SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Lokales
Bewahren des Feuers
„Die Uni brennt!“
Von Katharina Sass und Hans-Dieter Hey
In diesem Zusammenhang war auch eine begeistert aufgenommene Podiums-Veranstaltung zum Thema „Bildung und Wissenschaft – in wessen Dienst?“ zu sehen. Das Ergebnis an diesem Montag, den 7. Dezember, war eine „Kostbarkeit“: die „Geburt des Politischen“. Zu einer weiteren Demonstration am Donnerstag in Bonn Bad-Godesberg haben sich tausende Studierende angesagt.
Reines Verwertungsinteresse
Jeder Tag neuer Studien-Frust, der sich bei vielen über Jahre angestaut hatte und sich jetzt – scheinbar plötzlich – in eine wütende Proteststimmung verwandelte. Er beschränkte sich nicht auf die Universitäten und Fachhochschulen allein. Auch SchülerInnen und Auszubildende hatten sich dem bundesweiten Bildungsstreik-Bündnis angeschlossen und kämpften gemeinsam mit den Studierenden für eine grundlegende Reform des gesamten Bildungssystems. Vor allem richtet er sich gegen seine zunehmende Ökonomisierung: „Die derzeitigen Zustände und Entwicklungen im Bildungssystem sind nicht weiter hinnehmbar! Weltweit sind Umstrukturierungen aller Lebensbereiche nicht mehr gemeinwohlorientiert, sondern den so genannten Gesetzen des Marktes unterworfen. Seit ein paar Jahren ist auch das Bildungssystem in den Fokus solcher Reformen geraten“, lautet der Aufruf.
Bildung ist ein Menschenrecht – ohne Repression
Für die Studierenden sind die Studiengebühren, die ihnen das Leben schwer machen, nur der „Lackmustest“. Es geht um deutlich mehr. Gebühren trügen dazu bei – so der Vorwurf – dass der Anspruch an gesamtgesellschaftliche Relevanz von Bildung und Forschung zurück gedrängt werde. Ein Studierender aus Köln: „Wenn man sich das gefallen lässt, dann lässt man sich alles gefallen.“ Wie bei einem Konsumgut „investiere“ man in das eigene „Humankapital“ und letztlich in das „unternehmerische Selbst“. Es werde das emanzipatorische und kulturelle Potential von Bildung untergraben. Die freie Entwicklung der Persönlichkeit sei längst nicht mehr das Ziel. Im Gegenteil: Ziel sei der clonehaft typisierte, an das Verwertungsinteresse der Wirtschaft angepasste Absolvent und mit ihm das gewünschte „Produkt“. Starke Verschulung und Modularisierung der Bachelor-Studiengänge seien nachgerade geeignet, die Bachelor-Absolventen früh zur Unselbständigkeit zu erziehen. Genau dieses Ziel habe der Bologna-Prozess verfolgt, als von „Employability“ – fit für den Arbeitsmarkt – gesprochen wurde.
Um der Öffentlichkeit die Notwendigkeit von Studiengebühren in die Hirne zu treiben, hatte die von der Wirtschaft finanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, INSM, vor einigen Jahren große Anzeigen geschaltet: Mit dem Spruch ‚Studienkosten belasten die Falschen‘ sprach man gesellschaftsspalterisch die werktätigen Menschen an. Die Kölner Studentin Agnes Kamerichs widerspricht, ein Studium habe eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und es sei „eine Verdrehung der Tatsachen, weil nämlich die, die diese Anzeige geschaltet hatten, am meisten durch die Studenten verdienen. Es ist überhaupt die Frage, ob sich ausgerechnet diese Leute um Gerechtigkeit im Studium und die Finanzierung Gedanken machen oder nicht ganz andere Ziele verfolgen.“ Studiengebühren hätten inzwischen soziale Selektion zur Folge, im Jahr 2006 hätten schon bis zu 18.000 Studierende wegen Studiengebühren ihr Studium nicht beginnen können. In Köln allein hätten zwei Jahre nach Einführung der Studiengebühren 3.000 ihr Studium abgebrochen. „Gerade in Deutschland geht es nicht, dass Menschen ihr Studium nicht antreten oder abbrechen müssen.“
Statt Bürokratieabbau: mehr Arbeit und Demokratieabbau
Unter Beschuss steht auch das nordrheinwestfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ von Bildungsminister Andreas Pinkwart (FDP). Er hatte damit die gewählten Senate der Universitäten entmachtet und die Entscheidungsbefugnis bezüglich aller universitären Angelegenheiten an „Hochschulräte“ übergeben, die aus universitätsfremden Personen und Lobbyisten bestehen. Entlassung ausgeschlossen. Auch Arbeitnehmervertreter oder Vertreter von Studierenden sind nicht vorgesehen. Die Sitzungen der Hochschulräte sind geheim. So erweist sich das „Hochulfreiheitsgesetz“ als Freiheit für‘s ökonomische Klientel unter Ausschluss demokratischer Mitwirkung.
Pinkwarts kontraproduktiver Aktionismus hatte bereits deutliche Auswirkungen auf Uni-Arbeitsplätze und -Klima. Udo Walz, Vorsitzender des Personalrats der Uni Köln, weiß zu berichten: „Wir sind aus dem Angestelltenverhältnis mit dem Land hinausgeworfen worden. Wir waren Zählvieh und Personal wurde abgebaut, obwohl die Hochschule mehr Personal braucht. Bei den Bachelor- und Masterstudiengängen gibt es jetzt statt einer jetzt zehn Prüfungen, statt einer Veranstaltung jetzt fünf oder zehn Veranstaltungen, die koordiniert werden müssen.“ Feste Stellen seien immer mehr durch Teilzeit- oder befristete Stellen ersetzt worden, die Menschen könnten keine Familien- oder Lebensplanung mehr machen. Unter dem Begriff des Bürokratieabbaus sei allerdings immer mehr Demokratieabbau betrieben worden.
V.l.n.r.: Kamerichs, (Senta Pineau, Moderation), Burchardt, Walz
Fotos: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en
Auch Universitätsdozent Dr. Matthias Burchardt ist wütend und fühlt sich zum Manager von Studienoptionen und Organisationen, zur Verteilung von Studenten auf Seminare, zum Ausfüllen von Listen oder dem Bedienen von Modulen degradiert. Auch werde zunehmend Lehrpersonal befristet eingestellt. „Diese Fragmentierung des Studiums wird dann zum Problem, wenn Studierende in der Prüfung plötzlich ihre Ansprechpartner verlieren oder ihr Studium nicht planen können“, wettert er. Wegen des Verwaltungsaufwands könne das Lehrpersonal nicht einmal wertvolle Studienarbeiten richtig lesen oder Studienveranstaltungen sorgfältig zu planen. Vor allem die Studierenden könnten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung durch Planung ihres Bildungsweges nicht nachzukommen, „sondern bekommen in Scheibchen aufgeteilte Module oder arrangierte Bildungsinhalte, die aber nicht mehr aus einer Gesamtsicht reflektiert werden können.“ Die Folge sei Leistungsabfall gerade bei den starken Studierenden. Burchardt will wieder aufatmen können und wünscht sich: „Mein Traum wäre das Ende dieses Spuks und dass die Universität wieder den Namen zu Recht trägt.“
Lobbyisten-Vorlage als Gesetz
Beim Hochschul-Tohuwabohu half offenbar das „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) kräftig mit, das der Bertelsmann-Stiftung nahe steht. Die wiederum entstand aus dem Mediengiganten Bertelsmann AG heraus, „ein Konzern mit flexibler christlicher und NS-Vergangenheit“ (Die Woche vom 18.1.2000). Doch die Stiftung steht seit Jahren in der Kritik, zu viel Einfluss auf die Politik zu nehmen. Auf den „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrheinwestfalen“ aus dem Jahr 2005 baut der NRW-Gesetzesentwurf vom Juni 2006 auf und erinnert damit stark an die Agenda 2010 und Hartz-IV-Gesetze, an denen Wirtschaftslobby und Bertelsmann maßgeblich beteiligt waren. So stellt sich erneut die Frage, wer in diesem Land tatsächlich bestimmend ist – aber auch, wer sich das bieten lässt. Was von CHE als „Bürokratieabbau“ und „Hochschulfreiheit“ deklariert wurde, stellt sich in Wirklichkeit als Katalog zur Entsolidarisierung, Entdemokratisierung und Entstaatlichung der Hochschulen heraus. Universitäten werden so zu Unternehmen mit Aufsichtsrat und Top-Down-Strukturen, Studierende zu Kunden – wie schon bei Hartz IV.
Gescheitert ja – Konsequenzen nein
Und genau gegen diese zutiefst antidemokratische Entwicklung richtet sich der Studentenprotest. Sie wollen sich nicht entsolidarisieren lassen, um später Partikularinteressen zu vertreten. Sie suchen den Schulterschluss zur Mehrheit der Bevölkerung und den werktätigen Menschen. So wird beispielsweise die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems gefordert und man kämpft gegen prekäre Beschäftigungsformen wie Zeit- und Leiharbeit. Bundesbildungsministerin Annette Schavans Vorschlag, das Bafög zu erhöhen, wird als Ablenkungsmanöver ausgemacht. Und mit ein paar mehr Professorenstellen würden die Probleme ebenso wenig gelöst werden. Eine generelle Kehrtwende in der Bildungspolitik sei notwendig, zurück zum humanistischen Bildungsideal und zu einem Bildungssystem, in dem wirklich jedem die Möglichkeit zu selbstbestimmter Entwicklung gegeben und eine ausreichende Finanzierung sichergestellt werde.
Offenbar haben es aber weder die Träger der Macht in der Wirtschaft, noch Bundes- und Landesregierungen gemerkt und sich den Zorn vieler Studierender und Lehrender zugezogen: Der Bologna-Prozess ist längst komplett gescheitert. Selbst die konservative FAZ unkte am 27. November: „Die Bologna-Blase ist geplatzt.“ Und ihr Vorwurf gegenüber der Politik fällt noch deutlicher aus: die Verantwortlichen hätten den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Bei dem ganzen kostenträchtigen Theater hatte man einfach übersehen: Eine Kernaufgabe der Wissenschaft ist es, zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen beizutragen und nicht zur Gewinnoptimierung von Konzernen. Stattdessen sind Forschung und Lehre immer stärker an den Partikularinteressen von Arbeitgebern und Machtelite ausgerichtet worden. Ein Zitat aus einer Rede von Studierenden in Hamburg: „Die Entwicklung und Verbreitung von Frieden, sozialer Wohlfahrt, demokratischer Partizipation, geistig anregender Kultur sowie lebenserhaltende Gesundheit kann die Menschheit sicher gut vertragen.“ Und darum geht es bei Bildung eigentlich.
Die Zuversicht der Sieger
Dr. Matthias Burchardt sieht die neoliberale Ideologie, die sich im gegenwärtigen Bildungssystem spiegelt, in den letzten Zügen und ist überzeugt, „dass wir Erfolg haben werden: Wir beobachten das Sterben einer Ideologie, das Sterben einer gewissen Tradition. Wir wohnen aber auch einer Geburt bei. Das, worum es geht, erschließt sich nicht erst am Ende unserer Bewegung, sondern das ist hier und schon wirklich. Wir wohnen bei der Geburt von Bildung. Was hier im Moment passiert, ist so viel kostbarer als das, was in vielen Jahren verwalteter, exerzierter und langweiliger Bildung durch die Zahnräder gesickert ist. Sie halten die Flamme der Bildung am Leben in diesem Moment. Was wir auch erleben, ist die Geburt des Politischen. Bitte bewahren sie dieses Feuer, dann werden wir siegen.“ Und weil Burchardts Schlussappell so begeistert aufgenommen wurde, hier nochmal im O-Ton. (HDH)
Bitte anklicken!
Weiterführende Literatur:
Terminhinweis:
Online-Flyer Nr. 227 vom 09.12.2009
Druckversion
Lokales
Bewahren des Feuers
„Die Uni brennt!“
Von Katharina Sass und Hans-Dieter Hey
In diesem Zusammenhang war auch eine begeistert aufgenommene Podiums-Veranstaltung zum Thema „Bildung und Wissenschaft – in wessen Dienst?“ zu sehen. Das Ergebnis an diesem Montag, den 7. Dezember, war eine „Kostbarkeit“: die „Geburt des Politischen“. Zu einer weiteren Demonstration am Donnerstag in Bonn Bad-Godesberg haben sich tausende Studierende angesagt.
Reines Verwertungsinteresse
Jeder Tag neuer Studien-Frust, der sich bei vielen über Jahre angestaut hatte und sich jetzt – scheinbar plötzlich – in eine wütende Proteststimmung verwandelte. Er beschränkte sich nicht auf die Universitäten und Fachhochschulen allein. Auch SchülerInnen und Auszubildende hatten sich dem bundesweiten Bildungsstreik-Bündnis angeschlossen und kämpften gemeinsam mit den Studierenden für eine grundlegende Reform des gesamten Bildungssystems. Vor allem richtet er sich gegen seine zunehmende Ökonomisierung: „Die derzeitigen Zustände und Entwicklungen im Bildungssystem sind nicht weiter hinnehmbar! Weltweit sind Umstrukturierungen aller Lebensbereiche nicht mehr gemeinwohlorientiert, sondern den so genannten Gesetzen des Marktes unterworfen. Seit ein paar Jahren ist auch das Bildungssystem in den Fokus solcher Reformen geraten“, lautet der Aufruf.
Bildung ist ein Menschenrecht – ohne Repression
Für die Studierenden sind die Studiengebühren, die ihnen das Leben schwer machen, nur der „Lackmustest“. Es geht um deutlich mehr. Gebühren trügen dazu bei – so der Vorwurf – dass der Anspruch an gesamtgesellschaftliche Relevanz von Bildung und Forschung zurück gedrängt werde. Ein Studierender aus Köln: „Wenn man sich das gefallen lässt, dann lässt man sich alles gefallen.“ Wie bei einem Konsumgut „investiere“ man in das eigene „Humankapital“ und letztlich in das „unternehmerische Selbst“. Es werde das emanzipatorische und kulturelle Potential von Bildung untergraben. Die freie Entwicklung der Persönlichkeit sei längst nicht mehr das Ziel. Im Gegenteil: Ziel sei der clonehaft typisierte, an das Verwertungsinteresse der Wirtschaft angepasste Absolvent und mit ihm das gewünschte „Produkt“. Starke Verschulung und Modularisierung der Bachelor-Studiengänge seien nachgerade geeignet, die Bachelor-Absolventen früh zur Unselbständigkeit zu erziehen. Genau dieses Ziel habe der Bologna-Prozess verfolgt, als von „Employability“ – fit für den Arbeitsmarkt – gesprochen wurde.
Um der Öffentlichkeit die Notwendigkeit von Studiengebühren in die Hirne zu treiben, hatte die von der Wirtschaft finanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, INSM, vor einigen Jahren große Anzeigen geschaltet: Mit dem Spruch ‚Studienkosten belasten die Falschen‘ sprach man gesellschaftsspalterisch die werktätigen Menschen an. Die Kölner Studentin Agnes Kamerichs widerspricht, ein Studium habe eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und es sei „eine Verdrehung der Tatsachen, weil nämlich die, die diese Anzeige geschaltet hatten, am meisten durch die Studenten verdienen. Es ist überhaupt die Frage, ob sich ausgerechnet diese Leute um Gerechtigkeit im Studium und die Finanzierung Gedanken machen oder nicht ganz andere Ziele verfolgen.“ Studiengebühren hätten inzwischen soziale Selektion zur Folge, im Jahr 2006 hätten schon bis zu 18.000 Studierende wegen Studiengebühren ihr Studium nicht beginnen können. In Köln allein hätten zwei Jahre nach Einführung der Studiengebühren 3.000 ihr Studium abgebrochen. „Gerade in Deutschland geht es nicht, dass Menschen ihr Studium nicht antreten oder abbrechen müssen.“
Statt Bürokratieabbau: mehr Arbeit und Demokratieabbau
Unter Beschuss steht auch das nordrheinwestfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ von Bildungsminister Andreas Pinkwart (FDP). Er hatte damit die gewählten Senate der Universitäten entmachtet und die Entscheidungsbefugnis bezüglich aller universitären Angelegenheiten an „Hochschulräte“ übergeben, die aus universitätsfremden Personen und Lobbyisten bestehen. Entlassung ausgeschlossen. Auch Arbeitnehmervertreter oder Vertreter von Studierenden sind nicht vorgesehen. Die Sitzungen der Hochschulräte sind geheim. So erweist sich das „Hochulfreiheitsgesetz“ als Freiheit für‘s ökonomische Klientel unter Ausschluss demokratischer Mitwirkung.
Pinkwarts kontraproduktiver Aktionismus hatte bereits deutliche Auswirkungen auf Uni-Arbeitsplätze und -Klima. Udo Walz, Vorsitzender des Personalrats der Uni Köln, weiß zu berichten: „Wir sind aus dem Angestelltenverhältnis mit dem Land hinausgeworfen worden. Wir waren Zählvieh und Personal wurde abgebaut, obwohl die Hochschule mehr Personal braucht. Bei den Bachelor- und Masterstudiengängen gibt es jetzt statt einer jetzt zehn Prüfungen, statt einer Veranstaltung jetzt fünf oder zehn Veranstaltungen, die koordiniert werden müssen.“ Feste Stellen seien immer mehr durch Teilzeit- oder befristete Stellen ersetzt worden, die Menschen könnten keine Familien- oder Lebensplanung mehr machen. Unter dem Begriff des Bürokratieabbaus sei allerdings immer mehr Demokratieabbau betrieben worden.
V.l.n.r.: Kamerichs, (Senta Pineau, Moderation), Burchardt, Walz
Fotos: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en
Auch Universitätsdozent Dr. Matthias Burchardt ist wütend und fühlt sich zum Manager von Studienoptionen und Organisationen, zur Verteilung von Studenten auf Seminare, zum Ausfüllen von Listen oder dem Bedienen von Modulen degradiert. Auch werde zunehmend Lehrpersonal befristet eingestellt. „Diese Fragmentierung des Studiums wird dann zum Problem, wenn Studierende in der Prüfung plötzlich ihre Ansprechpartner verlieren oder ihr Studium nicht planen können“, wettert er. Wegen des Verwaltungsaufwands könne das Lehrpersonal nicht einmal wertvolle Studienarbeiten richtig lesen oder Studienveranstaltungen sorgfältig zu planen. Vor allem die Studierenden könnten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung durch Planung ihres Bildungsweges nicht nachzukommen, „sondern bekommen in Scheibchen aufgeteilte Module oder arrangierte Bildungsinhalte, die aber nicht mehr aus einer Gesamtsicht reflektiert werden können.“ Die Folge sei Leistungsabfall gerade bei den starken Studierenden. Burchardt will wieder aufatmen können und wünscht sich: „Mein Traum wäre das Ende dieses Spuks und dass die Universität wieder den Namen zu Recht trägt.“
Lobbyisten-Vorlage als Gesetz
Beim Hochschul-Tohuwabohu half offenbar das „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) kräftig mit, das der Bertelsmann-Stiftung nahe steht. Die wiederum entstand aus dem Mediengiganten Bertelsmann AG heraus, „ein Konzern mit flexibler christlicher und NS-Vergangenheit“ (Die Woche vom 18.1.2000). Doch die Stiftung steht seit Jahren in der Kritik, zu viel Einfluss auf die Politik zu nehmen. Auf den „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrheinwestfalen“ aus dem Jahr 2005 baut der NRW-Gesetzesentwurf vom Juni 2006 auf und erinnert damit stark an die Agenda 2010 und Hartz-IV-Gesetze, an denen Wirtschaftslobby und Bertelsmann maßgeblich beteiligt waren. So stellt sich erneut die Frage, wer in diesem Land tatsächlich bestimmend ist – aber auch, wer sich das bieten lässt. Was von CHE als „Bürokratieabbau“ und „Hochschulfreiheit“ deklariert wurde, stellt sich in Wirklichkeit als Katalog zur Entsolidarisierung, Entdemokratisierung und Entstaatlichung der Hochschulen heraus. Universitäten werden so zu Unternehmen mit Aufsichtsrat und Top-Down-Strukturen, Studierende zu Kunden – wie schon bei Hartz IV.
Gescheitert ja – Konsequenzen nein
Und genau gegen diese zutiefst antidemokratische Entwicklung richtet sich der Studentenprotest. Sie wollen sich nicht entsolidarisieren lassen, um später Partikularinteressen zu vertreten. Sie suchen den Schulterschluss zur Mehrheit der Bevölkerung und den werktätigen Menschen. So wird beispielsweise die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems gefordert und man kämpft gegen prekäre Beschäftigungsformen wie Zeit- und Leiharbeit. Bundesbildungsministerin Annette Schavans Vorschlag, das Bafög zu erhöhen, wird als Ablenkungsmanöver ausgemacht. Und mit ein paar mehr Professorenstellen würden die Probleme ebenso wenig gelöst werden. Eine generelle Kehrtwende in der Bildungspolitik sei notwendig, zurück zum humanistischen Bildungsideal und zu einem Bildungssystem, in dem wirklich jedem die Möglichkeit zu selbstbestimmter Entwicklung gegeben und eine ausreichende Finanzierung sichergestellt werde.
Offenbar haben es aber weder die Träger der Macht in der Wirtschaft, noch Bundes- und Landesregierungen gemerkt und sich den Zorn vieler Studierender und Lehrender zugezogen: Der Bologna-Prozess ist längst komplett gescheitert. Selbst die konservative FAZ unkte am 27. November: „Die Bologna-Blase ist geplatzt.“ Und ihr Vorwurf gegenüber der Politik fällt noch deutlicher aus: die Verantwortlichen hätten den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Bei dem ganzen kostenträchtigen Theater hatte man einfach übersehen: Eine Kernaufgabe der Wissenschaft ist es, zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen beizutragen und nicht zur Gewinnoptimierung von Konzernen. Stattdessen sind Forschung und Lehre immer stärker an den Partikularinteressen von Arbeitgebern und Machtelite ausgerichtet worden. Ein Zitat aus einer Rede von Studierenden in Hamburg: „Die Entwicklung und Verbreitung von Frieden, sozialer Wohlfahrt, demokratischer Partizipation, geistig anregender Kultur sowie lebenserhaltende Gesundheit kann die Menschheit sicher gut vertragen.“ Und darum geht es bei Bildung eigentlich.
Die Zuversicht der Sieger
Dr. Matthias Burchardt sieht die neoliberale Ideologie, die sich im gegenwärtigen Bildungssystem spiegelt, in den letzten Zügen und ist überzeugt, „dass wir Erfolg haben werden: Wir beobachten das Sterben einer Ideologie, das Sterben einer gewissen Tradition. Wir wohnen aber auch einer Geburt bei. Das, worum es geht, erschließt sich nicht erst am Ende unserer Bewegung, sondern das ist hier und schon wirklich. Wir wohnen bei der Geburt von Bildung. Was hier im Moment passiert, ist so viel kostbarer als das, was in vielen Jahren verwalteter, exerzierter und langweiliger Bildung durch die Zahnräder gesickert ist. Sie halten die Flamme der Bildung am Leben in diesem Moment. Was wir auch erleben, ist die Geburt des Politischen. Bitte bewahren sie dieses Feuer, dann werden wir siegen.“ Und weil Burchardts Schlussappell so begeistert aufgenommen wurde, hier nochmal im O-Ton. (HDH)
Bitte anklicken!
Weiterführende Literatur:
Terminhinweis:
Online-Flyer Nr. 227 vom 09.12.2009
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FOTOGALERIE