Globales
EU-Think-Tank: Kampf gegen die „untere Milliarde“ vorbereiten!
Internationaler Klassenkrieg
Von Hans Georg

Leitet die "Europäische Verteidigungsagentur" - Alexander Weis
Quelle: www.eda.europa.eu/
Wie das "Institute for Security Studies" in seiner Studie schreibt, würden die Kriege der Zukunft nicht mehr zwischen Staaten geführt, sondern zwischen "ungleichen sozioökonomischen Klassen der Weltgesellschaft" ("unequal global socioeconomic classes of society"). Auf der einen Seite dieser "hierarchischen Klassengesellschaft" ("hierarchical class society") stehe dabei eine metropolitane "Elite", die sich aus transnational operierenden Konzernen, den Staaten der OECD und den aufstrebenden Wirtschaftsmächten Indien, China und Brasilien zusammensetze. Diese werde von Seiten der weltweiten Armutsbevölkerung mit "zunehmend explosiven Spannungen" ("increasingly explosive tensions") konfrontiert, heißt es. Um einen Zusammenbruch des globalen Wirtschaftssystems ("global systemic collapse") zu vermeiden, fordert das Institut, gegen die "untere Milliarde" der Menschheit ("bottom billion") das "gesamte Spektrum hoch intensiver Kampfmaßnahmen" ("full spectrum of high intensity combat") in Anschlag zu bringen.[1]
Sperroperationen
Als "zentrale militärische Aufgabe" ("major military task") beschreibt das EUISS die Abwehr von Elendsflüchtlingen aus den Ländern des Südens. Groß angelegte "Sperroperationen" ("barrier operations") müssten den reichen Teil der Welt vor den "Spannungen und Problemen der Armen schützen", heißt es ("shielding the global rich from the tensions and problems of the poor"). Laut EUISS ist davon auszugehen, dass der Anteil der von Armut und Perspektivlosigkeit betroffenen Menschen an der Weltbevölkerung weiter zunehmen wird. Daher sei es unumgänglich, das bereits außerordentlich rigide Regime an den Außengrenzen der EU drastisch zu verschärfen ("strengthen our barriers").[2]
Universelle Schätze
Das EUISS setzt die Abwehr von Armutsflüchtlingen in direkte Beziehung zum globalen ökologischen Krisenmanagement. So könnten durch den Klimawandel verursachte Naturkatastrophen zu plötzlichen Migrationsströmen in die EU führen ("sudden refugee or migration flows within the EU"), die mit Hilfe des Militärs gesteuert werden müssten. Darüber hinaus sollten die reichen Länder des Nordens natürliche Ressourcen wie tropische Regenwälder oder Fischgründe in den südlichen Armutszonen militärisch gegen unerwünschten Zugriff absichern, fordert das Institut: Es handele sich dabei um "universelle Schätze" ("universal treasures"), die der Verfügungsgewalt einzelner Staaten zu entziehen seien ("overriding sovereign considerations").[3]
Rüstungsprogramm
Die für die projektierte globale Interventionsstrategie notwendigen rüstungstechnischen Erfordernisse beschreibt in der vorliegenden EUISS-Studie der Deutsche Alexander Weis. Weis leitet seit 2007 die "Europäische Verteidigungsagentur" der EU ("European Defence Agency", EDA); zuvor hatte er die "Hauptabteilung Rüstung" im Bundesverteidigungsministerium geführt. Seiner Auffassung nach stehen zahlreiche "konkrete Arbeiten" ("concrete work") bei der Entwicklung von Waffensystemen an. Vorrangig sei der Aufbau einer Helikopterflotte zur Aufstandsbekämpfung in den Entwicklungsländern. Zwar verfügten die Staaten der EU über insgesamt 1.700 Kampfhubschrauber; allerdings seien diese oft nicht für den Einsatz über "anspruchsvollem Gelände" ("demanding environments") - Wüsten oder Gebirgszüge - geeignet.
Weis mit dem für Außen- und Sicherheitspolitik zuständigen Javier Solana
Quelle: www.eda.europa.eu/
Weiteren Nachholbedarf sieht Weis auf dem Gebiet des Lufttransports zur Verlegung von Truppen und Kriegsmaterial in die EU-Interventionsgebiete ("Air Transport") und bei der Überwachung der Weltmeere ("Maritime Surveillance"). Um die eigenen Streitkräfte zu schonen und hohe Verluste unter den Soldaten zu vermeiden, sollen bei den Interventionskriegen der Zukunft nach Weis' Vorstellungen außerdem vermehrt unbemannte Kampfflugzeuge ("Unmanned Air Vehicles"), sogenannte Drohnen, zum Einsatz kommen.[4]
Dual Use
Besonderen Wert legt Weis auf den Ausbau von weltraumgestützten Spionagesystemen ("Space-based Earth Surveillance"). Daher sei die "zivil-militärische" Kooperation mit der "Europäischen Weltraumagentur" ("European Space Agency", ESA) zu forcieren. Dies habe jedoch nichts mit der "Militarisierung ziviler Projekte" zu tun ("nothing to do with 'militarising' civilian projects"), behauptet Weis. Vielmehr müsse der "dual use", die Verwendung bestimmter Technologien für zivile wie militärische Zwecke, verstärkt werden, um zu verhindern, dass "Geld zweifach ausgegeben wird" ("preventing that the money has to be spent twice").[5]
Strategische Position
Das EUISS, in dessen Auftrag Weis zu seinen Erkenntnissen gelangt, wurde Anfang 2002 in Paris gegründet und arbeitet nach eigener Aussage als "autonome Agentur" ("autonomous agency") an Plänen für die "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" ("European Security and Defence Policy", ESDP).[6] Deutschland hat innerhalb des Instituts eine strategische Position besetzt: Die Politologin und Osteuropa-Expertin Sabine Fischer, vormalige Mitarbeiterin der "Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung", untersucht hier die Beziehungen zu Russland. Moskau wird beim EUISS zugleich als Gegner und als möglicher Partner im projektierten internationalen Klassenkrieg betrachtet.[7]
Eine Rezension der EUISS-Studie finden Sie in dieser Ausgabe. (PK)
[1], [2], [3] Tomas Ries: The globalising security environment and the EU. In: EU Institute for Security Studies (Hg): What ambitions for European defence in 2020? Paris 2009
[4], [5] Alexander Weis: Improving capabilities for ESDP's future needs. In: EU Institute for Security Studies (Hg): What ambitions for European defence in 2020? Paris 2009[6] About us; www.iss.europa.eu[7] s. auch Bär und Drache und Metamorphosen
Dieser Artikel erschien zuerst bei www.german-foreign-policy.com
Online-Flyer Nr. 214 vom 09.09.2009
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