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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Lokales
Kölner Beschäftigungsprojekt mit wenig Chancen für Betroffene
„Win-Win“ und die Folgen
Von Elisabeth Sachse

Kürzlich stellte die Stadt Köln ein Prestige-Projekt unter dem Namen „Win-Win“ vor, worunter zu verstehen ist, dass die Öffentliche Hand mit Hilfe des Einsatzes von Langzeiterwerbslosen und jugendlichen Erwerbslosen unter 25 Jahren denkmalgeschützte Objekte wie die Bottmühle im Laufe eines Jahres renovieren und einer größeren Allgemeinheit zugänglich machen will. Eine Anfrage bei beim Schuldezernat ergab, dass in dieses Programm auch die Anlage des Bauspielplatzes Friedenspark aufgenommen worden ist.



Kölner  Bottmühle
Foto: wikipedia


Nach dem Ein-Euro-Job der Null-Euro-Job

Wenn man weiß, dass die Betreiber des Bauspielplatzes, die JugZ gGmbH, von der Stadt beauftragt worden ist, Sparmaßnahmen vorzunehmen, die eine Schließung von bis zu vier Jugendeinrichtungen vorsehen können, fällt es schwer, darin nicht eine gewisse Art von Zynismus zu entdecken: Jugendlichen, denen Rückzugsmöglichkeiten in Form von Jugendzentren immer mehr verwehrt werden, sollen diese Einrichtungen als Teilnehmer von Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen in Stand setzen, ohne dass sich ihre persönliche Ausgangssituation in Bezug auf Bildung oder Arbeitsmarkt verbessern könnten, denn eine Studie des IAB aus 6/2008 belegt, dass „nicht-betriebliche Trainingsmaßnahmen dagegen die Beschäftigungswahrscheinlichkeit der Geförderten kaum erhöhen.“(„Trainingsmaßnahmen: Für welche unter 25-jährigen Arbeitslosengeld II-Empfänger erhöhen sie die Beschäftigungschancen?“, Martina Hartig, Eva Jozwiak und Joachim Wolff)

Diesem Qualitätskriterium müssen sich die vom Geschäftsführer der ArGe Köln, Müller-Stahrmann, in dem neuen Eingliederungstitel-(EGT) Haushalt vorgeschlagenen Maßnahmen in Höhe von 35 Mio. Euro, oder anders ausgedrückt, in 25.607 zu verwirklichenden Förderfällen stellen. Auch hier steht zu befürchten, dass einzig die Maßnahmeträger, also die Anbieter von außerbetrieblichen Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen wie Bewerbungstrainings u.ä., die Nutznießer dieses doch nicht unbeachtlich erscheinenden Betrages sein werden. Bei diesen Maßnahmen entfällt die

ARGE-Chef Müller-Starmann
Foto: H.-D. Hey
Mehraufwandsentschädigung (à la Ein-Euro-Job), d.h. Fahrtkosten u.ä. müssen die Teilnehmer aus ihrem Regelsatz zahlen, und es besteht für die Teilnehmer die Gefahr, bei „ungebührlichem Verhalten“ sanktioniert zu werden, wobei diese Sanktionierungen von Seiten der Träger willkürlich vorgenommen werden, was die zahlreich stattgegebenen Widersprüche der Sozialgerichte belegen. Doch wird wahrscheinlich auch zukünftig nichts unversucht gelassen werden, um damit die Kosten der ArGe zu senken. Zumindest  wird aber Eines deutlich: Es wird zu einem nicht unbeträchtlichen Teil an der Erwerbslosigkeit verdient.


Kölner Statistik: Arbeitslosigkeit um 40 Prozent geschönt


Ein nicht zu unterschätzender Effekt wird allerdings auch der statistische sein: jeder Teilnehmer zählt zunächst nicht mehr als erwerbslos, was bei einer Zahl von zuletzt ca. 66 000 Erwerbslosen (ohne U-25-jährige und Erwerbstätige im Hilfebezug) bedeutet, dass der statistische Wert der Erwerbslosigkeit um nahezu 40 Prozent abgesenkt werden kann. Es stellt sich die Frage, wer die eigentlichen Gewinner dieser „Win-Win“-Projekte sein werden: neben den Maßnahme-Trägern doch wohl die Stadt selber, denn sie bekommt Renovierungsarbeiten geliefert, die eigentlich durch handwerklich geschulte Arbeitnehmer, wie man sie in Handwerksbetrieben noch finden kann, ausgeführt werden sollten. Da diese aber ihre Arbeit zu den Dumping-Preisen, die sich aus unbezahlten Arbeitskräften, für die auch keine Abgaben in die Sozialversicherungssysteme abzuführen sind, ergeben, nicht anbieten können, ist dieser Teil unserer städtischen Gesellschaft neben den Maßnahmeteilnehmern die zweite Gruppe, die nicht zu den Gewinnern gerechnet werden kann.

Hier zeigt sich ganz deutlich, wie sehr das neoliberale Projekt der Hartz-Reformen auch einen Angriff auf gewachsene Berufsqualifikations- und Betriebsstrukturen darstellen. Es ist zwar nachvollziehbar, dass die Kommunen in Anbetracht der desolaten Finanzlage, woran sie allerdings selbst nicht ganz unschuldig sind (man erinnere bitte die Vorgänge um die Messehallen), Überlegungen anstellen, ihre Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge in Nicht-zu- bezahlende- Beschäftigungsverhältnisse zu überführen. Doch dies bedeutet, wie unlängst in einer WDR-Dokumentation über die Stadt Hagen zu sehen war, einen entrechteten Dauerzustand für die Beschäftigten: dort äußerte ein Ein-Euro-Jobber, dass er seit Jahren für die Stadt auf dem Friedhof tätig ist, was bedeutet, dass er jederzeit sofort kündbar (und sanktionierbar) ist und keinerlei Ansprüche auf reguläres ALG I erwirbt, geschweige denn ordentliche Rentenanwartschaften.

Zahlen in Köln Beschäftigte ihre Arbeitslosigkeit künftig allein?

Wenn das keine Zwangsarbeit ist, was dann?  In diesem Zusammenhang wird auch nachvollziehbar, warum immer mehr Kommunen im Zuge der verfassungsgerichtlich geforderten Auflösung der ArGen das „Optionsmodell“ für sich favorisieren: sie erwerben damit eine Verteilungsmacht über große Summen aus dem Haushaltstitel „Integrationsmaßnahmen“ der Bundesagentur für Arbeit. Ihr Argument dafür ist, dass die Kommune selber den Arbeitsmarkt vor Ort am besten kennen würde, worunter aber doch nur derjenige zu verstehen sein kann, den sie selber als Arbeitgeber im Blick hat. Denn ein Kriterium für Integrationsmaßnahmen ist die gemeinnützige Zusätzlichkeit. Das bedeutet, dass die Kommune über die Definitionsmacht verfügt und die aufgrund von Sparmaßnahmen nicht mehr angebotenen Dienstleistungen dann über das Zusätzlichkeitskriterium durch Ein-Euro-Jobber ausführen lassen kann.

Da die Aufwendungen, die durch solche Maßnahmen entstehen, zudem aus dem Topf „Integrationsmaßnahmen“ der Bundesagentur für Arbeit beglichen werden, liegt hier ein Skandal im Verborgenen, der endlich benannt werden muss: Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge werden aus dem Topf der Versicherungsleistungen, die ursprünglich zur Absicherung gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit eingerichtet worden sind, gezahlt. Die seit Jahren zugunsten der Besserverdienenden und Vermögenden vorgenommenen Steuersenkungen, gepaart mit den Folgen aus Produktivitätssteigerung und Arbeitsplatzabbau, zeigen endlich die von den Neoliberalen gewünschte Wirkung: die Arbeitnehmer und Erwerbslosen finanzieren in zunehmendem Maß nicht nur Erwerbslosigkeit (Erwerbslose zahlen auch durch ihren Verzicht auf gesellschaftliche Beteiligung), denn notwendig erscheinende Anhebungen des Prozentsatzes in der Erwerbslosenversicherung sollen zukünftig nur auf Seiten der Arbeitnehmer vorgenommen werden,  Aufgaben der öffentliche Daseinsvorsorge, die eigentlich steuerfinanziert zu leisten sind, werden überführt in Integrationsmaßnahmen und damit die Haushalte der öffentlichen Hand entlastet auf Kosten der Erwerbslosenversicherung.

Hier wird die Zielsetzung der neoliberalen Politiker deutlich: Eine Absenkung der Abgaben für Vermögende und Unternehmen (also Befriedigung von Habgier), wodurch, wie es aus den letzten Jahren ersichtlich geworden ist, der Konsum nicht nennenswert steigt (wer nicht will, der hat schon)  und keine neuen regulären Arbeitsplätze entstehen, aber die Armut und Minderqualifizierung ständig steigt (eine Gesellschaft ist so gut wie es dem schwächsten ihrer Mitglieder geht). Wichtige öffentliche Leistungen wie Theater, Schwimmbäder, Jugendzentren, Altenund Kinderbetreuung etc. werden kaputtgespart, und die daraus resultierenden Konsequenzen dem Einzelnen angelastet: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“; „Herumlungern fördert die Kriminalität“; „Eltern vernachlässigen ihre Kinder“.

An der Stelle ist es vielleicht einmal angebracht, sich ein tatsächliches „Win-Win“ auszudenken: Eine im letzten Jahr von Ver.di beauftragte wissenschaftliche Expertise zur Einführung eines Mindestlohnes von anfänglich 7,50 Euro, dann steigend auf 9,00 Euro (inszwischen werden bereits 10 Euro diskutiert) berechnete ein Anwachsen von Arbeitsplätzen um 600.000 allein aufgrund des dadurch entstehenden gesteigerten Konsums. Eine Rücknahme der Steuersenkungen bei den höheren Einkommen würde 30 Milliarden Euro jährlich in den Steuertopf spülen. Weiter wäre in Anbetracht der sinkenden Zahl von Ausbildungsplätzen eine Ausbildungsplatzabgabe eine bedenkenswerte Maßnahme, um den mittlerweile hunderttausenden Jugendlichen, die sich in irgendwelchen Warteschleifen in Berufsschulen oder noch sinnloseren Qualifizierungs- oder Trainingsmaßnahmen befinden, angemessene Perspektiven in Form von regulären und qualifizierenden Berufen zu bieten.

Eine gesicherte Finanzierung der Kommunen könnte wieder ein Mehr an gesellschaftlichem Miteinander schaffen, wenn mehr Jugend- und Bürgerzentren Raum für Begegnung und Gestaltung bieten würden, ein bezahlbares kulturelles Angebot den Ausschluss eines immer größer werdenden Teils unserer Gesellschaft wieder zurück nähme und die durch die mangelhafte finanzielle Ausstattung verfügte Ghettoisierung breiter Schichten der Bevölkerung aufgebrochen werden könnte. Wie heißt es doch so schön: Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude. (HDH)

Online-Flyer Nr. 234  vom 26.01.2010

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