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Globales
Deutschland Europameister in der Rüstungsexportpolitik
Kriegsprofiteure
Von Jürgen Grässlin

Das Erfreulichste vorneweg: Die Zahl der Kriege sinkt seit Jahren und hat sich im Jahr 2009 auf nunmehr 34 – immerhin der niedrigste Stand seit gut eineinhalb Jahrzehnten – verringert. Dies belegt eine jüngst publizierte Studie der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachen-Forschung (AKUF) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg. Im Jahr 2009 brachen zwar zwei Kriege und ein weiterer bewaffneter Konflikt neu aus, zugleich aber endeten acht kriegerische Auseinandersetzungen.


Bild des Aachener, später Kölner Wandmalers Klaus Paier
Quelle: KAOS Kunst- und Video-Archiv

Grund genug, die weltweiten Militärausgaben spürbar zu senken, Waffenexporte drastisch zu reduzieren und die Rüstungsindustrie schnellst-möglich auf eine sinnvolle zivile Fertigung umzustellen. Zeit also, endlich die lang ersehnte Friedensdividende einzufahren und Rüstungskonversion einzuleiten – möchte man meinen. Das Wunschbild trügt, die Realität sieht leider gänzlich anders aus: Militäreinsätze und Rüstungsgeschäfte boomen wie seit Jahren nicht mehr, in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise und wachsender Terrorangst verzeichnen Rüstungskonzerne Rekordumsätze.

Die Top Ten der Rüstungsriesen

Ein Blick in die aktuellen Statistiken des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) 2009 verrät, wie wenig Wunsch und Wirklichkeit zusammengehen: So stiegen die Waffenverkäufe vieler führender Rüstungskonzerne in den vergangenen Jahren teilweise exorbitant an. In den Top Ten rangieren allein sechs US-Konzerne, von denen gleich mehrere die weltweit höchsten Profite verzeichneten. Wie in den Vorjahren führt Boeing die Profit-Statistik 2007 mit Gewinnen in Höhe von 4,1 Milliarden US-Dollar an. Auf den Plätzen zwei bis vier folgen die US-Rüstungskonzerne Lockheed Martin mit 3,0 Mrd. US-Dollar, General Dynamics mit 2,0 Mrd. US-Dollar und Northrop Grumman mit 1,8 Mrd. US-Dollar.

Die einzige ernst zu nehmende Konkurrenz kommt – militärisch gesehen – aus dem eigenen Lager: Mit British Aerospace, der European Aeronautics Defence and Space Company (EADS), Finmeccanica und Thales finden sich zugleich vier europäische Rüstungskonzerne in der Spitzengruppe. Deren Profite fielen allerdings geringer aus als die der US-Giganten. Während BAE Systems noch fast gleich auf mit Northrop Grumman abschnitt (1,8 Mrd. US-Dollar), konnten Thales aus Frankreich und Finmeccanica aus Italien mit 1,2 Mrd. bzw. 713 Millionen US-Dollar) vergleichsweise geringere Gewinne verbuchen. Die EADS fiel 2007 mit Verlusten in Höhe von 610 Millionen US-Dollar gänzlich aus dem Rahmen, was sich u. a. mit den hohen Entwicklungskosten für den neuen Militärtransporter A400M erklären lässt. Ein Blick in den EADS-Geschäftsbericht für 2008 verrät jedoch die Rückkehr in die Gewinnzone durch neuerliche Waffenexporte.

Rüstungskonzerne sind Profiteure der Kriege in aller Welt. Seit den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 lassen vor allem die für den „Krieg gegen den Terror“ benötigten Waffen mit den Kriegseinsätzen im Irak, in Afghanistan und Pakistan die Kassen der Rüstungskonzerne klingen.

Europameister Deutschland

Unbeschadet von der Wirtschaftskrise konnte die deutsche Rüstungsindustrie weitgehend Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen vermeiden. In Zeiten allgemeiner Rezession liefen und laufen die Waffengeschäfte, dank einer überaus großzügigen Exportförderungspolitik der Bundesregierung und personell chronisch unterbesetzter Rüstungskontrollbehörden, wie geschmiert. In der Folge hat sich Deutschland im Zeitraum von 2004 bis 2008 – nach den USA und Russland – endgültig als Europameister auf Platz 3 der Weltwaffenexporteure etabliert. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI dokumentierte, stiegen die deutschen Rüstungsausfuhren in den letzten fünf Jahren um rund 70 Prozent, der Weltmarktanteil am Waffenhandel konnte von sieben auf zehn Prozent ausgebaut werden – allen voran durch Waffenlieferungen an Krieg führende NATO-Partner, wie die USA und Großbritannien.


Cartoon: Kostas Koufogiorgos

Maßgeblich am deutschen Rüstungsexportboom beteiligt ist die European Aeronautic Defence and Space Company. Größte Stimmrechtseigner der EADS – im weltweiten Ranking des Jahres 2007 auf Platz 7 – sind der deutsche Automobil- und Rüstungsriese Daimler AG und Sogeade (Lagardère und die französische Staatsholding Sogepa) mit je 22,5 Prozent. Die spanische Staatsholding SEPI hält 5,49 Prozent des Kapitals (siehe Geschäftsbericht). Auf Platz 18 der weltgrößten Rüstungskonzerne folgt der Lenkflugkörperproduzent MBDA, dessen maßgeblicher Anteilseigner mit 37,5 Prozent die EADS ist. Unter den Top 100 folgen mit Rheinmetall (Platz 29), Thyssen-Krupp (39), Krauss-Maffei Wegmann (42), Diehl (58) und MTU Aero Engines (69) fünf deutsche Rüstungskonzerne. Zu den „Verkaufsschlagern“ zählen Panzer vom Typ Leopard-2A4, teilweise im Ausland in Lizenz gefertigte deutsche U-Boote des Typs 214, in Kooperationen produzierte Kampfhubschrauber, Militärjets wie der Eurofighter, Tankflugzeuge und Drohnen, Granatwerfer und Sturmgewehre des Typs G36.

Rüstungsexporteure müssen geächtet werden!

Würde die Bundesregierung ihre eigenen, wohlgemerkt rechtlich nicht verbindlichen Politischen Grundsätze zur Grundlage ihres Handels erheben, müsste sie Waffentransfers an die im aktuellen Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE 2009) als „problematisch“ eingestuften Empfängerländer unterbinden (siehe GKKE-Bericht, S. 40). Dass sie dies nicht tut, begründet sich in ihrer industriekonformen Wirtschafts- und ihrer militärorientierten Außenpolitik.

Schlimmer noch: In Zukunft drohen alle Dämme zu brechen. Denn in ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP die Zielsetzung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gestrichen. Für die kommenden vier Jahre lautet das Ziel: „Wir halten an den derzeit geltenden Rüstungsexportbestimmungen fest und setzen uns weiter für eine Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein. Wir treten für faire Wettbewerbsbedingungen in Europa ein und bekräftigen den Offset-Verhaltenskodex der Europäischen Verteidigungsagentur.“ Man hätte auch möglichst offene Grenzen für Rüstungsexporte oder Abbau aller Hemmnisse für Waffenlieferungen im Koalitionsvertrag festlegen können, das Ergebnis wäre identisch.


Protest gegen Daimlers Rüstungsprofite
NRhZ-Archiv

Ansatzpunkte zur Gegenwehr gegen Rüstungsexporte gibt es 2010 genug: Vom Mitmachen bei den konzernbezogenen Kampagnen „Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Rüstungs-exporte!“ und „Stoppt das G36-Gewehr von Heckler & Koch!“ bis hin zur aktiven Unterstützung politischer Aktionen, wie der Birkacher-Erklärung: „Waffenexporte ächten!“ der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Die neue Kampagne „AKTION AUFSCHREI – Rüstungsexporte ächten, Opfer entschädigen!“ wird am 1. September 2010, dem Antikriegstag, starten. Nur so kann es gelingen, die Politik zur Umkehr zu bewegen und die Rahmenbedingungen zur Rüstungskonversion, also zur Umstellung auf eine sinnvolle Fertigung, zu schaffen. Hierzu bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, von Kirchen und Gewerkschaften und Vertretern politischer Parteien. (PK)

Wir geben diesen Artikel gekürzt wieder. In der kommenden Ausgabe der “Zivilcourage“, der Zeitschrift der DFG-VK, wird er in ganzer Länge zu lesen sein. Siehe www.dfg-vk.de/material/verbandszeitungen/

Interessentinnen und Interessenten, die Näheres zu AKTION AUFSCHREI! erfahren oder bei der Kampagne mitmachen wollen, wenden sich an j.graesslin@gmx.de

Online-Flyer Nr. 236  vom 10.02.2010

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