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Inland
Political INcorrectness in Bayern
Ein Brandbrief
Von Stefan Jakob Wimmer
Es brennt In Bayern und keiner löscht
Es brennt in Bayern und keiner löscht. Auf einer Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung Anfang März, auf Einladung des „Arbeitskreis Islam“ und moderiert von Landtagspräsident a.D. Alois Glück, brachte ein Zuhörer es auf den Punkt: Wir haben die Wahl zwischen Integration oder Anarchie. Der Arzt iranischer Herkunft weiß, wovon er spricht. Seine Eltern hatten das muslimische Kind auf eine jüdische Schule geschickt, und später in der neuen Heimat Deutschland in den christlichen Religionsunterricht. Die Veranstaltung stellte zwei Studien vor, die von der Bertelsmann-Stiftung und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über Muslime in Deutschland erstellt wurden, und die nun erstmals tragfähige Daten und eine solide Analyse zum Thema bieten, „ein aussagekräftiges und repräsentatives Bild des aktuellen Standes der Integration von Muslimen in Deutschland“, wie es in der Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung heißt. Beide Studien kommen unabhängig voneinander zu weitgehend gleichen Ergebnissen.
Unerwünschte Erkenntnisse?
Obwohl das Bild, das sie enthüllen, nicht jeder so erwartet hätte. Demnach ist nicht nur der Anteil von Muslimen mit rund 4 Millionen erheblich höher, als vermutet worden war; es tragen auch nicht „fast alle“ Musliminnen Kopftuch, wie eine andere Zuhörerin meinte (vielleicht weil sie diejenigen, die kein Kopftuch tragen, gar nicht als Musliminnen identifiziert?), sondern sogar von denjenigen Musliminnen, die sich selbst als religiös einstufen, nicht einmal die Hälfte. Vor allem: die Identifikation mit Deutschland, mit dem Grundgesetz, das Vertrauen in die Regierung und die Institutionen des Staates, sind bei Muslimen höher, als im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung! Da meldete sich ein Vertreter des Bayerischen Innenministeriums zu Wort und widersprach, die Studien könnten doch nicht stimmen, denn die Ergebnisse seinen ja ganz anders, als die eigenen „Erkenntnisse“. Als die eigene Einschätzung, hätte er besser sagen sollen. Alois Glück hatte zu Beginn der Diskussion prophezeit, dass die neu gewonnenen Fakten an manchen Überzeugungen abprallen würden:
„Meine Meinung steht fest, verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen!“ Dass gewisse Geisteshaltungen realitätsresistent sind, ist nicht neu. Aber wir müssen schmerzlich dazulernen, dass solch Geistes Kinder in unserem Land an Positionen walten, wo sie ganz gewiss nicht hingehören. Die kleine aber bemerkenswerte muslimische Gemeinde in Penzberg erfährt es seit zweieinhalb Jahren jeden Tag.
Das Beispiel Penzberg
Bemerkenswert deshalb, weil sie sich schon sehr viel länger, seit den 1990er Jahren, besonders engagiert und besonders erfolgreich um Integration bemüht – nachweislich und anerkannt. Ihr junger und dynamischer, wenn auch inzwischen in Folge dessen, was er hier seit einiger Zeit erlebt, gesundheitlich angeschlagener Imam, predigt so engagiert wie kein anderer im ganzen Land Demokratie und Gleichberechtigung, Freiheitlichkeit und Rechtstaatlichkeit – nachweislich und anerkannt. Aus islamischem Selbstverständnis heraus wird in Penzberg begründet – nachweislich und anerkannt –, dass Muslime sich in dem Land, in dem sie leben, und das ihnen die Freiheit eines muslimischen Lebens garantiert, einzufügen haben; dass sie die Werte und Traditionen, die Kultur und selbstverständlich die Gesetze und Rechtsordnung, achten und verinnerlichen.
Gegen Gewalt, gegen Abgrenzung, gegen Parallelgesellschaften, gegen alles, was uns aus entsprechend geprägten Kulturkreisen ungut vorkommt, redet und schreibt der Imam an und setzt das alles mit seiner Gemeinde zusammen auch erfolgreich im täglichen Leben um – nachweislich und anerkannt.
In Penzberg ist und war das längst bekannt und anerkannt, von allen, von den Kirchen, den Parteien, den einfachen Leuten, denn nicht nur hören und lesen konnte und kann man es dort, man erlebt es seit Jahren. Das glückliche Penzberg haben manche Medien auch weit über die kleine Stadt hinaus bekannt gemacht, und viele kamen, sehr viele, buchstäblich tausende Besucher, und haben sich selbst von all dem überzeugt, Schulklassen, Frauenvereine, Journalisten, Diplomaten (darunter – leider nicht selbstverständlich – sogar ein israelischer), Pfarrer und Bischöfe, Abgeordnete und Minister. Bis zum Sommer 2007. Damals starteten der Imam und Mitglieder der Gemeinde mit Freunden aus München zusammen eine anspruchsvolle Initiative, die das, was so überzeugend in Penzberg möglich war, in der Landeshauptstadt München angehen wollte. Wohl gemerkt: von vornherein in Kooperation mit und mit Unterstützung durch alle: Kirchen, Parteien, Verbände, Bevölkerung. Seitdem gelten just diese Menschen als Islamisten und Extremisten. Plötzlich hatte der Verfassungsschutz herausgefunden, dass es sich bei Imam Idriz und der Islamischen Gemeinde Penzberg um „ganz gefährliche Leute“ handelt, deren „Verstrickung in islamistische Gesamtgefüge“ sich „wie ein roter Faden“ durch ihr ganzes Sinnen und Treiben ziehe!
Missglückt und voreilig?
Zunächst konnte man meinen, dass dahinter ein paar mißglückte, voreilige Schlüsse und Schüsse eines Staatssekretärs steckten, der mitten im Sommerloch die vermeintliche Gunst eines Themas ergriff, das seine Chancen bei der anstehenden Nachfolgefrage an der Ministeriumsspitze zu mehren versprach. Der Autor dieses Brandbriefs hat damals selbst die Gespräche miterlebt, die die Penzberger mit dem Staatssekretär und seinen Mitarbeitern führten, und wenig später dann auch mit dessen Nachfolger.
Ich war damals fassungslos von der Unprofessionalität, mit der eine so zentrale Behörde wie das Landesamt für Verfassungsschutz vorzugehen schien. Voreingenommenheit, Oberflächlichkeiten und falsch zugeordnete Dokumente, gepaart mit einem Islam-Wissen, das über Karl-May nicht wesentlich hinausgekommen schien. Anstelle einer raschen Richtigstellung folgte dann eine Nennung der betroffenen Gemeinde im Verfassungsschutzbericht 2007, als angebliche Tarnorganisation des ultrakonservativen, türkischen Verbandes Milli Görüs! Dass entgegen der Behauptung des Innenministeriums Frau Yerli, die sich von Anfang an für die Initiative „Zentrum für Islam in Europa – München“ (ZIE-M) engagierte, zu keiner Zeit für Milli Görüs tätig war, und ihr Mann, Vorsitzender der Penzberger Gemeinde (aber nicht bei ZIE-M engagiert) dort in seiner Jugend zwar tatsächlich einmal Mitglied geworden, aber wieder ausgetreten war, lange bevor das Ministerium eine entsprechende Orientierung als zentrale Stütze der eigenen Argumentation ins Feld führte, spielte auch dann keine Rolle, als man die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht 2008 eiskalt wiederholte. Der Gemeinde blieb nur noch die Klage um eine einstweilige Verfügung. Der Sinn einer solchen Verfügung liegt bekanntlich in einer dringlichen, möglichst raschen Entscheidung, doch das Gericht lässt sich inzwischen neun Monate Zeit und ist sicher auch nicht dadurch zu beeindrucken, dass der nächste Verfassungsschutzbericht inzwischen unmittelbar bevorsteht.
Mit Wut und Scham gegen Diffamierung mit System
Ich kenne die in diesem Verfahren von beiden Seiten vorgelegten Schriftsätze in allen Details. Ich kann zu den Inhalten freilich nicht Stellung nehmen, muss mir aber von der Seele schreiben, dass es mir als Bürger eines Landes, das sich die Würde des Menschen als oberste Leitlinie vorgibt, und das schließt muslimische Menschen ein, wechselweise die Wut und die Schamröte ins Gesicht treibt, wenn ich schwarz auf weiß sehen muss, wie Behörden unseres Landes mit Menschen umgehen. Und wenn einmal die „Beweisführung“ der Gegenseite öffentlich gemacht wird, die sich aus nichts anderem, als aus von ihr selbst so bezeichneten, in Wirklichkeit inhaltsleeren „Erkenntnisbausteinen“ zusammenstöpselt, dann wird es jedem aufrechten Demokraten genauso ergehen.
Über die Jahre ist klar geworden, dass es nicht in erster Linie unbedachtes, vorschnelles Handeln, politische Unwilligkeit eigene Fehler einzugestehen, oder auch mangelnde Kompetenz waren, die hinter dieser fortgesetzten und sogar verstärkten Diffamierung und Blockade der langjährig erfolgreichen Integrationsarbeit stecken, sondern durchaus und knallhart System.
Islamfeindliche Agitation…
Im März hat in München eine so genannte „Informationsveranstaltung“ der als massiv Islam-feindlich agitierend bekannten Organisationen „Politically Incorrect“ und „Bürgerbewegung Pax Europa“ stattgefunden. Ich habe die Veranstaltung besucht und war eigentlich enttäuscht. Es ging zunächst nur um die bekannten, gebetsmühlenartig in jeder Hetzschrift wiederholten, schwierigen Koranzitate, die sich eins nach dem anderen durch ebenso selektiv und aus dem Kontext herausgelöste Bibelzitate weit übertrumpfen ließen. Danach aber führte ein Sprecher einer dritten Organisation konkrete, reale Beispiele von grauenhafter Gewalt gegen und Unterdrückung von Christen in muslimischen Ländern vor. Das tat er natürlich ohne etwa daran zu erinnern, dass mitten in Deutschland eben erst eine Frau wegen ihres Kopftuchs in einem Gerichtssaal erstochen wurde, dass schon Jahre zuvor in unseren Städten immer wieder Menschen in ihren Häusern verbrannt wurden, nur weil sie türkischer Abstammung waren, geschweige denn daran, dass europäische Muslime vor unserer Haustür und unter dem Schutz der EU in den 1990er Jahren Opfer eines Völkermordes wurden.
Immerhin aber baute der Sprecher mehrmals den Hinweis ein, dass die Arbeit seiner Organisation, die sich – bewusst einseitig – für verfolgte Christen weltweit einsetzt, überhaupt nur dadurch möglich ist, dass es in all diesen Ländern auch solche Muslime gibt, die sie bei eben dieser Arbeit unterstützen. Er wurde dafür vom Publikum, aus eigenen Reihen, massiv attackiert, denn Islam und Muslime dürfen in der Ideologie dieser Leute ausschließlich als Gefährder vorkommen, die per Definition in einer westlichen Gesellschaft fremd sind und bleiben müssen, und deren Religion mit den Werten unseres Staates und unserer Gesellschaft per se unvereinbar ist. Islam sei, so äußerte sich ungeniert ein prominenter PI-Aktivist gegenüber der SZ (11.3.2010), gar keine Religion, sondern eine „politische, dem Nationalsozialismus ähnliche Ideologie“, freilich ohne dass er sich selbst der engen geistigen Verwandtschaft zu jenen folgenschwersten Formen von Ausgrenzung und Hetze gegen Minderheiten stellen würde http://www.sueddeutsche.de/politik/458/505647/text/.
.
…in Mainstream und Politik angekommen
Einen entsprechenden Standpunkt vertrat vehement ein Teilnehmer im TOP Management Programm „Europa – unsere Zukunft“ der Bayerischen Staatskanzlei für sehr hochrangige Verwaltungsbeamte im März 2006. Ich selbst leitete in dem Rahmen einen Workshop zur Frage „Gibt es eine ‚islamische Gefahr‘ für die Kultur Europas“, im Tagungshaus St. Quirin am Tegernsee. Das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Inhalten des Workshops war groß, sie meinten dankbar, dass sie neue Perspektiven kennengelernt hätten und manches nun anders bewerten könnten. In einem anerkennenden Schreiben der Staatskanzlei heißt es: „Ihre fundierten und vielschichtigen Ausführungen sind von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr positiv bewertet worden.“ Nur für einen einzigen Teilnehmer galt dies nicht. Ein Ministerialdirigent aus dem Bayerischen Innenministerium war empört, dass nicht nur die Verirrungen und die realen Probleme, die es bei Muslimen ja unübersehbar gibt, angesprochen wurden, und dass nicht sie als wesenhaft für islamische Religion dargestellt wurden. Die übrigen Teilnehmer beschwichtigten mich noch während der Veranstaltung, ich sollte doch diesen einen Herrn nicht allzu ernst nehmen, er sei für seine unbelehrbare Einstellung bekannt.
Dass er nicht ernst genommen werden sollte, war allerdings eine fatale Fehleinschätzung. Dieselbe Person saß mir bei einem der Gespräche, die 2007 im Innenministerium geführt wurden, wieder gegenüber am Tisch, an der Seite des Staatssekretärs, und dieselbe Person verantwortet den Schriftverkehr des Ministeriums an die Penzberger Gemeinde. Zusammen mit weiteren Mitarbeitern aus dieser ganz bestimmten Arbeitsgruppe des Ministeriums wurde später offen eingeräumt, dass es bei deren Vorgehen gegen die Penzberger Gemeinde gar nicht um die Abwehr einer akuten Gefährdung ginge, sondern um die Verhinderung einer „schleichenden Islamisierung“ unserer Gesellschaft! Es geht hier also erklärtermaßen nicht darum, objektiv zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und uns vor Letzterem zu schützen, sondern es geht darum, zu verhindern, dass Muslime Teil dieses Landes, dieser Gesellschaft werden oder bleiben. Dass sie sichtbar werden, dass sie öffentlich erkennbar hier zu Hause sind, dass sie womöglich in den Instanzen des Landes mitwirken und sich in die Konsenswerdung einbringen. Es geht dieser ideologischen Strömung darum, das aktiv zu verhindern, was alle konstruktiven Kräfte der Gesellschaft und der Politik mit Recht nicht müde werden von Muslimen einzufordern.Es ist ja nicht die Bayerische Staatsregierung, von der die Agitation gegen die größte Minderheit in unserem Land ausginge; es sind nicht die wechselnden Staatssekretäre, die diese Inhalte durchschauten, und auch der derzeitige Innenminister vertritt so wenig wie sein Vorgänger diese für uns alle verheerende Ideologie.
Minister zurückgepfiffen
Erst vor wenigen Monaten hat sich Minister Herrmann, als er einmal persönlich auf Imam Idriz traf und dessen Positionen selbst kennenlernte, ihm gegenüber ausdrücklich anerkennend und ermutigend geäußert. Gleich darauf wurde er offenbar aus seinem eigenen Hause zurückgepfiffen und „aufgeklärt“, denn gegenüber der Bild-„Zeitung“ erklärte er kurz danach das Gegenteil. Bei der oben genannten Veranstaltung von „Politically Incorrect (PI)“ erklärte mir ein Herr, der in München als einer der schlimmsten Hetzredner gegen Muslime in der Szene bestens bekannt ist, persönlich, dass er das Innenministerium zum Thema Islam berate. Es mag sehr gut sein, dass der Herr sich schlicht wichtiger machen möchte, als er ist. Aber die an der entsprechenden Stelle im Ministerium sitzende Gruppe hat seine Beratung gar nicht nötig. In deren Schriftsätzen wird eine Wortwahl gebraucht, die ich sonst nur aus den Veröffentlichungen von „PI“ kenne. Nachweislich wird darin mit Mechanismen gearbeitet, die engste Parallelen in der antisemitischen Hetze früherer Jahrhunderte haben. Was wäre, wenn in einer bayerischen Behörde Personen mit offen antisemitischer Gesinnung mit der
Zuständigkeit für jüdische Gemeinden betraut wären?
Was wir tun und lassen müssen.
Mit solchen Vergleichen muss behutsam umgegangen werden. Ich habe sieben Jahre in Israel gelebt, bin an der Hebräischen Universität promoviert, habe zur Geschichte der Juden in München publiziert und die Besucherbetreuung des Dachauer Forums an der KZ-Gedenkstätte geleitet. Ich weiß um die Unterschiede. Ich weiß aber auch wie es endet, wenn gegen Minderheiten undifferenziert gehetzt werden darf. Es trifft ja zu, dass es im real existierenden Islam große Probleme gibt, Zwänge, Gewalt, Abgrenzung und Hass. Angst davor, Islamophobie, ist bis zu einem gewissen Grad ja verständlich. Islam-Kritik – oder vielmehr: Kritik an bestimmten Muslimen – ist nicht nur legitim sondern geboten. Gerade deshalb aber müssen wir uns verbünden mit jenen, die den Islam so leben und vertreten, wie er gemeint ist – und das ist eben nicht so, wie die extremistischen Agitatoren gegen Minderheiten es darstellen.
Es geht im Fall der Islamischen Gemeinde Penzberg in Wahrheit nicht darum, wofür diese Gemeinde steht. Das ist längst bekannt, nachgewiesen und anerkannt. Es geht hier darum, welches Gedankengut von innerhalb bayerischer Behörden aus wirkt. Dort sitzt ein kleines Grüppchen von Leuten an einer Stelle, wo sie und ihre Gesinnungsgenossinnen und -genossen ungestraft und bisher völlig ungebremst Unrecht verursachen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass jetzt den Schulen in Penzberg verboten wurde, dass – was bisher selbstverständlich war – die Kinder im Rahmen des Religionsunterrichts die Moschee besuchen. Hier behindert das Ministerium nicht nur die fundamentalsten Ansätze von Integration und Dialog, es verbietet sie sogar!
Diejenigen, von denen das ausgeht, richten enormen Schaden an, ganz akut und für uns alle. Sie geben nämlich solchen Muslimen Recht – sie gibt es ja wirklich – die sich der Integration verweigern, weil sie vorgeben, der Staat und die Gesellschaft wollten überhaupt keinen Islam dulden und alle gegenteiligen Beteuerungen von Politikern seien nichts als leere Lippenbekenntnisse. Sie fördern damit direkt und wirkungsvoll Abgrenzung und Extremismus – genau das, was zu bekämpfen ihr Auftrag ist.
Es bräuchte dringend eine Visitation im Ministerium, keine apostolische, sondern eine rechtsstaatliche. Doch solange das nicht geschieht, ist im Grunde unerheblich, wie das Gericht in der Angelegenheit entscheiden wird. Das Ministerium wird eine Instanz nach der anderen bemühen, denn das Ministerium hat unbegrenzt Kräfte und Ressourcen; die Menschen, die sich jeden Tag Arme und Beine für eine erfolgreiche Integrationsarbeit im richtigen Leben ausreißen, haben weder das eine noch das andere.
Mit beliebigen Direktiven können die Unbelehrbaren im Ministerium den Betroffenen das Leben weiterhin zur Hölle machen. Mit einem Federstrich können sie die mühevolle Arbeit von Jahren und Jahrzehnten zunichte machen. Das haben sie getan und das werden sie unbeirrt weiter tun! Alle Gespräche und alle Briefe – natürlich auch dieser – bleiben von vornherein Makulatur. Juristen, Politiker bis hinauf zum Landtagspräsidenten, Kirchenmänner und -frauen, alle können sich für die Penzberger einsetzen. Das ist alles schon geschehen und wird weiterhin nichts, gar nichts bewirken.
Lassen wir es also brennen. Kapitulieren wir! Ich selbst setze mich seit ich selbständig denken kann dafür ein, das Eigene wie das Andere schätzen zu lernen und wo nötig zu schützen. Ich engagiere mich in Verbänden, habe selbst Organisationen gegründet und bin dafür mit Preisen ausgezeichnet worden. Jetzt bin ich so weit und sage: Lassen wir das sein! Strecken wir die Waffen und erklären wir offen und ehrlich das Ende der Integration. Solange behördliche Extremisten am längeren Hebel sitzen, jederzeit zunichte machen können, was andere mühsam erreicht haben, ist es unehrlich und unverantwortlich, Menschen dazu aufzurufen, sich für andere einzusetzen.
Anstatt alle verfügbaren Kapazitäten in Dialogarbeit und Aufklärung zu stecken, sollte ich künftig wie andere auch meine Freizeit in Spaß umsetzen. Anstatt mich aktiv für die Werte dieser Gesellschaft und dieses Staates einzusetzen, sollte ich mich lieber nur noch dafür interessieren, was meine eigene Familie, meine eigenen Kinder bewegt.
Freilich liegt genau hier ein Denkfehler. Denn eines Tages wird genau das meine Kinder bewegen – weshalb Menschen bei uns im 21. Jahrhundert wieder wegen ihrer Religion diskriminiert und ausgegrenzt werden. Was soll ich ihnen dann antworten? Weil es uns – seien wir doch ehrlich – insgeheim lieber wäre, sie, diese Muslime, würden irgendwann wieder verschwinden, wären gar nicht erst in unser schönes Bayern gekommen? Haben wir nicht im Moment gerade alle Wichtigeres zu tun, als uns ausgerechnet für Muslime einzusetzen?
Aber sie sind nun mal gekommen – die Mehrzahl von ihnen haben wir sogar gerufen – und sie sind, das hat sogar der damalige Bundesinnenminister Schäuble auszusprechen gewagt, ein Teil Deutschlands, ein Teil Europas geworden. Sogar ein Teil Bayerns. Und deshalb wird das Bayerische Innenministerium besser früher als später dafür sorgen müssen, dass der eigene Verfassungsschutzbericht nicht mehr von PIIdeologen aus eigenen Reihen dazu missbraucht werden kann, gegen Minderheiten zu agitieren und den vitalen Interessen von Staat und Gesellschaft schweren Schaden zuzufügen. Der Verfassungsschutzbericht muss um eine Kategorie „Extremistische Bestrebungen gegen Minderheiten“ erweitert werden, in der die extremistischen Netzwerke derjenigen aufgedeckt werden, die derzeit noch im Verfassungsschutzbericht selber mitschreiben. Ich bin sicher: auch in dem für das Jahr 2009. (PK)
Dr. Stefan Jakob Wimmer, habilitierter Kulturwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Autor zahlreicher Publikationen, ist zugleich als Lehrbeauftragter an der Katholisch-Theologischen Fakultät tätig und im interreligiösen Dialog engagiert. Seine Internetseite: http://www.stefan-jakob-wimmer.de/index.html
Online-Flyer Nr. 241 vom 19.03.2010
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Inland
Political INcorrectness in Bayern
Ein Brandbrief
Von Stefan Jakob Wimmer
Es brennt In Bayern und keiner löscht
Es brennt in Bayern und keiner löscht. Auf einer Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung Anfang März, auf Einladung des „Arbeitskreis Islam“ und moderiert von Landtagspräsident a.D. Alois Glück, brachte ein Zuhörer es auf den Punkt: Wir haben die Wahl zwischen Integration oder Anarchie. Der Arzt iranischer Herkunft weiß, wovon er spricht. Seine Eltern hatten das muslimische Kind auf eine jüdische Schule geschickt, und später in der neuen Heimat Deutschland in den christlichen Religionsunterricht. Die Veranstaltung stellte zwei Studien vor, die von der Bertelsmann-Stiftung und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über Muslime in Deutschland erstellt wurden, und die nun erstmals tragfähige Daten und eine solide Analyse zum Thema bieten, „ein aussagekräftiges und repräsentatives Bild des aktuellen Standes der Integration von Muslimen in Deutschland“, wie es in der Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung heißt. Beide Studien kommen unabhängig voneinander zu weitgehend gleichen Ergebnissen.
Unerwünschte Erkenntnisse?
Obwohl das Bild, das sie enthüllen, nicht jeder so erwartet hätte. Demnach ist nicht nur der Anteil von Muslimen mit rund 4 Millionen erheblich höher, als vermutet worden war; es tragen auch nicht „fast alle“ Musliminnen Kopftuch, wie eine andere Zuhörerin meinte (vielleicht weil sie diejenigen, die kein Kopftuch tragen, gar nicht als Musliminnen identifiziert?), sondern sogar von denjenigen Musliminnen, die sich selbst als religiös einstufen, nicht einmal die Hälfte. Vor allem: die Identifikation mit Deutschland, mit dem Grundgesetz, das Vertrauen in die Regierung und die Institutionen des Staates, sind bei Muslimen höher, als im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung! Da meldete sich ein Vertreter des Bayerischen Innenministeriums zu Wort und widersprach, die Studien könnten doch nicht stimmen, denn die Ergebnisse seinen ja ganz anders, als die eigenen „Erkenntnisse“. Als die eigene Einschätzung, hätte er besser sagen sollen. Alois Glück hatte zu Beginn der Diskussion prophezeit, dass die neu gewonnenen Fakten an manchen Überzeugungen abprallen würden:
„Meine Meinung steht fest, verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen!“ Dass gewisse Geisteshaltungen realitätsresistent sind, ist nicht neu. Aber wir müssen schmerzlich dazulernen, dass solch Geistes Kinder in unserem Land an Positionen walten, wo sie ganz gewiss nicht hingehören. Die kleine aber bemerkenswerte muslimische Gemeinde in Penzberg erfährt es seit zweieinhalb Jahren jeden Tag.
Das Beispiel Penzberg
Bemerkenswert deshalb, weil sie sich schon sehr viel länger, seit den 1990er Jahren, besonders engagiert und besonders erfolgreich um Integration bemüht – nachweislich und anerkannt. Ihr junger und dynamischer, wenn auch inzwischen in Folge dessen, was er hier seit einiger Zeit erlebt, gesundheitlich angeschlagener Imam, predigt so engagiert wie kein anderer im ganzen Land Demokratie und Gleichberechtigung, Freiheitlichkeit und Rechtstaatlichkeit – nachweislich und anerkannt. Aus islamischem Selbstverständnis heraus wird in Penzberg begründet – nachweislich und anerkannt –, dass Muslime sich in dem Land, in dem sie leben, und das ihnen die Freiheit eines muslimischen Lebens garantiert, einzufügen haben; dass sie die Werte und Traditionen, die Kultur und selbstverständlich die Gesetze und Rechtsordnung, achten und verinnerlichen.
Gegen Gewalt, gegen Abgrenzung, gegen Parallelgesellschaften, gegen alles, was uns aus entsprechend geprägten Kulturkreisen ungut vorkommt, redet und schreibt der Imam an und setzt das alles mit seiner Gemeinde zusammen auch erfolgreich im täglichen Leben um – nachweislich und anerkannt.
In Penzberg ist und war das längst bekannt und anerkannt, von allen, von den Kirchen, den Parteien, den einfachen Leuten, denn nicht nur hören und lesen konnte und kann man es dort, man erlebt es seit Jahren. Das glückliche Penzberg haben manche Medien auch weit über die kleine Stadt hinaus bekannt gemacht, und viele kamen, sehr viele, buchstäblich tausende Besucher, und haben sich selbst von all dem überzeugt, Schulklassen, Frauenvereine, Journalisten, Diplomaten (darunter – leider nicht selbstverständlich – sogar ein israelischer), Pfarrer und Bischöfe, Abgeordnete und Minister. Bis zum Sommer 2007. Damals starteten der Imam und Mitglieder der Gemeinde mit Freunden aus München zusammen eine anspruchsvolle Initiative, die das, was so überzeugend in Penzberg möglich war, in der Landeshauptstadt München angehen wollte. Wohl gemerkt: von vornherein in Kooperation mit und mit Unterstützung durch alle: Kirchen, Parteien, Verbände, Bevölkerung. Seitdem gelten just diese Menschen als Islamisten und Extremisten. Plötzlich hatte der Verfassungsschutz herausgefunden, dass es sich bei Imam Idriz und der Islamischen Gemeinde Penzberg um „ganz gefährliche Leute“ handelt, deren „Verstrickung in islamistische Gesamtgefüge“ sich „wie ein roter Faden“ durch ihr ganzes Sinnen und Treiben ziehe!
Missglückt und voreilig?
Zunächst konnte man meinen, dass dahinter ein paar mißglückte, voreilige Schlüsse und Schüsse eines Staatssekretärs steckten, der mitten im Sommerloch die vermeintliche Gunst eines Themas ergriff, das seine Chancen bei der anstehenden Nachfolgefrage an der Ministeriumsspitze zu mehren versprach. Der Autor dieses Brandbriefs hat damals selbst die Gespräche miterlebt, die die Penzberger mit dem Staatssekretär und seinen Mitarbeitern führten, und wenig später dann auch mit dessen Nachfolger.
Ich war damals fassungslos von der Unprofessionalität, mit der eine so zentrale Behörde wie das Landesamt für Verfassungsschutz vorzugehen schien. Voreingenommenheit, Oberflächlichkeiten und falsch zugeordnete Dokumente, gepaart mit einem Islam-Wissen, das über Karl-May nicht wesentlich hinausgekommen schien. Anstelle einer raschen Richtigstellung folgte dann eine Nennung der betroffenen Gemeinde im Verfassungsschutzbericht 2007, als angebliche Tarnorganisation des ultrakonservativen, türkischen Verbandes Milli Görüs! Dass entgegen der Behauptung des Innenministeriums Frau Yerli, die sich von Anfang an für die Initiative „Zentrum für Islam in Europa – München“ (ZIE-M) engagierte, zu keiner Zeit für Milli Görüs tätig war, und ihr Mann, Vorsitzender der Penzberger Gemeinde (aber nicht bei ZIE-M engagiert) dort in seiner Jugend zwar tatsächlich einmal Mitglied geworden, aber wieder ausgetreten war, lange bevor das Ministerium eine entsprechende Orientierung als zentrale Stütze der eigenen Argumentation ins Feld führte, spielte auch dann keine Rolle, als man die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht 2008 eiskalt wiederholte. Der Gemeinde blieb nur noch die Klage um eine einstweilige Verfügung. Der Sinn einer solchen Verfügung liegt bekanntlich in einer dringlichen, möglichst raschen Entscheidung, doch das Gericht lässt sich inzwischen neun Monate Zeit und ist sicher auch nicht dadurch zu beeindrucken, dass der nächste Verfassungsschutzbericht inzwischen unmittelbar bevorsteht.
Mit Wut und Scham gegen Diffamierung mit System
Ich kenne die in diesem Verfahren von beiden Seiten vorgelegten Schriftsätze in allen Details. Ich kann zu den Inhalten freilich nicht Stellung nehmen, muss mir aber von der Seele schreiben, dass es mir als Bürger eines Landes, das sich die Würde des Menschen als oberste Leitlinie vorgibt, und das schließt muslimische Menschen ein, wechselweise die Wut und die Schamröte ins Gesicht treibt, wenn ich schwarz auf weiß sehen muss, wie Behörden unseres Landes mit Menschen umgehen. Und wenn einmal die „Beweisführung“ der Gegenseite öffentlich gemacht wird, die sich aus nichts anderem, als aus von ihr selbst so bezeichneten, in Wirklichkeit inhaltsleeren „Erkenntnisbausteinen“ zusammenstöpselt, dann wird es jedem aufrechten Demokraten genauso ergehen.
Über die Jahre ist klar geworden, dass es nicht in erster Linie unbedachtes, vorschnelles Handeln, politische Unwilligkeit eigene Fehler einzugestehen, oder auch mangelnde Kompetenz waren, die hinter dieser fortgesetzten und sogar verstärkten Diffamierung und Blockade der langjährig erfolgreichen Integrationsarbeit stecken, sondern durchaus und knallhart System.
Islamfeindliche Agitation…
Im März hat in München eine so genannte „Informationsveranstaltung“ der als massiv Islam-feindlich agitierend bekannten Organisationen „Politically Incorrect“ und „Bürgerbewegung Pax Europa“ stattgefunden. Ich habe die Veranstaltung besucht und war eigentlich enttäuscht. Es ging zunächst nur um die bekannten, gebetsmühlenartig in jeder Hetzschrift wiederholten, schwierigen Koranzitate, die sich eins nach dem anderen durch ebenso selektiv und aus dem Kontext herausgelöste Bibelzitate weit übertrumpfen ließen. Danach aber führte ein Sprecher einer dritten Organisation konkrete, reale Beispiele von grauenhafter Gewalt gegen und Unterdrückung von Christen in muslimischen Ländern vor. Das tat er natürlich ohne etwa daran zu erinnern, dass mitten in Deutschland eben erst eine Frau wegen ihres Kopftuchs in einem Gerichtssaal erstochen wurde, dass schon Jahre zuvor in unseren Städten immer wieder Menschen in ihren Häusern verbrannt wurden, nur weil sie türkischer Abstammung waren, geschweige denn daran, dass europäische Muslime vor unserer Haustür und unter dem Schutz der EU in den 1990er Jahren Opfer eines Völkermordes wurden.
Immerhin aber baute der Sprecher mehrmals den Hinweis ein, dass die Arbeit seiner Organisation, die sich – bewusst einseitig – für verfolgte Christen weltweit einsetzt, überhaupt nur dadurch möglich ist, dass es in all diesen Ländern auch solche Muslime gibt, die sie bei eben dieser Arbeit unterstützen. Er wurde dafür vom Publikum, aus eigenen Reihen, massiv attackiert, denn Islam und Muslime dürfen in der Ideologie dieser Leute ausschließlich als Gefährder vorkommen, die per Definition in einer westlichen Gesellschaft fremd sind und bleiben müssen, und deren Religion mit den Werten unseres Staates und unserer Gesellschaft per se unvereinbar ist. Islam sei, so äußerte sich ungeniert ein prominenter PI-Aktivist gegenüber der SZ (11.3.2010), gar keine Religion, sondern eine „politische, dem Nationalsozialismus ähnliche Ideologie“, freilich ohne dass er sich selbst der engen geistigen Verwandtschaft zu jenen folgenschwersten Formen von Ausgrenzung und Hetze gegen Minderheiten stellen würde http://www.sueddeutsche.de/politik/458/505647/text/.
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…in Mainstream und Politik angekommen
Einen entsprechenden Standpunkt vertrat vehement ein Teilnehmer im TOP Management Programm „Europa – unsere Zukunft“ der Bayerischen Staatskanzlei für sehr hochrangige Verwaltungsbeamte im März 2006. Ich selbst leitete in dem Rahmen einen Workshop zur Frage „Gibt es eine ‚islamische Gefahr‘ für die Kultur Europas“, im Tagungshaus St. Quirin am Tegernsee. Das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Inhalten des Workshops war groß, sie meinten dankbar, dass sie neue Perspektiven kennengelernt hätten und manches nun anders bewerten könnten. In einem anerkennenden Schreiben der Staatskanzlei heißt es: „Ihre fundierten und vielschichtigen Ausführungen sind von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr positiv bewertet worden.“ Nur für einen einzigen Teilnehmer galt dies nicht. Ein Ministerialdirigent aus dem Bayerischen Innenministerium war empört, dass nicht nur die Verirrungen und die realen Probleme, die es bei Muslimen ja unübersehbar gibt, angesprochen wurden, und dass nicht sie als wesenhaft für islamische Religion dargestellt wurden. Die übrigen Teilnehmer beschwichtigten mich noch während der Veranstaltung, ich sollte doch diesen einen Herrn nicht allzu ernst nehmen, er sei für seine unbelehrbare Einstellung bekannt.
Dass er nicht ernst genommen werden sollte, war allerdings eine fatale Fehleinschätzung. Dieselbe Person saß mir bei einem der Gespräche, die 2007 im Innenministerium geführt wurden, wieder gegenüber am Tisch, an der Seite des Staatssekretärs, und dieselbe Person verantwortet den Schriftverkehr des Ministeriums an die Penzberger Gemeinde. Zusammen mit weiteren Mitarbeitern aus dieser ganz bestimmten Arbeitsgruppe des Ministeriums wurde später offen eingeräumt, dass es bei deren Vorgehen gegen die Penzberger Gemeinde gar nicht um die Abwehr einer akuten Gefährdung ginge, sondern um die Verhinderung einer „schleichenden Islamisierung“ unserer Gesellschaft! Es geht hier also erklärtermaßen nicht darum, objektiv zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und uns vor Letzterem zu schützen, sondern es geht darum, zu verhindern, dass Muslime Teil dieses Landes, dieser Gesellschaft werden oder bleiben. Dass sie sichtbar werden, dass sie öffentlich erkennbar hier zu Hause sind, dass sie womöglich in den Instanzen des Landes mitwirken und sich in die Konsenswerdung einbringen. Es geht dieser ideologischen Strömung darum, das aktiv zu verhindern, was alle konstruktiven Kräfte der Gesellschaft und der Politik mit Recht nicht müde werden von Muslimen einzufordern.Es ist ja nicht die Bayerische Staatsregierung, von der die Agitation gegen die größte Minderheit in unserem Land ausginge; es sind nicht die wechselnden Staatssekretäre, die diese Inhalte durchschauten, und auch der derzeitige Innenminister vertritt so wenig wie sein Vorgänger diese für uns alle verheerende Ideologie.
Minister zurückgepfiffen
Erst vor wenigen Monaten hat sich Minister Herrmann, als er einmal persönlich auf Imam Idriz traf und dessen Positionen selbst kennenlernte, ihm gegenüber ausdrücklich anerkennend und ermutigend geäußert. Gleich darauf wurde er offenbar aus seinem eigenen Hause zurückgepfiffen und „aufgeklärt“, denn gegenüber der Bild-„Zeitung“ erklärte er kurz danach das Gegenteil. Bei der oben genannten Veranstaltung von „Politically Incorrect (PI)“ erklärte mir ein Herr, der in München als einer der schlimmsten Hetzredner gegen Muslime in der Szene bestens bekannt ist, persönlich, dass er das Innenministerium zum Thema Islam berate. Es mag sehr gut sein, dass der Herr sich schlicht wichtiger machen möchte, als er ist. Aber die an der entsprechenden Stelle im Ministerium sitzende Gruppe hat seine Beratung gar nicht nötig. In deren Schriftsätzen wird eine Wortwahl gebraucht, die ich sonst nur aus den Veröffentlichungen von „PI“ kenne. Nachweislich wird darin mit Mechanismen gearbeitet, die engste Parallelen in der antisemitischen Hetze früherer Jahrhunderte haben. Was wäre, wenn in einer bayerischen Behörde Personen mit offen antisemitischer Gesinnung mit der
Zuständigkeit für jüdische Gemeinden betraut wären?
Was wir tun und lassen müssen.
Mit solchen Vergleichen muss behutsam umgegangen werden. Ich habe sieben Jahre in Israel gelebt, bin an der Hebräischen Universität promoviert, habe zur Geschichte der Juden in München publiziert und die Besucherbetreuung des Dachauer Forums an der KZ-Gedenkstätte geleitet. Ich weiß um die Unterschiede. Ich weiß aber auch wie es endet, wenn gegen Minderheiten undifferenziert gehetzt werden darf. Es trifft ja zu, dass es im real existierenden Islam große Probleme gibt, Zwänge, Gewalt, Abgrenzung und Hass. Angst davor, Islamophobie, ist bis zu einem gewissen Grad ja verständlich. Islam-Kritik – oder vielmehr: Kritik an bestimmten Muslimen – ist nicht nur legitim sondern geboten. Gerade deshalb aber müssen wir uns verbünden mit jenen, die den Islam so leben und vertreten, wie er gemeint ist – und das ist eben nicht so, wie die extremistischen Agitatoren gegen Minderheiten es darstellen.
Es geht im Fall der Islamischen Gemeinde Penzberg in Wahrheit nicht darum, wofür diese Gemeinde steht. Das ist längst bekannt, nachgewiesen und anerkannt. Es geht hier darum, welches Gedankengut von innerhalb bayerischer Behörden aus wirkt. Dort sitzt ein kleines Grüppchen von Leuten an einer Stelle, wo sie und ihre Gesinnungsgenossinnen und -genossen ungestraft und bisher völlig ungebremst Unrecht verursachen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass jetzt den Schulen in Penzberg verboten wurde, dass – was bisher selbstverständlich war – die Kinder im Rahmen des Religionsunterrichts die Moschee besuchen. Hier behindert das Ministerium nicht nur die fundamentalsten Ansätze von Integration und Dialog, es verbietet sie sogar!
Diejenigen, von denen das ausgeht, richten enormen Schaden an, ganz akut und für uns alle. Sie geben nämlich solchen Muslimen Recht – sie gibt es ja wirklich – die sich der Integration verweigern, weil sie vorgeben, der Staat und die Gesellschaft wollten überhaupt keinen Islam dulden und alle gegenteiligen Beteuerungen von Politikern seien nichts als leere Lippenbekenntnisse. Sie fördern damit direkt und wirkungsvoll Abgrenzung und Extremismus – genau das, was zu bekämpfen ihr Auftrag ist.
Es bräuchte dringend eine Visitation im Ministerium, keine apostolische, sondern eine rechtsstaatliche. Doch solange das nicht geschieht, ist im Grunde unerheblich, wie das Gericht in der Angelegenheit entscheiden wird. Das Ministerium wird eine Instanz nach der anderen bemühen, denn das Ministerium hat unbegrenzt Kräfte und Ressourcen; die Menschen, die sich jeden Tag Arme und Beine für eine erfolgreiche Integrationsarbeit im richtigen Leben ausreißen, haben weder das eine noch das andere.
Mit beliebigen Direktiven können die Unbelehrbaren im Ministerium den Betroffenen das Leben weiterhin zur Hölle machen. Mit einem Federstrich können sie die mühevolle Arbeit von Jahren und Jahrzehnten zunichte machen. Das haben sie getan und das werden sie unbeirrt weiter tun! Alle Gespräche und alle Briefe – natürlich auch dieser – bleiben von vornherein Makulatur. Juristen, Politiker bis hinauf zum Landtagspräsidenten, Kirchenmänner und -frauen, alle können sich für die Penzberger einsetzen. Das ist alles schon geschehen und wird weiterhin nichts, gar nichts bewirken.
Lassen wir es also brennen. Kapitulieren wir! Ich selbst setze mich seit ich selbständig denken kann dafür ein, das Eigene wie das Andere schätzen zu lernen und wo nötig zu schützen. Ich engagiere mich in Verbänden, habe selbst Organisationen gegründet und bin dafür mit Preisen ausgezeichnet worden. Jetzt bin ich so weit und sage: Lassen wir das sein! Strecken wir die Waffen und erklären wir offen und ehrlich das Ende der Integration. Solange behördliche Extremisten am längeren Hebel sitzen, jederzeit zunichte machen können, was andere mühsam erreicht haben, ist es unehrlich und unverantwortlich, Menschen dazu aufzurufen, sich für andere einzusetzen.
Anstatt alle verfügbaren Kapazitäten in Dialogarbeit und Aufklärung zu stecken, sollte ich künftig wie andere auch meine Freizeit in Spaß umsetzen. Anstatt mich aktiv für die Werte dieser Gesellschaft und dieses Staates einzusetzen, sollte ich mich lieber nur noch dafür interessieren, was meine eigene Familie, meine eigenen Kinder bewegt.
Freilich liegt genau hier ein Denkfehler. Denn eines Tages wird genau das meine Kinder bewegen – weshalb Menschen bei uns im 21. Jahrhundert wieder wegen ihrer Religion diskriminiert und ausgegrenzt werden. Was soll ich ihnen dann antworten? Weil es uns – seien wir doch ehrlich – insgeheim lieber wäre, sie, diese Muslime, würden irgendwann wieder verschwinden, wären gar nicht erst in unser schönes Bayern gekommen? Haben wir nicht im Moment gerade alle Wichtigeres zu tun, als uns ausgerechnet für Muslime einzusetzen?
Aber sie sind nun mal gekommen – die Mehrzahl von ihnen haben wir sogar gerufen – und sie sind, das hat sogar der damalige Bundesinnenminister Schäuble auszusprechen gewagt, ein Teil Deutschlands, ein Teil Europas geworden. Sogar ein Teil Bayerns. Und deshalb wird das Bayerische Innenministerium besser früher als später dafür sorgen müssen, dass der eigene Verfassungsschutzbericht nicht mehr von PIIdeologen aus eigenen Reihen dazu missbraucht werden kann, gegen Minderheiten zu agitieren und den vitalen Interessen von Staat und Gesellschaft schweren Schaden zuzufügen. Der Verfassungsschutzbericht muss um eine Kategorie „Extremistische Bestrebungen gegen Minderheiten“ erweitert werden, in der die extremistischen Netzwerke derjenigen aufgedeckt werden, die derzeit noch im Verfassungsschutzbericht selber mitschreiben. Ich bin sicher: auch in dem für das Jahr 2009. (PK)
Dr. Stefan Jakob Wimmer, habilitierter Kulturwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Autor zahlreicher Publikationen, ist zugleich als Lehrbeauftragter an der Katholisch-Theologischen Fakultät tätig und im interreligiösen Dialog engagiert. Seine Internetseite: http://www.stefan-jakob-wimmer.de/index.html
Online-Flyer Nr. 241 vom 19.03.2010
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