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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Lokales
Veranstaltung verdeutlicht das Desaster der Ein-Euro-Jobs
Leitbild: Demütiger Arbeitsuntertan
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

„Dienen unter Zwang" war ein Vortrag von Elisabeth Sachse im Kölner „Freidenker“-Zentrum betitelt. Thema der bekannten Kommunalpolitikerin der Partei Die.Linke und Aktivistin der „Kölner Erwerbslosen in Aktion“ (KEA): das Elend der sogenannten „Ein-Euro-Jobs“. Schweigend dienen unter erzwungenen Bedingungen, insbesondere massiver Sanktionsdrohungen der ARGEn. Das ist, so der Grundansatz der Analyse von Elisabeth Sachse, der eigentliche, sozusagen „ideelle“ Kern dieser Prekärjobs.

Und aus denen hat sich mittlerweile eine florierende Branche entwickelt, die nicht nur, aber in erheblichem Maße mit den Zentralinstitutionen selbstloser Nächstenliebe in engster Verbindung stehen: den beiden staatsfinanzierten Großkirchen.

„Floreat, cresceat“- für wen?

Florierend erweist sich der Ein-Euro-Jobmarkt allerdings nur für die  Szene von Firmen und Agenturen, die durch billigste Ausnutzung menschlicher Arbeit kräftig verdienen, nicht jedoch für die „Klientel“, der durch „Ein-Euro-Jobs“ angeblich geholfen werden soll.

Ursprünglich war die Konstruktion der Ein-Euro-Jobs offiziell orientiert, für „sozial problematische Fälle“ als „Integrationshilfe“ in den regulären Arbeitsmarkt zu fungieren. – Mit paternalistisch-pädagogischen Fibelformeln wie „Heranführung an geregeltes Leben" wurde, wenn schon nicht den Betroffenen, so doch einer breiteren Öffentlichkeit, der tiefere ethische Sinn der Ein-Euro-Jobs plausibel gemacht. Beteuert und in Richtlinien gefasst wurde – man hat zu vermuten: von vornherein nicht ernstgemeint, sondern vorwiegend als PR-Fassade –, es sollten damit keine „Kernarbeitsplätze“ ersetzt, sondern nur „Zusatztätigkeiten“ abgedeckt werden. Längst aber hat sich dieses Feld ausgeweitet auf Beschäftigungen, die keineswegs als „zusätzlich“ zu bewerten sind, wie etwa Kranken- und Altenpflege. Das Instrument, so stellte die Referentin fest, wurde bislang massiv auch dazu genutzt, um gesellschaftlich notwendige Arbeiten von Menschen ausführen zu lassen, die aufgrund ihrer Zwangssituation keine Möglichkeit zur Auswahl haben. Im Grunde genommen grenze das an Sklavenarbeit.

Soll Dumpingkonkurrenz selbstbestimmte Arbeit zerstören?

Somit hat sich im doppelten Sinne ein Markt aufgetan –  Caritas und  Co. bekommen pro Kopf satte Fallpauschalen. Nicht zuletzt in Köln hat die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim Alarm geschlagen: Durch die mit Zwangsdiensten betriebene, staatsfinanzierte Dumping-Konkurrenz würden namentlich selbstverwaltete Betriebe systematisch kaputt gemacht. Um so bemerkenswerter, dass die Kölner Grünen sich angesichts eines angekündigten Teilrückzuges der ARGE aus den Ein-Euro-Jobs massiv für die Weiterführung der Niedriglöhnerei einsetzt haben. Sie dürfen freilich beruhigt sein: gleich unter welchem Etikett wird auch in Köln die Entwertung menschlicher Arbeit weitergehen, dafür ist die Lohndruckspirale einfach zu profitabel für's Kapital, als dass die punktuelle Eindämmung von Ein-Euro-Jobs etwa eine grundsätzliche Wende signalisieren würde.

Namentlich im Bereich der von neoliberaler Seite zunehmend als  unnütze Kostenverursachung gegeißelten  sozialen und pflegerischen Betreuung wird mit der Billigheimerei brachiales Einsparungs- und Profitkalkül sowohl auf dem Rücken der Zwangsbeschäftigten als auch auf dem der pflegebedürftigen Klientel ausgetragen. Das stellte sich auch durch Erfahrungsberichte während der Veranstaltung erneut deutlich heraus.

Und alle sind dabei...

Als „Maßnahmenträger“ benannte die Referentin in Köln unter anderem „Zug um Zug“, allgemein natürlich kirchenverbundene Großkonzerne wie Caritas und Diakonie, den einstmals als Selbsthilfeorganisation der Arbeiter gemeinten Arbeiter-Samariter-Bund, kurz: „alle, die im Paritätischen Wohlfahrtsverband sind, alle sogenannten Sozialverbände“ und allen voran und immer wieder: die Kirchen. Die aber waren bekanntlich schon immer für harte, demütige – an das Helfersyndrom appellierende – Arbeit gegen „Gotteslohn" – der am besten im Himmelreich auszuzahlen ist – statt für gewerkschaftlich erkämpfte Rechtsansprüche und anständigen Tariflohn.

„Qualifizierung“ als Fassade?

Die vorgeschobenen Kriterien der „Zusätzlichkeit“ und Gemeinnützigkeit seien schwer zu erfüllen. Die angedachte  Qualifizierung erweise sich in der Regel als Chimäre, obwohl die durchschnittliche Verbleibsdauer bei 15 Monaten liege. Hinzu komme andererseits, dass 70-80 Prozent der Ein-Euro-Jobber über  hochqualifizierte Vorausbildungen verfügten, bis hin zum Universitätsabschluss. Wozu also braucht man solche Leute noch banal zu „qualifizieren"? Ein Diskussionsteilnehmer meinte denn auch: „Ich bin natürlich besser als jeder Anleitungsheini von Zug um Zug oder irgendein ARGE-Mitarbeiter. Ich habe schon Jugendliche im Handwerksbereich ausgebildet.“

Eins, zwei, drei – die „Armenpolizei“

Eine Zuhörerin aus Bonn berichtete, die dortige ARGE verflichte Ein-Euro-Jobber zu prinzipiell gesundheitsgefährdenden Arbeiten wie der Vernichtung von „Herkulesstauden". Freiwillige – wie die berichterstattende Diskussionsteilnehmerin selber –  würden abgelehnt, dafür stattdessen „Zwangsarbeiter unter Sanktionsdrohung herangezogen“. So soll die Gesellschaft allerdings nach Vorstellung unserer autoritären Sozialingenieure auch sein. Die „Armenpolizei" von einst lässt grüßen.  Der Mensch soll verinnerlichen, dass er nur noch auf Befehl zu funktionieren hat, dass Entscheidungen über sein Leben von anderen getroffen, von „oben" verfügt werden. Von seiner Arbeit soll der Mensch, der einmal in die Mühle der „Armenzurichtung“ geraten ist, nicht mehr selbstständig leben können.  Leitbild ist vielmehr, dass er demütig zur angeordneten Zwangsarbeit trotten und anschließend noch demütiger gleichwohl um ein  zusätzliches „Almosen“  bitten soll. Gott vergelt's.

Gelähmte Gewerkschaften, handzahme Betriebsräte

Was aber sagen Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter, so es sie bei derartigen „Maßnahmenträgern" gibt?  Illusionen von Arbeitnehmersolidarität kann man gleich ganz vergessen. Denn der marginale Personalstock solcher Einrichtungen „lebt von den Ein-Euro-Jobbern", so die Referentin. Wer dort das „Glück" hat, auf einem regulären Arbeitsplatz zu sitzen, wird daher den Teufel tun, für die Interessen des Ein-Euro-Prekariats einzutreten. Die alte Kapitalisten-Regel „teile und herrsche" ist quasi die Existenzgrundlage für Beschäftigungsträger, die den „Mehrwert" der Lohndrückerei durch Ein-Euro-Jobs absahnen.
 
Doch obwohl Betriebsräte bei Ein-Euro-Agenturen regulär handzahm sind, habe – so ein „Bericht aus Bonn – ein dortiger  „Christenverein Druck ausgeübt, um die Wahl eines Betriebsrats zu verhindern“. In Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz wurden die „sieben Samurai“, die sich dann doch noch gefunden hätten, nicht freigestellt. Neben der Einschüchterung gegenüber jedem Ansatz von Arbeitnehmervertretung gehören bei Ein-Euro-Firmen auch Panikmeldungen über die Gefährdung der Arbeitsplätze zum Disziplinierungsrepertoire: „Angsterzeugendes Klappern mit dem Sargdeckel“, so eine bildhafte Beschreibung aus der Diskussion. So werden rein rechtlich die Ein-Euro-Jobber zwar auch vom Betriebsrat vertreten, wenn der Betriebsrat aber so schwach ist, dass er nicht einmal die Festangestellten vertreten kann – was ist dann zu erwarten?

So verwunderte denn auch nicht die Beobachtung eines Szenekenners: „Selbst innerhalb der sog. Sozialorganisationen wie beispielsweise Caritas und Diakonie gibt es an der Basis reichlich Unbehagen an dieser Art Ausbeutung, nicht jedoch genügend Kraft, um Widerstand zu leisten.“

Wo bleibt das Positive?

Freilich waren auch andere Meinungen zu hören. Dadurch, dass die Ein-Euro-Jobs abgeschafft werden, gibt es nicht mehr Arbeitsplätze, meinte ein Diskutant. Der berichtete, er selber habe durch einen Ein-Euro-Job immerhin eine Art Wiederaufrüstung seines Selbstvertrauens erfahren. Doch trotz gelegentlich positiver „Gegenbeispiele“  zog die Versammlung eine Grundbilanz der Ein-Euro-Jobs, die  etwa Jochen Lubig von der Selbsthilfeinitiative Kölner Erwerbslose in Aktion (KEA) formulierte: „In Wirklichkeit  werden reguläre Arbeitsplätze abgebaut zugunsten der nicht bezahlten Zwangsarbeit."

Bonn - Ein-Euro-„Paradies“


Wofür wiederum Bonn als Paradefall stehen kann. Unter ARGE-Regie wurde dort ein regelrechtes Ein-Euro-Imperium mit Reinigungsfirmen, Baubetrieben und anderen rein marktwirtschaftlich orientierten Betätigungen aufgezogen.
Bonns ARGE-Fürst Dieter Liminski (zu diesem siehe auch NRhZ Online-Flyer Nr. 196 : „Wie zu Feudalzeiten“) habe sich, so die Kenner der Bonner Szene, „heftig dafür eingesetzt, über die Zusätzlichkeits-Prüfung doch mal hinwegzusehen“. Denn, so die wiederum vorgeschobene Begründung, es handele sich „um eine Klientel, die nicht vermittelbar und arbeitstauglich“ sei.

Die Erschaffung der Armen-Gattung

Eine ganze „Sozialkonditionierungsindustrie" verdiene rund um die Uhr Millionen an der Produktion von Armut und anschließender Ausbeutung und Verwaltung der Armen, – meinte der KEA-Vertreter Lubig – “von  der Trainingsfirma bis zur Tafel. Wenn du erst mal deinen Job verloren hast durch Ein-Euro-Jobs, dann darfst du bei der selben Christenorganisation an der Tafel ein paar Krümel aufpicken. Natürlich mit christlicher Dankespflicht."

Und so funktioniert das: Eine ideologisch konstruierte „naturwüchsige“ Armenschicht wird durch Entwertung und Abschaffung regulärer Beschäftigung überhaupt erst geschaffen. Sie bedarf dann einer besonderen von Expertenorganisationen zu leistenden „Fachaufsicht“, die wiederum den armutsschaffenden und -verwaltenden Einrichtungen ertragreiche Einnahmefelder verschafft.

Wenn dann etwa im Hortbereich Planstellen gestrichen werden, können sich die einst tariflich Beschäftigten auf ihrem einstigen Arbeitsplatz auch schon mal als Ein-Euro-Kräfte wiederfinden. Die zuvor noch regulär tarifliche Arbeit wird nun als „zusätzlich“ umdefiniert und in den „Dritten Arbeitsmarkt" abgeschoben –  jenseits tariflicher Ansprüche und sozialer Rechte.

Zukunftstrend Sozialdschungel  

So signalisiert der Ein-Euro-Job, selbst wenn er durch andere oder anders benannte Formen der Prekarisierung  ersetzt werden sollte, eine „zukunftsweisende" Grundtendenz. Immerhin prognostizieren kapitalnahe Arbeitsmarktexperten, mittelfristig würden nur noch 20 Prozent der „Arbeitnehmer“ gebraucht. Der Rest ist dann wohl nur noch der Willkür unterworfenes Sub-Prekariat. Dieser kapitalen Vision ungehinderter Ausbeutungs-„Freiheit" setzte die Referentin eine andere Zukunftsvision entgegen:  „Wir müssen uns für eine solidarische Gesellschaft einsetzen. Nur eine radikale Änderung der Eigentumsverhältnisse kann Arbeits- und Lebensbedingungen unter der Herrschaft der Menschenwürde ermöglichen." (HDH)

Online-Flyer Nr. 214  vom 09.09.2009

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