Filmclips
Das kleine rechtsrheinische Wunder in Köln
Von Peter Kleinert
1979 hatte die Gründungsgruppe der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) in Köln-Mülheim das Gelände einer ehemaligen Schnapsbrennerei besetzt und damit begonnen, Wohnraum zu schaffen. SSM, das waren damals eine Sozialpädagogin, ein Jura-/Orientalistikstudent und Sozialarbeiter, deren zwei Kinder, ein ehemaliger Bankkaufmann, ein ehemaliger Bergarbeiter. Bald kamen ein Rollstuhlfahrer und eine Mutter mit zwei geistig behinderten Söhnen dazu. In den Jahren unserer Filmaufnahmen bestand die SSM aus 20 Menschen.
Eine Umzugs- und Entrümpelungsfirma wurde gegründet, um den Unterhalt zu erwirtschaften. Die Produktionsmittel, z.B. der LKW, gehören allen gemeinsam. Die SSM ist im Stadtteil Mülheim fest verankert. Sie steht für zahlreiche Stadtteilprojekte, darunter den "Kulturbunker", den "Böckingtreff", die "MüZe" und die "Mülheimer Erklärung", zur sozialen Sanierung der Industriebrache um den alten Güterbahnhof.
Herzstück der SSM ist die "Verantwortung", der Gemeinschaftsraum, in dem dieselbe täglich einem anderen SSMler übertragen wird. "Die "Verantwortung" ist 24 Stunden am Tag an allem schuld, was menschlich und organisatorisch den Bach runter geht und muß am folgenden Tag die Morgenrunde leiten, in der die anstehenden Arbeiten verteilt, Probleme erörtert, Informationen weitergegeben werden und manchmal heftig gestritten wird.
Arbeit ist auch hier ein zentraler Begriff, nur kann man/frau sie sich selbst aussuchen: Das geht vom Umzugfahren über Holzhacken und Heizen, vom Kochen des gemeinsamen Mittagessens bis zum Ladendienst für die Gebrauchtmöbel, vom Schreiben eines Flugblatts bis zum Stadtteilbeirat. Aus den Einnahmen erhält jeder SSMler ein Taschengeld. Kleidung und Möbel gibts im eigenen Laden umsonst.
Die SSM will und braucht keinerlei staatliches/kommunales Geld. Stadt Köln, Staat, Sozialhilfe, Arbeitsamt sparen durch dieses Selbsthilfe-Modell, das inzwischen durch Vortragsveranstaltungen auch in anderen Bundesländern Schule macht, jährlich einige zigtausend Euro.
Einer ihrer Gründer, Rainer Kippe, formuliert in diesem Film das Wesen der SSM: "Die SSM ist philosophisch, spirituell, natürlich politisch." Wir haben ihn für die "Ausstellung der SSM" im Rahmen von "Ökonomien der Zeit" durch die Hamburger Künstler Jelka Plate und Malte Willms im Kölner Museum Ludwig gemacht und dabei Videomaterial aus einer fünf Jahre andauernden Langzeitbeobachtung verwendet. Siehe auch: Mülheimer Erklärung, 17 Stücke über die SSM, Die SSM und die Schüler der Mülheimer Gesamtschule, Rolf Stärks Rede auf der Benefizveranstaltung.
Die "Presse" konnte Ergebnisse unserer sieben Jahre dokumentarischer Videoarbeit bei der SSM bisher nicht würdigen, weil "das Fernsehen" sich bisher konsequent geweigert hat, uns einen kürzeren oder längeren Film zu diesem Thema senden zu lassen. (PK)
Autoren: Rea Karen und Peter Kleinert. Künstler: Jelka Plate, Malte Willms
Auftraggeber: KAOS Film- und Video-Team Köln. Produktionsjahr: 2002
Länge: 12 und 96 min.
Kamera/Ton: Rea Karen, Peter Kleinert, Schnitt: Peter Kleinert, TV-Redaktion: bisher keine
Bestellungen möglich bei http://www.kaos-archiv.de/
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Online-Flyer Nr. 233 vom 22. November 2024