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Arbeit und Soziales
Aus Kochs geistiger Giftküche
Kommt wieder der Arbeitsdienst?
Von Hans-Dieter Hey

Der Hessische Ministerpräsident und CDU-Vize Roland Koch hat seinem Ruf als geistiger Brandstifter wieder einmal alle Ehre gemacht. Er forderte Instrumente gegen Erwerbslose, zum Beispiel die „Arbeitspflicht“, „damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante sieht“. Dass es in der CDU und durch Angela Merkel keinen Aufschrei zu dieser Entgleisung gab, forderte den stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion, Klaus Ernst, heraus. Er warf den Christdemokraten Charakterlosigkeit vor. Doch die „Arbeitspflicht“ stand bereits im Regierungsprogramm für 2009 – 2013 von CDU/CSU, die sich gern auf konservative Traditionen berufen.

Teile und herrsche mit Zwangsarbeit

Im Regierungsprogramm zum Wahlkampf 2009 heißt es unter anderem: „Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll grundsätzlich mit einer Gegenleistung verbunden sein.“ Und damit dürfte nichts anderes als der Arbeitsdienst gemeint gewesen sein. Unions-Fraktionschef Volker Kauder konkretisierte das am 18. Januar in der BILD sanfter und kündigte schon mal an: „Die Kommunen sollten mehr als bisher von der Möglichkeit Gebrauch machen, Hartz IV- Empfänger zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen. Wenn dazu Gesetzesänderungen notwendig sein sollten, müsste man dies machen.“

Prof. Gunnar Winkler vom Sozialverband Volkssolidarität kommentierte am 19. Januar die politischen Entgleisungen: „Verbale Angriffe des hessischen Ministerpräsidenten und anderer vor ihm gegen jene, die auf ALG II und Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, sind beleidigend und gefährden den sozialen Frieden. Zugleich wird damit nur abgelenkt von denen, die verantwortlich sind für die Finanzkrise und ihre Folgen, für Massenarbeitslosigkeit, Armut von Millionen und Sozialabbau.“ Den Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer beunruhigt ebenfalls, dass Hartz IV die Gesellschaft derartig spaltet. Nach seiner Untersuchung würden in weiten Teilen Langzeitarbeitslose immer noch für ihre Situation verantwortlich gemacht. Und das bei sieben Millionen fehlender Arbeitsplätze. Für die Umfrage-Feststellung „Ich finde es empörend, wenn sich Langzeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“ erhielten die Forscher eine Zustimmungsquote von 60 Prozent. Der Aussage „Wenn man Langzeitarbeitslose zu öffentlichen Arbeiten heranzieht, stellt sich bald heraus, wer arbeiten will und wer nicht“, stimmten 88,5 Prozent der Befragten zu. Das wahre Ausmaß und die gesellschaftliche Wirkung von Hartz IV scheint deshalb von vielen Menschen immer noch nicht begriffen worden zu sein.


Montage: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en

Dass konservative Politiker für ihre Zwangsarbeitsträume Rückhalt in Teilen der Gesellschaft finden, erhoffte schon der CSU-Wirtschaftsminister von der unglückseligen Gestalt, Michael Glos, als er im Jahr 2007 den Zwangsarbeitsdienst forderte. Vielleicht war Roland Kochs neuer Vorstoß auch nur eine Nebelkerze, um auszuloten, was geht, und was nicht, und möglicherweise haben CDU/CSU längst mehr vor. Bereits am 7. Januar hat der Berater der Bundesregierung und Vorsitzende der sogenannten „Wirtschaftsweisen“, Prof. Dr. Wolfgang Franz, in BILD unter der Überschrift „Arbeitszwang für Hartz IV-Empfänger“ seine Forderungen an die schwarz-gelbe Regierung gestellt: Kürzung des Regelsatzes von 359 Euro auf 251 Euro monatlich und die Arbeitspflicht für Transferzahlungen. Franz begründete das so: „Die Verkäuferin im Supermarkt finanziert diese Fürsorgeleistung über ihre Steuern mit und erwartet mit Recht, dass Empfänger dafür eine Gegenleistung erhalten.“ Auch die Baden-Württembergische CDU drängte auf Kürzungen der Hartz IV-Regelsätze, und Max Strobl, Chef der CDU-Landesgruppe, ergänzte am 17. Januar, Langzeitarbeitslose müssten stärker gefordert werden. In der Zeitschrift „focus“ forderte Roland Koch – vom „Erwerbsforum Deutschland“ als Brandstifter sozialer Unruhen ausgemacht – einen Tag zuvor noch mehr Abschreckung für Arbeitslose, „sonst ist das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich“.

Hartz-IV-Desaster politisch geleugnet

Dass allerdings die Hartz-IV-Politik von Gerhard Schröder bis zu Angela Merkel erst zu dieser Unerträglichkeit geführt hatte, wird von der Politik gern verschwiegen. Es wäre das Eingeständnis des Scheiterns der für 2005 groß angekündigten „Reform“. Doch es dürfte den Dümmsten inzwischen nicht entgangen sein, dass vor allem durch Hartz IV massenhaft existenzsichernde Arbeitsplätze vernichtet wurden. Fasst man also die Ergebnisse von Hartz IV zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Hartz IV ist ein gigantisches Verarmungsprogramm, nicht nur für Arbeitslose, sondern auch für die sogenannten „Leistungsträger“, weil die Löhne bis heute erodieren. Teile von Hartz IV sind eindeutig aus unserer konservativ-autoritären, teilweise faschistischen Tradition entlehnt, auf die wir uns im Jahr 2010 nicht mehr berufen sollten.

Hartz IV ist in Teilen ohnehin verfassungswidrig. Hartz IV hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt deutlich verschärft, außer prekären oder Ein-Euro-Jobs keine nennenswerten Arbeitsplätze geschaffen und die Gesellschaft zunehmend gespalten. Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 haben – internationalen Untersuchungen von UNICEF bis OECD zufolge – die Benachteiligung von Kindern und die Kinderarmut ein bedrohliches Ausmaß angenommen. Und schließlich wurden die Arbeitsmarktzahlen mittels statistischer Tricks geschönt, um einen Erfolg des Systems vorzutäuschen. Offenbar hatte auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ diese Realitäten nicht mitbekommen, als er am 15. Dezember 2009 gemeinsam mit dem regierungsnahen IAB-Institut ein „Gutes Zeugnis für Hartz IV“ ausstellte.

Zwangsarbeit als konservative Tradition

Die christdemokratischen Wünsche nach Kürzung der Hartz-IV-Sätze, verbunden mit einem Arbeitsdienst, hat in Deutschland eine ganz bittere Tradition. Am 12. Mai 1932, zum Ende der Weimarer Republik, begann in Deutschland die Militärdiktatur, der Anfang 1933 der Hitlerfaschismus mit der späteren Zwangsarbeit, dem Reichsarbeitsdienst folgte. Am 17. Mai 1932 war in „Die Weltbühne“ folgendes zu lesen: „Der Ton im Worte Arbeitsdienstpflicht liegt heute weniger auf den beiden ersten Silben ‚Arbeit‘, sondern auf den letzten ‚Dienstpflicht‘. Die Jugend soll wieder an preußische Ordnung und Zucht gewöhnt werden...so bedeutet die Einführung der Arbeitsdienstpflicht innenpolitisch einen schwereren Schlag gegen die Grundsätze der Demokratie als die allgemeine Wehrpflicht.“

Das entspricht ziemlich genau dem heutigen „Fordern und Fördern“. Denn von den Förderungen, vor allem Langzeitarbeitsloser, sind trotz vollmundiger politischer Verlautbarungen und zweifelhafter Kurse inzwischen kaum Fragmente übrig geblieben. Verbleibt also das Fordern – und sei es durch neue Formen von Zwangsarbeit. So stehen wir offenbar heute wieder an einer Stelle, an der jede Menge kleiner Jobs, durch die man Hartz IV in Form eines „Kombilohns“ ein bisschen aufstocken kann, entstehen. Das wird weiter zahlreiche reguläre Arbeitsplätze kosten.


Offenbar ein Mißverständnis...
Foto: H.-D. Hey - gesichterzei(ch/g)en

Am 24. Januar 1933 wusste die Zeitschrift „Die Weltbühne“ zu berichten, dass der „Krebsschaden“ des Arbeitsdienstes eine „Lohnsenkungsmanie“ zur Folge gehabt habe. Und es finde, so weiter, „auf diesem Wege ein kalter Abbau der Tarifverträge und der gesamten sozialpolitischen Errungenschaften der Arbeiterschaft statt, gegen den die Arbeitsorganisationen grade in der heutigen Lage nicht scharf, nicht energisch genug kämpfen können“. Und weil damals offenbar niemand energisch genug dagegen gekämpft hat, traten die bekannten furchtbaren Folgen ein. So haben wir heute wieder mit der Frage zu tun – die vor allem auch an den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Einzelgewerkschaften gerichtet werden muss – warum nicht energisch genug gegen diese Entwicklung gekämpft wird.

In diesem Zusammenhang muss an eine Aussage von Angela Merkel erinnert werden, die sie am 16. Juni 2005, anlässlich des 60jährigen Bestehens der CDU, getroffen hatte: „Politik ohne Angst, Politik mit Mut – das ist heute erneut gefragt. Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und Soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ Damals war sie noch nicht Bundeskanzlerin. Heute bestimmt sie mehr und mehr als Steigbügelhalterin des Kapitals und der Wirtschaftslobby die Richtlinien der Politik. Doch als Konservative mit der Verweigerungshaltung jeglicher Gesellchaftsveränderung gegenüber sollte sie aufpassen, nicht zu viele von diesen Traditionen zu übernehmen, auf die sich gern beruft. Auf Demokratie und Freiheit können wir auf keinen Fall verzichten. Auf die „Soziale Marktwirtschaft“ mit ihrem Marktfundamentalismus, mehr und mehr repräsentiert durch einen brutalst-möglichen Kapitalismus nebst diesem innewohnender Unterdrückung und Angsterzeugung, allerdings gern. Sinn- und zwecklose Straf- und Verfolgungsexzesse durch die Angstmaschinen ARGE und Job-Center mit den Folgen von Kürzungen und Obdachlosigkeit gibt es bereits zuhauf. Zu viele solcher Traditionen werden sich, wie man weiß, irgendwann bitter rächen. (PK)




Online-Flyer Nr. 233  vom 20.01.2010

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