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Arbeit und Soziales
Vom Recht der Erwerbslosen:
Beteiligung – nicht Anpassung an den Markt
Von Franz Segbers
Kant hat sich geweigert, die moralische Achtung einer Person als Ergebnis gesellschaftlicher oder politischer Zuschreibungen zu begreifen. Wie es mit der Würde bestellt ist, darf nicht vom einem Arbeitsmarkt abhängig gemacht werden. Erst vor diesem Hintergrund wird die Tragweite des Angriff auf die Menschenwürde, wenn der Ökonom Wolfram Engels 1986 in der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ von den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie spricht: „In einer Marktwirtschaft gelten für Arbeit dieselben Gesetzmäßigkeiten wie für Waren. Arbeit wird nur gekauft, wenn ihr Wert für den Unternehmer höher ist als ihr Preis. Ideologen wie Gewerkschafter sehen darin eine Entwürdigung des Menschen.
Der Mensch, so sagen sie, sei keine Ware; für Menschen dürfe nicht gelten,
Franz Segbers: Beteiligung statt
Teilhabe | Foto: Hans-Dieter Hey
was für Blumentöpfe, Apfelsinen oder Aluminiumschrott gilt. Gegen Naturgesetze gibt es solchen Widerspruch nicht. Wenn ein Mensch aus dem Fenster springt, dann fällt er mit einer Beschleunigung von 9,81m2/sec und damit genauso schnell wie ein Blumentopf – ohne dass die evangelische Soziallehre das je als entwürdigend angeprangert hätte.“ Dieses Zitat zeigt, wohin ein Denken in nur ökonomischen Kategorien führt. Arbeit wird dadurch zu einer bloßen Funktion des Marktes und zu einem Kostenfaktor, der auch gefälligst wettbewerbsfähig zu sein hat.
Teilhabechancen oder Beteiligungsrechte
Schwarz-gelbe Realitäten: Wachsende Ausgrenzung statt Beteiligung
Quelle: NRhZ-Archiv
Online-Flyer Nr. 234 vom 27.01.2010
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Arbeit und Soziales
Vom Recht der Erwerbslosen:
Beteiligung – nicht Anpassung an den Markt
Von Franz Segbers
Kant hat sich geweigert, die moralische Achtung einer Person als Ergebnis gesellschaftlicher oder politischer Zuschreibungen zu begreifen. Wie es mit der Würde bestellt ist, darf nicht vom einem Arbeitsmarkt abhängig gemacht werden. Erst vor diesem Hintergrund wird die Tragweite des Angriff auf die Menschenwürde, wenn der Ökonom Wolfram Engels 1986 in der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ von den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie spricht: „In einer Marktwirtschaft gelten für Arbeit dieselben Gesetzmäßigkeiten wie für Waren. Arbeit wird nur gekauft, wenn ihr Wert für den Unternehmer höher ist als ihr Preis. Ideologen wie Gewerkschafter sehen darin eine Entwürdigung des Menschen.
Der Mensch, so sagen sie, sei keine Ware; für Menschen dürfe nicht gelten,
Franz Segbers: Beteiligung statt
Teilhabe | Foto: Hans-Dieter Hey
Teilhabechancen oder Beteiligungsrechte
Teilhabe ist zum zentralen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Begriff geworden. Teilhabe erinnert an ein feudalistisches Gehabe, bei dem von oben herab gnädig denen da unten Teilhabe gewährt wird. Teilhabe gewähren nämlich die wenigen, die haben, den vielen, die nichts haben - ohne jedoch ihren Besitz mit ihnen teilen zu müssen.
Anders die Beteiligung. Beteiligung ist ein politischer Begriff. Er gehört zu den Menschenrechten und meint das Recht von Bürgerinnen und Bürgern, sich aktiv an den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen beteiligen zu können. Genau darin unterscheidet sich Teilhabe von Beteiligung.
Wenn Subjekte von oben her „befähigt“ werden und ihnen Teilhabe gewährt wird, dann sollen sie durch „Fordern“ und „Fördern“ befähigt werden. Wenn Armut und Arbeitslosigkeit als fehlende Teilhabe definiert werden, schwingt ein paternalistischer Ton mit. „Fordern“ und „Fördern“ sind die entsprechenden Politiken, Teilhabe zu gewähren. Wenn aber Armut oder Arbeitslosigkeit als fehlendes Beteiligung gewertet wird, dann ist die Antwort: Mehr Rechte.
Teilhabe zielt allein auf dien Zurichtung für den Arbeitsmarkt, wie Peer Steinrück als erstes Ziel der Politik unverblümt erläutert: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für diejenigen zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: Die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum: die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die - und nur um die - muss sich Politik kümmern.“ (Peer Steinbrück, Etwas mehr Dynamik, bitte, in: Die Zeit 2003, Nr. 47) Eine dermaßen verstandene Teilhabepolitik verspricht Teilhabe auf den Märkten gerade dadurch, dass die Spaltung der Gesellschaft zwischen den Nützlichen und Überflüssigen vorangetrieben wird.
Integration in den Arbeitsmarkt – Integration in die Gesellschaft?
In diesem Sinn versteht sich auch das SBG II. Alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beziehen sich auf eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt (SGB II § 2 Abs 1). Integration in die Gesellschaft und Integration in Erwerbsarbeit werden dabei in eins gesetzt.
Dieses Versprechen war immer schon brüchig und wird gerade in Zeiten von Hartz pervertiert. Immer mehr erwerbslose Arme werden in arbeitende Arme umgewandelt, die niedrig entlohnt sind, entrechteter oder sozial entsicherter Arbeit nachgehen und gerade nicht zu gleichberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft werden, in der sie leben. Erwerbsarbeit wird für immer Menschen zu eine Ursache der Ausgrenzung. Die Rede von der Teilhabe durch Arbeit ist paradox: Man redet von Teilhabe und grenzt doch aus. Hartz IV zwingt Menschen zur Integration in jede Arbeit und um jeden Preis: in Minijobs oder in simulierte Arbeit in 1-Euro-Jobs ohne Lohn, ohne Sozialversicherung, ohne Arbeitnehmerrechte. Hartz IV hat eine neue Arbeitswelt geschaffen, an dessen Ende steht: Wer eine Sozialleistung empfangen will, der muss eine Gegenleistung durch Arbeit erbringen. Die Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft“ ist nichts als eine Täuschung, wenn damit die Vermittlung gesellschaftlicher Teilhabe gemeint ist.
Das Hartz-Konzept ist zweifach widerlegt: Zum einen bestätigt die hohe Bereitschaft vieler erwerbsloser Menschen, einem Ein-Euro-Job nachzugehen, dass sicher nicht ihre mangelhafte Anstrengungsbereitschaft der Grund für Arbeitslosigkeit ist. Zum anderem bietet die These von der Sozialhilfefalle keine Erklärung dafür, warum so viele Aufstocker einer Arbeit nachgehen. Wer jetzt noch Arbeitsmarktpolitik mit Sanktionen verbindet, der ist schizophren oder zynisch. Tatsächlich ignoriert er die tatsächliche Lage am Arbeitsmarkt. Die Aktivierungsphilosphie mit der Kernthese der Selbstverschuldung der Betroffenen ist widerlegt. Nicht persönliche Defizite, die durch „Fordern“ und „Fördern“ behoben werden müssen, sind die Ursache von Arbeitslosigkeit. Es geht nicht um Aktivierung von Arbeitssuchenden, sondern um eine Wirtschaft, die Überflüssige produziert.
Integration meint die Chance auf selbstbestimmte Partizipation und Teilhabe in Wirtschaft und Politik. Gesellschaftliche Teilhabe nach diesem Verständnis macht zweierlei deutlich: erstens ist nicht jede beliebige Arbeit förderlich, zum anderen meint gesellschaftliche Integration mehr als auch gute Erwerbsarbeit in aller Regel bieten kann. In welcher Gemeinschaft leben und für welche Tätigkeiten ein Mensch wertgeschätzt werden möchte, worin er seine Lebensperspektive erblickt, welche sozialen Gestaltung er zu fördern beabsichtigt: Diese Perspektiven gehen auch in guter Erwerbsarbeit nicht auf.
Hartz IV verschärft die Arbeitsgesellschaft
Hartz IV ist eine Verschärfung der Arbeitsgesellschaft. Darauf hat Ralf Dahrendorf bereits 1982 hingewiesen und gesagt: „Der Arbeitsgesellschaft geht nicht nur die Arbeit aus, sondern ihr muß die Arbeit ausgehen.“ Die Krise der Arbeitsgesellschaft ist also Resultat der ökonomischen Logik, die auf eine kontinuierliche Erhöhung der Effizienz drängt. Erwerbsarbeit zu ersetzen, erscheint in dieser Hinsicht nicht als Defizit des Systems, sondern als unvermeidliche Begleiterscheinung der ökonomischen und technologischen Entwicklung. Die überflüssig gewordene Arbeit macht Menschen überflüssig. Diese Analyse allerdings hatte Dahrendorf mit einer hochaktuellen Warnung verbunden. Er beklagte die Aufrechterhaltung einer alten Ordnung der Arbeitsgesellschaft mit Herrschaftsinteressen: „Es ist daher nötig, im Sinne zu behalten, dass der Arbeitsgesellschaft zwar die Arbeit ausgeht, ihre Herren aber alles tun, um die Arbeit wieder zurückzuholen und den Weg zu einer Gesellschaft der Tätigkeit zu verbauen.“ Die „Herren der Arbeit“ haben Hartz IV als Instrument der Herrschaftssicherung geschaffen.
Schwarz-gelbe Realitäten: Wachsende Ausgrenzung statt Beteiligung
Quelle: NRhZ-Archiv
Genau aber dies geschieht heute unter der Tarnbezeichnung einer „aktivierenden Sozialpolitik“, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Arbeit in ihr zu einer Bürgerpflicht wird, ja zu einem Zwang. Obwohl der Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitsplätze bereithält, werden Arbeit und Sicherung der Existenz in einen inneren Zusammenhang gebracht. Roland Koch höhnt, dass nur der, der auch zu „niederwertige Arbeit“ bereit sei, ein Recht auf Arbeitslosengeld habe. Populistisch wird erneut der Vorwurf der Faulenzerei unter den Hartz-IV-Empfängern erhoben. Alle empirischen Untersuchungen sprechen von einer verschwindenden Minderheit von höchstens zwei Prozent, die arbeitsunwillig sei. Wer die Wahrheit sagen will, die auch vor der Empirie standhalten kann, der muss deshalb zunächst davon sprechen, dass außer dieser verschwindenden Minderheit von Arbeitsunwilligen die übergroße Mehrheit der erwerbslosen Menschen ihren Job gegen ihren Willen durch eine unternehmerische Kündigung verloren haben.
Beteiligung muss neu gedacht werden: Kurze Arbeit und die ganze Arbeit für jeden in einer Gesellschaft, die über derartige Möglichkeiten der Reichtumsproduktion verfügt wie die unsere, gibt es keinerlei ökonomische Gründe mehr, eine Arbeitszeitverkürzung abzuweisen und zu einer Neuverteilung gesellschaftlich notwendiger Arbeit zu kommen. Eine an ausgleichender Gerechtigkeit orientierte Arbeitspolitik wird das Ziel verfolgen, allen die arbeiten wollen auch die Gelegenheit dazu zugeben. Ohne eine Umverteilung der Arbeit wird diese Ziel nicht zu erreichen sein. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit ist die Leitidee für eine neue Vollzeit als gesellschaftliche Normalität und eine Vollbeschäftigung neuen Typs, die Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot zum Ausgleich bringt.
In einem neuen Gesellschaftsvertrag müssen diese vielfältigen Formen von Arbeit und die verschiedenen Arten des Einkommens neu einander zugeordnet werden. Der westfälische Industriepfarrer Wolfgang Belitz hatte schon vor Jahren in einer griffigen 4-3-2-1- Formel die verschiedenen Formen von Arbeit und Einkommen neu so zugeordnet, dass das Recht auf Arbeit, Einkommen, Geschlechtergerechtigkeit und die globale Gerechtigkeit zusammen bleiben können. Es gibt vier Formen der Arbeit Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, Sorgearbeit und Gesellschaftsarbeit. Dies vier Formen von Arbeit müssen mit drei Arten von Einkommen neu kombiniert werden: Erwerbseinkommen, Transfereinkommen und Kapitaleinkommen. Diese Arbeiten mit den Einkommen müssen gerecht zwischen den Geschlechtern der Perspektive universeller Gerechtigkeit für alle in der einen Welt verteilt werden. Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist also nötig, der die vier Formen von Arbeit, die drei Formen von Einkommen für die beiden Geschlechter in der Einen Welt neu ausgestaltet und kombiniert.
Mehr als die Hälfte aller geleisteten Arbeit ist eine Arbeit, die nicht auf Gelderwerb gerichtet ist und nicht bezahlt geleistet wird. Für die Zukunftsfähigkeit und Demokratie einer Gesellschaft ist es daher entscheidend, nicht nur die gegen Geld geleistete Arbeit sondern die ganze Arbeit zu fördern, von der die Gesellschaft und die Demokratie lebt. Zur ganzen Arbeit gehört die Sorgearbeit in den Familien, für die alten und pflegebedürftigen Menschen. Die Betreuung der Alten wird in Zukunft angesichts der alternden Gesellschaft immer mehr Zeit beanspruchen. Warum soll das nur über den Markt als Erwerbsarbeit geschehen? Neben der Sorgearbeit gibt es noch die selbst gewählte Eigenarbeit für sich selbst, die Nachbarn, Freunde, Familie und schließlich die Gemeinwohlarbeit. Die Aufwertung der ganzen Arbeit für alle macht Erwerbsarbeit nicht überflüssig, verteilt sie aber als „Kurze Vollzeit für alle“ neu und eröffnet dabei neue Lebenschancen jenseits des Marktes. Sie zielt auf eine gerechte Verteilung der ganzen Arbeit auf alle, auf Männer und Frauen. Wenn die Arbeitsgesellschaft nicht in der Lage ist, allen Bürgerinnen und Bürger dieses Recht auch einzulösen, ist Arbeitsumverteilung aller Arbeiten ein Gebot der Gerechtigkeit, damit alle an diesem Recht partizipieren können. Der Produktivitätsfortschritt erfordert eine Neudefinition des Normalarbeitsverhältnisses.
Dass sich die Menschen des Wenigerwerdens von ökonomisch notwendiger Erwerbsarbeit nicht freuen können, ist Folge der kapitalistische Formbestimmung der Lohnarbeit. Die Ideologie der Arbeitsgesellschaft besagt: Nur wer seine acht Stunden oder mehr zur Verfügung stellt, kann auf Anerkennung, Entlohnung, Wertschätzung, Teilhabe hoffen.
Wie können und wollen wir in dieser Lage Politik machen? Die Soziologin Frigga Haug hat die Formel geprägt: Vier in einem. Jeder hat für die vier Formen von Arbeit gedanklich vier Stunden Zeit! Wie wäre es, wenn man in der herkömmlichen Erwerbsarbeit nur mehr vier Stunden zubrächte und über die freigewordene Zeit selbst verfügen könnte.
Ohne in Details einzugehen: die Grundidee einer „Kurzen Vollzeit für alle“ (Spitzley) und einer Aufwertung der ganzen Arbeit für alle wäre ein Ansatz, gesellschaftliche Beteiilgung und Arbeit neu zu denken. Die Entwicklung kann auch in eine völlig andere Richtung ihren Lauf nehmen. Doch dann zeichnet sich am Horiziont eine weitere Tiefe Spaltung zwischen Arm und Reich, Profiteueren und den Verlieren der Entwicklung ab. Eine wirklich freie Gesellschaft sich gegen die Halbierung jener realen ökonomischen Möglichkeiten braucht ein Leitbild: die Kurze Vollzeit und die ganze Arbeit für alle. (HDH)
Online-Flyer Nr. 234 vom 27.01.2010
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