöhnung des unbekannten Soldaten. Es ist eine Verirrung, die nur mit Geisteskrankheit, Hetze oder maßloser Verhetzung zu erklären ist", so die Berliner Morgenpost vom 26. März 2005.


Trotz schlechten Wetters: voll besetzter Platz

Nein, Hasenfüße waren sie gewiss nicht, die sich mit Flucht, Ausbruch, Totalverweigerung, Befehlsverweigerung oder Verstümmelung dem brutalen Naziregime entzogen hatten. Im Gegenteil. Sie forderten von sich selbst Mut und Widerstandskraft als „Wehrkraftzersetzer“, „Kriegsdienstverweigerer“ oder „Kriegsverräter“. Mehr als 30.000 Menschen wurden von der Militärgerichtsbarkeit zum Tode verurteilt, 20.000 von ihnen hingerichtet. In Köln wurden im damaligen Klingelpütz 50 Menschen durch Enthaupten ermordet, in Kölner Umlandgefängnissen 21 Deserteure erschossen. Peter Rosellen aus Köln hatte Glück, ebenso Ludwig Baumann. Beide konnten sich freuen, bei der Einweihung des – nein ihres – Denkmals anwesend sein zu können.

Späte, aber würdige Ehrung und Rehabilitation


Mit Denkmälern für „gefallene“ Soldaten ging es nach dem Krieg ziemlich schnell. Lange hat es aber gedauert, bis im Jahr 1981 in Kassel das erste Denkmal Deutschlands für den zivilen Widerstand der unbekannten Deserteure eingeweiht wurde, obwohl schon im Jahr 1953 der friedensbewegte, gegen NATO-Nachrüstung und Raketenstützpunkte eingestellte Kölner Heinrich Böll, Träger des Nobelpreises für Literatur, fragte: „Wo sind die Deserteure? Wo sind die Eltern, sind die Freunde, die Brüder und Schwestern dieser erschossenen Deserteure, deren Leiden man auf die Schwelle des Friedens häufte? Und wo sind die Deserteure, die sich in den zerstörten Städten verbargen, in Dörfern und Wäldern, wartend auf die Alliierten, die für sie damals wirkliche Befreier waren? Haben sie Angst vor den gründlich ihnen eingeimpften Phrasen, die Fahneneid, Vaterland, Kameradschaft heißen?"

Dr. Werner Jung, im Hintergrund: Dr. Elvira Högemann

Sie galten weiterhin als Verräter und Feiglinge. Erst unter der rot-grünen Bundesregierung, am 23. Juli 2002, wurden gegen den Widerstand von CDU/CSU und FDP der Katalog der „Straftaten“ aus NS-Unrechtsurteilen um Desertion, Feigheit oder unerlaubte Entfernung vom Militärdienst erweitert und die Urteile von Volksgerichtshof und Standgerichten aufgehoben - mit Ausnahme sogenannter „Kriegsverräter“.

Rehabilitation war schwer durchsetzbar und das hatte Gründe: „Die oft gnadenlosen Richter der Militärgerichte blieben in der Bundesrepublik unbestraft und setzten ihre Karrieren nahtlos fort“, so Dr. Werner Jung, Leiter des NS-Dokumentationszentrum im ELDE-Haus anlässlich der Denkmalseinweihung. Er erinnerte an Hans Filbinger, den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Ehrenvorsitzenden der CDU. Der „furchtbare Jurist“ hatte noch in den letzten Kriegstagen als NS-Marinerichter ein Todesurteil ausgesprochen und sich nach dem Krieg verteidigt: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Doch nun hatte Dr. Werner Jung Anlass zur Genugtuung: „Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass der Deutsche Bundestag in genau einer Woche, also noch vor den Bundestagswahlen, nun auch die letzte Gruppe der Opfer der NS-Militärjustiz rehabilitieren möchte, und zwar getragen von allen Fraktionen.“


Elfi Scho-Antwerpes
In Köln hat es lange gedauert mit diesem Denkmal. Erst am 13. November 2008 beschloss der Rat gegen die Stimmen der rechtgerichteten Gruppierung „Pro Köln“ einen Künstlerwettbewerb. Die Kölner Bürgermeisterin Elf Scho-Antwerpes (SPD) erinnert sich, dass sie 2006 zum Anti-Kriegstag in der Antoniterkirche darauf hinwies, dass ein solches Denkmal längst überfällig sei: „Ich weiß, dass ich damals mit Herrn Detjen (Anm. Die.Linke im Stadtrat) gesprochen hatte und dass wir das in die Gremien der Politik bringen wollten, und das ist uns gelungen.“ Scho-Antwerpes weiter: „Mit diesem Denkmal ehren wir Menschen, die sich weigerten, sich an einem verbrecherischen und rassistischen Angriffskrieg zu beteiligen, der am 1. September 1939 von Deutschland ausging. Als Soldaten oder Zivilisten hörten diese Menschen auf ihr Gewissen. Sie entschieden sich für das Leben und gegen den nationalsozialistischen Rassenkrieg.“


Denkmaltext
Sie wies darauf hin, dass die sogenannte „Wehrkraftzersetzung“ noch lange als Verrat am Vaterland bezeichnet wurde. Erst als in den 1990er Jahren das Bild von der „sauberen Wehrmacht“ erschüttert wurde, habe sich diese Einstellung geändert. Es sei richtig gewesen, die Erforschung der Nazidiktatur konsequent und lückenlos zu betreiben. Unermüdlich, so Scho-Antwerpes, habe die Projektgruppe von Malle Bensch-Humbach, Elvira Högemann, Jochen Kaufmann, Gregor Lawatsch und Anne Schulz daran gearbeitet und in den Archiven unter staubigen Akten die Kölner Fälle herausgesucht. Damit sei ein erster Schritt für weitere Forschungen getan.

Denkmal als Mahnung für Morgen

Nun ist das Denkmal des Preisträgers Ruedi Baur eingeweiht. Ein Denkmal allerdings, dessen Nutzen zu gering wäre, würde es lediglich zum Gedenken an die Verfolgung der Deserteure der Nazi-Diktatur dienen. Ein Denkmal kann es nur dann sein, wenn es als dauerhafte Mahnung auch eine Verbindung zu Gegenwart und zur Zukunft herstellt. Das gilt gerade aktuell, denn schon wieder befinden wir uns in kriegerischen Zeiten, in denen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) den Heldenkult neu entdeckt, Kriegsorden als „Ehrenkreuze der Bundeswehr für Tapferkeit“ verteilt.

Vor dem Kölner Dom dürfen immer noch „Soldatengottesdienste“ abgehalten werden, und   die Bundeswehr darf durch Jugendoffiziere in Schulen, in Arbeitsagenturen, Universitäten oder auf Messen für ihr tödliches Handwerk werben. Siehe unser Beitrag dazu. Durch den von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen unterzeichneten Lissabon-Vertrag werden demnächst wieder Tötung bzw. Hinrichtung ermöglicht, um "einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen" oder bei „Taten in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr." Seit Jahren protestieren die Gruppe „Bundeswehr wegtreten!“ und Linke gegen die Indoktrinierung vor allem junger Bürgerinnen und Bürger und den schleichenden europäischen Militarismus. Vielleicht wird man später wieder einmal Deserteure ehren müssen und an das Denkmal erinnern, das am 1. September 2009, dem Tag des hinterhältigen Angriffs von Adolf Hitlers Armee auf Polen, eingeweiht wurde.


Ludwig Baumann
Seit 1990 kämpft einer der bei der Denkmaleinweihung anwesenden überlebenden Deserteure aus Köln, Ludwig Baumann, um seine späte Würde. (Seine Geschichte erzählt er hier!) Noch immer klagt er – zutiefst verletzt – an. „Wir haben nach dem Krieg gehofft, dass unsere Handlungen anerkannt würden. Wir sind aber weiterhin als Feiglinge, als Kriminelle beschimpft und bedroht worden, bis wir fast verzweifelt sind“. Er und andere konnten nicht rehabilitiert werden, weil die Soldaten der Wehrmacht damit ins Unrecht gesetzt und der Kampfauftrag und die Moral der Bundeswehr untergraben, ihr also geschadet worden wäre. So lautete die Begründung damals. Nun – 70 Jahre nach Kriegsende – ist Ludwig Baumann erneut zutiefst verunsichert: „Was bedeutet das, dass wir uns anmaßen, unsere Interessen heute am Hindukusch zu verteidigen? Was haben wir da zu suchen?“ (HDH)    








Einweihung vom NS-Dokumentationszentrum verfolgt


Das Denkmal


Stummes Gedenken


Protest gegen den Afghanistan-Krieg der Bundeswehr








Fotos: Hans-Dieter Hey, arbeiterfotografie.com
























Online-Flyer Nr. 213  vom 02.09.2009

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