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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Vortrag zum Treffen der ver.di-Linken NRW in Düsseldorf - Teil 1
„Bedingungsloses Grundeinkommen“?
Von Daniel Kreutz

Seit dem Inkrafttreten von Hartz IV hat sich in Deutschland die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) ausgebreitet. Die Idee eines bGE wird als grundlegende Alternative zu Hartz IV verbreitet. Viele Menschen, die dafür eintreten,  versprechen sich von dieser Forderung u.a. die „Befreiung vom Lohnarbeitszwang“. Doch diese Versprechen sind eine „Fehlorientierung“, erklärte der Politiker und Attac-Sozialexperte Daniel Kreutz (56) auf einem Treffen der ver.di-Linken in Düsseldorf. Wir veröffentlichen seinen Vortrag in zwei Teilen und stellen ihn unseren LeserInnen zur Diskussion. – Die Redaktion .


Daniel Kreutz
NRhZ-Archiv
Der Zuspruch, den die bGE-Idee findet, speist sich zum einen aus dem entwürdigenden Charakter dieses repressiven Fürsorgesystems, dem in NRW rund 70 Prozent der statistisch gezählten Erwerbslosen mitsamt ihren Familien ausgesetzt sind. Dazu kommen noch die Familien der Aufstocker, also von teils vollzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen mit Niedrig- und Armutslöhnen. Zum anderen kommt der Zuspruch für das bGE daher, dass große und wachsende Teile der Bevölkerung nach 30 Jahren Massenerwerbslosigkeit die Hoffnung verloren haben, dass es politisch und wirtschaftlich möglich ist, die Massenerwerbslosigkeit tatsächlich zu überwinden und eine neue Vollbeschäftigung mit auskömmlichen Einkommen herbeizuführen. Die Forderung nach einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel im Umgang mit massenhafter Langzeiterwerbslosigkeit und Armut, wie ihn das bGE verspricht, erscheint damit als Antwort auf sehr reale Probleme, die vom politischen Mainstream nicht beantwortet werden bzw. die erst von ihm verursacht wurden.

Die Idee eines bGE proklamiert das soziale Grundrecht eines jeden Menschen gegenüber der Gemeinschaft, gegenüber dem Staat, auf ein existenzsicherndes und Teilhabe ermöglichendes Grundeinkommen, auch und gerade dann, wenn er oder sie ohne Erwerbseinkommen dasteht. Wie das Recht auf Menschenwürde jedem Einzelnen nur Kraft seines Menschseins voraussetzungslos zusteht, soll der Grundeinkommensanspruch bedingungslos sein – ohne „Fördern und Fordern“, ohne Arbeitspflicht und Pflichtarbeit, ohne Verfolgungsbetreuung und ohne Bedürftigkeitsprüfung. Weil das bGE grundsätzlich jedem Einzelnen zusteht, soll der Bezug nicht mehr stigmatisierend, diskriminierend wirken. An die Stelle von Sondersystemen der Armutsverwaltung soll gleichsam ein inklusives Solidarsystem für alle treten.

„Lagerübergreifendes“ Debattenspektrum

Wenn man das aus der Froschperspektive betrachtet, aus den Niederungen von Hartz IV, aus dem Elend der täglichen Realität, dann scheinen diese Vorstellungen klar in einer linken Tradition verortet zu sein, in der Tradition von Solidarität, Gleichheit und Freiheit. Wenn man sich der bGE-Diskussion aber aus der Vogelperspektive nähert, dann sieht man ein überraschend breites politisches und ideologisches Spektrum, das sich auf diese Idee bezieht oder an ihr anknüpft. Da findet man nicht nur Erwerbsloseninitiativen mit der alten Forderung nach einem Existenzgeld von 800 Euro plus Kranken- und Pflegeversicherung plus Warmmiete für alle oder Vorschläge aus der Linkspartei, die zur Finanzierung vor allem den privaten Reichtum heranziehen wollen. Sondern man trifft da auch auf den gefürchteten Ski-Rennfahrer Dieter Althaus von der CDU mit seinem Konzept eines sogenannten „Solidarischen Bürgergelds“, oder auf Thomas Straubhaar, den Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, der als einer der Falken des Neoliberalismus in Deutschland bekannt ist. Man stößt auf Leute aus dem von den Metall-Arbeitgebern finanzierten neoliberalen Think Tank der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Und vor allem auf einen, der so was wie das öffentliche Gesicht der bGE-Diskussion in Deutschland ist: den ehemaligen Drogeriemarktkönig und Milliardär Götz Werner, der mit dem bGE sämtliche Einkommens- und Kapitalsteuern abschaffen will, um nicht nur das bGE, sondern den gesamten Staatsaufwand über eine Mehrwertsteuer von 50 % zu bezahlen (siehe NRhZ 89). .


Heilsversprechen mit Hilfe des WDR –
Götz Werner
Quelle:
www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10710
Aus der Vogelperspektive sieht man, dass die bGE-Gemeinde auch einen einflussreichen rechten Flügel hat, der das FDP-Bürgergeld mit Sympathie diskutiert. Während man am linken Rand die Erlösung des Prekariats aus kapitalistischer Lohnsklaverei und Armut sucht, zielt der rechte Rand auf die Befreiung des Kapitals von den Fesseln der Sozialstaatlichkeit. Anhänger der bGE-Idee finden sich in allen Parteien – bei den Grünen und bei der Linkspartei gibt’s dazu offizielle Bundes-arbeitsgemeinschaften, auch wenn die Idee auch dort – wie überall sonst – heftig umstritten ist. Und diesem ganzen Spektrum bietet das Netzwerk Grundein-kommen (www.grundeinkommen.de) eine gemeinsame Plattform.

Netzwerk Grundeinkommen

Inhaltlich basiert das Netzwerk auf dem Vier-Punkte-Konsens, wonach ein bGE
- die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,
- einen individuellen Rechtsanspruch darstellen,
- ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden, und
- keinen Zwang zur Arbeit bedeuten soll.

Was Existenz- und Teilhabesicherung materiell bedeuten, wie hoch also das Grundeinkommen sein soll, bleibt dabei ebenso offen wie die Frage, ob nur der sozialrechtliche Arbeitszwang des „Förderns und Forderns“ unter der „neuen Zumutbarkeit“ überwunden werden soll, oder ob damit auch der tatsächliche, der materielle Zwang gemeint ist, der entsteht, wenn das Grundeinkommen zum Leben nicht reicht. Je nachdem, wie man sich in diesen Fragen positioniert, kann man zu Ergebnissen kommen, die sich materiell auf, unter oder über dem Niveau von Hartz IV bewegen, und die entweder den sozialrechtlichen Arbeitszwang durch einen verschärften materiellen Zwang ersetzen, oder die gleichsam ein Recht auf gesicherte Nichterwerbstätigkeit begründen sollen.

Neoliberales Faktensetzen – linke Illusionen

Unter den Motiven, die da ausdrücklich als „gute Gründe“ für ein bGE genannt werden, finden sich in buntem Einerseits-andererseits neben „mehr Autonomie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ und mehr „Verteilungsgerechtigkeit“ auch die Punkte
- „mehr Autonomie für Unternehmerinnen und Unternehmer durch deren Befreiung von der Verantwortung als ‚Arbeitgeber’“,
- „Anreiz zu Rationalisierung“ und
- mehr „Flexibilität des Arbeitsmarkts“.
Natürlich ist der linke Flügel der Gemeinde strikt gegen die Vorstellungen der Rechten und umgekehrt. Aber trotzdem wird versucht, den Anschein einer lagerübergreifenden gemeinsamen Idee zu wahren, weil damit die Botschaft verbunden wird, dass die Idee eben deshalb Realisierungschancen habe, weil sie aus ganz unterschiedlichen Richtungen aufgegriffen wird.

Meine Diagnose ist: sollte die Idee tatsächlich politikmächtig werden, sollte es reale politische Schritte in Richtung auf ein bGE geben, dann würde sehr schnell deutlich, dass die Neoliberalen da die harten Fakten setzen, während die Linken bloß die Illusionen beisteuern, die für’s öffentliche Marketing nützlich sind.

bGE und Lohnsystem


Betrachten wir zunächst die Frage, was das bGE für die Arbeitsentgelte, für das Lohnsystem bedeutet. Erwerbseinkommen und Transfereinkommen stehen immer in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis bei der Existenz- und Teilhabesicherung. Das kann man theoretisch so rum oder so rum definieren wollen – aber dass zwischen beidem ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis besteht, das kann man nicht abschaffen.

Nach bisherigem gesellschaftlichem Konsens, der von Erwerbslosen nicht weniger geteilt wird als von anderen Gruppen, hat Erwerbstätigkeit zur eigenständigen Existenzsicherung Vorrang vor staatlichen Transferleistungen. Also richtet sich der Existenzsicherungsanspruch abhängig Beschäftigter wegen des Vorrangs der Erwerbseinkommen vorrangig an die Lohnzahlungspflicht der Arbeitgeber. Selbst in der Landesverfassung steht von jeher der schöne Satz: „Der Lohn muss … den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie sichern.“ (Art. 24 Abs. 2) Der angemessene Lebensbedarf von ArbeitnehmerInnen ist übrigens mehr als der „notwendige Lebensunterhalt“ von Nicht-Erwerbstätigen, also mehr als der Sozialhilfe- oder Grundsicherungsbedarf.

Die Verfassungsbestimmung entspricht der Erkenntnis der ökonomischen Theorie, dass der Wert, der Tauschwert der Ware Arbeitskraft sich wie der Wert von Waren schlechthin an ihren Produktions- und Reproduktionskosten orientiert. Deshalb soll auch der Lohn, der Preis der Ware Arbeitskraft, grundsätzlich ihren Reproduktionskosten entsprechen. Bei den Löhnen werden diese Kosten mitbestimmt durch das vorherrschende Wohlstandsniveau. Es geht um Teilhabelöhne, wenn man so will. Was als Berücksichtigung von Qualifikation, Leistung, Erfahrung in die Lohnbildung eingeht, baut gleichsam auf der Existenzsicherungsfunktion auf.

Arbeitgeber könnten Löhne um den bGE-Betrag absenken

Wir streiten heute für einen ausreichenden gesetzlichen Mindestlohn, weil wir verhindern wollen, dass sich Arbeitgeber aus ihrer Verpflichtung zu mindestens existenzsichernder Entlohnung abseilen und sich ihre Armutslöhne zu Lasten der Allgemeinheit über Hartz IV aufstocken lassen. Wenngleich die neoliberale Prekarisierung heute teils einen anderen Eindruck erwecken, drückt sich in den großen Umfragemehrheiten für den Mindestlohn nach wie vor der breite Konsens aus, dass ein Vollzeitlohn zum anständigen Leben ausreichen muss. Nun soll das bGE ein Rechtsanspruch aller BürgerInnen gegenüber dem Staat auf ein existenzsicherndes, Teilhabe ermöglichendes Mindesteinkommen sein, ohne danach zu fragen, ob sie dieser Transferleistung bedürfen oder nicht. Damit würde der Staat in die vorrangige Verantwortung für die Existenzsicherung eines jeden eintreten – egal ob arm oder reich, ob erwerbstätig oder nicht.


Cartoon: Kostas Koufogiorgos

Wenn aber der Staat in die vorrangige Garantenpflicht für die Existenzsicherung aller eintritt, auch aller Beschäftigten, dann verliert umgekehrt das Lohnsystem seinen Existenzsicherungsauftrag. Denn wo bereits der Staat die Existenzsicherung der Beschäftigten zu garantiert, gibt es gar keine Grundlage mehr dafür, den Arbeitgeber für eine mindestens existenzsichernde Entlohnung in Haftung nehmen zu wollen. Götz Werner, der übrigens auch im linken Flügel hohes Ansehen genießt und vielen als Integrationsfigur gilt, spricht immer wieder offen aus, dass die Löhne selbstverständlich um den bGE-Betrag gekürzt werden - und verdeutlicht das auch schon mal am Rechenbeispiel einer Krankenpflegerin.

Der linke Flügel der Gemeinde will das natürlich nicht und schreibt deshalb Bekenntnisse zu einem armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn und teils die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot entsprechender Lohnsenkungen in seine Papiere. Was da offenbar nicht verstanden wird – aus Gründen, die ich wiederum nicht verstehe – ist, dass man diese Lohnsenkungswirkung nicht „wegbeschließen“ kann. Wenn die Existenzsicherungspflicht für ArbeitnehmerInnen beim Staat gelandet ist, dann wäre es rechtswidrige Willkür, wenn der Staat den Arbeitgeber dennoch zu Löhnen verpflichten wollte, deren Höhe weiterhin auf ihrer vormaligen, jetzt aber aufgehobenen Existenzsicherungsfunktion basiert. Die Arbeitgeber haben dann sowohl in systematischer wie in rechtlicher Betrachtung Anspruch darauf, den Lohn um den vom Staat übernommenen Existenzsicherungsteil zu vermindern. Dass die Löhne um den bGE-Betrag abgesenkt werden, ist unabwendbare, notwendige Folge des neuen Vorrangs staatlicher Existenzsicherung. Aus dem bisherigen Lohnsystem würde Kombilohn für alle Beschäftigten.

Damit würde der Skandal, dass Beschäftigte trotz Vollzeitarbeit von Sozialleistungen abhängig sind, den wir mit dem Mindestlohn abstellen wollen, gesamtwirtschaftlich verallgemeinert. Allerdings würde nicht mehr ein unzureichender Lohn mit dem bGE aufgestockt, sondern der Lohn dient dann umgekehrt der Aufstockung des vorrangigen bGE. Lohn ist dann nachrangiger „Zuverdienst“. Ein Mindestlohn müsste dann nur noch so hoch sein, dass er netto eine spürbare und deshalb attraktive Einkommensverbesserung über das bGE hinaus bringt. Ein Euro pro Stunde könnte dazu schon völlig ausreichen.

bGE und Sozialversicherung

Betrachten wir zweitens die Wirkungen eines bGE in der Sozialversichung. Die meisten Konzepte auch von links gehen davon aus, dass die Lohnersatzleistungen der Sozialversicherung – also Arbeitslosengeld I, Rente, Krankengeld – um den bGE-Betrag abgesenkt werden. Das wäre ja auch folgerichtig, weil Erwerbslose, RentnerInnen und Kranke ja den vorrangigen bGE-Anspruch haben. Die Versicherungsleistungen können dann ebenfalls nur aufstockende Zusatzleistungen sein – wie bei den Löhnen. Bei Lohnersatzleistungen wird die Sozialversicherung zur Zusatzversicherung. Im Konzept der Grünen fällt die Arbeitslosenversicherung wie bei Althaus, Straubhaar und Werner allerdings gleich ganz weg.
Soweit das bGE Lohnersatzleistungen der Sozialversicherung ersetzt, können natürlich auch die Beiträge gesenkt werden, was vor allem die Arbeitgeber unmittelbar entlastet. Dieser Effekt tritt zudem automatisch über den Umbruch des Lohnsystems ein. Denn wenn die beitragspflichtigen Löhne sinken, sinken zugleich auch die Sozialversicherungsbeiträge – und damit alle lohnbezogenen Versicherungsansprüche.

Die Renten- und Arbeitslosenversicherung würden also in jedem Fall zu einer Restgröße eingedampft – mitsamt des sozialstaatlichen Anspruchs auf paritätische Mitfinanzierung durch die Arbeitgeber. Solche weit reichenden Umverteilungspotenziale zugunsten der Arbeitgeber bei Löhnen und Sozialversicherung machen verständlich, wie die bGE-Gemeinde zu ihrem neoliberalen Flügel kommt.

bGE und Kräfteverhältnis Kapital/Arbeit

Eine dritte Frage ist, wie sich ein bGE auf das Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit auswirken würde. Der linke Flügel behauptet, das bGE stärke die Verhandlungsposition der abhängig Beschäftigten und die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften. Weil ja die Beschäftigten die Freiheit hätten, ihren Job an den Nagel zu hängen und sich auf das bGE zurückzuziehen, wenn ihnen die Arbeitsbedingungen nicht gefallen. Deshalb müssten die Arbeitgeber die Arbeits- und Entgeltbedingungen vor allem bei miesen Jobs durchgreifend verbessern, um noch Leute zu finden, die die Arbeit machen.

Aber versuchen wir mal, uns vorzustellen, wie die Dinge lägen, wenn es ein bGE gäbe. Im günstigsten Fall, wenn der linke Flügel sich durchsetzen könnte, läge das bGE knapp oberhalb der Armutsgrenze von 60 % des durchschnittlichen verfügbaren Einkommens. Das wäre zwar deutlich mehr als Hartz IV. Aber es wäre auch dann ein unterster Rand in der gesellschaftlichen Einkommenshierarchie. Auch knapp über der Armutsgrenze lebt es sich aber nicht gerade prickelnd. Muss man nicht davon ausgehen, dass die allermeisten Menschen nach wie vor das Bedürfnis hätten, sich mit ihren Einkommen so weit wie möglich weg vom untersten Rand nach oben zu bewegen – und sei es nur, um ihren Kindern etwas mehr bieten zu können?

Dazu brauchen sie aber einen Arbeitsplatz. Nun kann und will das bGE aber an der Massenerwerbslosigkeit nichts ändern – mitsamt der Folgen, die das für die Macht der Arbeitgeber und die Schwächung der Gewerkschaften hat. Nach wie vor würden also viel zu viele um viel zu wenige Arbeitsplätze konkurrieren. Und wenn einem der Zusatzlohn von 1,50 Euro pro Stunde für einen miesen Job nicht reicht, dann kann der Arbeitgeber nach wie vor trocken darauf verweisen, dass draußen 50 Leute stehen, die es auch für einen Euro machen würden. Und die Drohung, mit dem Verlust des Arbeitsplatzes aus der sozialen Mitte der Gesellschaft auf den untersten Rand gesetzt zu werden, bleibt auch dann eine Drohung sozialer Deklassierung – also eines empfindlichen Statusverlustes –, wenn der unterste Rand nicht mehr so tief im Keller liegt wie heute.

Manche sehen mit dem bGE sogar das Ende des kapitalistischen Lohnarbeitszwangs heraufziehen, weil man sich dann ja frei entscheiden könnte, ob man lohnarbeiten will, oder ob man sich mit dem garantierten bGE begnügt. Das aber heißt, die Rechnung buchstäblich ohne den Wirt zu machen. Das bGE muss ja aus der laufenden gesellschaftlichen Wertschöpfung finanziert werden, muss also durch Erwerbsarbeit erwirtschaftet werden. Würden nun zu viele dem Ruf der Befreiung von der Lohnsklaverei folgen und sich mit dem bGE begnügen, dann gäbe es die Alternative, die Arbeitszeiten der übrigen noch weiter in die Höhe zu schrauben oder das bGE zu kürzen.

Eine Befreiung vom Lohnarbeitszwang als individuelle Ausstiegsoption zu Lasten derer, die weiter malochen gehen, scheint mir aber ein ziemlich unsolidarisches Konzept zu sein. Ein solidarisches Konzept würde hier meines Erachtens auf allgemeinen Arbeitszeitverkürzungen basieren, die die Herrschaft entfremdeter Lohnarbeit über das Leben für alle schrittweise zurückdrängen.

bGE und Erwerbslosigkeit

Ein viertes gravierendes Problem sehe ich in der Haltung gegenüber der Massenerwerbslosigkeit, also gegenüber dem Grundübel sozialer Spaltung der Gesellschaft und finanzieller Erosion von Sozialversicherung und Sozialstaat. Zu den Konsensen in der bGE-Gemeinde von links bis rechts gehört der Glaube an die objektive Unvermeidlichkeit und Unüberwindlichkeit von Massenerwerbslosigkeit. Da wird behauptet, dass der Gesellschaft durch fortschreitende Rationalisierung die Erwerbsarbeit ausgehe und das Arbeitsplatzangebot immer weiter schrumpfe, zumindest aber nicht mehr derart ausgeweitet werden könne, dass die strukturelle Massenerwerbslosigkeit überwindbar wird.

Ausgeblendet bleibt dabei die Frage, wer sich die Rationalisierungsgewinne zu welchen Zwecken aneignet. Erwerbslosigkeit bedeutet einseitige Aneignung der Rationalisierungsgewinne durch die Arbeitgeber, bedeutet zwangsweise Arbeitszeitverkürzung auf Null für die „Freigesetzten“, damit die Arbeitszeiten der verbleibenden Beschäftigten hoch gehalten oder gar erhöht werden können. Die Alternative, die Rationalisierungsgewinne in Arbeitszeitverkürzungen für alle umzusetzen und damit Beschäftigung zu sichern und aufzubauen, kommt in der bGE-Philosopie nicht vor. Und ebenfalls ausgeblendet bleibt das enorme Potenzial gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die heute ungetan bleibt, weil sich der Markt dafür nicht interessiert – Arbeit für den ökologischen Umbau, in sozialen Dienstleistungen oder im Bildungswesen. Arbeiten also, von denen wir wissen, dass uns das Liegenlassen umso bitterer einholen wird, je länger sie liegen bleiben.

Fatale Konsequenz

Politisch hat die Theorie von der objektiven Unüberwindlichkeit der Massenerwerbslosigkeit eine absolut fatale Konsequenz. Damit werden das vorrangige Bedürfnis der allermeisten Erwerbslosen, nämlich einen anständigen Arbeitsplatz zu kriegen, und das vorrangige Bedürfnis von Beschäftigten, ihren Arbeitsplatz zu behalten, für „unrealistisch“ und der Kampf darum für unsinnig erklärt. Würde sich diese Position in der politischen Linken durchsetzen, bestünde akute Gefahr, dass die Skandalisierung der Erwerbslosigkeit zum Alleinstellungsmerkmal der extremen Rechten wird – und dann gute Nacht.

Im linken Flügel der Gemeinde wird völlig verkannt, dass Lohnarbeit nicht bloß Mühsal und Plage ist, sondern auch ein zentrales Moment gesellschaftlicher Teilhabe. Erwerbslosigkeit bedeutet nicht nur Verlust von Einkommen und sozialer Sicherheit, sondern auch Ausschluss aus der aktiven Gesellschaft. Langzeiterwerbslosigkeit bedeutet oft auch Verlust des Selbstwertgefühls mit teils schwerwiegenden psychosozialen Folgen. Diese Seite des Problems, des von Marx beschriebenen, von der bGE-Linken aber völlig verkannten „Doppelcharakters der Lohnarbeit“, ist mit der Zahlung eines Geldbetrages überhaupt nicht zu beeinflussen. (PK)

Im zweiten Teil seines Vortrags befasst sich der Autor mit den Fragen
Schützt ein bGE vor Einkommensarmut?
Unfinanzierbar?
Umstieg zum steuerfinanzierten Sozialsystem?  
Alternativen.

Daniel Kreutz, Politiker und Sozialexperte, arbeitet als Referent für Sozialpolitik beim Sozialverband Deutschland, Landesverband NRW, war zehn Jahre Grünen-Abgeordneter im NRW-Landtag. Wegen der politischen Entwicklung der Grünen auf Bundes- und Landesebene verzichtete er auf eine erneute Kandidatur zur Landtagswahl 2000. Kurz darauf trat er aus der Partei aus. 1998 wurde er Mitglied des "Netzwerks für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte", Vorläuferorganisation von Attac Deutschland, war zeitweise in der attac-AG "Soziale Sicherung" engagiert, ist Mitglied im Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW und im wissenschaftlichen Beirat der Bildungsgemeinschaft SALZ e.V.

Online-Flyer Nr. 237  vom 17.02.2010

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