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Arbeit und Soziales
Braut sich da immer mehr zusammen?
Grüne Jugend für Generalstreik
Von Hans-Dieter Hey
Veit Wilhelmy, die Grüne Jugend forderten den Politischen Streik. Was ist in die gefahren?
Ich war auch positiv überrascht. Aus dem Antrag geht u.a. hervor, dass die Grüne Jugend erkannt hat, dass die konservativ-neoliberale Bundesregierung sowie die Folgewirkungen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise
ver.di-Bildungsstätte: Gemälde
der Gewerkschaftsjugend
Foto: gesichter zei(ch/g)en
eine drastische Verschärfung des sozialen Klimas und der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen befürchten lassen. Auch finden sich politische Aussagen über Branchen wie z.B. dem Gebäudereiniger- oder Friseurhandwerk „wo teilweise der Arbeitslohn unterhalb des Hartz-IV-Satzes liegt“. Außerdem thematisiert die Bundesjugend der Grünen das Problem der so genannten „Gelben Gewerkschaften“, deren Hauptanliegen ist, die Interessen der Arbeitgeber zu sichern und die von den Arbeitgebern gesteuert werden. Am Schluss des 3 Seiten langen Antrag steht eine deutliche Botschaft: „Politische Streiks sind angesichts der kommenden sozialen und politischen Herausforderungen ein wichtiges Mittel als Ergänzung der übrigen demokratischen Protestformen. Die GRÜNE JUGEND fordert die Legalisierung politischer Streiks“. Das ist ein konkretes Beispiel dafür, dass sich immer mehr Gliederungen von Parteien, außerparlamentarische Organisationen und Gewerkschaften mit dem Thema befassen.
Eine von Ihnen initiierte Petition im Deutschen Bundestag zum Thema ist aber bereits abgelehnt worden.
Das war abzusehen. Trotzdem: Die Damen und Herren Abgeordneten wurden gezwungen, sich mit dem Thema zu befassen und was noch viel wichtiger war, die Debatte in den Gewerkschaften wurde befördert.
Wozu überhaupt politischer Streik für die Gewerkschaften?
Die deutsche Sozial- und Wirtschaftspolitik beeinflusst zunehmend direkt wie indirekt die Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden. Immer stärker greift der Gesetzgeber unmittelbar in die Einkommensverteilung ein, übrigens fast ausnahmslos gegen die berechtigten Interessen der lohnabhängig Beschäftigten. Schwer erkämpfte Erfolge der Gewerkschaften wie z.B. die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit werden durch die gesetzliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre wieder ausgehebelt. Somit gerät die Tarifpolitik zunehmend aus dem Gleichgewicht. Durch die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, den permanenten Sozialabbau und die einseitige Umverteilungspolitik zulasten der ArbeitnehmerInnen wird die staatliche Neutralitätspflicht gegenüber den Tarifvertragsparteien immer weiter ausgehöhlt. Vor allem die Gewerkschaften und außerparlamentarische Gruppen organisieren den Widerstand gegen eine solche Politik. Protestmaßnahmen gegen die sog. Hartz-Gesetze und die „Rente mit 67“ werfen die Frage nach wirkungsvolleren Kampfformen auf.
Warum tun sich Gewerkschaften so schwer?
Es ist nicht allein die neue Bundesregierung, die parlamentarischen Widerstand versanden lässt, es sind auch zu defensive Gewerkschaften, die z.B. durch ihre enge Bindung an die SPD-Führung noch blockiert sind. Ihre politische Nibelungentreue gegenüber einer Sozialdemokratie, die ihre traditionellen Ziele seit Gerhard Schröders „Agenda 2010“ aufgegeben hat, nützt den ArbeitnehmerInnen nichts mehr. Es fehlt hierzulande auch (noch) das für politische Streiks notwendige Klima. Es wird nicht reichen bloße Rufe nach einem extensiveren Streikrecht zu formulieren. Solange es die Gewerkschaften nicht selbst ernsthaft verlangen und die Gesellschaft nicht beansprucht, bleibt die Forderung an sich wirkungslos.
...oder haben sie Angst, die Leute nicht auf die Straße zu bekommen?
Das glaube ich nicht, auch wenn das Argument hier und da in Gewerkschaften kursiert. Die Gewerkschaften sind und waren in erster Linie Kampforganisationen und weniger „Ordnungsfaktor“ oder „Sozialpartner“. Die Sozialpartnerschaft besteht mittlerweile in den meisten Wirtschaftszweigen nicht mehr. Die Führungen der DGB-Gewerkschaften werden zunehmend von Funktionären, Mitgliedern und ganzen Gliederungen gedrängt sich dem Thema ernsthaft anzunehmen. Jede Art von Aufbegehren der Basis gegen bremsende Strukturen muss aktiv unterstützt werden. Es wird hier und da auch notwendig sein Selbstorganisation innerhalb der Gewerkschaften voran zu treiben.
Generalstreik-Forderung 1968...
Foto: Günter Zint, panfoto
Welche Gewerkschaften haben inzwischen das Politische Streikrecht verankert, wie ist die gegenwärtige Situation?
Im September 2009 hat als erste DGB-Gewerkschaft die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) mit einem Satzungsantrag zum politischen Streikrecht auf Ihrem Gewerkschaftstag ein deutliches politisches Signal gesetzt: „Die IG BAU setzt sich für ein umfassendes Streikrecht gemäß dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechts- und Sozialcharta, den Übereinkommen 87 (Vereinigungs-freiheit) und 98 (Versammlungsfreiheit) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein.“ Dieser Satz steht nun als weiteres Ziel gewerkschaftlicher Arbeit in der Satzung. Dieser Erfolg hat in den anderen Gewerkschaften zum nachahmen animiert. Ähnliche Anträge und Resolutionen sind u.a. beim DGB, ver.di und der IG Metall auf den Weg gebracht worden.
IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel (SPD) – noch im Jahr 2002 Befürworter der Hartz-Kommission – sieht inzwischen „das Volk verarscht“. Ist er inzwischen auch für die satzungsmäßige Verankerung des Generalstreiks?
Ich gehe davon aus, dass der Bundesvorstand meiner Gewerkschaft den von über 90 Prozent der Delegierten beschlossenen Satzungsauftrag genauso konsequent umsetzen wird, wie alle anderen Satzungsaufträge, die schon länger gelten.
Während die Bundesrepublik mit ihrer undemokratischen Rechtsprechung hinter die Weimarer Republik zurückfällt, ist in vielen Europäischen Ländern der Politische Streik als demokratisches Mittel überhaupt keine Frage.
Das hierzulande herrschende Richterrecht basiert auf einem vordemokratischen Rechtsverständnis und wurzelt in einer politischen Unkultur, die als obrigkeitsstaatlich zu bezeichnen ist. Was anderswo als normales Menschen- und Bürgerrecht gilt und zu den allgemeinen demokratischen Gepflogenheiten zählt, ist im „Land des Gehorsams“, wie Heinrich Heine einmal gesagt hat, zumindest verpönt, wenn nicht untersagt. NS-Traditionen und im sogenannten Dritten beziehungsweise Großdeutschen Reich an führender Stelle tätige Personen, die in Justiz und Verwaltung der Hitler-Diktatur zur Unterdrückung der Arbeiterbewegung beigetragen hatten, gelangten nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wieder in Spitzenpositionen und trugen dazu bei, dass im Arbeitskampfrecht der Bundesrepublik ein Demokratiedefizit verankert wurde.
...und auf einer Demonstration in Berlin im März 2009
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
Sie haben sich beim Europaparlament über die Situation in Deutschland beschwert, und dort eine Petition eingereicht. Wie lauten die Vorwürfe gegen die BRD?
Ich habe beantragt, dass das europäische Parlament folgendes beschließen möge: „den politischen Streik, hilfsweise den politischen Demonstrationsstreik gemäß dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechts- und Sozialcharta, den Übereinkommen 87 (Vereinigungsfreiheit) und 98 (Versammlungsfreiheit) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie dem Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) per Gesetz den Gewerkschaften zu ermöglichen“. In der Begründung der Petition habe ich u.a. folgendes vorgetragen: „Die deutsche Rechtsprechung erklärt den Generalstreik, den politischen Streik und den Demonstrationsstreik für rechtswidrig. Die zu diesem Streik aufrufende Gewerkschaft kann für die Schäden haftbar gemacht werden. Das Verbot des politischen Streiks und des Demonstrationsstreiks ist nicht mit europäischem Recht vereinbar. Die Europäische Sozialcharta (ESC) wurde 1965 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich. Unvereinbar mit der ESC ist die Beschränkung das Streiks nur auf tariflich regelbare Ziele geführt werden dürfen.“
Sie haben auch einen Brief an den Hessischen Landtag geschrieben? Mit welchem Erfolg?
Auch hier ist die inhaltliche Stoßrichtung ähnlich. Wobei diese Petition sich zusätzlich auf die hessische Landesverfassung bezieht. Diese legitimiert ausdrücklich ein umfassendes und uneingeschränktes Streikrecht der Gewerkschaften und unterstreicht die »Freiheit, sich in Gewerkschaften oder Unternehmervertretungen zu vereinigen, um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu verbessern«. Beide Petitionen wurden von den entsprechenden Ausschüssen in die parlamentarische Beratung aufgenommen. Sie werden somit behandelt. Das ist ein kleiner Erfolg, da dies auch in der gewerkschaftlichen Diskussion einfließen wird.
Im Mai diesen Jahres will Jürgen Rüttgers (CDU) als Ministerpräsident in NRW wiedergewählt werden, das dürfte die Position von Angela Merkel stärken. Wer den schwarz-gelben Koalitionsvertrag genau liest, sollte eigentlich Bescheid wissen. Worauf sollten sich die Gewerkschaften künftig einstellen?
Die Gewerkschaften müssten sich schon längst inhaltlich und organisatorisch auf beinharte Auseinandersetzungen einstellen. Die Wucht der neuen Wellen des Sozialabbaus und die weitere Beschneidung von Arbeitnehmerrechte werden verheerend sein. Auch werden die Angriffe auf unser bereits unzureichendes Streikrecht anhalten. Frontalangriffe auf das Streikrecht müssen die Gewerkschaften auch mit Bemühungen um eine Schärfung ihrer wichtigsten Waffe beantworten. Aus diesem Grund sollte der DGB versuchen, wieder in die Offensive zu gehen, und den Anspruch erheben, zentrale Forderungen auch mittels politischer Streiks durchzusetzen.
Wäre es da nicht aus purem Überlebenswillen heraus für die Gewerkschaften Zeit, sich robuster politisch zu äußern, als dies bisher der Fall war? Trillerpfeifen haben es ja offensichtlich bisher nicht gebracht.
Wenn wir nicht bald ernsthaft gegensteuern werden wir englische Verhältnisse bekommen. In Großbritannien wurden in den achtziger Jahren Gesetze erlassen, die den Einfluss der Gewerkschaften wesentlich zurückgedrängt haben. Im 1980 erlassenen Employment Act wurde das Aufstellen von Streikposten auf den eigenen Betrieb beschränkt, Sympathie- und Solidaritätsstreiks verboten, die gewerkschaftliche Immunität bei Gesetzesverstößen aufgehoben, Urabstimmungen vorgeschrieben usw. Bis 1993 folgten dann alle zwei bis drei Jahre weitere Gesetze zur Eindämmung der Gewerkschaftsmacht. Solche Forderungen sind auch hier schon formuliert worden und das wird immer wieder kommen. Ein Aspekt wurde bisher in den DGB-Gewerkschaften noch nicht diskutiert: Es stellt sich die Frage wie der in allen deutschen Gewerkschaften statt findende Mitgliederrückgang gestoppt werden kann. Nur mit Organizing oder anderen Maßnahmen wird eine Kehrtwende nicht zu erreichen sein. Beispiele aus europäischen Nachbarländern zeigen, dass durch die Ausweitung der gewerkschaftlichen Kampfmittel, die Arbeitnehmer zusätzlich politisiert werden und dass der Mitgliederschwund gestoppt und später wieder umgekehrt werden kann.
Sie hatten über den Politischen Streik bereits im Jahr 2008 ein vielbeachtetes Buch geschrieben. Ist nicht eine neue Fassung überfällig?
Seit der Veröffentlichung der ersten Broschüre ist einiges in Bewegung geraten. Teile der politischen Parteien und einzelne Medien beschäftigen sich mit dem Thema. In allen Gewerkschaften gibt es immer stärkere
Veit Wilhelmy
Quelle: privat
Diskussionen über die Anwendung des politischen Protestes in Form von kollektiven Arbeitsniederlegungen. Die Befürworter innerhalb der Gewerkschaften formieren sich und werden mehr. Es werden immer mehr Veranstaltungen von Partei- und Gewerkschaftsgliederungen oder außerparlamentarischen Organisationen durchgeführt. Die Forderung nach der Umsetzung von politisch motivierten Arbeitskämpfen ist Faktum und hat sich im ersten Schritt in den Gewerkschaften festgesetzt. Ein weiteres Buch zu dem Thema ist in Arbeit.
Veit Wilhelmy, danke für das Interview! (HDH)
Online-Flyer Nr. 232 vom 13.01.2010
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Arbeit und Soziales
Braut sich da immer mehr zusammen?
Grüne Jugend für Generalstreik
Von Hans-Dieter Hey
Veit Wilhelmy, die Grüne Jugend forderten den Politischen Streik. Was ist in die gefahren?
Ich war auch positiv überrascht. Aus dem Antrag geht u.a. hervor, dass die Grüne Jugend erkannt hat, dass die konservativ-neoliberale Bundesregierung sowie die Folgewirkungen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise
ver.di-Bildungsstätte: Gemälde
der Gewerkschaftsjugend
Foto: gesichter zei(ch/g)en
Eine von Ihnen initiierte Petition im Deutschen Bundestag zum Thema ist aber bereits abgelehnt worden.
Das war abzusehen. Trotzdem: Die Damen und Herren Abgeordneten wurden gezwungen, sich mit dem Thema zu befassen und was noch viel wichtiger war, die Debatte in den Gewerkschaften wurde befördert.
Wozu überhaupt politischer Streik für die Gewerkschaften?
Die deutsche Sozial- und Wirtschaftspolitik beeinflusst zunehmend direkt wie indirekt die Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden. Immer stärker greift der Gesetzgeber unmittelbar in die Einkommensverteilung ein, übrigens fast ausnahmslos gegen die berechtigten Interessen der lohnabhängig Beschäftigten. Schwer erkämpfte Erfolge der Gewerkschaften wie z.B. die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit werden durch die gesetzliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre wieder ausgehebelt. Somit gerät die Tarifpolitik zunehmend aus dem Gleichgewicht. Durch die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, den permanenten Sozialabbau und die einseitige Umverteilungspolitik zulasten der ArbeitnehmerInnen wird die staatliche Neutralitätspflicht gegenüber den Tarifvertragsparteien immer weiter ausgehöhlt. Vor allem die Gewerkschaften und außerparlamentarische Gruppen organisieren den Widerstand gegen eine solche Politik. Protestmaßnahmen gegen die sog. Hartz-Gesetze und die „Rente mit 67“ werfen die Frage nach wirkungsvolleren Kampfformen auf.
Warum tun sich Gewerkschaften so schwer?
Es ist nicht allein die neue Bundesregierung, die parlamentarischen Widerstand versanden lässt, es sind auch zu defensive Gewerkschaften, die z.B. durch ihre enge Bindung an die SPD-Führung noch blockiert sind. Ihre politische Nibelungentreue gegenüber einer Sozialdemokratie, die ihre traditionellen Ziele seit Gerhard Schröders „Agenda 2010“ aufgegeben hat, nützt den ArbeitnehmerInnen nichts mehr. Es fehlt hierzulande auch (noch) das für politische Streiks notwendige Klima. Es wird nicht reichen bloße Rufe nach einem extensiveren Streikrecht zu formulieren. Solange es die Gewerkschaften nicht selbst ernsthaft verlangen und die Gesellschaft nicht beansprucht, bleibt die Forderung an sich wirkungslos.
...oder haben sie Angst, die Leute nicht auf die Straße zu bekommen?
Das glaube ich nicht, auch wenn das Argument hier und da in Gewerkschaften kursiert. Die Gewerkschaften sind und waren in erster Linie Kampforganisationen und weniger „Ordnungsfaktor“ oder „Sozialpartner“. Die Sozialpartnerschaft besteht mittlerweile in den meisten Wirtschaftszweigen nicht mehr. Die Führungen der DGB-Gewerkschaften werden zunehmend von Funktionären, Mitgliedern und ganzen Gliederungen gedrängt sich dem Thema ernsthaft anzunehmen. Jede Art von Aufbegehren der Basis gegen bremsende Strukturen muss aktiv unterstützt werden. Es wird hier und da auch notwendig sein Selbstorganisation innerhalb der Gewerkschaften voran zu treiben.
Generalstreik-Forderung 1968...
Foto: Günter Zint, panfoto
Welche Gewerkschaften haben inzwischen das Politische Streikrecht verankert, wie ist die gegenwärtige Situation?
Im September 2009 hat als erste DGB-Gewerkschaft die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) mit einem Satzungsantrag zum politischen Streikrecht auf Ihrem Gewerkschaftstag ein deutliches politisches Signal gesetzt: „Die IG BAU setzt sich für ein umfassendes Streikrecht gemäß dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechts- und Sozialcharta, den Übereinkommen 87 (Vereinigungs-freiheit) und 98 (Versammlungsfreiheit) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein.“ Dieser Satz steht nun als weiteres Ziel gewerkschaftlicher Arbeit in der Satzung. Dieser Erfolg hat in den anderen Gewerkschaften zum nachahmen animiert. Ähnliche Anträge und Resolutionen sind u.a. beim DGB, ver.di und der IG Metall auf den Weg gebracht worden.
IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel (SPD) – noch im Jahr 2002 Befürworter der Hartz-Kommission – sieht inzwischen „das Volk verarscht“. Ist er inzwischen auch für die satzungsmäßige Verankerung des Generalstreiks?
Ich gehe davon aus, dass der Bundesvorstand meiner Gewerkschaft den von über 90 Prozent der Delegierten beschlossenen Satzungsauftrag genauso konsequent umsetzen wird, wie alle anderen Satzungsaufträge, die schon länger gelten.
Während die Bundesrepublik mit ihrer undemokratischen Rechtsprechung hinter die Weimarer Republik zurückfällt, ist in vielen Europäischen Ländern der Politische Streik als demokratisches Mittel überhaupt keine Frage.
Das hierzulande herrschende Richterrecht basiert auf einem vordemokratischen Rechtsverständnis und wurzelt in einer politischen Unkultur, die als obrigkeitsstaatlich zu bezeichnen ist. Was anderswo als normales Menschen- und Bürgerrecht gilt und zu den allgemeinen demokratischen Gepflogenheiten zählt, ist im „Land des Gehorsams“, wie Heinrich Heine einmal gesagt hat, zumindest verpönt, wenn nicht untersagt. NS-Traditionen und im sogenannten Dritten beziehungsweise Großdeutschen Reich an führender Stelle tätige Personen, die in Justiz und Verwaltung der Hitler-Diktatur zur Unterdrückung der Arbeiterbewegung beigetragen hatten, gelangten nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wieder in Spitzenpositionen und trugen dazu bei, dass im Arbeitskampfrecht der Bundesrepublik ein Demokratiedefizit verankert wurde.
...und auf einer Demonstration in Berlin im März 2009
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
Sie haben sich beim Europaparlament über die Situation in Deutschland beschwert, und dort eine Petition eingereicht. Wie lauten die Vorwürfe gegen die BRD?
Ich habe beantragt, dass das europäische Parlament folgendes beschließen möge: „den politischen Streik, hilfsweise den politischen Demonstrationsstreik gemäß dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechts- und Sozialcharta, den Übereinkommen 87 (Vereinigungsfreiheit) und 98 (Versammlungsfreiheit) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie dem Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) per Gesetz den Gewerkschaften zu ermöglichen“. In der Begründung der Petition habe ich u.a. folgendes vorgetragen: „Die deutsche Rechtsprechung erklärt den Generalstreik, den politischen Streik und den Demonstrationsstreik für rechtswidrig. Die zu diesem Streik aufrufende Gewerkschaft kann für die Schäden haftbar gemacht werden. Das Verbot des politischen Streiks und des Demonstrationsstreiks ist nicht mit europäischem Recht vereinbar. Die Europäische Sozialcharta (ESC) wurde 1965 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich. Unvereinbar mit der ESC ist die Beschränkung das Streiks nur auf tariflich regelbare Ziele geführt werden dürfen.“
Sie haben auch einen Brief an den Hessischen Landtag geschrieben? Mit welchem Erfolg?
Auch hier ist die inhaltliche Stoßrichtung ähnlich. Wobei diese Petition sich zusätzlich auf die hessische Landesverfassung bezieht. Diese legitimiert ausdrücklich ein umfassendes und uneingeschränktes Streikrecht der Gewerkschaften und unterstreicht die »Freiheit, sich in Gewerkschaften oder Unternehmervertretungen zu vereinigen, um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu verbessern«. Beide Petitionen wurden von den entsprechenden Ausschüssen in die parlamentarische Beratung aufgenommen. Sie werden somit behandelt. Das ist ein kleiner Erfolg, da dies auch in der gewerkschaftlichen Diskussion einfließen wird.
Im Mai diesen Jahres will Jürgen Rüttgers (CDU) als Ministerpräsident in NRW wiedergewählt werden, das dürfte die Position von Angela Merkel stärken. Wer den schwarz-gelben Koalitionsvertrag genau liest, sollte eigentlich Bescheid wissen. Worauf sollten sich die Gewerkschaften künftig einstellen?
Die Gewerkschaften müssten sich schon längst inhaltlich und organisatorisch auf beinharte Auseinandersetzungen einstellen. Die Wucht der neuen Wellen des Sozialabbaus und die weitere Beschneidung von Arbeitnehmerrechte werden verheerend sein. Auch werden die Angriffe auf unser bereits unzureichendes Streikrecht anhalten. Frontalangriffe auf das Streikrecht müssen die Gewerkschaften auch mit Bemühungen um eine Schärfung ihrer wichtigsten Waffe beantworten. Aus diesem Grund sollte der DGB versuchen, wieder in die Offensive zu gehen, und den Anspruch erheben, zentrale Forderungen auch mittels politischer Streiks durchzusetzen.
Wäre es da nicht aus purem Überlebenswillen heraus für die Gewerkschaften Zeit, sich robuster politisch zu äußern, als dies bisher der Fall war? Trillerpfeifen haben es ja offensichtlich bisher nicht gebracht.
Wenn wir nicht bald ernsthaft gegensteuern werden wir englische Verhältnisse bekommen. In Großbritannien wurden in den achtziger Jahren Gesetze erlassen, die den Einfluss der Gewerkschaften wesentlich zurückgedrängt haben. Im 1980 erlassenen Employment Act wurde das Aufstellen von Streikposten auf den eigenen Betrieb beschränkt, Sympathie- und Solidaritätsstreiks verboten, die gewerkschaftliche Immunität bei Gesetzesverstößen aufgehoben, Urabstimmungen vorgeschrieben usw. Bis 1993 folgten dann alle zwei bis drei Jahre weitere Gesetze zur Eindämmung der Gewerkschaftsmacht. Solche Forderungen sind auch hier schon formuliert worden und das wird immer wieder kommen. Ein Aspekt wurde bisher in den DGB-Gewerkschaften noch nicht diskutiert: Es stellt sich die Frage wie der in allen deutschen Gewerkschaften statt findende Mitgliederrückgang gestoppt werden kann. Nur mit Organizing oder anderen Maßnahmen wird eine Kehrtwende nicht zu erreichen sein. Beispiele aus europäischen Nachbarländern zeigen, dass durch die Ausweitung der gewerkschaftlichen Kampfmittel, die Arbeitnehmer zusätzlich politisiert werden und dass der Mitgliederschwund gestoppt und später wieder umgekehrt werden kann.
Sie hatten über den Politischen Streik bereits im Jahr 2008 ein vielbeachtetes Buch geschrieben. Ist nicht eine neue Fassung überfällig?
Seit der Veröffentlichung der ersten Broschüre ist einiges in Bewegung geraten. Teile der politischen Parteien und einzelne Medien beschäftigen sich mit dem Thema. In allen Gewerkschaften gibt es immer stärkere
Veit Wilhelmy
Quelle: privat
Veit Wilhelmy, danke für das Interview! (HDH)
Online-Flyer Nr. 232 vom 13.01.2010
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