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Inland
Nicht erst seit dem Kundus-Massaker wird gegen das Grundgesetz verstoßen
Die Pharisäer und ihr Fichtenwald
Von Wolfgang Effenberger
Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen Routine werden – Jung-Nachfolger zu Guttenberg in Afghanistan | Quelle: www.superwahljahr.net
Nur so ist auch die Forderung des Außenministers zu verstehen, dass Afghanistan und das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet „nicht erneut zum Rückzugsgebiet für Terroristen werden“ darf. Das heißt im Klartext: weitere Ausdehnung des leidvollen Bürgerkrieges in die pakistanische Grenzregion. Dort haben bereits über zwei Millionen Menschen ihre Heimat verloren. Von dem ursprünglichen zeitlich begrenzten "Stabilisierungseinsatz" eskalierte das deutsche Engagement hin zu einem "Kampfeinsatz." Das Wort Krieg ist dabei aus dem Sprachschatz fast aller Volksvertreter verbannt. Selbst der eloquente Verteidigungsminister zu Guttenberg spricht auch nur von "kriegsähnlichen" Vorgängen. Denn wie können sonst Antworten auf verfassungsrechtliche, versicherungs- und "verkaufstechnische" Fragen gefunden werden. Mit der Forderung „Die Wahrheit auf den Tisch!" unterbrachen Renate Künast und Hans-Christian Ströbele (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Rede von Franz Josef Jung. Schließlich durfte Ströbele mit Blick auf den Ex-Verteidigungsminister seine Frage stellen: „Halten Sie es im Deutschen Bundestag nicht mehr für richtig, dass ein Minister, dessen Ministerium hinsichtlich der Kommunikationspolitik ganz offensichtlich völlig versagt hat und den Eindruck eines Tollhauses macht, ... die Verantwortung für den Zustand seines Ministeriums übernimmt und die Konsequenzen daraus zieht?“
Sicherheit stiftender Kampfeinsatz?
Im weiteren Verlauf forderten Linke und Grüne den Rücktritt des auf Roland Kochs Wunsch in der Regierung gebliebenen Arbeitsministers. Während Gregor Gysi von den Linken von einer „unerträglichen" Informationspolitik des damaligen Verteidigungsministers sprach, erklärte Jürgen Trittin, Jung habe „das Parlament hinter die Fichte geführt"(2). In der Tat waren die Äußerungen Jungs nach dem Bombenangriff auf die Tanklastwagen Anfang September 2009 wenn nicht verlogen, zumindest reichlich naiv. Oder er hatte Parlament und WählerInnen belogen. Der schreckliche Tod von 168 Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern - wie der Rechtsanwalt von deren Hinterbliebenen jetzt bekannt gab - wurde nicht durch einen so genannten "Sicherheit stiftenden Kampfeinsatz" verursacht. Im Krieg muss aber mit derartigen Fehlern gerechnet werden. Nachdem am 3. September 2009 gegen 21 Uhr die Meldung über die Kaperung der Tanklastzüge eingetroffen war, verstrichen viereinhalb Stunden. In den ganzen Entscheidungsprozeß war die ISAF-Führung mit ihrer Operationszentrale für die Luftunterstützung eingebunden. Über die Entwicklung wurde ebenso das deutsche Lagezentrum in Potsdam informiert. Um 1 Uhr 39 forderte Oberst Klein die Luftunterstützung an. Auch die Piloten hätten die neuen, Zivilisten schonenden Regeln kennen und umsetzen oder zumindest ihre Bedenken ihrer Luftführungszentrale melden müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Keine zehn Minuten später war das Inferno nicht mehr rückgängig zu machen. Hier wurde auf allen Ebenen versagt! Deshalb tragen die Vorgesetzten von Oberst Klein bis hinauf zum Befehlshaber von ISAF, US-General McChrystal, Mitverantwortung, ebenso wie die gesamte Bundesregierung und auch alle die Bundestagsabgeordneten, die der Entsendung von Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen in dem umstrittenen völkerrechts- und verfassungswidrigen Angriffskrieg gegen das afghanische Volk zugestimmt hatten. In einem asymmetrischen Krieg kann nicht mehr zwischen Kombattanten und Zivilisten unterschieden werden. Unbeteiligte Zivilisten aber sind in der Regel unter den Opfern. Im Februar 2009 veröffentlichte die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (Unama) in Kabul eine Statistik, wonach die Zahl der zivilen Opfer 2008 - verglichen mit dem Vorjahr - um fast 40 Prozent auf 2118 gestiegen sei.(3)
„Nie wieder Auschwitz!“ – Joseph Fischer
NRhZ-Archiv
Das wahre Elend der Menschen in Afghanistan aber scheint unsere Politiker nur am Rande zu interessieren. Die zehnte Bundestagsdiskussion seit 2001 zur Verlängerung des ISAF-Mandates für Afghanistan verkam deshalb auch zur Polit-Posse. Man muss Ströbele widersprechen. Nicht nur das Verteidigungsministerium ist zum Tollhaus verkommen. Spätestens seit Februar 1999 wird die Bevölkerung nach Strich und Faden belogen, wobei die dreisteste Lüge nach 1945 am Anfang dieser Entwicklung stand: Wahrheitswidrig hatte Außenminister und Vizekanzler Joseph Fischer behauptet, der serbische Regierungschef Milosevic würde sich weigern, das Abkommen von Rambouillet zu unterzeichnen. Die Weigerung bezog sich aber nur auf dessen geheimen und nachträglich beigefügten Anhang B: „Das NATO-Personal soll sich mitsamt seiner Fahrzeuge, Flugzeuge und Ausrüstung innerhalb der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien inklusive ihres Luftraums und ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen können.”(4)
Diesen Zusammenhang hielt Fischer vor Kanzler, Kabinett und Parlament zurück. Ministerkollege Lafontaine erfuhr davon erst später aus der Presse(5) ebenso wie die damalige verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, die dann äußerte: „Hätte ich das gewusst, hätte ich dem Kriegseinsatz nicht zugestimmt.“(6) Von den noch aktiven grünen Mandatsträgern wie Künast, Ströbele und Trittin sind derartige Äußerungen nicht bekannt. Damals hatte Fischer nicht nur seine Parteifreunde hinter die "Fichte", sondern die ganze Republik in den Fichtenwald geführt.
Grüne Positionen der Machtpolitik geopfert
Auch in modernen Zeiten sind die Vorbereitungen für Kriege mindestens sechs Monate vor einem Angriffsbeginn abgeschlossen. „Nur 15 Minuten blieben uns“, erinnert sich Fischer an den Anruf von US-Außenministerin Albright am 12. Oktober 1998, „um über die Frage von Krieg und Frieden zu entscheiden“.(7) Der einstige Pazifist Fischer hatte die grünen Positionen rechtzeitig der Machtpolitik geopfert und die Bombe lieben gelernt.(8) Und am 24. März 1999 teilte sein sozialdemokratischer Kanzler Schröder mit pathetischer Stimme über Fernsehen und Hörfunk den „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern« mit, dass „die NATO mit Luftschlägen gegen Ziele in Jugoslawien begonnen“ habe. Aber natürlich auch: „Wir führen keinen Krieg“.(9) In der folgenden Regierungserklärung erklärte der Kanzler den von unseren Vätern und Müttern übernommenen Auftrag: „Wir haben heute die Möglichkeit, ausgehend von 50 Jahren Frieden in Europa unsere Völker und Staaten in freundschaftlicher Nachbarschaft immer enger zu verzahnen.“(10) Und sein Außenminister Fischer wusste es noch besser: „Wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand, verteidigen Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Warum nur fällt mir dazu die spanische Widerstandskämpferin Dolores Ibárruri, genannt “La Pasionaria“ ein? „No pasarán!“ hieß damals die Kampfparole der Republikaner gegen das faschistische Franco-Regime: „Sie werden nicht durchkommen!“(11)
Enttäuscht und betroffen zitiert Oscar Lafontaine in seinem Buch "Das Herz schlägt links" die unerträglichen Assoziationen seiner damaligen Ministerkollegen Fischer und Scharping: Während Scharping noch von dem „Blick in die Fratze der deutschen Vergangenheit, von Völkermord, Selektierung, Konzentrationslagern“(12) gesprochen habe, verstieg sich Fischer zu „Ich habe nicht nur gelernt, nie wieder Krieg, sondern auch, nie wieder Auschwitz. Die Bomben sind nötig, um die Serbische SS zu stoppen“. (13)
„Frieden schaffen - mit aller Gewalt“
„Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge“ überschrieben einige Überlebende von Auschwitz, wie Walter Bloch, Peter Gingold(14), Kurt Goldstein und andere, damals einen offenen Brief an Fischer und Scharping, die in der Aussage des in Erklärungsnot geratenen Außenministers den Versuch sahen, den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren vom faschistischem Krieg und Holocaust geschaffene UNO-Charta zu begründen. Einer der wenigen Journalisten, die nicht von dieser Emotionalisierungswelle weggespült wurden, war Heribert Prantl. Er schrieb über die eigenartigen psychischen Verwerfungen bei den Alt-68ern der rot-grünen Angriffskoalition: „Und sie reden nun, als Bellizisten, mit derselben Häme von den Friedfertigen und Tagträumern, mit der sie früher über Spießer und Amerikaner geredet haben. Es fällt die Inbrunst auf, mit der sie das Gegenteil von dem predigen, was sie gestern gefordert haben - aber auch das wieder im Namen der Humanität: Aus Frieden schaffen ohne Waffen wird Frieden schaffen - mit aller Gewalt.“(15) Dieser Text - am 26. März 1999 veröffentlicht - hat an Aktualität nichts eingebüßt.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Nun kann der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Spitzenposten der Armee mit einem Mann seiner Wahl zu besetzen, um Bundeswehr und Regierung auf eine drastische Ausweitung des Afghanistankrieges vorzubereiten. Das hatte er nur fünf Tage zuvor bei seinem Antrittsbesuch in Washington angedeutet. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen Routine werden: „Was heute eine Ausnahmesituation ist, muss zur Selbstverständlichkeit werden"(16), sagte zu Guttenberg in Washington. Zur Begründung führte er die seit der Wiedervereinigung gewachsene Bedeutung Deutschlands in einer global vernetzten Welt an.
Bei derart forschem Auftreten bleibt natürlich kein Raum, um die damaligen "Kriegs"-Voraussetzungen im Parlament verantwortungsvoll zu überprüfen. Zur Erinnerung: Keiner der 19 mutmaßlichen 9/11-Terroristen kam aus Afghanistan. Eine indirekte Verwicklung Afghanistans in die Terroranschläge kann bis heute nicht nachgewiesen werden. Unstrittig ist, dass der mutmaßliche Drahtzieher, der Saudi-Araber Osama bin Laden, bei den Taliban Asyl gefunden hat. Kurzerhand verlangten die USA ultimativ seine Auslieferung. Das Angebot der Taliban, ihn nach islamischem Gastrecht an ein befreundetes islamisches Land auszuliefern, wurde als unzureichend zurückgewiesen. Am 7. Oktober 2001 - knapp vier Wochen nach dem Terroranschlag - nahmen die USA die Kampfhandlungen gegen Afghanistan auf. Dass ein derartiger Krieg nicht in vier Wochen vorbereitet werden kann ist, weiß jeder, der mal bei der Bundeswehr gewesen ist. Er war längst vorbereitet, und 9/11 lieferte den Vorwand dafür.
Kriegsverbrecher Raschid Dostum – zunächst Partner von G.W. Bush und nun von Hamid Karzai | Quelle: www.naikbeen.8m.com
Im Kampf gegen den Terrorismus hatte die Bush-Administration keine Berührungsängste beim Schmieden von Allianzen mit Regierungen und Herrschern, die die Menschenrechte nicht gerade hoch achteten.(17) Bevor sich am 7. Oktober 2001 in Afghanistan amerikanische und britische Bomber ihre Ziele suchten, war man mit dem despotischen afghanischen Nordallianz-General Raschid Dostum ein Waffenbündnis eingegangen. Die Ereignisse nach dem Fall von Kundus, der letzten Hochburg der Taliban in Nordafghanistan, dokumentierte am 21. November 2001 der irische Journalist und Dokumentarfilmer Jamie Doran. 3.000 der insgesamt 8.000 Gefangenen wurden zu einer Gefängnisanstalt in der Stadt Shibarghan gebracht. Ortsansässige afghanische LKW-Fahrer wurden zwangsverpflichtet, in unbelüfteten Containern jeweils 200 bis 300 Gefangene zu transportieren. Die Container wurden in die Wüste gebracht, wo die noch lebenden Opfer unter Anwesendheit amerikanischer Soldaten liquidiert wurden.(18) Die Verantwortlichen sind bis heute unbehelligt. Unser Parlament hätte es sich zur Aufgabe machen müssen, eine Aufklärung dieses abscheulichen Verbrechens im deutschen Einsatzraum und entsprechende Konsequenzen zu fordern. Für eine verantwortungsvolle Bundesregierung müsste das selbstverständlich sein. (PK)
Anmerkungen:
(1) Vorläufiges Protokoll der 7. Sitzung vom 26. November 2009 nach §117 GOBT autorisierten Fassung vor der endgültigen Drucklegung – Drucksache 17/39 unter http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/vorlaeufig/17007.html
(2) Gack, Uli: „Krieg der Worte“: Hinter die Fichte geführt, vom 26.11.2009
www.heute.de
(3) Metz, Johanna: Regierung: Keine Zahlen über zivile Opfer in Afghanistan, aus Das Parlament Nr. 28 / 6.7.2009
(4) Art. 8) des Annex B: Interim Agreement for Peace and Self-Government In Kosovo. Rambouillet, France - February 23, 1999, Appendix B: Status of Multi-National Military Implementation Force unter jurist.law.pitt.edu vom 21.Juli 2008
(5) Lafontaine, Oskar: Das Herz schlägt links. München 1999, S. 242 und 243
(6) Ebenda, S. 243
(7) Hofmann, Gunter: Wie Deutschland in den Krieg geriet. In: Die Zeit Nr. 20 vom 12. Mai 1999
(8) Vgl. Bittermann, Klaus/Deichmann, Thomas (Hrsg.): Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben, Berlin 1999
(9) Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März 1999 in seiner Fernseherklärung, KONKRET 5/00
(10) Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 26.3. 1999
(11) Außenminister Joseph Fischer im Gespräch mit dem "Spiegel", 19. April 1999
(12) Lafontaine, Oskar: Das Herz schlägt links. München 1999 Lafontaine, Oscar" , S. 248
(13) Ebenda, S. 248
(14) Peter Gingold et al: Offener Brief an Bundesaußenminister Fischer und Bundesverteidigungsminister Scharping.
(15) Heribert Prantl am 26. März 1999 in der Süddeutschen Zeitung
(16) Unter www.welt.de vom 21. November 2009
(17) Bensedrine, Sihem: Terror nicht mit Despoten bekämpfen. In: SZ vom 3. Februar 2004 S. 2
(18) Steinberg, Stefan: Ein Dokumentarfilm bezichtigt die USA des Massenmords an Kriegsgefangenen in Afghanistan. Auf der World Socialist Web Site vom 18. Juni 2002 unter www.wsws.org/de/2002/jun2002/masa-j18.shtml
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, wurde mit 18 Jahren Zeitsoldat, studierte Bauingenieurwesen und erhielt als junger Pionieroffizier Einblick in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr studierte er in München Politikwissenschaft und Höheres Lehramt. Er ist Autor der Bücher “Pax Americana“ und “Pfeiler der US-Macht“ und lebt als freier Autor in München.
Online-Flyer Nr. 226 vom 02.12.2009
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Nicht erst seit dem Kundus-Massaker wird gegen das Grundgesetz verstoßen
Die Pharisäer und ihr Fichtenwald
Von Wolfgang Effenberger
Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen Routine werden – Jung-Nachfolger zu Guttenberg in Afghanistan | Quelle: www.superwahljahr.net
Nur so ist auch die Forderung des Außenministers zu verstehen, dass Afghanistan und das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet „nicht erneut zum Rückzugsgebiet für Terroristen werden“ darf. Das heißt im Klartext: weitere Ausdehnung des leidvollen Bürgerkrieges in die pakistanische Grenzregion. Dort haben bereits über zwei Millionen Menschen ihre Heimat verloren. Von dem ursprünglichen zeitlich begrenzten "Stabilisierungseinsatz" eskalierte das deutsche Engagement hin zu einem "Kampfeinsatz." Das Wort Krieg ist dabei aus dem Sprachschatz fast aller Volksvertreter verbannt. Selbst der eloquente Verteidigungsminister zu Guttenberg spricht auch nur von "kriegsähnlichen" Vorgängen. Denn wie können sonst Antworten auf verfassungsrechtliche, versicherungs- und "verkaufstechnische" Fragen gefunden werden. Mit der Forderung „Die Wahrheit auf den Tisch!" unterbrachen Renate Künast und Hans-Christian Ströbele (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Rede von Franz Josef Jung. Schließlich durfte Ströbele mit Blick auf den Ex-Verteidigungsminister seine Frage stellen: „Halten Sie es im Deutschen Bundestag nicht mehr für richtig, dass ein Minister, dessen Ministerium hinsichtlich der Kommunikationspolitik ganz offensichtlich völlig versagt hat und den Eindruck eines Tollhauses macht, ... die Verantwortung für den Zustand seines Ministeriums übernimmt und die Konsequenzen daraus zieht?“
Sicherheit stiftender Kampfeinsatz?
Im weiteren Verlauf forderten Linke und Grüne den Rücktritt des auf Roland Kochs Wunsch in der Regierung gebliebenen Arbeitsministers. Während Gregor Gysi von den Linken von einer „unerträglichen" Informationspolitik des damaligen Verteidigungsministers sprach, erklärte Jürgen Trittin, Jung habe „das Parlament hinter die Fichte geführt"(2). In der Tat waren die Äußerungen Jungs nach dem Bombenangriff auf die Tanklastwagen Anfang September 2009 wenn nicht verlogen, zumindest reichlich naiv. Oder er hatte Parlament und WählerInnen belogen. Der schreckliche Tod von 168 Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern - wie der Rechtsanwalt von deren Hinterbliebenen jetzt bekannt gab - wurde nicht durch einen so genannten "Sicherheit stiftenden Kampfeinsatz" verursacht. Im Krieg muss aber mit derartigen Fehlern gerechnet werden. Nachdem am 3. September 2009 gegen 21 Uhr die Meldung über die Kaperung der Tanklastzüge eingetroffen war, verstrichen viereinhalb Stunden. In den ganzen Entscheidungsprozeß war die ISAF-Führung mit ihrer Operationszentrale für die Luftunterstützung eingebunden. Über die Entwicklung wurde ebenso das deutsche Lagezentrum in Potsdam informiert. Um 1 Uhr 39 forderte Oberst Klein die Luftunterstützung an. Auch die Piloten hätten die neuen, Zivilisten schonenden Regeln kennen und umsetzen oder zumindest ihre Bedenken ihrer Luftführungszentrale melden müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Keine zehn Minuten später war das Inferno nicht mehr rückgängig zu machen. Hier wurde auf allen Ebenen versagt! Deshalb tragen die Vorgesetzten von Oberst Klein bis hinauf zum Befehlshaber von ISAF, US-General McChrystal, Mitverantwortung, ebenso wie die gesamte Bundesregierung und auch alle die Bundestagsabgeordneten, die der Entsendung von Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen in dem umstrittenen völkerrechts- und verfassungswidrigen Angriffskrieg gegen das afghanische Volk zugestimmt hatten. In einem asymmetrischen Krieg kann nicht mehr zwischen Kombattanten und Zivilisten unterschieden werden. Unbeteiligte Zivilisten aber sind in der Regel unter den Opfern. Im Februar 2009 veröffentlichte die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (Unama) in Kabul eine Statistik, wonach die Zahl der zivilen Opfer 2008 - verglichen mit dem Vorjahr - um fast 40 Prozent auf 2118 gestiegen sei.(3)
„Nie wieder Auschwitz!“ – Joseph Fischer
NRhZ-Archiv
Diesen Zusammenhang hielt Fischer vor Kanzler, Kabinett und Parlament zurück. Ministerkollege Lafontaine erfuhr davon erst später aus der Presse(5) ebenso wie die damalige verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, die dann äußerte: „Hätte ich das gewusst, hätte ich dem Kriegseinsatz nicht zugestimmt.“(6) Von den noch aktiven grünen Mandatsträgern wie Künast, Ströbele und Trittin sind derartige Äußerungen nicht bekannt. Damals hatte Fischer nicht nur seine Parteifreunde hinter die "Fichte", sondern die ganze Republik in den Fichtenwald geführt.
Grüne Positionen der Machtpolitik geopfert
Auch in modernen Zeiten sind die Vorbereitungen für Kriege mindestens sechs Monate vor einem Angriffsbeginn abgeschlossen. „Nur 15 Minuten blieben uns“, erinnert sich Fischer an den Anruf von US-Außenministerin Albright am 12. Oktober 1998, „um über die Frage von Krieg und Frieden zu entscheiden“.(7) Der einstige Pazifist Fischer hatte die grünen Positionen rechtzeitig der Machtpolitik geopfert und die Bombe lieben gelernt.(8) Und am 24. März 1999 teilte sein sozialdemokratischer Kanzler Schröder mit pathetischer Stimme über Fernsehen und Hörfunk den „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern« mit, dass „die NATO mit Luftschlägen gegen Ziele in Jugoslawien begonnen“ habe. Aber natürlich auch: „Wir führen keinen Krieg“.(9) In der folgenden Regierungserklärung erklärte der Kanzler den von unseren Vätern und Müttern übernommenen Auftrag: „Wir haben heute die Möglichkeit, ausgehend von 50 Jahren Frieden in Europa unsere Völker und Staaten in freundschaftlicher Nachbarschaft immer enger zu verzahnen.“(10) Und sein Außenminister Fischer wusste es noch besser: „Wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand, verteidigen Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Warum nur fällt mir dazu die spanische Widerstandskämpferin Dolores Ibárruri, genannt “La Pasionaria“ ein? „No pasarán!“ hieß damals die Kampfparole der Republikaner gegen das faschistische Franco-Regime: „Sie werden nicht durchkommen!“(11)
Enttäuscht und betroffen zitiert Oscar Lafontaine in seinem Buch "Das Herz schlägt links" die unerträglichen Assoziationen seiner damaligen Ministerkollegen Fischer und Scharping: Während Scharping noch von dem „Blick in die Fratze der deutschen Vergangenheit, von Völkermord, Selektierung, Konzentrationslagern“(12) gesprochen habe, verstieg sich Fischer zu „Ich habe nicht nur gelernt, nie wieder Krieg, sondern auch, nie wieder Auschwitz. Die Bomben sind nötig, um die Serbische SS zu stoppen“. (13)
„Frieden schaffen - mit aller Gewalt“
„Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge“ überschrieben einige Überlebende von Auschwitz, wie Walter Bloch, Peter Gingold(14), Kurt Goldstein und andere, damals einen offenen Brief an Fischer und Scharping, die in der Aussage des in Erklärungsnot geratenen Außenministers den Versuch sahen, den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren vom faschistischem Krieg und Holocaust geschaffene UNO-Charta zu begründen. Einer der wenigen Journalisten, die nicht von dieser Emotionalisierungswelle weggespült wurden, war Heribert Prantl. Er schrieb über die eigenartigen psychischen Verwerfungen bei den Alt-68ern der rot-grünen Angriffskoalition: „Und sie reden nun, als Bellizisten, mit derselben Häme von den Friedfertigen und Tagträumern, mit der sie früher über Spießer und Amerikaner geredet haben. Es fällt die Inbrunst auf, mit der sie das Gegenteil von dem predigen, was sie gestern gefordert haben - aber auch das wieder im Namen der Humanität: Aus Frieden schaffen ohne Waffen wird Frieden schaffen - mit aller Gewalt.“(15) Dieser Text - am 26. März 1999 veröffentlicht - hat an Aktualität nichts eingebüßt.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Nun kann der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Spitzenposten der Armee mit einem Mann seiner Wahl zu besetzen, um Bundeswehr und Regierung auf eine drastische Ausweitung des Afghanistankrieges vorzubereiten. Das hatte er nur fünf Tage zuvor bei seinem Antrittsbesuch in Washington angedeutet. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen Routine werden: „Was heute eine Ausnahmesituation ist, muss zur Selbstverständlichkeit werden"(16), sagte zu Guttenberg in Washington. Zur Begründung führte er die seit der Wiedervereinigung gewachsene Bedeutung Deutschlands in einer global vernetzten Welt an.
Bei derart forschem Auftreten bleibt natürlich kein Raum, um die damaligen "Kriegs"-Voraussetzungen im Parlament verantwortungsvoll zu überprüfen. Zur Erinnerung: Keiner der 19 mutmaßlichen 9/11-Terroristen kam aus Afghanistan. Eine indirekte Verwicklung Afghanistans in die Terroranschläge kann bis heute nicht nachgewiesen werden. Unstrittig ist, dass der mutmaßliche Drahtzieher, der Saudi-Araber Osama bin Laden, bei den Taliban Asyl gefunden hat. Kurzerhand verlangten die USA ultimativ seine Auslieferung. Das Angebot der Taliban, ihn nach islamischem Gastrecht an ein befreundetes islamisches Land auszuliefern, wurde als unzureichend zurückgewiesen. Am 7. Oktober 2001 - knapp vier Wochen nach dem Terroranschlag - nahmen die USA die Kampfhandlungen gegen Afghanistan auf. Dass ein derartiger Krieg nicht in vier Wochen vorbereitet werden kann ist, weiß jeder, der mal bei der Bundeswehr gewesen ist. Er war längst vorbereitet, und 9/11 lieferte den Vorwand dafür.
Kriegsverbrecher Raschid Dostum – zunächst Partner von G.W. Bush und nun von Hamid Karzai | Quelle: www.naikbeen.8m.com
Im Kampf gegen den Terrorismus hatte die Bush-Administration keine Berührungsängste beim Schmieden von Allianzen mit Regierungen und Herrschern, die die Menschenrechte nicht gerade hoch achteten.(17) Bevor sich am 7. Oktober 2001 in Afghanistan amerikanische und britische Bomber ihre Ziele suchten, war man mit dem despotischen afghanischen Nordallianz-General Raschid Dostum ein Waffenbündnis eingegangen. Die Ereignisse nach dem Fall von Kundus, der letzten Hochburg der Taliban in Nordafghanistan, dokumentierte am 21. November 2001 der irische Journalist und Dokumentarfilmer Jamie Doran. 3.000 der insgesamt 8.000 Gefangenen wurden zu einer Gefängnisanstalt in der Stadt Shibarghan gebracht. Ortsansässige afghanische LKW-Fahrer wurden zwangsverpflichtet, in unbelüfteten Containern jeweils 200 bis 300 Gefangene zu transportieren. Die Container wurden in die Wüste gebracht, wo die noch lebenden Opfer unter Anwesendheit amerikanischer Soldaten liquidiert wurden.(18) Die Verantwortlichen sind bis heute unbehelligt. Unser Parlament hätte es sich zur Aufgabe machen müssen, eine Aufklärung dieses abscheulichen Verbrechens im deutschen Einsatzraum und entsprechende Konsequenzen zu fordern. Für eine verantwortungsvolle Bundesregierung müsste das selbstverständlich sein. (PK)
Anmerkungen:
(1) Vorläufiges Protokoll der 7. Sitzung vom 26. November 2009 nach §117 GOBT autorisierten Fassung vor der endgültigen Drucklegung – Drucksache 17/39 unter http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/vorlaeufig/17007.html
(2) Gack, Uli: „Krieg der Worte“: Hinter die Fichte geführt, vom 26.11.2009
www.heute.de
(3) Metz, Johanna: Regierung: Keine Zahlen über zivile Opfer in Afghanistan, aus Das Parlament Nr. 28 / 6.7.2009
(4) Art. 8) des Annex B: Interim Agreement for Peace and Self-Government In Kosovo. Rambouillet, France - February 23, 1999, Appendix B: Status of Multi-National Military Implementation Force unter jurist.law.pitt.edu vom 21.Juli 2008
(5) Lafontaine, Oskar: Das Herz schlägt links. München 1999, S. 242 und 243
(6) Ebenda, S. 243
(7) Hofmann, Gunter: Wie Deutschland in den Krieg geriet. In: Die Zeit Nr. 20 vom 12. Mai 1999
(8) Vgl. Bittermann, Klaus/Deichmann, Thomas (Hrsg.): Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben, Berlin 1999
(9) Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März 1999 in seiner Fernseherklärung, KONKRET 5/00
(10) Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 26.3. 1999
(11) Außenminister Joseph Fischer im Gespräch mit dem "Spiegel", 19. April 1999
(12) Lafontaine, Oskar: Das Herz schlägt links. München 1999 Lafontaine, Oscar" , S. 248
(13) Ebenda, S. 248
(14) Peter Gingold et al: Offener Brief an Bundesaußenminister Fischer und Bundesverteidigungsminister Scharping.
(15) Heribert Prantl am 26. März 1999 in der Süddeutschen Zeitung
(16) Unter www.welt.de vom 21. November 2009
(17) Bensedrine, Sihem: Terror nicht mit Despoten bekämpfen. In: SZ vom 3. Februar 2004 S. 2
(18) Steinberg, Stefan: Ein Dokumentarfilm bezichtigt die USA des Massenmords an Kriegsgefangenen in Afghanistan. Auf der World Socialist Web Site vom 18. Juni 2002 unter www.wsws.org/de/2002/jun2002/masa-j18.shtml
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, wurde mit 18 Jahren Zeitsoldat, studierte Bauingenieurwesen und erhielt als junger Pionieroffizier Einblick in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr studierte er in München Politikwissenschaft und Höheres Lehramt. Er ist Autor der Bücher “Pax Americana“ und “Pfeiler der US-Macht“ und lebt als freier Autor in München.
Online-Flyer Nr. 226 vom 02.12.2009
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