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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Filmclips
Der Kabarettist Werner Finck
Von Martin Baxmeyer und Peter Kleinert



Werner FinkWerner Finck, dem 1902 in Görlitz geborenen Kabarettisten und großen Vorbild von Wolfgang Neuss, wurden während des "Dritten Reiches" die meisten Flüsterwitze in den Mund gelegt. In unserer Kabarettserie “90 Jahre Satire gegen den Zeitgeist“ haben wir den Gründer der "Katakombe" den Zuschauen des unabhängigen Fernsehfensters KANAL 4 vorgestellt.
 
Die "Katakombe", am 16. Oktober 1929 von Werner Finck und Hans Deppe im Keller des Berliner "Künstlerhauses" in der Bellevuestr. 3 eröffnet, war in den späten dreißiger Jahren für das deutsche Kabarett so etwas wie eine Frischzellenkur. Die Zeit der politischen Bissigkeit und der künstlerischen Schärfe nach der verpatzten Revolution von 1918 war vorbei. Auf den Berliner Bühnen schwang man Bein. Es war die Zeit der Revuen eines Rudolf Nelson oder Friedrich Hollaender, aufgeführt in großen Theatern und vor Publikum in teurer Robe mit dickem Konto auf der Bank. Zwar schrieben noch immer Autoren wie Tucholsky, Kästner oder Mehring für das Kabarett. Man begnügte sich aber mit erotischen Zweideutigkeiten, anstatt der Zeit zornig den Spiegel vorzuhalten. Am anderen Ende der politischen Skala standen kommunistische Agitationskabaretts - wie etwa der berühmte "Rote Wedding" - die vom Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (dem unter anderem Erich Weinert und Johannes R. Becher angehörten) mit Texten versorgt wurden: treu auf Linie und umweht von Thälmann- oder Stalinbannern. "Haltet die Fäuste bereit". Keine guten Zeiten fürs Kabarett...
 
Die "Katakombe"
 
Und plötzlich die "Katakombe": ein verrauchter Keller, mit Stühlen, Tischen, Ausschank, umrahmt von zünftigen Elch- und Hirschgemälden; eine improvisierte Bretterbühne mit einem abgenutzten Vorhang, und ein Programm, das vor Abwechslung - in der "Katakombe" traten zeitweise über dreißig verschiedene KünstlerInnen auf, vom Karikaturisten über die Tänzerin bis zum Nummernkabarett - und Spielwitz zu platzen schien. Star des ganzen war der Conférencier Werner Finck, der sich hinreißend in seinen Halbsätzen - und dem Vorhang - verheddern konnte, wenn er nicht gerade eigene Gedichte vortrug.
 
Links, gar linksradikal war Werner Finck gewiss nicht. Er sei, hat er einmal gesagt, eigentlich nur politisch nach links gerückt, weil er gehört habe, im Kabarett sei man "halt eben" links. Aggressive Schmähverse wie sie etwa ein Kurt Tucholsky der aufziehenden braunen Barbarei entgegenschleuderte, waren seine Sache nicht.
 
Regelmäßig Besuch von der Gestapo

Spätestens nach dem 30. Januar 1933 durfte die "Katakombe", mittlerweile unter der Direktion Fincks, sich über Zuwachs an Publikum freuen: Die geheime Staatspolizei war regelmäßig zahlender Gast. "Für die 'Katakombe' war die Zeit der raffinierten Andeutung gekommen. Man brauchte nur mit einem kleinen Hämmerchen an ein kleines Glöckchen zu schlagen, schon übertrug sich das wie das Läuten einer Sturmglocke [...]. Die Angst im Publikum, die sich immer wieder im Lachen befreite, trug die Stimmung des Abends - und mir eine Verwarnung nach der anderen ein. Die Spitzel wußten immer genau, was sie mitzuschreiben hatten". Werner Finck machte es ihnen aber auch - zumindest in dieser Hinsicht - auf halsbrecherische Weise einfach: "Wissen Sie, ich gehöre so zu den Menschen, die lieber einen guten Freund verlieren als einen guten Witz unterdrücken [...] Wenn ich so die Gestapo sitzen sah, die schrieben dann mit in ihrem Stenogrammheftchen, und da konnte ich mir natürlich die Bemerkung nicht verbeißen und sage: 'Na, so geheim scheinen Sie ja nun och nich' zu sein von der Staatspolizei. Also, ich sehe ziemlich deutlich was sie da machen'". Ein anderes Mal fragte Finck den anwesenden Spitzel leutselig: "Spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder...muß ich mitkommen?"
 
“Kultur-Bolschewist“
 
Wie die Berichte aussahen, die die Gestapo Vorstellung für Vorstellung anfertigen ließ, mag exemplarisch verdeutlicht werden an einem Protokoll "B.- Nr.41551/35 II 2 C 8057/ 35, 16. April 1935": "Das Publikum in der 'Katakombe' setzt sich in der überwiegenden Mehrzahl aus Juden zusammen, die den Gemeinheiten und der bissigen, zersetzenden Kritik des Conférenciers Werner Fink [sic!] fanatisch Beifall zollen. Fink [!] ist der typische frühere Kultur-Bolschewist, der offenbar die neue Zeit nicht verstanden hat oder jedenfalls nicht verstehen will und der in der Art der früheren jüdischen Literaten versucht, die Ideen des Nationalsozialismus und alles das, was einem Nationalsozialisten heilig ist, in den Schmutz zu ziehen". Am 18. Mai 1935 war es schließlich soweit: Werner Finck und fünf weitere Mitglieder der "Katakombe" wurden verhaftet und "für die Dauer von 6 Wochen in ein Lager mit körperlicher Arbeit" überführt. Die letzten noch verbliebenen Kabaretts, "Katakombe" und "Tingeltangel", waren nicht mehr!
 
Mit Ossietzky im Moorlager

Die Berliner Kabarettisten kamen nach Esterwegen ins berüchtigte Moorlager, in dem auch der bereits schwer tuberkulosekranke Journalist Carl von Ossietzky einsaß. Sie waren sich in Freiheit nie grün gewesen - Finck und Ossietzky, der konservative Spötter und der radikaldemokratische Weltbühnen-Chef. Ossietzky, selbst durchaus witzbegabt, begrüßte jetzt (angeblich) seinen neuen Mithäftling mit den Worten: "Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß wir beide mal im selben Lager stehen".
 
Goebbels war entschlossen, den unbotmäßigen Kabarettisten Finck zu beseitigen - und alles, wofür er stand. Denn das Schicksal Werner Fincks wurde längst europaweit beachtet, und seine immer neuen Hakenschläge trieben den mächtigen Minister allmählich in den Wahnsinn. Wie viel Zeit und Energie man in seinem Ministerium darauf verwandte, nur einen Menschen - notfalls mit Gewalt - zum Schweigen zu bringen, erstaunt noch heute. Mochte Werner Finck zwischenzeitlich das Lachen vergangen sein - er lachte doch stets als letzter. Der Sondergerichtsprozeß, ein Jahr nach seiner Haftentlassung aus dem Konzentrationslager angestrengt, endete mit Freispruch. "Bestraft wurden die Richter. Auf Anordnung von Goebbels wurden sie strafversetzt. In die Provinz. Da hatten sie nichts mehr zu lachen". Die Richter waren während des Prozesses auf den unseligen Gedanken gekommen, die inkriminierten Sketsche und Satiren, von der Gestapo eifrig mitgeschrieben, noch einmal vorführen zu lassen - öffentlich im voll besetzten Gerichtssaal! Die Heiterkeit des Publikums soll dementsprechend gewesen sein...
 
Aus der Reichskulturkammer rausgeflogen

Auf eine ironisch verklausulierte Antwort Werner Fincks im Berliner Tageblatt auf die Frage "Haben wir eigentlich Humor?" antwortete der tobende Minister sogar persönlich: "Man komme uns nicht mit dem Einwand, daß wir humorlos wären. Wir waren nicht immer im Besitz des Staates und der öffentlichen Gewalt. Auch wir standen einmal in der Opposition; und es ist der deutschen Öffentlichkeit wohl noch nicht ganz entfallen, daß wir es waren, die einmal einen gewissen Polizeipräsidenten [...] durch Witze politisch getötet haben. Wir könnten also auch so mit unseren Kritikern verfahren, wenn wir wollten. Aber wir wollen nicht. Wir haben keine Lust, und vor allem auch keine Zeit, uns mit armseligen Literaten polemisch auseinanderzusetzen. Wir haben augenblicklich besseres zu tun. Die politische Witzemacherei ist ein liberales Überbleibsel. [...] Wir sind in diesen Dingen zu gescheit und zu erfahren, um sie ruhig weitertreiben zu lassen. Wir wissen, daß jetzt die deutsch-feindlichen Zeitungen in Paris, London und New York für unsere armen Conférenciers eintreten werden [...] Uns berührt das innerlich gar nicht mehr". Finck flog endgültig aus der sogenannten Reichskulturkammer heraus. Damit waren ihm öffentliche Auftritte verboten. Es versteht sich von selbst, daß das Berliner Tageblatt wenige Tage nach Goebbels Replik sein Erscheinen einstellen mußte...
 
Flucht ins graue Tuch
 
Werner Finck brachte sich in Sicherheit - an die Front: "Flucht ins graue Tuch". Für Wehrmachtssoldaten spielte er in sogenannten "Front-Kabaretts"; Witzreißerschuppen zur Erhaltung der Wehrkraft. Aber selbst hierhin verfolgte ihn der Hass des Propagandaministers. "Trotz meiner wiederholten Erlasse vom 8. Dezember 1937, 6. Mai 1939 und 11. Dezember 1940 [...] treiben sogenannte Conférenciers, Ansager und Kabarettisten, wie aus der Menge von Beschwerden aus dem Lande, vor allem aber von der Front berichtet wird, weiterhin ihr Unwesen. Sie gefallen sich in einer leichten und billigen Anpöbelung von Zuständen im öffentlichen Leben, die durch die Not des Krieges bedingt sind. In sogenannten politischen Witzen üben sie versteckte Kritik an der Politik, Wirtschafts- und Kulturführung des Reiches [...]. In Anbetracht dessen, da meine wiederholten, mit allem Ernst eingeschärften Mahnungen offenbar nichts gefruchtet haben [...], sehe ich mich nunmehr auf Befehl des Führers zu einschneidenden Maßnahmen gezwungen. [...] Jede sogenannte Conférence oder Ansage wird ab sofort für die ganze Öffentlichkeit grundsätzlich verboten". Man sollte zum besseren Verständnis dieses Erlasses erwähnen, daß eine der erfolgreichsten Nummern der "Front-Kabaretts", die regelmäßig - nicht nur bei Werner Finck - wahre Lachstürme unter den Soldaten auslöste, die Parodie der Sprechweise und Gangart eben dieses Dr. Joseph Goebbels war...
 
Kölner "Mittwochsgespräche"
 
Finck überstand auch dies. Nach dem Krieg und amerikanischer Gefangenschaft lebte er zunächst in München, gründete dann die Kabaretts "Nebelhorn" in Zürich und "Mausefalle" in Stuttgart, wo er erstmals seine Erinnerungen in ein Programm fasste ("Kritik der reinen Unvernunft"). 1950 gründete er die Partei "Radikale Mitte", die mit Parolen wie „Gegen Kompromisslosigkeit“, „Für Aufrüstung der Toleranz“, einer Sicherheitsnadel als Parteiabzeichen und einem weißen Tischtuch als Fahne gegen den „Ernst der Zeit“ (Adenauer) der deutschen Nachkriegspolitik antrat. 1964 folgte sein Programm "Bewältigte Befangenheit" in der Münchner "Lach- und Schießgesellschaft". Doch seine Versuche, ein festes Haus zu bespielen, blieben relativ erfolglos. Die Zeit war über den Eulenspiegel des "Dritten Reiches" hinweggegangen, auch wenn er immer ein gerngesehener und geistreicher Gast bei allerlei Veranstaltung blieb (so etwa bei den berühmten Kölner "Mittwochsgesprächen", die der agile Bahnhofsbuchhändler Emil Ludwig in den ersten Nachkriegsjahren im Kölner Bahnhof organisierte). Seine autobiographischen Programme füllten in ganz Deutschland die Säle, und bis in die sechziger Jahre hinein blieb er kabarettistisch aktiv. Zum Relikt, gehüllt in Weihrauchwolken, hat er nie getaugt. Werner Finck starb am 31. Juli 1971 in München. (PK)


 
Dieser gekürzte und etwas ergänzte Text erschien in der Zeitschrift "Graswurzelrevolution" 267, März 2002, www.graswurzel.net/
 
Der Film mit Werner Finck, den Sie in dieser Ausgabe finden, wurde 1992 von KAOS Film-und Video-Team Köln für die 15-teilige Sendereihe „Kabarett bei KANAL 4 – 90 Jahre Satire gegen den Zeitgeist“ produziert. Autoren: Reinhard Hippen, Peter Kleinert und Marianne Tralau. Mehr dazu in der Rubrik "Kabarett“ unter www.kaos-archiv.de.
 

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Online-Flyer Nr. 223  vom 18. April 2024



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