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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Arbeit und Soziales
Endet bald das Privileg?
Arbeit für Gotteslohn
Von Hans-Dieter Hey

Unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe und unter Ausnutzung kirchlichen Sonderrechts betreiben evangelische Einrichtungen seit Jahren massives Lohndumping. Bis zu 13 Prozent Nettoeinbußen mussten Beschäftigte in den letzten Jahren hinnehmen. Zuletzt gab es was vor vier Jahren. Dass sie sich die Bezahlung nach Gutsherrenart nicht mehr bieten lassen, liegt auch an der Mobilisierung von ver.di. Gemeinsam stellt man sich quer – trotz unchristlicher Drohungen der Führungsriege. Und mit jedem Kampf der Beschäftigten geht auch ein Stück antiquiertes Privileg dem Ende entgegen.
Vordemokratische Verhältnisse


„Im gesamten Bereich der sozialen Arbeit sind die beiden Kirchen Marktführer. Die beiden Kirchen haben verhältnismäßig großen politischen Einfluss. Sie nützen diesen Einfluss und ihre Marktführerschaft im sozialen Bereich nicht, um endlich vernünftige Entgelte für die Arbeit zu bekommen. Sie nützen ihre Macht ausschließlich, um Dumpinglöhne durchzusetzen. Alle Welt regt sich über Lidl und Aldi auf, die Kirche ist schlimmer“  wetterte am 4. August 2008 der Mitarbeitervertreter der bundesweiten arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie, Wolfgang Lindenmaier, in einem Interview in Report Mainz.


Diakonie Michaelshofen am Rande von Köln mit 1.500 Mitarbeitern
Foto: Hans-Dieter Hey


Nicht nur die Marktstellung wird gegen die Beschäftigten in Stellung gebracht, sondern auch ihre Sonderrechte. Nach kirchlicher Lesart sind außer einer modernen Mitbestimmung und betrieblichen Gleichbehandlung auch Streiks Teufelszeug, und von daher aus der Kirchenarbeit zu verbannen, getrost nach Lukas 18,28: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Die Beschäftigten werden beispielsweise der Gefahr ausgesetzt, ihren Lohnanspruch oder ihren Urlaub bei Streik zu verlieren, Mitarbeitervertreter können wegen „Missbrauchs mitarbeitervertretungsrechtlicher Befugnisse“ belangt werden, es kann die heilige Acht gegen die offene Meinung – das Plakatierungsverbot für Gewerkschaften –  ausgesprochen werden oder das Verbot des Streikaufrufs, oder „betriebsfremden“ Gewerkschaftern kann das Zutrittsrecht verweigert werden. Man beruft sich auf das im  Grundgesetz verbriefte Selbstverwaltungsrecht, das es schon in der Weimarer Verfassung gab. Kirchliche Streiks hat es nur einmal in den Jahren 1919 – 1921 bei Kirchenmitarbeitern in Berlin gegeben.

Seit dem Jahr 2008 fordert ver.di für die Kirchenmitarbeiter die Zahlung des Branchenniveaus. Am 21. Oktober fand in Bielefeld ein Warnstreik von Beschäftigten statt, nachdem ver.di den Verband diakonischer Dienstgeber zu Tarifverhandlungen aufgefordert hatte. Daraufhin drohte das Evangelische Krankenhaus Bielefeld noch am gleichen Tag per Brief damit, jeder müsse mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen, die je nach Schwere und Auswirkungen der Pflichtverletzung bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses reichen können. Wir bitten Sie deshalb dringend, dem Aufruf von ver.di nicht zu folgen.“ Gemeint waren die gewerkschaftlichen Streikmaßnahmen. Bei der Drohung blieb es vorerst.

Der Kapitalismus der „Kirche der Freiheit“

Die Verbindungen der Kirche zur Wirtschaft sind exzellent, man arbeitet zusammen. Die Gewerkschaft wirft den christlichen Arbeitgebern deshalb vor, weiter das Ziel zu verfolgen, die Gehälter dauerhaft zu kürzen: „ver.di stellt fest, dass innerhalb der diakonischen Arbeitgeber zurzeit die radikalste Fraktion – der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) – den Kurs bestimmt. Der VdDD arbeitet auf die dauerhafte Absenkung der Diakonielöhne unter das Branchenniveau hin. Er ist Mitglied in der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände BdA.“


Im Kampf für besser Arbeitsbedingungen: Diakonie-Mitarbeiter
Foto: ver.di


Erst kürzlich haben Vertreter der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ der Gewerkschaft ver.di damit gedroht, einfach ihre Geschäftsordnung wegen der tariflichen Auseinandersetzungen zu Lasten der Beschäftigten umzuformulieren. Ver.di soll außen vor bleiben. Die „Arbeitsrechtliche Kommission“ ist Ausdruck des 3. Weges der Kirchen, in dem so getan wird, als würde man weltliches Arbeitsrecht oder einen fairen Interessenausgleich pflegen. Allerdings tritt dort die Kirche nicht nur als Arbeitgeber auf, sondern legt auch noch die Verhandlungsbedingungen einseitig fest. Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe , so ver.di, habe bereits damit begonnen, im „Hauruckverfahren“ die Entsendung von Arbeitnehmern in die Arbeitsrechtliche Kommission zu verändern.

Eine weitere rabiate Form kirchlichen Umgehens mit Beschäftigten ist ebenfalls festzustellen. Seit Jahren werden Teile aus den kirchlichen Konzernen ausgegliedert, um Tarif- und Rechtsflucht aus dem diakonischen Bereich zu begehen. Die Verbindung – so ver.di – werde nur noch durch personelle Besetzung mit Geschäftsführern und Aufsichtsratsgremien gehalten. Es sei so „eine Nische im Kapitalismus entstanden, die systematisch ausgeweitet und genutzt wird. Das unternehmensdiakonische Geschäftsmodell will Kapitalismus ohne Gewerkschaften.“ Inzwischen gibt es ein schwieriges Tarifwirrwarr, das durch die „Modernisierung“ zur „Unternehmensdiakonie“ offenbar gewollt ist.

Die Entwicklung dieses protestantischen Kapitalismus wurde schon in Vorbereitung auf die 5. Tagung der 10. Synode der EKD im Jahr 2006 verteidigt: „Es ist deutlich, dass entsprechende Fortschritte am besten in innovativen und wettbewerbsorientierten Marktwirtschaften erreicht werden können. Dies sagen wir nicht, um Wettbewerb zu idealisieren oder gar zu einen fetischartigen Wert an sich zu machen, sondern weil wir fairen Wettbewerb als ein unersetzliches Mittel verstehen, um die gewünschten Ziele zu erreichen...“.

Doch dumme Mitarbeiter verstehen dies wohl nicht. Deshalb zeigte Bischof Huber am 17. September 2009 Verständnis auf die Frage des Evangelischen Pressedienstes, ob sich die „Kirche der Freiheit“  nicht zu sehr an betriebswirtschaftlichen Erfolgen messe: „Aber Menschen, die sich das aus einer binnenkirchlichen Perspektive anschauen und noch nie erlebt haben, dass kirchliches Handeln an Zielen orientiert ist, die man sogar messen kann, sind da wohl überrascht. Und sie halten das für betriebswirtschaftliche Sprache. Das kann ich nachvollziehen.“ Und diese betriebswirtschaftliche Sprache haben die Beschäftigten eben widerspruchslos hinzunehmen und zu dulden.

Ruinöser Lohnwettbewerb

Die himmlische Ruhe der Kirchenfürsten vor weltlichen Streiks war vorübergehend allerdings etwas gestört, als vor einigen Monaten Beschäftigte vom Bielefelder Krankenhaus, in Mosbach und Hannover, bei den Märkischen Werkstätten im Ev. Johanneswerk NRW, bei der Ev. Jungendhilfe in Freudenberg oder den Johannesanstalten in Mosbach die Arbeit nieder legten, weil man sich nicht länger als Beschäftigte zweiter Klasse behandeln lassen wollte. Manche forderten frech, endlich nach Tarif bezahlt zu werden. Doch so „richtige“ Tarifverträge gibt es bei der Kirche ohnehin nicht. Am 23. September 2007 wurde für die Diakonischen Werke Rheinland-Westfalen-Lippe der Kirchentarif BAT-KF beschlossen, um gleichzeitig „die Möglichkeit für einrichtungsspezifische, in der Regel befristet gültige, und für refinanzierungsbedingte Abweichungen zu schaffen“ – sozusagen die eigene Konkurrenz nach innen.


Streik-TV der Gewerkschaft ver.di berichtet
häufiger über Streiks in der Diakonie. Hier
ein Ausschnitt.

Seit Jahren liegen die unchristlichen Reallöhne teilweise bis zu 13 Prozent hinter vergleichbaren zurück. Ver.di hatte Ende September bei den Arbeitgebern der Diakonie – aufgeschreckt durch Streiks der Beschäftigten – gerade vier Prozent abgetrotzt – als Einmalzahlung von Gottes Gnaden.

Nach Auskunft der Gewerkschaft ist die Bezahlung evangelischer Beschäftigter, beispielsweise von Krankenpflegern und –schwestern nach 10 Jahren Berufserfahrung um mehr als 131 Euro, von AlternpflegerInnen mehr als 152 Euro im Monat niedriger. Noch drastischer wird das ungleiche Einkommensniveau für gleiche Arbeit in der Kirche Hessen-Nassau. Krankenschwestern und -Pfleger verdienen dort 10 Prozent, Sozialpädagogen 16 Prozent, Ärztinnen und Ärzte um 6 Prozent und Erzieherinnen um 5 Prozent und eine Hauswirtschafterin 13 Prozent weniger als in vergleichbaren Tarifen. Selbst eine Reinigungskraft verdient 20 Prozent weniger als nach dem gültigen Gebäudereinigertarif. Damit gerät auch der katholische Caritas unter den Druck des evangelischen Lohndumpings, denn „selbst die AVR-Caritas liegt auf dem TVöD-Niveau“ des öffentlichen Dienstes, so die Gewerkschaft ver.di.  

Dass sich die Kirche gern im Niedriglohnbereich tummelt, machte sie nochmals kurz vor der Bundestagswahl am 21. September klar, in dem sie gegen den gesetzlichen Mindestlohn wetterte. Der „beste Weg zu einer gerechten Lohnfindung bleibe auch im Niedriglohnsektor das Tarifsystem“. Und wenn trotzdem die Löhne abstürzten, müsse man eben über branchenbezogene Mindestlöhne oder zusätzliche staatliche Transfers nachdenken. Das wäre das ideale System, mit dem die Kirchenfürsten prima zurecht kämen.
 
Wenigstens hat die Kirche Hessen-Nassau ihr unchristliches Lohndumping jetzt schriftlich: „Hessen-Nassau liegt in den wesentlichen Berufsgruppen weit unter dem branchenüblichen Tarifniveau. Dies hat die Arbeitsrechtliche Kommission in der Sitzung vom 23.9.2009 jetzt auch mit den Stimmen der Arbeitgeberseite feststellen müssen“, so ver.di in einem Flugblatt Anfang Oktober 2009. Und offenbar ist Nassau überall in den evangelischen Einrichtungen zu finden. (HDH)

Online-Flyer Nr. 218  vom 07.10.2009

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