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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Aktuelles
Mit Wirtschaftsschlaumeiern und Talks-Shows:
Von einer Krise in die nächste
Von Hans-Dieter Hey

Über die neu eröffnete Diskussion in zweifelhaften Talkrunden um das Thema Hartz IV,  über  politische Anbiederung und Nebelbomben und die von Seiten der Politik ignorierte Verantwortung für den durch Hartz IV verursachten gesamtgesellschaftlichen Schaden beschwert sich das Berliner Bündnis Montagsdemo bei Ministerin von der Leyen in einem offenen Brief, den wir im Wortlaut abdrucken. Die Redaktion.



Anne Will und die "unerträgliche Talk-Show"
Quelle: NDR

OFFENER BRIEF an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales


Sehr geehrte Frau von der Leyen,

die Diskussion in der Talk-Show bei Anne Will in der ARD am 10.01.2010 war einfach unerträglich, wie auch Ihr Interview in der “Bild”-Zeitung. Wie schon andere Minister vor Ihnen als auch diverse andere Politiker und “Wirtschafts- und Arbeitsmarktexperten” wie u.a. der “Wirtschaftsweise” Wolfgang Franz werden die Verursacher der hohen Arbeitslosigkeit nicht müde, Ihr eigenes Unvermögen in übelster Hetze auf die Betroffenen abzuwälzen. Ein beliebtes Mittel hierbei ist immer wieder die Spaltung der Gesellschaft in Zahlende und Empfänger.

Spätestens seit dem Ende des sog. “Wirtschaftswunder” Ende der 60er Jahre ist die Arbeitslosigkeit stetig und rasant gestiegen. Seit mindestens

Ursula Von der Leyen
Foto: D. Vorderstraße/Wikipedia
  dieser Zeit versprechen alle Politiker quer durch die neoliberale Parteienlandschaft immer wieder den Abbau der Arbeitslosigkeit. Den “Erfolg” der jahrzehntelangen Wirtschafts- und Sozialpolitik eben dieser neoliberalen Parteien gepaart mit der “guten Beratung” des Sachverständigenrates, der sog. Wirtschaftsweisen können wir eindrucksvoll erleben.

Wie wäre es denn, wenn Sie, Ihre Parteigenossen und ihre hochbezahlten Berater endlich einmal damit beginnen, die Zeit, die sie für die Hetze und Stiftung des sozialen Unfriedens aufbringen, dafür zu nutzen, den Bürgern und Wählern und insbesondere den Betroffenen nachhaltig, ausführlich und ohne die üblichen nebulösen Floskeln zu erklären, warum es ihnen in den letzten vierzig Jahren nur gelungen ist, die Arbeitslosigkeit zu steigern. Warum wir Dank der Wirtschafts- und Sozialpolitik als auch der Finanzpolitik der letzten vierzig Jahre ständig von einer Wirtschaftskrise in die nächste stolpern.

Es ist unerträglich ständig zu hören, man müsse den Arbeitslosen bzw. Hartz-IV Betroffenen “Arbeitsgelegenheiten” bieten, damit sie “sich verwirklichen können”, “unter Menschen kommen” oder wieder “einen geregelten Tagesablauf” lernen. Dass die Menschen von der Arbeit menschenwürdig leben können und wollen, spielt hierbei für Sie und Ihre Experten eine untergeordnete Rolle. Der Slogan:”Wer vom Staat Leistungen bezieht, soll auch etwas dafür tun” ist grundsätzlich richtig. Aber bitte schön zu fairen Entlohnungen und nicht durch staatlich verordnete Umgehung des regulären Arbeitsmarktes, der Tarifautonomie und des Mindestlohnes. Arbeit muss sich lohnen !

Im Übrigen erhalten auch Sie als Politiker staatliche Leistungen. Ihre Bezüge werden vom Steuerzahler finanziert. Von der Verkäuferin von nebenan, vom Ingenieur auf der Baustelle ebenso wie von der Friseuse und der Altenpflegerin. Wie oben schon festgestellt, darf man sich fragen, ob die Bezahlung gemessen am Erfolg der letzten vierzig Jahre Politik angemessen und gerecht ist.



Quelle: Berliner Montagsdemo

Nicht verwunderlich wohl aber dreist ist es, dass ausgerechnet sogenannte und selbsternannte Experten und Leistungsträger mit überdimensionalen Einkommen bei zweifelhaften Leistungen ihren Mitbürgern, insbesondere den Hartz IV-Betroffenen Arbeit zu Einkommen zumuten bzw. sie dazu zwingen wollen, von denen ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben nicht möglich ist und für das sie selbst nie arbeiten würden. Nicht zuletzt sind diese Herrschaften meist Profiteure und Verursacher der Massenarbeitslosigkeit zugleich.

Wäre es da nicht angemessen, wenn die Politiker, “Sachverständigen”, “Wirtschaftsexperten” “Leistungsträger” “Finanzexperten” usw., die meinen es würde reichen, wenn Hartz IV-Betroffene und Arbeitslose sich zu einem Hungerlohn “selbst verwirklichen” “unter Menschen kommen” “einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen” oder “einen geregelten Tagesablauf lernen” einmal selbst das Produkt Ihrer Politik und Ihres Tuns testen und zumindest für einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren mal zum Hartz IV-Satz leben. Die Differenz des Einkommens könnten die Herrschaften ja dann zur Tilgung der Staatsverschuldung abgeben.

Ich würde schon ein ernsthaftes Argument erwarten, warum man nicht zumindest vorübergehend zu den gleichen Bedingungen bereit ist zu leben, die man Anderen zumutet bzw. zu denen man andere zwingt.Gerade in Anbetracht der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise darf man an die Fähigkeiten und den Sachverstand der Experten zweifeln, zumal ich mich frage, wer denselben den Sachverstand zugesprochen hat. Man musste nicht Experte sein, um diese Finanzkrise vorhersehen zu können.

Bedauerlich ist gerade in Interviews und Talk-Shows immer wieder, das Fragen immer nur mit den alt bekannten Floskeln und Behauptungen beantwortet, aber diese Behauptungen und Floskeln nie sachgerecht begründet werden.

Sofern nun wieder das altbewährte Argument kommt, man könne nur meckern, habe aber keine Alternativen oder Lösungsvorschläge, so bin ich gern bereit, Ihnen diese in einem Gespräch zu unterbreiten. Allerdings wäre es dafür schon notwendig, über den Tellerrand dieses Wirtschafts- und Finanzsystems hinausschauen und sich den Realitäten und der Wirklichkeit der Folgen verfehlter Politik zu stellen.

Der politische Kurs insbesondere der letzten 10 Jahre als auch der Gegenwart und speziell die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hat die soziale Ungerechtigkeit drastisch verschärft, er spaltet die Gesellschaft und stiftet sozialen Unfrieden bis hin zu sozialen Unruhen. Er beseitigt nicht, er fördert Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut und fügt mit den Folgen derselben dem Land einen hohen wirtschaftlichen und sozialen Schaden zu. Es ist eine Politik der gnadenlosen und skrupellosen Ausbeutung und Verelendung der Massen zu Gunsten einiger Weniger.

Mit freundlichen Grüßen

Quelle: Fred S. - Berliner Bündnis Montagsdemo

Online-Flyer Nr. 232  vom 13.01.2010

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