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Inland
Die Koalitionsvereinbarungen der schwarz-gelben Bundesregierung
Organisierte Verantwortungslosigkeit
Von Franz Kersjes
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Die Koalitionsvereinbarungen zeigen: Es fehlt der Mut zur Wahrheit, es fehlt Verantwortungsbereitschaft, es fehlt der Wille zur sozialen Gerechtigkeit. Es gibt keine Strategie, keine Initiative, keine Antwort auf die brennende Frage: Wie sollen die gewaltigen Schulden des Staates in den folgenden Jahren abgebaut werden? Im Gegenteil: Es werden Steuersenkungen auf Pump angekündigt. Es fehlt ein konkretes Finanzierungskonzept. Merkel und Westerwelle setzen allein auf ein nicht näher beziffertes Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren. Es wird unterstellt, dass die wirtschaftliche Entwicklung langsam aber stetig wieder aufwärts geht. Aber warum sollte das so sein? Zur Stärkung der Binnennachfrage gibt es kein Konzept. Wie soll das auch gehen, wenn die finanziellen Belastungen der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen und Rentner steigen werden?
Keine Initiative zur Bekämpfung der Armut
Die neoliberale Behauptung, es müsse den Konzernen gut gehen, damit es allen gut geht, ist die Richtschnur der neuen Regierung. Die Unternehmen werden schon zum 1. Januar 2010 entlastet. Zinsaufwendungen sollen weniger stark versteuert werden, Verluste leichter absetzbar sein und Abschreibungen erleichtert werden. Für Beherbergungsleistungen im Hotel- und Gastronomiegewerbe wird die Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent gesenkt, und es soll geprüft werden, welche Güter mit diesem ermäßigten Satz besteuert werden sollen. Die direkten Zugeständnisse, die von der Regierung für die Unternehmen geplant sind, werden auf bis zu 2,5 Milliarden Euro geschätzt.
Vermögende Familien profitieren durch einen höheren Kinderfreibetrag, der auf 7.008 Euro steigt. Für die Geringverdiener steigt das Kindergeld. Aber die rund 1,7 Millionen Kinder in den Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften bekommen nichts, weil das Kindergeld weiterhin mit den Regelsätzen verrechnet wird. Und es ist nicht vorgesehen, die Regelsätze zu erhöhen. Die Erhöhung des Schonvermögens von 250 auf 750 Euro pro Lebensjahr trifft nach Erfahrungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nur etwa zwei Prozent der Hartz-IV-Bezieher. Zur Armutsbekämpfung ist von der neuen Regierung nichts geplant. Die soziale Spaltung des Landes wird fortgesetzt.
Gesetzlichen Mindestlohn abgelehnt
Bei der Einkommenssteuer soll zum 1. Januar 2011 ein Stufentarif eingeführt werden. Zahlen und Verlauf der Stufen sollen aber noch entwickelt werden. Derweil brechen die Steuereinnahmen weiter weg. Dem Fiskus werden in der bevorstehenden Legislaturperiode mindestens 40 Milliarden Euro fehlen. Deshalb wird für weitere Steuerentlastungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein finanzieller Spielraum vorhanden sein.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wird von der neuen Regierung abgelehnt. Die bestehenden Branchenregelungen sollen bis Oktober 2011 überprüft werden. Dabei komme es darauf an, ob sie Arbeitsplätze gefährdeten oder „neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegenstehen“, heißt es in den Koalitionsvereinbarungen. Das bedeutet: Wenn Unternehmer noch weniger Lohn zahlen wollen, dann werden bestehende Mindestlöhne aufgehoben. Sittenwidrig sind nach Auffassung der Herrschenden Löhne übrigens erst dann, wenn Tariflöhne um etwa 30 Prozent unterschritten werden.
Bei befristeten Arbeitsverträgen will die Koalition „Lockerungen“ einführen. Bislang können befristete Arbeitsverträge längstens für die Dauer von zwei Jahren abgeschlossen werden; danach ist bis jetzt eine befristete Einstellung bei demselben Arbeitgeber nicht mehr erlaubt. Künftig soll die erneute Befristung beim selben Arbeitgeber möglich sein. Auch das soll also zugunsten der Unternehmer geändert werden, womit der Erpressbarkeit von Arbeitnehmern ein weiteres Tor geöffnet wird.
Entsolidarisierung im Gesundheitswesen
Im Gesundheitswesen werden die Belastungen für die 70 Millionen gesetzlich Versicherten rasant steigen, ohne dass die Qualität der Versorgung besser wird. Unter anderem müssen die zu erwartenden Ausgabensteigerungen künftig von den Versicherten allein getragen werden. Die paritätisch finanzierten „Lohnzusatzkosten“ – Rente, Krankenkassen, Pflege- und Arbeitslosenbeiträge – sollen unter 40 Prozent gehalten werden. Ab 2011 müssen sich die Versicherten auf höhere Beiträge einstellen, denn der Arbeitgeberbeitrag wird eingefroren und dafür der mögliche Zusatzbeitrag der Kassen – bisher maximal 37 Euro monatlich – schrittweise zu einer Pauschale erweitert. Dabei wird es sich um eine einkommensunabhängige Kopfpauschale handeln, die für alle gesetzlich Versicherten gleich hoch sein wird. Die Kassiererin im Supermarkt muss dann den gleichen Beitrag zahlen wie der hoch dotierte Manager. Es ist vorgesehen, soziale Härten durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt auszugleichen. Woher die Zuschüsse kommen sollen, weiß niemand. Sicher ist aber, dass der Krankenversicherte vom Kunden zum Bittsteller werden wird.
Bei der Pflegeversicherung ist ein Einstieg in die Kapitaldeckung geplant. Die Bürgerinnen und Bürger werden verpflichtet, zusätzlich privat vorzusorgen. Nach Ansicht des Sozialrechtlers Jürgen Borchert, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht in Darmstadt, nützt eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung nur den Finanzmärkten, die sich schon über die Riester-Rente gefreut hätten. Die Kapitaldeckung verschärfe vielmehr die Problematik der demografischen Entwicklung. Das Beispiel Hypo Real habe gezeigt, dass im Krisenfall letztlich der Steuerzahler per Umlageverfahren einspringen müsse
Steuererleichterungen werden zu Bildungsausgaben
In der Bildungspolitik ist die neue Regierung von der Wirklichkeit besonders weit entfernt. Deutschland soll zur „Bildungsrepublik“ werden, „mit den besten Kindertagesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen sowie den besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen“. Bis 2013 will die Regierung die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung um insgesamt 12 Milliarden Euro erhöhen. Als Zielmarke für das Jahr 2015 sind zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Gesamtausgaben von Staat und Wirtschaft für Bildung und Forschung vorgesehen.
Allerdings kommt es darauf an, wie man Bildungsausgaben definiert. In einer Vorlage der Finanzministerkonferenz der Bundesländer gibt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wegweisende Ideen:
• Die Finanzminister möchten fortan in der Statistik unter „Bildungsausgaben“ auch die kompletten Aufwendungen für das Kindergeld Volljähriger verbuchen – was bei internationalen Vergleichen nicht üblich ist. Allein der „höhere Betrag an berücksichtigtem Kindergeld“ sei um 4,4 Milliarden Euro höher als beim Ansatz des Statistischen Bundesamtes, so die Finanzminister.
• Ebenfalls als „Bildungsausgaben“ wollen sie Steuererleichterungen deklarieren – etwa Ausbildungsfreibeträge bei der Einkommenssteuer oder die Absetzbarkeit von Firmenforschung. Und obendrein sogar den ermäßigten Umsatzsteuersatz für „bestimmte Bildungsgüter (u.a. Bücher)“, wie es in ihrem Papier heißt.
• Auch die Pensionen von Lehrern und Professoren sollen künftig in der Statistik als Bildungsausgaben gelten, ebenso die Bereitstellung von Gebäuden und Grundstücken für Hochschulen.
• Einbezogen werden zudem „in der Statistik nur unvollständig abgebildete Bereiche“ wie „private Kindergärten, Horte, private Haushalte, Weiterbildung, nicht quantifizierbare Steuervergünstigungen“.
Rechnet man alles zusammen, wachsen die Bildungs- und Forschungsausgaben über Nacht wundersam um rund neun Milliarden Euro – ohne dass real ein einziger Euro mehr fließt und das Bildungssystem tatsächlich verbessert wird.
Mehr statt weniger Bürokratie
Die neue Regierung will auch die Bürokratie bekämpfen. Aber die 350 Arbeitsgemeinschaften von Kommunen und Arbeitsagenturen zur Betreuung der rund 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger sollen aufgelöst werden. Die Koalition will zur „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ zurückkehren. Das bedeutet: Es gibt künftig wieder zwei Behörden, mit denen sich arbeitslose Menschen herumschlagen müssen. Die Kommunen wären demnach für die soziale Betreuung und Wohnkosten zuständig, die Arbeitsagenturen für die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II und die Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Die 69 Optionskommunen, die Langzeitarbeitslose in Alleinregie betreuen, sollen unbefristet bestehen bleiben.
Kein Atomausstieg
Die neue Regierungskoalition plant außerdem, die Laufzeit von Kernkraftwerken über das Jahr 2022 hinaus zu verlängern und dadurch den Atomausstieg hinauszuschieben. Einzelheiten sollen möglichst bald mit den Energiekonzernen (!) ausgehandelt werden. Zu den Details zählt auch die Frage, welcher Anteil aus den Zusatzgewinnen durch längere Laufzeiten in die Förderung erneuerbarer Energie fließt. Union und FDP haben außerdem festgelegt, dass das niedersächsische Gorleben weiter als Endlager-Standort geprüft wird. Damit wird das bestehende Moratorium für die Erkundung aufgehoben. An den Kosten für die Schließung der Endlager Asse II und Morsleben sollen die Energieversorger beteiligt werden.
Wichtige Fragen zur Energiepolitik bleiben unbeantwortet, darunter die nach der Sicherheit der Atomkraftwerke. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Konzerne darauf einlassen werden, gleich mehrere Meiler abzuschalten. Sollte die Regierung den Versuch unternehmen, dies zu tun, dürfte sie unter massiven Druck der mächtigen Konzerne geraten. Die nämlich verdienen bestens an den abgeschriebenen Kraftwerken. Es bleibt also nur der Massenprotest von Gegnern der gefährlichen Atompolitik.
Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben CDU, CSU oder FDP gewählt oder sind gar nicht zur Wahl gegangen. Auch sie erfahren nun eine Politik, die sie nicht verdient haben. Werden sie in Zukunft durch Schaden endlich klug? (PK)
Franz Kersjes war Vorsitzender der IG Medien im Bezirk Köln und gibt als Rentner die http://www.weltderarbeit.de/ heraus.
Online-Flyer Nr. 222 vom 04.11.2009
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Die Koalitionsvereinbarungen der schwarz-gelben Bundesregierung
Organisierte Verantwortungslosigkeit
Von Franz Kersjes
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Die Koalitionsvereinbarungen zeigen: Es fehlt der Mut zur Wahrheit, es fehlt Verantwortungsbereitschaft, es fehlt der Wille zur sozialen Gerechtigkeit. Es gibt keine Strategie, keine Initiative, keine Antwort auf die brennende Frage: Wie sollen die gewaltigen Schulden des Staates in den folgenden Jahren abgebaut werden? Im Gegenteil: Es werden Steuersenkungen auf Pump angekündigt. Es fehlt ein konkretes Finanzierungskonzept. Merkel und Westerwelle setzen allein auf ein nicht näher beziffertes Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren. Es wird unterstellt, dass die wirtschaftliche Entwicklung langsam aber stetig wieder aufwärts geht. Aber warum sollte das so sein? Zur Stärkung der Binnennachfrage gibt es kein Konzept. Wie soll das auch gehen, wenn die finanziellen Belastungen der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen und Rentner steigen werden?
Keine Initiative zur Bekämpfung der Armut
Die neoliberale Behauptung, es müsse den Konzernen gut gehen, damit es allen gut geht, ist die Richtschnur der neuen Regierung. Die Unternehmen werden schon zum 1. Januar 2010 entlastet. Zinsaufwendungen sollen weniger stark versteuert werden, Verluste leichter absetzbar sein und Abschreibungen erleichtert werden. Für Beherbergungsleistungen im Hotel- und Gastronomiegewerbe wird die Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent gesenkt, und es soll geprüft werden, welche Güter mit diesem ermäßigten Satz besteuert werden sollen. Die direkten Zugeständnisse, die von der Regierung für die Unternehmen geplant sind, werden auf bis zu 2,5 Milliarden Euro geschätzt.
Vermögende Familien profitieren durch einen höheren Kinderfreibetrag, der auf 7.008 Euro steigt. Für die Geringverdiener steigt das Kindergeld. Aber die rund 1,7 Millionen Kinder in den Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften bekommen nichts, weil das Kindergeld weiterhin mit den Regelsätzen verrechnet wird. Und es ist nicht vorgesehen, die Regelsätze zu erhöhen. Die Erhöhung des Schonvermögens von 250 auf 750 Euro pro Lebensjahr trifft nach Erfahrungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nur etwa zwei Prozent der Hartz-IV-Bezieher. Zur Armutsbekämpfung ist von der neuen Regierung nichts geplant. Die soziale Spaltung des Landes wird fortgesetzt.
Gesetzlichen Mindestlohn abgelehnt
Bei der Einkommenssteuer soll zum 1. Januar 2011 ein Stufentarif eingeführt werden. Zahlen und Verlauf der Stufen sollen aber noch entwickelt werden. Derweil brechen die Steuereinnahmen weiter weg. Dem Fiskus werden in der bevorstehenden Legislaturperiode mindestens 40 Milliarden Euro fehlen. Deshalb wird für weitere Steuerentlastungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein finanzieller Spielraum vorhanden sein.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wird von der neuen Regierung abgelehnt. Die bestehenden Branchenregelungen sollen bis Oktober 2011 überprüft werden. Dabei komme es darauf an, ob sie Arbeitsplätze gefährdeten oder „neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegenstehen“, heißt es in den Koalitionsvereinbarungen. Das bedeutet: Wenn Unternehmer noch weniger Lohn zahlen wollen, dann werden bestehende Mindestlöhne aufgehoben. Sittenwidrig sind nach Auffassung der Herrschenden Löhne übrigens erst dann, wenn Tariflöhne um etwa 30 Prozent unterschritten werden.
Bei befristeten Arbeitsverträgen will die Koalition „Lockerungen“ einführen. Bislang können befristete Arbeitsverträge längstens für die Dauer von zwei Jahren abgeschlossen werden; danach ist bis jetzt eine befristete Einstellung bei demselben Arbeitgeber nicht mehr erlaubt. Künftig soll die erneute Befristung beim selben Arbeitgeber möglich sein. Auch das soll also zugunsten der Unternehmer geändert werden, womit der Erpressbarkeit von Arbeitnehmern ein weiteres Tor geöffnet wird.
Entsolidarisierung im Gesundheitswesen
Im Gesundheitswesen werden die Belastungen für die 70 Millionen gesetzlich Versicherten rasant steigen, ohne dass die Qualität der Versorgung besser wird. Unter anderem müssen die zu erwartenden Ausgabensteigerungen künftig von den Versicherten allein getragen werden. Die paritätisch finanzierten „Lohnzusatzkosten“ – Rente, Krankenkassen, Pflege- und Arbeitslosenbeiträge – sollen unter 40 Prozent gehalten werden. Ab 2011 müssen sich die Versicherten auf höhere Beiträge einstellen, denn der Arbeitgeberbeitrag wird eingefroren und dafür der mögliche Zusatzbeitrag der Kassen – bisher maximal 37 Euro monatlich – schrittweise zu einer Pauschale erweitert. Dabei wird es sich um eine einkommensunabhängige Kopfpauschale handeln, die für alle gesetzlich Versicherten gleich hoch sein wird. Die Kassiererin im Supermarkt muss dann den gleichen Beitrag zahlen wie der hoch dotierte Manager. Es ist vorgesehen, soziale Härten durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt auszugleichen. Woher die Zuschüsse kommen sollen, weiß niemand. Sicher ist aber, dass der Krankenversicherte vom Kunden zum Bittsteller werden wird.
Bei der Pflegeversicherung ist ein Einstieg in die Kapitaldeckung geplant. Die Bürgerinnen und Bürger werden verpflichtet, zusätzlich privat vorzusorgen. Nach Ansicht des Sozialrechtlers Jürgen Borchert, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht in Darmstadt, nützt eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung nur den Finanzmärkten, die sich schon über die Riester-Rente gefreut hätten. Die Kapitaldeckung verschärfe vielmehr die Problematik der demografischen Entwicklung. Das Beispiel Hypo Real habe gezeigt, dass im Krisenfall letztlich der Steuerzahler per Umlageverfahren einspringen müsse
Steuererleichterungen werden zu Bildungsausgaben
In der Bildungspolitik ist die neue Regierung von der Wirklichkeit besonders weit entfernt. Deutschland soll zur „Bildungsrepublik“ werden, „mit den besten Kindertagesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen sowie den besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen“. Bis 2013 will die Regierung die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung um insgesamt 12 Milliarden Euro erhöhen. Als Zielmarke für das Jahr 2015 sind zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Gesamtausgaben von Staat und Wirtschaft für Bildung und Forschung vorgesehen.
Allerdings kommt es darauf an, wie man Bildungsausgaben definiert. In einer Vorlage der Finanzministerkonferenz der Bundesländer gibt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wegweisende Ideen:
• Die Finanzminister möchten fortan in der Statistik unter „Bildungsausgaben“ auch die kompletten Aufwendungen für das Kindergeld Volljähriger verbuchen – was bei internationalen Vergleichen nicht üblich ist. Allein der „höhere Betrag an berücksichtigtem Kindergeld“ sei um 4,4 Milliarden Euro höher als beim Ansatz des Statistischen Bundesamtes, so die Finanzminister.
• Ebenfalls als „Bildungsausgaben“ wollen sie Steuererleichterungen deklarieren – etwa Ausbildungsfreibeträge bei der Einkommenssteuer oder die Absetzbarkeit von Firmenforschung. Und obendrein sogar den ermäßigten Umsatzsteuersatz für „bestimmte Bildungsgüter (u.a. Bücher)“, wie es in ihrem Papier heißt.
• Auch die Pensionen von Lehrern und Professoren sollen künftig in der Statistik als Bildungsausgaben gelten, ebenso die Bereitstellung von Gebäuden und Grundstücken für Hochschulen.
• Einbezogen werden zudem „in der Statistik nur unvollständig abgebildete Bereiche“ wie „private Kindergärten, Horte, private Haushalte, Weiterbildung, nicht quantifizierbare Steuervergünstigungen“.
Rechnet man alles zusammen, wachsen die Bildungs- und Forschungsausgaben über Nacht wundersam um rund neun Milliarden Euro – ohne dass real ein einziger Euro mehr fließt und das Bildungssystem tatsächlich verbessert wird.
Mehr statt weniger Bürokratie
Die neue Regierung will auch die Bürokratie bekämpfen. Aber die 350 Arbeitsgemeinschaften von Kommunen und Arbeitsagenturen zur Betreuung der rund 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger sollen aufgelöst werden. Die Koalition will zur „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ zurückkehren. Das bedeutet: Es gibt künftig wieder zwei Behörden, mit denen sich arbeitslose Menschen herumschlagen müssen. Die Kommunen wären demnach für die soziale Betreuung und Wohnkosten zuständig, die Arbeitsagenturen für die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II und die Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Die 69 Optionskommunen, die Langzeitarbeitslose in Alleinregie betreuen, sollen unbefristet bestehen bleiben.
Kein Atomausstieg
Die neue Regierungskoalition plant außerdem, die Laufzeit von Kernkraftwerken über das Jahr 2022 hinaus zu verlängern und dadurch den Atomausstieg hinauszuschieben. Einzelheiten sollen möglichst bald mit den Energiekonzernen (!) ausgehandelt werden. Zu den Details zählt auch die Frage, welcher Anteil aus den Zusatzgewinnen durch längere Laufzeiten in die Förderung erneuerbarer Energie fließt. Union und FDP haben außerdem festgelegt, dass das niedersächsische Gorleben weiter als Endlager-Standort geprüft wird. Damit wird das bestehende Moratorium für die Erkundung aufgehoben. An den Kosten für die Schließung der Endlager Asse II und Morsleben sollen die Energieversorger beteiligt werden.
Wichtige Fragen zur Energiepolitik bleiben unbeantwortet, darunter die nach der Sicherheit der Atomkraftwerke. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Konzerne darauf einlassen werden, gleich mehrere Meiler abzuschalten. Sollte die Regierung den Versuch unternehmen, dies zu tun, dürfte sie unter massiven Druck der mächtigen Konzerne geraten. Die nämlich verdienen bestens an den abgeschriebenen Kraftwerken. Es bleibt also nur der Massenprotest von Gegnern der gefährlichen Atompolitik.
Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben CDU, CSU oder FDP gewählt oder sind gar nicht zur Wahl gegangen. Auch sie erfahren nun eine Politik, die sie nicht verdient haben. Werden sie in Zukunft durch Schaden endlich klug? (PK)
Franz Kersjes war Vorsitzender der IG Medien im Bezirk Köln und gibt als Rentner die http://www.weltderarbeit.de/ heraus.
Online-Flyer Nr. 222 vom 04.11.2009
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