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Arbeit und Soziales
Unternehmer wollen lieber keine neuen Betriebsräte in der Wirtschaftskrise
Wie selbstbewusst sind die Belegschaften?
Von Franz Kersjes
„Kollektives Belegschaftskapital!“ – DGB-
Vorstandsmitglied Dietmar Hexel
Quelle: www.einblick.dgb.de
Vor allem in kleineren und mittelgroßen Betrieben gibt es oft leider immer noch keinen Betriebsrat. Deshalb ist Aufklärung über die Bedeutung und Notwendigkeit von Betriebsräten unverzichtbar. Wo ein Betriebsrat besteht, muss die Belegschaft von der Unternehmensleitung
in organisatorischen, wirtschaftlichen und personellen Angelegenheiten beteiligt werden, so zum Beispiel bei Kurzarbeit, Betriebsurlaub, Kündigungen und bei Betriebsänderungen und Stilllegungen. Bei Massenentlassungen muss die Interessenvertretung der Beschäftigten ebenso eingeschaltet werden wie bei Fusionen, Teilstilllegungen und beim Abbau von
Arbeitsplätzen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es daher für die Belegschaft überlebenswichtig, einen Betriebsrat zu haben. Ohne Betriebsrat gibt es keinen Sozialplan und keine verbindlichen finanziellen Abfindungen ohne Klagen. Und auch in der Insolvenz kann der Betriebsrat noch viel für die Belegschaft tun.
Wer ist wahlberechtigt?
Rechtzeitig vor der Betriebsratswahl sollte deshalb in Gesprächen und Versammlungen, die möglichst von der zuständigen Gewerkschaft zu organisieren sind, geklärt werden, wer kandidiert und wer als Kandidat geeignet ist. Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte sind ebenfalls wahlberechtigt. Auf den Umfang ihrer täglichen, wöchentlichen
oder monatlichen Arbeitszeit kommt es nicht an. Auch Leiharbeitnehmer sind wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate im Entleihbetrieb eingesetzt und am Tag der Stimmabgabe volljährig sind.
Entscheidungen lieber über die Köpfe hinweg
Über die wesentlichen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes und die Einzelheiten zur Betriebsratswahl muss jede Belegschaft frühzeitig aufgeklärt und zur Beteiligung an der Wahl veranlasst werden. Vielen Managern und Unternehmern ist das allerdings gar nicht recht. Sie möchten viel lieber alle betriebsbezogenen Entscheidungen über die Köpfe der betroffenen Beschäftigten hinweg treffen. Vor allem der gewerkschaftliche Einfluss soll verhindert werden. So verlangen nicht wenige Politiker und Manager, dass die Wahl eines Betriebsrates künftig erst dann stattfinden soll, wenn zuvor die Mehrheit der Belegschaft dies durch eine Abstimmung wünscht.
„Betriebsgemeinschaft“ statt Betriebsrat
Bevor eine solche Änderung des bestehenden Betriebsverfassungsgesetzes das möglich macht, versuchen Unternehmensleitungen immer häufiger, die Beschäftigten zu überreden, auf eine Betriebsratswahl zu verzichten und dafür eine Vertretung außerhalb des Gesetzes einzurichten. Das nennt sich dann Mitarbeiterausschuss, Mitarbeiterbeirat, Belegschaftsvertretung, Vertrauenssprecher oder ähnliches. Man spricht von der „Betriebsgemeinschaft“, die von äußeren Einflüssen, etwa der Gewerkschaft, frei bleiben soll. Das bedeutet: Die Belegschaft hat keinen gesetzlichen Schutz vor Benachteiligungen und keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte. Denn nur der Betriebsrat kann dem Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers seine Mitbestimmungsrechte entgegen halten.
Gegenstrategien dringend erforderlich!
„Wir kämpfen gemeinsam für das Überleben des Betriebes“, heißt die Parole. Und solche „Überlebensgemeinschaften“ bilden sich inzwischen auch immer öfter mit Beteiligung eines gewählten Betriebsrates. Dabei geht es nicht immer um das Überleben des Betriebes. Es geht häufig auch darum, sich Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Unternehmen zu verschaffen. Für solche Belegschaften spielt dann im Regelfall die überbetriebliche Solidarität keine Rolle mehr. Und die Gewerkschaft ist außen vor. Deshalb sind Gegenstrategien dringend erforderlich!
Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind inzwischen weit verbreitet. Nicht nur in den Betrieben, die über Auftragsmangel klagen und Kosten reduzieren wollen. Auch in Unternehmen, denen es wirtschaftlich nach wie vor gut geht, werden immer häufiger Vereinbarungen zwischen Management und Betriebsrat getroffen, die Arbeitsplätze sichern, Kosten senken und die Produktivität steigern sollen. Auch, um Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Die Beschäftigten machen Zugeständnisse bei der Arbeitszeit und/oder beim Einkommen. Als Gegenleistung versprechen die Unternehmensleitungen, für einen bestimmten Zeitraum keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen und auf Betriebsverlagerungen bzw. Outsourcing zu verzichten. Eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Einführung von Arbeitszeitkonten ersetzen die Bezahlung von Überstunden. Und schließlich werden auch Arbeitszeitverkürzungen, aber ohne Lohn- und Gehaltsausgleich, vereinbart.
Ausnutzung von Ängsten
Es geht bei den so genannten Bündnissen nicht immer nur um die Bewältigung akuter Krisensituationen. In nicht wenigen Fällen geht die Initiative von der Arbeitnehmerseite aus. Die Angst vor möglichen Arbeitsplatzverlusten ist offensichtlich so groß, dass eine wachsende Zahl von Beschäftigten zu allen nur denkbaren Zugeständnissen gegenüber der Geschäftsleitung bereit ist. Gegen die erkennbare und beabsichtigte Tarifflucht vieler Unternehmen gibt es immer öfter keinen Widerstand aus den Belegschaften. Die Erpressung der abhängig Beschäftigten und die Ausnutzung ihrer Ängste durch die Besitzer der Produktionsmittel machen deutlich, wie sehr ein Mitbestimmungsrecht der Belegschaften in wirtschaftlichen Angelegenheiten fehlt.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind immer noch von den Entscheidungen – ob produziert wird, wo produziert wird, was produziert wird und wie produziert wird – ausgeschlossen. Demokratische Entscheidungsstrukturen gibt es in den Betrieben bis heute nicht. Warum eigentlich nicht? Nur durch Arbeit werden Werte geschaffen, Produkte hergestellt und Dienstleistungen ermöglicht. Kapital allein schafft gar nichts! Trotzdem entscheiden die Geldverleiher in den Banken und Kapitalbesitzer als Investoren allein und völlig eigenmächtig über die Verwendung des erwirtschafteten Kapitals. Warum geschieht das ohne die Beteiligung der Menschen, die Gewinne erst möglich machen? Warum dürfen die Beschäftigten nicht mitbestimmen über die Verwendung des von ihnen erarbeiteten Kapitals? Beispielsweise ob, wo und wozu investiert wird und wie die Profite verteilt werden?
Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass Kapitalbesitzern mehr Macht zugestanden wird als den Menschen, die mit ihrem Kopf und mit ihren Händen die Werte schaffen.
„Mitarbeiterkapitalbeteiligung“…
Nun soll den Beschäftigten über eine „Mitarbeiterkapitalbeteiligung“ ein Anteil am Erfolg (oder auch Misserfolg) der Wirtschaft verschafft werden. Wenn es dabei auch nur um kleine Summen geht: Arbeiter und Angestellte sollen wenigstens so denken wie Kapitalisten! Mit einem Teil des ihnen vorenthaltenes Lohnes sollen sie sich am Kapital eines Unternehmens beteiligen können oder über einen Fonds steuerbegünstigt daran partizipieren. Seit April 2009 fördert der Staat die Kapitalbeteiligung von Beschäftigten stärker als bisher. Unternehmen können jedem Beschäftigten eine Kapitalbeteiligung von 360 Euro (!) im Jahr schenken oder Anteile entsprechend verbilligen. Die Mitarbeiter/innen müssen dafür keine Steuern und auch keine Sozialabgaben zahlen. Die Vermögensbeteiligung muss zusätzlich zum vereinbarten Lohn bzw. Gehalt gewährt werden. Und Beschäftigte mit relativ geringem Einkommen erhalten außerdem 80 Euro Zuschuss, wenn sie ihre vermögenswirksamen Leistungen von 400 Euro in die Firma stecken.
…aber ohne Mitbetimmung
Alternativ können Beschäftigte das Geld in Mitarbeiterbeteiligungs-Fonds anlegen. Diese Fonds, die es aber bislang gar nicht gibt, können in verschiedenen Firmen investieren und so das Risiko streuen. Die Betriebe sollen ihre Mitarbeiter/innen dadurch an sich binden, damit gute Leute nicht abhauen und das unternehmerische Verhalten der Beschäftigten insgesamt gefördert wird. Aber die Arbeitnehmer/innen sind in diesen Fällen nicht nur am Erfolg, sondern auch am Misserfolg beteiligt. Und Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten bekommen sie durch ihre Kapitalbeteiligung am Unternehmen auch nicht.
Nach den Vorstellungen der SPD sollen Unternehmen künftig Kapital aus ihren Belegschaften schöpfen können. Beschäftigte sanierungsbedürftiger Unternehmen sollen finanzielle Anteile am Unternehmen erwerben können, wenn sie im Gegenzug auf Lohn- und Gehaltsanteile verzichten. Ein solches Engagement soll steuerlich begünstigt werden. Die Umwandlung von Barlohn in Form einer Mitarbeiterkapitalbeteiligung am Unternehmen soll zunächst von der Steuer freigestellt werden, beispielsweise bis zu einer Höhe von 12.000 Euro im Jahr. Die „Rückumwandlung“ der Beteiligung in Barlohn, etwa durch Rückzahlung an den Arbeitnehmer einschließlich der Erträge, würde eine Steuer- und Beitragspflicht wieder begründen. Es wird allerdings nicht erläutert, was mit den Anteilen bei einer Insolvenz passiert.
Belegschaften als Aktionäre
Die Beteiligung einer Belegschaft am Kapital eines Unternehmens kann nach gewerkschaftlicher Auffassung ein zusätzliches Instrument zur Bewältigung der Wirtschaftskrise sein. „Kollektives Belegschaftskapital soll künftig Ertragskraft, Liquidität und Eigenkapital eines Unternehmens stärken, Verzichte der Arbeitnehmer/innen ohne Gegenleistung verhindern und heilsamen Einfluss auf die Kapitalseite ausüben“, erklärte DGB-Vorstand Dietmar Hexel. Die Beschäftigten sollen nicht mehr ohne Gegenleistung auf Lohn und Freizeit verzichten. Nach Auffassung der IG Metall sollen die Belegschaften beispielsweise bei VW, Daimler, Opel und Schaeffler Miteigentümer am Unternehmen werden. Bei Daimler ist vereinbart, die Ergebnisbeteiligung für das Jahr 2008, ein dreistelliger Millionenbetrag, in eine Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter/innen umzuwandeln. Die Arbeitnehmeranteile sollen in Stiftungen oder Beteiligungsgesellschaften gesammelt werden.
Die Belegschaft soll dann ihre Ansprüche formulieren wie jeder andere Investor auch. „Wir brauchen ein Gegengewicht gegen den Angriff der angelsächsischen Investoren auf deutsche Unternehmen“, erklärte der IGM-Vorsitzende Berthold Huber in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Die Unternehmen kommen zu uns, fragen, wie wir ihnen aus der Not helfen können, gerade wegen der unverschämten Politik der Banken und Heuschrecken, deren Kreditzinsen und Forderungen sie nicht mehr tragen können. Im Gegenzug bieten sie uns Beteiligungen an.“
Kollektivvertrag abschließen!
Belegschaften werden in großen Unternehmen über eine Beteiligungsgesellschaft Aktionäre bzw. Miteigentümer an dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind. Da bleibt zu fragen: Wie freiwillig ist der Lohn- und Gehaltsverzicht in einer Notlage des Unternehmens? Müssen nicht diejenigen, die eine Beteiligung verweigern, fürchten, ihre Arbeit als erste zu verlieren?
Armin Schild, für Opel zuständiger Bezirksleiter der IG Metall, sagte dazu in der FAZ: „Nicht der Mitarbeiter entscheidet, ob er sich beteiligt, sondern Betriebsrat und IG Metall schließen mit dem Arbeitgeber einen Kollektivvertrag.“
Notfalls politische Streiks
Betriebsräte und Gewerkschaften müssen alles versuchen, um Arbeitsplätze zu retten. Aber es besteht dabei die Gefahr, dass unüberbrückbare Interessengegensätze zwischen Arbeit und Kapital vertuscht, verdrängt oder einfach ignoriert werden. Das kapitalistische Wirtschaftssystem wird dadurch weder gerechter noch erträglicher. An den vom Kapital dominierten Produktionsverhältnissen ändert eine Kapitalbeteiligung durch Lohn- und
Gehaltsverzichte der Beschäftigten am Unternehmen gar nichts. Der Stimmenzuwachs im Aufsichtsrat hat mit der Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital absolut nichts zu tun. Eine Demokratisierung der Wirtschaft mit einer Mitbestimmung des Betriebsrates in wirtschaftlichen Angelegenheiten muss noch erkämpft werden. Notfalls mit Mitteln des politischen Streiks! (PK)
Franz Kersjes ist Herausgeber der Welt der Arbeit im Internet und war Landesvorsitzender der IG Druck und Papier/IG Medien in NRW. Sein Artikel erschien in der www.weltderarbeit.de, für die er verantwortlich ist.
Online-Flyer Nr. 219 vom 14.10.2009
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Arbeit und Soziales
Unternehmer wollen lieber keine neuen Betriebsräte in der Wirtschaftskrise
Wie selbstbewusst sind die Belegschaften?
Von Franz Kersjes
„Kollektives Belegschaftskapital!“ – DGB-
Vorstandsmitglied Dietmar Hexel
Quelle: www.einblick.dgb.de
Vor allem in kleineren und mittelgroßen Betrieben gibt es oft leider immer noch keinen Betriebsrat. Deshalb ist Aufklärung über die Bedeutung und Notwendigkeit von Betriebsräten unverzichtbar. Wo ein Betriebsrat besteht, muss die Belegschaft von der Unternehmensleitung
in organisatorischen, wirtschaftlichen und personellen Angelegenheiten beteiligt werden, so zum Beispiel bei Kurzarbeit, Betriebsurlaub, Kündigungen und bei Betriebsänderungen und Stilllegungen. Bei Massenentlassungen muss die Interessenvertretung der Beschäftigten ebenso eingeschaltet werden wie bei Fusionen, Teilstilllegungen und beim Abbau von
Arbeitsplätzen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es daher für die Belegschaft überlebenswichtig, einen Betriebsrat zu haben. Ohne Betriebsrat gibt es keinen Sozialplan und keine verbindlichen finanziellen Abfindungen ohne Klagen. Und auch in der Insolvenz kann der Betriebsrat noch viel für die Belegschaft tun.
Wer ist wahlberechtigt?
Rechtzeitig vor der Betriebsratswahl sollte deshalb in Gesprächen und Versammlungen, die möglichst von der zuständigen Gewerkschaft zu organisieren sind, geklärt werden, wer kandidiert und wer als Kandidat geeignet ist. Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte sind ebenfalls wahlberechtigt. Auf den Umfang ihrer täglichen, wöchentlichen
oder monatlichen Arbeitszeit kommt es nicht an. Auch Leiharbeitnehmer sind wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate im Entleihbetrieb eingesetzt und am Tag der Stimmabgabe volljährig sind.
Entscheidungen lieber über die Köpfe hinweg
Über die wesentlichen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes und die Einzelheiten zur Betriebsratswahl muss jede Belegschaft frühzeitig aufgeklärt und zur Beteiligung an der Wahl veranlasst werden. Vielen Managern und Unternehmern ist das allerdings gar nicht recht. Sie möchten viel lieber alle betriebsbezogenen Entscheidungen über die Köpfe der betroffenen Beschäftigten hinweg treffen. Vor allem der gewerkschaftliche Einfluss soll verhindert werden. So verlangen nicht wenige Politiker und Manager, dass die Wahl eines Betriebsrates künftig erst dann stattfinden soll, wenn zuvor die Mehrheit der Belegschaft dies durch eine Abstimmung wünscht.
„Betriebsgemeinschaft“ statt Betriebsrat
Bevor eine solche Änderung des bestehenden Betriebsverfassungsgesetzes das möglich macht, versuchen Unternehmensleitungen immer häufiger, die Beschäftigten zu überreden, auf eine Betriebsratswahl zu verzichten und dafür eine Vertretung außerhalb des Gesetzes einzurichten. Das nennt sich dann Mitarbeiterausschuss, Mitarbeiterbeirat, Belegschaftsvertretung, Vertrauenssprecher oder ähnliches. Man spricht von der „Betriebsgemeinschaft“, die von äußeren Einflüssen, etwa der Gewerkschaft, frei bleiben soll. Das bedeutet: Die Belegschaft hat keinen gesetzlichen Schutz vor Benachteiligungen und keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte. Denn nur der Betriebsrat kann dem Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers seine Mitbestimmungsrechte entgegen halten.
Gegenstrategien dringend erforderlich!
„Wir kämpfen gemeinsam für das Überleben des Betriebes“, heißt die Parole. Und solche „Überlebensgemeinschaften“ bilden sich inzwischen auch immer öfter mit Beteiligung eines gewählten Betriebsrates. Dabei geht es nicht immer um das Überleben des Betriebes. Es geht häufig auch darum, sich Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Unternehmen zu verschaffen. Für solche Belegschaften spielt dann im Regelfall die überbetriebliche Solidarität keine Rolle mehr. Und die Gewerkschaft ist außen vor. Deshalb sind Gegenstrategien dringend erforderlich!
Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind inzwischen weit verbreitet. Nicht nur in den Betrieben, die über Auftragsmangel klagen und Kosten reduzieren wollen. Auch in Unternehmen, denen es wirtschaftlich nach wie vor gut geht, werden immer häufiger Vereinbarungen zwischen Management und Betriebsrat getroffen, die Arbeitsplätze sichern, Kosten senken und die Produktivität steigern sollen. Auch, um Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Die Beschäftigten machen Zugeständnisse bei der Arbeitszeit und/oder beim Einkommen. Als Gegenleistung versprechen die Unternehmensleitungen, für einen bestimmten Zeitraum keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen und auf Betriebsverlagerungen bzw. Outsourcing zu verzichten. Eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Einführung von Arbeitszeitkonten ersetzen die Bezahlung von Überstunden. Und schließlich werden auch Arbeitszeitverkürzungen, aber ohne Lohn- und Gehaltsausgleich, vereinbart.
Ausnutzung von Ängsten
Es geht bei den so genannten Bündnissen nicht immer nur um die Bewältigung akuter Krisensituationen. In nicht wenigen Fällen geht die Initiative von der Arbeitnehmerseite aus. Die Angst vor möglichen Arbeitsplatzverlusten ist offensichtlich so groß, dass eine wachsende Zahl von Beschäftigten zu allen nur denkbaren Zugeständnissen gegenüber der Geschäftsleitung bereit ist. Gegen die erkennbare und beabsichtigte Tarifflucht vieler Unternehmen gibt es immer öfter keinen Widerstand aus den Belegschaften. Die Erpressung der abhängig Beschäftigten und die Ausnutzung ihrer Ängste durch die Besitzer der Produktionsmittel machen deutlich, wie sehr ein Mitbestimmungsrecht der Belegschaften in wirtschaftlichen Angelegenheiten fehlt.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind immer noch von den Entscheidungen – ob produziert wird, wo produziert wird, was produziert wird und wie produziert wird – ausgeschlossen. Demokratische Entscheidungsstrukturen gibt es in den Betrieben bis heute nicht. Warum eigentlich nicht? Nur durch Arbeit werden Werte geschaffen, Produkte hergestellt und Dienstleistungen ermöglicht. Kapital allein schafft gar nichts! Trotzdem entscheiden die Geldverleiher in den Banken und Kapitalbesitzer als Investoren allein und völlig eigenmächtig über die Verwendung des erwirtschafteten Kapitals. Warum geschieht das ohne die Beteiligung der Menschen, die Gewinne erst möglich machen? Warum dürfen die Beschäftigten nicht mitbestimmen über die Verwendung des von ihnen erarbeiteten Kapitals? Beispielsweise ob, wo und wozu investiert wird und wie die Profite verteilt werden?
Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass Kapitalbesitzern mehr Macht zugestanden wird als den Menschen, die mit ihrem Kopf und mit ihren Händen die Werte schaffen.
„Mitarbeiterkapitalbeteiligung“…
Nun soll den Beschäftigten über eine „Mitarbeiterkapitalbeteiligung“ ein Anteil am Erfolg (oder auch Misserfolg) der Wirtschaft verschafft werden. Wenn es dabei auch nur um kleine Summen geht: Arbeiter und Angestellte sollen wenigstens so denken wie Kapitalisten! Mit einem Teil des ihnen vorenthaltenes Lohnes sollen sie sich am Kapital eines Unternehmens beteiligen können oder über einen Fonds steuerbegünstigt daran partizipieren. Seit April 2009 fördert der Staat die Kapitalbeteiligung von Beschäftigten stärker als bisher. Unternehmen können jedem Beschäftigten eine Kapitalbeteiligung von 360 Euro (!) im Jahr schenken oder Anteile entsprechend verbilligen. Die Mitarbeiter/innen müssen dafür keine Steuern und auch keine Sozialabgaben zahlen. Die Vermögensbeteiligung muss zusätzlich zum vereinbarten Lohn bzw. Gehalt gewährt werden. Und Beschäftigte mit relativ geringem Einkommen erhalten außerdem 80 Euro Zuschuss, wenn sie ihre vermögenswirksamen Leistungen von 400 Euro in die Firma stecken.
…aber ohne Mitbetimmung
Alternativ können Beschäftigte das Geld in Mitarbeiterbeteiligungs-Fonds anlegen. Diese Fonds, die es aber bislang gar nicht gibt, können in verschiedenen Firmen investieren und so das Risiko streuen. Die Betriebe sollen ihre Mitarbeiter/innen dadurch an sich binden, damit gute Leute nicht abhauen und das unternehmerische Verhalten der Beschäftigten insgesamt gefördert wird. Aber die Arbeitnehmer/innen sind in diesen Fällen nicht nur am Erfolg, sondern auch am Misserfolg beteiligt. Und Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten bekommen sie durch ihre Kapitalbeteiligung am Unternehmen auch nicht.
Nach den Vorstellungen der SPD sollen Unternehmen künftig Kapital aus ihren Belegschaften schöpfen können. Beschäftigte sanierungsbedürftiger Unternehmen sollen finanzielle Anteile am Unternehmen erwerben können, wenn sie im Gegenzug auf Lohn- und Gehaltsanteile verzichten. Ein solches Engagement soll steuerlich begünstigt werden. Die Umwandlung von Barlohn in Form einer Mitarbeiterkapitalbeteiligung am Unternehmen soll zunächst von der Steuer freigestellt werden, beispielsweise bis zu einer Höhe von 12.000 Euro im Jahr. Die „Rückumwandlung“ der Beteiligung in Barlohn, etwa durch Rückzahlung an den Arbeitnehmer einschließlich der Erträge, würde eine Steuer- und Beitragspflicht wieder begründen. Es wird allerdings nicht erläutert, was mit den Anteilen bei einer Insolvenz passiert.
Belegschaften als Aktionäre
Die Beteiligung einer Belegschaft am Kapital eines Unternehmens kann nach gewerkschaftlicher Auffassung ein zusätzliches Instrument zur Bewältigung der Wirtschaftskrise sein. „Kollektives Belegschaftskapital soll künftig Ertragskraft, Liquidität und Eigenkapital eines Unternehmens stärken, Verzichte der Arbeitnehmer/innen ohne Gegenleistung verhindern und heilsamen Einfluss auf die Kapitalseite ausüben“, erklärte DGB-Vorstand Dietmar Hexel. Die Beschäftigten sollen nicht mehr ohne Gegenleistung auf Lohn und Freizeit verzichten. Nach Auffassung der IG Metall sollen die Belegschaften beispielsweise bei VW, Daimler, Opel und Schaeffler Miteigentümer am Unternehmen werden. Bei Daimler ist vereinbart, die Ergebnisbeteiligung für das Jahr 2008, ein dreistelliger Millionenbetrag, in eine Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter/innen umzuwandeln. Die Arbeitnehmeranteile sollen in Stiftungen oder Beteiligungsgesellschaften gesammelt werden.
Die Belegschaft soll dann ihre Ansprüche formulieren wie jeder andere Investor auch. „Wir brauchen ein Gegengewicht gegen den Angriff der angelsächsischen Investoren auf deutsche Unternehmen“, erklärte der IGM-Vorsitzende Berthold Huber in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Die Unternehmen kommen zu uns, fragen, wie wir ihnen aus der Not helfen können, gerade wegen der unverschämten Politik der Banken und Heuschrecken, deren Kreditzinsen und Forderungen sie nicht mehr tragen können. Im Gegenzug bieten sie uns Beteiligungen an.“
Kollektivvertrag abschließen!
Belegschaften werden in großen Unternehmen über eine Beteiligungsgesellschaft Aktionäre bzw. Miteigentümer an dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind. Da bleibt zu fragen: Wie freiwillig ist der Lohn- und Gehaltsverzicht in einer Notlage des Unternehmens? Müssen nicht diejenigen, die eine Beteiligung verweigern, fürchten, ihre Arbeit als erste zu verlieren?
Armin Schild, für Opel zuständiger Bezirksleiter der IG Metall, sagte dazu in der FAZ: „Nicht der Mitarbeiter entscheidet, ob er sich beteiligt, sondern Betriebsrat und IG Metall schließen mit dem Arbeitgeber einen Kollektivvertrag.“
Notfalls politische Streiks
Betriebsräte und Gewerkschaften müssen alles versuchen, um Arbeitsplätze zu retten. Aber es besteht dabei die Gefahr, dass unüberbrückbare Interessengegensätze zwischen Arbeit und Kapital vertuscht, verdrängt oder einfach ignoriert werden. Das kapitalistische Wirtschaftssystem wird dadurch weder gerechter noch erträglicher. An den vom Kapital dominierten Produktionsverhältnissen ändert eine Kapitalbeteiligung durch Lohn- und
Gehaltsverzichte der Beschäftigten am Unternehmen gar nichts. Der Stimmenzuwachs im Aufsichtsrat hat mit der Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital absolut nichts zu tun. Eine Demokratisierung der Wirtschaft mit einer Mitbestimmung des Betriebsrates in wirtschaftlichen Angelegenheiten muss noch erkämpft werden. Notfalls mit Mitteln des politischen Streiks! (PK)
Franz Kersjes ist Herausgeber der Welt der Arbeit im Internet und war Landesvorsitzender der IG Druck und Papier/IG Medien in NRW. Sein Artikel erschien in der www.weltderarbeit.de, für die er verantwortlich ist.
Online-Flyer Nr. 219 vom 14.10.2009
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