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Lokales
Lösung sozialer Konflikte in der ARGE mit Polizei- und Justizrepression?
Köln kann auch anders
Von Hans-Detlev v. Kirchbach und Hans-Dieter Hey
"Voraus" sind uns dabei bekanntlich die USA. Vom Richter wurden eine 55 Jahre alte Frau und ein 26 Jahre alter Mann zu Geldstrafen in Höhe von 400 und 450 Euro verurteilt, nachdem sie in der ARGE einer Diabetikerin zu ihrem Recht zu helfen versucht hatten. Ein ähnliches Verfahren steht am 4. Dezember in Aachen an. Die NRhZ wird auch darüber berichten.
Worum es ging
Am Dienstag, 9. Juni 2009, hatten sich die beiden KEAs als rechtliche Begleiter nach § 13 SGB X in die Kölner ARGE begeben, um der mittellosen Diabetikerin B. zu helfen, die die ARGE von Leistungsbezug und Krankenversicherung zwar abgemeldet, ihr dies aber nicht mitgeteilt hatte. Bereits am Freitag zuvor war sie abgewiesen worden, und an dem besagten Dienstag sei sie - so die Angeklagte B. nun vor Gericht - "wieder weggeschickt worden, wie ein Hund." Nach dem Misserfolg, der Hilfsbedürftigen zu ihrem Recht zu verhelfen, wurde aus den Reihen der KEAs Verstärkung geholt, um dem Anliegen mehr Druck zu verleihen.
Geballte staatliche Macht gegen die Angeklagte (Mitte) in Stellung gebracht
Nach einem Anruf räumte die Polizei daraufhin den öffentlichen Bereich der ARGE gewaltsam, ohne den vorliegenden Sachverhalt - Nothilfe für die hilfsbedürftige und insulinabhängige Frau oder Wahrnehmung eines zweifelhaften Hausrechts des ARGE-Chefs - ordentlich aufzuklären, wozu sie eigentlich verpflichtet gewesen wäre. Eine Anzeige gegen die Abteilungsleiterin der ARGE wegen unterlassener Hilfeleistung hatte sie natürlich auch nicht angenommen. Zeugen zufolge gab es auch keine Rücksprache der Polizei mit den beiden nun angeklagten rechtlichen Beiständen.
Beim friedlichen Verlassen des öffentlichen Bereichs der ARGE durch die KEAs wurde der Angeklagte K. von einem Polizeibeamten offenbar mehrfach von hinten in die Seite und in den Rücken geboxt. Als er sich in dieser Situation herumdrehte, warfen sich drei Beamte auf ihn. Einer von ihnen - so einige Zeugen - kniete sich auf seinen Kopf, obwohl er bereits fixiert und wehrlos war. Durch körperliches Bedrängen der Polizei stürzte danach die Angeklagte B. über den bereits am Boden fixierten K. Ihr hingegen wurde vorgeworfen, nach einem der Polizisten geschlagen zu haben.
Nun stehen beide vor Gericht, weil sie sich beim Einsatz für die hilfsbedürftige kranke Frau N. "widerrechtlich" in die Räumlichkeiten der ARGE begeben und nach Aufforderung nicht entfernt hätten. Dabei sei einem Polizeibeamten gegenüber Widerstand geleistet worden, indem die Angeklagte B. nach ihm geschlagen habe.
Kaum Interesse an Ausführungen der Angeklagten
Bereits zu Verhandlungsbeginn empört sich die Angeklagte B. über das hinter Hartz IV stehende Repressionssystem und nennt es "ein Ding, hier überhaupt sitzen zu müssen. Andererseits finde ich es gut, dass das mal
Ursachen werden vom Gericht
nicht thematisiert
thematisiert wird, sofern es auch außerhalb dieser Wände dringt, weil das ganz einfach was damit zu tun hat, dass die ARGE Praktiken anwendet wie bei Kriminellen - und die sind einfach illegal... Bei der ARGE hat überhaupt niemand weggeschickt zu werden. Das sind sogar die Gesetze unter Hartz IV, und die werden hier fortlaufend gebrochen... Ich rede hier über meine Lebenssituation und über Tausende anderer Menschen, und das regt mich auf. Und dafür sitze ich jetzt hier vor Gericht, weil ich einer armen Frau geholfen habe. Das geht zu weit."
Staatsanwalt Oehme zeigt null Interesse an den Ausführungen der Angeklagten B. Ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Detlef Hartmann, moniert dieses "ungebührliche Verhalten", denn: "Wir sind in einer solchen Verhandlung darauf angewiesen, dass die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden lässt". Auch die Angeklagte B. wirft dem Staatsanwalt vor, er könne sich doch nicht einfach "zurücklehnen und die Augen schließen... Es ist eine gewisse Respektlosigkeit, wenn ich von den Nöten anderer Menschen erzähle." Elisabeth Sachse, Sprecherin der LINKEN, nennt anschließend "die Haltung des Staatsanwaltes, der Zeugen unbegründet als unglaubwürdig diffamiert und - orientiert an Platon - eine 'objektive Wahrheit' für sich in Anspruch nimmt, menschenverachtend."
Richter Wiegemann
Auch Richter Wiegelmann unterbindet schon mal und behindert wiederholt Fragestellungen der Angeklagten und ihrer Verteidigung. Beispiel: Die Delinquentin B. fragt die ARGE-"Standortleiterin", wie es denn zu erklären sei, dass Frau N. nach offensichtlicher Intervention des obersten ARGE-Chefs Müller-Starmann doch noch die von der Unterfürstin zuvor verweigerte Bargeldleistung zum Zwecke der Insulin-Beschaffung erhalten habe. Kurzum also, auf welcher "Rechtsgrundlage" der Frau N. diese Leistung seitens der Abteilungsleiterin vorher versagt wurde, auf welcher Rechtsgrundlage dann aber eben diese Barzuwendung ihr unter dem Einfluß des obersten ARGE-Geschäftsführers zuerkannt worden sei. Genau diese zentrale und für das ganze willkürliche Verfahrenskonstrukt neuralgische Frage will Richter Wiegelmann nicht hören. Er versteigt sich zu der unverschämten Behauptung, die Angeklagte sei nicht in der Lage, sinnvolle Fragen zu stellen bzw. ihre Fragen sinnvoll zu formulieren. Daher entziehe er der Angeklagten das Fragerecht. Er unterstellt Frau B. mithin eine Art geistiger Umnachtung, mindestens jedoch mangelnde Einsichtsfähigkeit. Unter dieser mag sie freilich leiden, da sie einfach nicht einsieht, dass sie sich vom Vorsitzenden den Inhalt und die Stoßrichtung ihrer Fragestellungen vorschreiben und bestimmte Fragen überhaupt verbieten lassen muss. Genau das aber versucht Richter Wiegelmann.
Formalistische Ignoranz
In Wirklichkeit will er der Angeklagten die angeblich unsinnigen Fragen gerade deshalb verbieten, weil sie im Gegenteil höchst sinnvoll sind. Richter Wiegelmann will nämlich das Verfahren auf die sogenannten Widerstandshandlungen und den angeblichen Hausfriedensbruch in der ARGE beschränken. Der unauflösliche Zusammenhang des Geschehens vom 9. Juni 2009 soll mittels juristischer Amputation willkürlich auf die Aspekte reduziert werden, die, rein isoliert gesehen, die Beschuldigten im gängigen Verständnis des weltfern paragraphenreitenden Strafjuristen nur belasten. Alle Hintergründe, die gerade zur Entlastung führen, sollen dagegen soweit wie möglich ausgeblendet werden, könnten sie am Ende womöglich gar ein berechtigtes Handeln der KEA-AktivistInnen nahelegen. Wenn es denn eine wirklich unparteiische Justiz gäbe. Dem aber ist so eben nicht in der realen Welt, in der Richter Wiegelmann ohne erkennbare Selbstzweifel judiziert. Jede wirklich gründliche Untersuchung, wie rechtmäßig - von ethisch vertretbar ganz zu schweigen - denn das Verhalten der ARGE-Untergewaltigen und der Polizei gewesen sei, passt eigentlich nicht ins Verfahrenskonzept des Vorsitzenden Wiegelmann.
Es geht um Ordnung, nicht um Recht
Dieses ist zentral darauf ausgerichtet, alles abzuwiegeln, was den Untervollstreckern unantastbarer Machteinrichtungen wie ARGE oder Polizei unpässlich kommt. Wie auch immer sie sich über berechtigte Belange der Menschen hinwegsetzen, sind sie doch stellvertretende Verkörperungen der herrschenden Ordnung. Und eben der fühlt sich die Geistes-, Gemüts- und Funktionseinheit von Staatsanwalt und Richter in diesem Verfahren vor allem verpflichtet. Wer also meint, dass sich Staatsanwalt und Richter in diesem Verfahren auch nur einen halben Moment von der Lebensgefährdung einer schwer zuckerkranken Frau durch eine unterlassene Hilfeleistung seitens ARGE und Polizei erheblich beunruhigen ließen, mag sich dabei zwar auf die Schutzgarantien des Grundgesetzes für Leben, Gesundheit und Menschenwürde beziehen, täuscht sich aber gleichwohl gründlich. Nein, Staatsanwalt Oehme hat keinerlei Verfahren gegen die Standortleiterin der ARGE wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet; ja, er findet nicht ein Sterbenswörtchen auch nur verhaltener Kritik an der fast gelungenen fahrlässigen Körperverletzung an der zuckerkranken Frau M. durch das halsstarrige Verweigerungsverhalten der ARGE-Bereichsleiterin. Ein paar hingemurmelte unverbindliche Pflichtphrasen, dass er die "Situation" und das "Schicksal" der Frau M. durchaus "nachempfinden" könne - woher auch immer -, drückt er sich zwar unbehaglich heraus.
Die große Leidenschaft des Anklägers Oehme
Dann aber sprudelt, explodiert es geradezu aus seinem Innersten hervor, und man merkt: Hier spricht, hier ereifert sich, sein zum Zentral-Ich aufgestiegenes staatsautoritäres Über-Ich, wenn er bekennt, was ihn wirklich umtreibt, was ihm wahrhaft am Herzen liegt, was für ihn zum Edelsten und Schönsten auf dieser Welt gehört, was ihn zu Ausbrüchen der Leidenschaft hinreißt, und wo er, der eisenharte Verfechter des Staatsinteresses, doch wiederum ganz zartfühlend wird. Es ist die grüne Uniform, die grüne Uniform der Polizei, die er so liebt, dass er sich selbst fast und die berechtigten Belange von Nichtuniformierten gleich ganz vergisst. Nein, da ist er, so bekennt er in seinem Plädoyer voll Passion, da ist er "ganz sensibel". Wir sind beruhigt, dachten wir doch aufgrund seiner Unsensibilität gegenüber Opfern von ARGE- und Polizei-Gewalt, dass ihm gleich überhaupt jedes Gefühl abgehe. Aber nein, bei "Menschen, die in der grünen Uniform der Polizei auftreten" kennt Herr Oehme kein Pardon, und dafür sei er wohlbekannt, und das wiederum macht ihn schon ein wenig stolz. Die grüne Polizeiuniform, dieses heilige Insignium der Staatsmacht, ist in Oehmes autoritärem Universum fast eine Art "gott"geweihtes Tuch. Es frevelt, wer seine schmuddeligen Untertanenfinger nach diesem sakralen Gewand ausstreckt und gar der uniformierten und somit höheren Gewalt frech "Widerstand" entgegensetzt. Da verschiebt sich auch schon mal die Wahrnehmung. Auf einem Video, das während der Aktion einer Videofilmerin unter Gewaltdrohung von der Polizei abgenommen wurde, erkennt die Verteidigung bestenfalls Reflexe auf das Schubsen und Stoßen durch die Polizei, Herr Oehme aber Exzesse der Gewalt gegen die Träger der grünen Uniform. Da findet Liebhaber Oehme doch mal ein richtiges Wort: "Man sieht, was man sehen will."
Als Strafantrag getarnte eifernde Suada
Staatsanwalt Oehme ist nicht irgendein weisungsgebundener Justizbeamter, sondern ein Überzeugungstäter der Staatsmacht, ein Missionar der bestehenden Ordnung. In seiner Inbrunst verunsichern ihn die wachsend lautstarken Proteste aus dem Publikum während seines Plädoyers keineswegs, er fühlt sich vielmehr fast wie ein Märtyrer, den der unverständige Pöbel "nicht zu Wort kommen lassen" will. Für die ZuhörerInnen, zugegebenermaßen überwiegend SympathisantInnen der beiden Angeklagten, muss die als Strafantrag getarnte stellenweise eifernde Suada des Staatsanwalts allerdings auch kaum erträglich gewesen sein. Denn unter Berufung auf seine "Freiheit der Tatsachenwertung" verdrehte er mindestens nach Empfinden und Erleben der meisten Anwesenden die umstrittenen Ereignisse vom 9. Juni ins glatte Gegenteil.
In der Kölner ARGE: Erwerbslosenfrühstück per Gnade
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
Die zuckerkranke Frau M. erschien in Oehmes Plädoyer letztlich als bedauernswertes Objekt einer hinterhältig eingefädelten "Krawallstrategie". Gehirndurchleuchter Oehme weiß denn auch ganz genau: Den KEA-Beratern, allesamt "Leute(n), die sich als Berater gerieren", also nur zum Schein aufführen, ging es überhaupt zu keinem Zeitpunkt um die insulinbedürftige Frau M. Herr Oehme, der vor Inkriminierung wegen falscher Beschuldigung durch seine Staatsposition so gut wie immunisiert ist, behauptet, Frau M. sei nur eine vorgeschobene Spielfigur gewesen, um "den üblichen Zoff in der ARGE zu inszenieren". Das findet, irgendwie zum Wohlgefallen des polternden Staatsanwalts, den Proteste nur hochschaukeln, ein Großteil des Publikums - so ein aus dem Saal abziehender Zwischenrufer - nur noch "zum Kotzen".
"Sogenannte Berater", "Terz", "Zoff", "Krawall"
Nun sollte man die Donner-Rhetorik des Anklagevertreters nicht mit wirklicher Fähigkeit zu fairer Auseinandersetzung oder gar Courage verwechseln. Herr Oehme ist zwar "Überzeugungstäter", aber ein solcher in komfortabler Staatsanstellung, der zudem nur dann richtig aufspielt, wenn er sicher ist, kein Gegentor zu kassieren. Kennzeichnend dafür ist: Zwar hat Staatsanwalt Oehme nicht gewagt, dem KEA-Berater und -Aktivisten Jochen L. bei dessen Aussage irgendwelche Fragen zu stellen. Vielmehr blieb der Ankläger, seinem sonstigen Naturell zuwider, in L. Anwesenheit ganz still. Der, so Rechtsanwalt Hartmann, "seriöse und kompetente Sozialberater" L. hätte mit seinen In- und Auswendig-Kenntnissen des Sozialrechts den Herrn Staatsanwalt auch mutmaßlich ganz schön abgeseift. Kaum aber hatte L. den Saal verlassen, da fand der schweigsame Oehme seine Stimme wieder und schimpfte dem Abwesenden kriminalisierende Unterstellungen hinterher. In Oehmes Phantasie erscheint L. als ein Generalissimus der Sozialrevolte, der nach Belieben rekrutierbare Aufrührertrupps wie ein Marionettenheer dirigiert. An jenem Tage, so dichtet Romancier Oehme, habe L. vermocht, "die sonstigen Truppenteile von der ARGE Süd herüberzulotsen, um Zoff zu machen", doch habe es "keinerlei Situation gegeben", die "dazu berechtigt hätte".
Denn, so wiederholte Oehme die Behauptungen der ARGE-Unterführerin, erst zum Schluß des Besuches von Frau N. und ihren Beratern sei angeblich die Insulin-Problematik vorgeschoben worden, und unter diesem Vorwand sei die Armee der "sogenannten Berater" mobilisiert worden. Alles, wie gesagt, nur zu Zwecken von "Terz und Zoff". Der Frau N. Sei doch geholfen worden, und zwar durch die liebe ARGE und ohne Einfluß jener Leute, die, wie oft schon gesagt, "sich nur als Berater gerieren".
Wer "geriert" sich hier?
Als "Ermittler" scheint sich hingegen Herr Oehme selbst zu "gerieren". Der Spitzenjurist der Kölner Anklagebehörde wartete beispielsweise mit Teil-Unkenntnis der Institutionen auf, um die es in diesem Verfahren eigentlich ging. Der ARGE-Substitutin sprach er glattweg das umfassende Hausrecht nicht nur über die Räumlichkeiten der ARGE zu, die diese freilich von der Arbeitsagentur nur gemietet hat, sondern auch über das gesamte Gebäude der Arbeitsagentur. In Wirklichkeit dürfte sich das Hausrecht dieser Dame nur auf ihr eigenes Bureau beschränken. Bezüglich ARGE hätte - vielleicht - der herbeigeeilte ARGE-Chef Müller-Starmann ein Verfügungsrecht im Sinne von Hausverbot gehabt, aber von diesem war ein solches nicht zu hören. Auch Jochen L., der mit dem ARGE-Chef abseits des Geschehens sprach, vernahm von Müller-Starmann keinerlei Aufforderung, das Gebäude zu verlassen. Soweit nur ansatzweise zu den wie immer in diesen Fällen tönernen Rechtsbegründungen, zu deren Untersuchung sich der redefreudige Staatsanwalt auch keine Zeit genommen zu haben scheint. Den Namen Müller-Starmann verballhornte er denn auch kenntnisarm zu "Müller-Star" und meinte, angesichts der umfassenden Verbotsberechtigung der Frau X. von der ARGE "bedarf es auch keines Herrn Müller-Star".
Ein Rufer in der Justiz-Wüste
Das weniger von solchem Freihand-Jonglieren mit Namen und Rechten angeödete als von Oehmes Umfälschung der Wirklichkeit abgestoßene Restpublikum verließ seinerseits die Veranstaltung, die ihm als "falscher Film" vorkam. Damit verpasste es allerdings das Plädoyer des Verteidigers Detlef Hartmann, das aus der Parallelwelt des Staatsanwalts ins reale Universum zurückführte. Der die Entrechtung und Massenenteignung im ARGE- und Hartz-IV-Staat nachzeichnete, und jene Grenzüberschreitung, die im System von Hartz IV selbst noch die Lebensgefährdung von Armen als Strafe der Armut einkalkuliert. Darin sah Hartmann einen "Systembruch" selbst noch gegenüber dem paternalistischen Sozialstaat auf der Grundlage der christlichen Soziallehre. Einen tendenziellen Widerruf eherner Grundsätze der Verfassung, ja der Aufklärung überhaupt, wie Gleichheitsgrundsatz und Menschenwürde. Ein historischer Rückfall, als "Reform" getarnt. Ein System, das unterlassene Hilfeleistung im Verhältnis von "oben" nach "unten" längst nicht mehr für problematisch hält.
Voraussehbares Urteil - Vor-Urteil?
Richter Wiegelmann, der seine Ungeduld bei jeder Einlassung der Verteidigung kaum verbergen konnte, ließ sich durch solche rechtsethischen Aspekte nicht im Mindesten beeindrucken - nicht einmal durch die Frage nach einer Notwehr- und Nothilfesituation. Nach Ende der Plädoyers schrieb er vier Minuten irgendwas auf ein Blatt Papier, dann verkündete er seine vollständige Übereinstimmung mit der Sicht von Staatsanwalt Oehme. Mit 450 beziehungsweise 400 Euro Geldstrafe für die beiden Angeklagten ging er sogar geringfügig über den Anklage-Antrag hinaus, der für beide nur 400 Euro gefordert hatte. "Hausfriedensbruch" sah er ebenso gegeben wie "Widerstand", wobei auch er das Ehrfurchtsgebot gegenüber der "grünen Uniform" betonte. Wenn auch nicht so inbrünstig wie der schwärmerische Staatsanwalt. Eine Differenz gab es doch: Während Herr Oehme den KEA-Berater L. anscheinend für eine Art Drahtzieher sogenannten "Krawalls" hält, meinte Herr Wiegelmann, "besonnene Berater" wie Jochen L. hätten das Problem sicher auch ohne Herbeirufen der zehn anderen Berater lösen können. Ein solches Spaltungsangebot wird bei KEA allerdings wohl nicht auf fruchtbaren Boden fallen. (HDH)
Online-Flyer Nr. 226 vom 03.12.2009
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Lokales
Lösung sozialer Konflikte in der ARGE mit Polizei- und Justizrepression?
Köln kann auch anders
Von Hans-Detlev v. Kirchbach und Hans-Dieter Hey
"Voraus" sind uns dabei bekanntlich die USA. Vom Richter wurden eine 55 Jahre alte Frau und ein 26 Jahre alter Mann zu Geldstrafen in Höhe von 400 und 450 Euro verurteilt, nachdem sie in der ARGE einer Diabetikerin zu ihrem Recht zu helfen versucht hatten. Ein ähnliches Verfahren steht am 4. Dezember in Aachen an. Die NRhZ wird auch darüber berichten.
Worum es ging
Am Dienstag, 9. Juni 2009, hatten sich die beiden KEAs als rechtliche Begleiter nach § 13 SGB X in die Kölner ARGE begeben, um der mittellosen Diabetikerin B. zu helfen, die die ARGE von Leistungsbezug und Krankenversicherung zwar abgemeldet, ihr dies aber nicht mitgeteilt hatte. Bereits am Freitag zuvor war sie abgewiesen worden, und an dem besagten Dienstag sei sie - so die Angeklagte B. nun vor Gericht - "wieder weggeschickt worden, wie ein Hund." Nach dem Misserfolg, der Hilfsbedürftigen zu ihrem Recht zu verhelfen, wurde aus den Reihen der KEAs Verstärkung geholt, um dem Anliegen mehr Druck zu verleihen.
Geballte staatliche Macht gegen die Angeklagte (Mitte) in Stellung gebracht
Nach einem Anruf räumte die Polizei daraufhin den öffentlichen Bereich der ARGE gewaltsam, ohne den vorliegenden Sachverhalt - Nothilfe für die hilfsbedürftige und insulinabhängige Frau oder Wahrnehmung eines zweifelhaften Hausrechts des ARGE-Chefs - ordentlich aufzuklären, wozu sie eigentlich verpflichtet gewesen wäre. Eine Anzeige gegen die Abteilungsleiterin der ARGE wegen unterlassener Hilfeleistung hatte sie natürlich auch nicht angenommen. Zeugen zufolge gab es auch keine Rücksprache der Polizei mit den beiden nun angeklagten rechtlichen Beiständen.
Beim friedlichen Verlassen des öffentlichen Bereichs der ARGE durch die KEAs wurde der Angeklagte K. von einem Polizeibeamten offenbar mehrfach von hinten in die Seite und in den Rücken geboxt. Als er sich in dieser Situation herumdrehte, warfen sich drei Beamte auf ihn. Einer von ihnen - so einige Zeugen - kniete sich auf seinen Kopf, obwohl er bereits fixiert und wehrlos war. Durch körperliches Bedrängen der Polizei stürzte danach die Angeklagte B. über den bereits am Boden fixierten K. Ihr hingegen wurde vorgeworfen, nach einem der Polizisten geschlagen zu haben.
Nun stehen beide vor Gericht, weil sie sich beim Einsatz für die hilfsbedürftige kranke Frau N. "widerrechtlich" in die Räumlichkeiten der ARGE begeben und nach Aufforderung nicht entfernt hätten. Dabei sei einem Polizeibeamten gegenüber Widerstand geleistet worden, indem die Angeklagte B. nach ihm geschlagen habe.
Kaum Interesse an Ausführungen der Angeklagten
Bereits zu Verhandlungsbeginn empört sich die Angeklagte B. über das hinter Hartz IV stehende Repressionssystem und nennt es "ein Ding, hier überhaupt sitzen zu müssen. Andererseits finde ich es gut, dass das mal
Ursachen werden vom Gericht
nicht thematisiert
Staatsanwalt Oehme zeigt null Interesse an den Ausführungen der Angeklagten B. Ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Detlef Hartmann, moniert dieses "ungebührliche Verhalten", denn: "Wir sind in einer solchen Verhandlung darauf angewiesen, dass die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden lässt". Auch die Angeklagte B. wirft dem Staatsanwalt vor, er könne sich doch nicht einfach "zurücklehnen und die Augen schließen... Es ist eine gewisse Respektlosigkeit, wenn ich von den Nöten anderer Menschen erzähle." Elisabeth Sachse, Sprecherin der LINKEN, nennt anschließend "die Haltung des Staatsanwaltes, der Zeugen unbegründet als unglaubwürdig diffamiert und - orientiert an Platon - eine 'objektive Wahrheit' für sich in Anspruch nimmt, menschenverachtend."
Richter Wiegemann
Auch Richter Wiegelmann unterbindet schon mal und behindert wiederholt Fragestellungen der Angeklagten und ihrer Verteidigung. Beispiel: Die Delinquentin B. fragt die ARGE-"Standortleiterin", wie es denn zu erklären sei, dass Frau N. nach offensichtlicher Intervention des obersten ARGE-Chefs Müller-Starmann doch noch die von der Unterfürstin zuvor verweigerte Bargeldleistung zum Zwecke der Insulin-Beschaffung erhalten habe. Kurzum also, auf welcher "Rechtsgrundlage" der Frau N. diese Leistung seitens der Abteilungsleiterin vorher versagt wurde, auf welcher Rechtsgrundlage dann aber eben diese Barzuwendung ihr unter dem Einfluß des obersten ARGE-Geschäftsführers zuerkannt worden sei. Genau diese zentrale und für das ganze willkürliche Verfahrenskonstrukt neuralgische Frage will Richter Wiegelmann nicht hören. Er versteigt sich zu der unverschämten Behauptung, die Angeklagte sei nicht in der Lage, sinnvolle Fragen zu stellen bzw. ihre Fragen sinnvoll zu formulieren. Daher entziehe er der Angeklagten das Fragerecht. Er unterstellt Frau B. mithin eine Art geistiger Umnachtung, mindestens jedoch mangelnde Einsichtsfähigkeit. Unter dieser mag sie freilich leiden, da sie einfach nicht einsieht, dass sie sich vom Vorsitzenden den Inhalt und die Stoßrichtung ihrer Fragestellungen vorschreiben und bestimmte Fragen überhaupt verbieten lassen muss. Genau das aber versucht Richter Wiegelmann.
Formalistische Ignoranz
In Wirklichkeit will er der Angeklagten die angeblich unsinnigen Fragen gerade deshalb verbieten, weil sie im Gegenteil höchst sinnvoll sind. Richter Wiegelmann will nämlich das Verfahren auf die sogenannten Widerstandshandlungen und den angeblichen Hausfriedensbruch in der ARGE beschränken. Der unauflösliche Zusammenhang des Geschehens vom 9. Juni 2009 soll mittels juristischer Amputation willkürlich auf die Aspekte reduziert werden, die, rein isoliert gesehen, die Beschuldigten im gängigen Verständnis des weltfern paragraphenreitenden Strafjuristen nur belasten. Alle Hintergründe, die gerade zur Entlastung führen, sollen dagegen soweit wie möglich ausgeblendet werden, könnten sie am Ende womöglich gar ein berechtigtes Handeln der KEA-AktivistInnen nahelegen. Wenn es denn eine wirklich unparteiische Justiz gäbe. Dem aber ist so eben nicht in der realen Welt, in der Richter Wiegelmann ohne erkennbare Selbstzweifel judiziert. Jede wirklich gründliche Untersuchung, wie rechtmäßig - von ethisch vertretbar ganz zu schweigen - denn das Verhalten der ARGE-Untergewaltigen und der Polizei gewesen sei, passt eigentlich nicht ins Verfahrenskonzept des Vorsitzenden Wiegelmann.
Es geht um Ordnung, nicht um Recht
Dieses ist zentral darauf ausgerichtet, alles abzuwiegeln, was den Untervollstreckern unantastbarer Machteinrichtungen wie ARGE oder Polizei unpässlich kommt. Wie auch immer sie sich über berechtigte Belange der Menschen hinwegsetzen, sind sie doch stellvertretende Verkörperungen der herrschenden Ordnung. Und eben der fühlt sich die Geistes-, Gemüts- und Funktionseinheit von Staatsanwalt und Richter in diesem Verfahren vor allem verpflichtet. Wer also meint, dass sich Staatsanwalt und Richter in diesem Verfahren auch nur einen halben Moment von der Lebensgefährdung einer schwer zuckerkranken Frau durch eine unterlassene Hilfeleistung seitens ARGE und Polizei erheblich beunruhigen ließen, mag sich dabei zwar auf die Schutzgarantien des Grundgesetzes für Leben, Gesundheit und Menschenwürde beziehen, täuscht sich aber gleichwohl gründlich. Nein, Staatsanwalt Oehme hat keinerlei Verfahren gegen die Standortleiterin der ARGE wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet; ja, er findet nicht ein Sterbenswörtchen auch nur verhaltener Kritik an der fast gelungenen fahrlässigen Körperverletzung an der zuckerkranken Frau M. durch das halsstarrige Verweigerungsverhalten der ARGE-Bereichsleiterin. Ein paar hingemurmelte unverbindliche Pflichtphrasen, dass er die "Situation" und das "Schicksal" der Frau M. durchaus "nachempfinden" könne - woher auch immer -, drückt er sich zwar unbehaglich heraus.
Die große Leidenschaft des Anklägers Oehme
Dann aber sprudelt, explodiert es geradezu aus seinem Innersten hervor, und man merkt: Hier spricht, hier ereifert sich, sein zum Zentral-Ich aufgestiegenes staatsautoritäres Über-Ich, wenn er bekennt, was ihn wirklich umtreibt, was ihm wahrhaft am Herzen liegt, was für ihn zum Edelsten und Schönsten auf dieser Welt gehört, was ihn zu Ausbrüchen der Leidenschaft hinreißt, und wo er, der eisenharte Verfechter des Staatsinteresses, doch wiederum ganz zartfühlend wird. Es ist die grüne Uniform, die grüne Uniform der Polizei, die er so liebt, dass er sich selbst fast und die berechtigten Belange von Nichtuniformierten gleich ganz vergisst. Nein, da ist er, so bekennt er in seinem Plädoyer voll Passion, da ist er "ganz sensibel". Wir sind beruhigt, dachten wir doch aufgrund seiner Unsensibilität gegenüber Opfern von ARGE- und Polizei-Gewalt, dass ihm gleich überhaupt jedes Gefühl abgehe. Aber nein, bei "Menschen, die in der grünen Uniform der Polizei auftreten" kennt Herr Oehme kein Pardon, und dafür sei er wohlbekannt, und das wiederum macht ihn schon ein wenig stolz. Die grüne Polizeiuniform, dieses heilige Insignium der Staatsmacht, ist in Oehmes autoritärem Universum fast eine Art "gott"geweihtes Tuch. Es frevelt, wer seine schmuddeligen Untertanenfinger nach diesem sakralen Gewand ausstreckt und gar der uniformierten und somit höheren Gewalt frech "Widerstand" entgegensetzt. Da verschiebt sich auch schon mal die Wahrnehmung. Auf einem Video, das während der Aktion einer Videofilmerin unter Gewaltdrohung von der Polizei abgenommen wurde, erkennt die Verteidigung bestenfalls Reflexe auf das Schubsen und Stoßen durch die Polizei, Herr Oehme aber Exzesse der Gewalt gegen die Träger der grünen Uniform. Da findet Liebhaber Oehme doch mal ein richtiges Wort: "Man sieht, was man sehen will."
Als Strafantrag getarnte eifernde Suada
Staatsanwalt Oehme ist nicht irgendein weisungsgebundener Justizbeamter, sondern ein Überzeugungstäter der Staatsmacht, ein Missionar der bestehenden Ordnung. In seiner Inbrunst verunsichern ihn die wachsend lautstarken Proteste aus dem Publikum während seines Plädoyers keineswegs, er fühlt sich vielmehr fast wie ein Märtyrer, den der unverständige Pöbel "nicht zu Wort kommen lassen" will. Für die ZuhörerInnen, zugegebenermaßen überwiegend SympathisantInnen der beiden Angeklagten, muss die als Strafantrag getarnte stellenweise eifernde Suada des Staatsanwalts allerdings auch kaum erträglich gewesen sein. Denn unter Berufung auf seine "Freiheit der Tatsachenwertung" verdrehte er mindestens nach Empfinden und Erleben der meisten Anwesenden die umstrittenen Ereignisse vom 9. Juni ins glatte Gegenteil.
In der Kölner ARGE: Erwerbslosenfrühstück per Gnade
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
Die zuckerkranke Frau M. erschien in Oehmes Plädoyer letztlich als bedauernswertes Objekt einer hinterhältig eingefädelten "Krawallstrategie". Gehirndurchleuchter Oehme weiß denn auch ganz genau: Den KEA-Beratern, allesamt "Leute(n), die sich als Berater gerieren", also nur zum Schein aufführen, ging es überhaupt zu keinem Zeitpunkt um die insulinbedürftige Frau M. Herr Oehme, der vor Inkriminierung wegen falscher Beschuldigung durch seine Staatsposition so gut wie immunisiert ist, behauptet, Frau M. sei nur eine vorgeschobene Spielfigur gewesen, um "den üblichen Zoff in der ARGE zu inszenieren". Das findet, irgendwie zum Wohlgefallen des polternden Staatsanwalts, den Proteste nur hochschaukeln, ein Großteil des Publikums - so ein aus dem Saal abziehender Zwischenrufer - nur noch "zum Kotzen".
"Sogenannte Berater", "Terz", "Zoff", "Krawall"
Nun sollte man die Donner-Rhetorik des Anklagevertreters nicht mit wirklicher Fähigkeit zu fairer Auseinandersetzung oder gar Courage verwechseln. Herr Oehme ist zwar "Überzeugungstäter", aber ein solcher in komfortabler Staatsanstellung, der zudem nur dann richtig aufspielt, wenn er sicher ist, kein Gegentor zu kassieren. Kennzeichnend dafür ist: Zwar hat Staatsanwalt Oehme nicht gewagt, dem KEA-Berater und -Aktivisten Jochen L. bei dessen Aussage irgendwelche Fragen zu stellen. Vielmehr blieb der Ankläger, seinem sonstigen Naturell zuwider, in L. Anwesenheit ganz still. Der, so Rechtsanwalt Hartmann, "seriöse und kompetente Sozialberater" L. hätte mit seinen In- und Auswendig-Kenntnissen des Sozialrechts den Herrn Staatsanwalt auch mutmaßlich ganz schön abgeseift. Kaum aber hatte L. den Saal verlassen, da fand der schweigsame Oehme seine Stimme wieder und schimpfte dem Abwesenden kriminalisierende Unterstellungen hinterher. In Oehmes Phantasie erscheint L. als ein Generalissimus der Sozialrevolte, der nach Belieben rekrutierbare Aufrührertrupps wie ein Marionettenheer dirigiert. An jenem Tage, so dichtet Romancier Oehme, habe L. vermocht, "die sonstigen Truppenteile von der ARGE Süd herüberzulotsen, um Zoff zu machen", doch habe es "keinerlei Situation gegeben", die "dazu berechtigt hätte".
Denn, so wiederholte Oehme die Behauptungen der ARGE-Unterführerin, erst zum Schluß des Besuches von Frau N. und ihren Beratern sei angeblich die Insulin-Problematik vorgeschoben worden, und unter diesem Vorwand sei die Armee der "sogenannten Berater" mobilisiert worden. Alles, wie gesagt, nur zu Zwecken von "Terz und Zoff". Der Frau N. Sei doch geholfen worden, und zwar durch die liebe ARGE und ohne Einfluß jener Leute, die, wie oft schon gesagt, "sich nur als Berater gerieren".
Wer "geriert" sich hier?
Als "Ermittler" scheint sich hingegen Herr Oehme selbst zu "gerieren". Der Spitzenjurist der Kölner Anklagebehörde wartete beispielsweise mit Teil-Unkenntnis der Institutionen auf, um die es in diesem Verfahren eigentlich ging. Der ARGE-Substitutin sprach er glattweg das umfassende Hausrecht nicht nur über die Räumlichkeiten der ARGE zu, die diese freilich von der Arbeitsagentur nur gemietet hat, sondern auch über das gesamte Gebäude der Arbeitsagentur. In Wirklichkeit dürfte sich das Hausrecht dieser Dame nur auf ihr eigenes Bureau beschränken. Bezüglich ARGE hätte - vielleicht - der herbeigeeilte ARGE-Chef Müller-Starmann ein Verfügungsrecht im Sinne von Hausverbot gehabt, aber von diesem war ein solches nicht zu hören. Auch Jochen L., der mit dem ARGE-Chef abseits des Geschehens sprach, vernahm von Müller-Starmann keinerlei Aufforderung, das Gebäude zu verlassen. Soweit nur ansatzweise zu den wie immer in diesen Fällen tönernen Rechtsbegründungen, zu deren Untersuchung sich der redefreudige Staatsanwalt auch keine Zeit genommen zu haben scheint. Den Namen Müller-Starmann verballhornte er denn auch kenntnisarm zu "Müller-Star" und meinte, angesichts der umfassenden Verbotsberechtigung der Frau X. von der ARGE "bedarf es auch keines Herrn Müller-Star".
Ein Rufer in der Justiz-Wüste
Das weniger von solchem Freihand-Jonglieren mit Namen und Rechten angeödete als von Oehmes Umfälschung der Wirklichkeit abgestoßene Restpublikum verließ seinerseits die Veranstaltung, die ihm als "falscher Film" vorkam. Damit verpasste es allerdings das Plädoyer des Verteidigers Detlef Hartmann, das aus der Parallelwelt des Staatsanwalts ins reale Universum zurückführte. Der die Entrechtung und Massenenteignung im ARGE- und Hartz-IV-Staat nachzeichnete, und jene Grenzüberschreitung, die im System von Hartz IV selbst noch die Lebensgefährdung von Armen als Strafe der Armut einkalkuliert. Darin sah Hartmann einen "Systembruch" selbst noch gegenüber dem paternalistischen Sozialstaat auf der Grundlage der christlichen Soziallehre. Einen tendenziellen Widerruf eherner Grundsätze der Verfassung, ja der Aufklärung überhaupt, wie Gleichheitsgrundsatz und Menschenwürde. Ein historischer Rückfall, als "Reform" getarnt. Ein System, das unterlassene Hilfeleistung im Verhältnis von "oben" nach "unten" längst nicht mehr für problematisch hält.
Voraussehbares Urteil - Vor-Urteil?
Richter Wiegelmann, der seine Ungeduld bei jeder Einlassung der Verteidigung kaum verbergen konnte, ließ sich durch solche rechtsethischen Aspekte nicht im Mindesten beeindrucken - nicht einmal durch die Frage nach einer Notwehr- und Nothilfesituation. Nach Ende der Plädoyers schrieb er vier Minuten irgendwas auf ein Blatt Papier, dann verkündete er seine vollständige Übereinstimmung mit der Sicht von Staatsanwalt Oehme. Mit 450 beziehungsweise 400 Euro Geldstrafe für die beiden Angeklagten ging er sogar geringfügig über den Anklage-Antrag hinaus, der für beide nur 400 Euro gefordert hatte. "Hausfriedensbruch" sah er ebenso gegeben wie "Widerstand", wobei auch er das Ehrfurchtsgebot gegenüber der "grünen Uniform" betonte. Wenn auch nicht so inbrünstig wie der schwärmerische Staatsanwalt. Eine Differenz gab es doch: Während Herr Oehme den KEA-Berater L. anscheinend für eine Art Drahtzieher sogenannten "Krawalls" hält, meinte Herr Wiegelmann, "besonnene Berater" wie Jochen L. hätten das Problem sicher auch ohne Herbeirufen der zehn anderen Berater lösen können. Ein solches Spaltungsangebot wird bei KEA allerdings wohl nicht auf fruchtbaren Boden fallen. (HDH)
Online-Flyer Nr. 226 vom 03.12.2009
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