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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Medien
Das Letzte: WDR-Presseclub sorgt sich um Wehrkonsens
Kriegs-PR der ARD
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

"Drama in Afghanistan - macht dieser Krieg noch Sinn?" Diese Frage stellte sich angesichts der deutschen, und nur der deutschen Toten im Afghanistan-Krieg der Bundeswehr, der ARD-WDR-Presseclub am 18. April. Diese so kritisch aufgezogene "Frage" wurde freilich nur vorangestellt, um versuchsweise genau eben diesen "Sinn" zu vermitteln, den eine Mehrheit der Bevölkerung offenbar bezweifelt. Denn angesichts der mangelnden Wehrfreude ist für die Kriegsherren und ihre angestellten Sprachrohre "Handlungsbedarf" angesagt. So wechselten sich im Presseclub zwar die WortergreiferInnen ab, aber nicht, um strittig zu diskutieren, sondern nur, um das militärfarben angestrichene Sprachrohr der im Wesentlichen offiziellen Meinung staffettenartig weiterzureichen.
 

Vermißt "stolze Trauer" bei Hinterbliebenen
– Jörg Schönenborn
NRhZ-Archiv
Moderator Jörg Schönenborn zitierte gleichwohl einen kriegskritischen Eintrag aus dem Gästebuch der Sendung, der ihn "berührt" habe, was aber vor allem wohl mit der Person des Eintragsautors zusamenhängen mochte. Tenor des Eintrages: Die ständige Indoktrination, daß man für Friedenseinsätze getötete deutsche Soldaten in Kauf nehmen müsse, könne er nicht mehr hören. So schreibt dort der Vater eines in Afghanistan gefallenen Bundeswehr-Soldaten. Das blieb die kritischste, "pazifistischste" Einlassung in dieser Sendung. Und die konnte so natürlich auch nicht stehen bleiben: Die Perspektive richtiger Soldaten sei eben eine andere als die von Angehörigen. Sie rechneten schon damit, daß sie ums Leben kommen könnten - mußte sich aus dem Studio der hinterbliebene Vater in seiner Trauer belehren lassen. Die hatte ihn anscheinend leider zu unangemessener Kriegsskepsis verführt.
 
Wenn sich schon die Kanzlerin zur Trauerfeier für gefallene Soldaten begibt, um mit zur Schau gestellter "Anteilnahme" noch die Toten als Komponente der Kriegs-PR zu instrumentalisieren, dann müssen sich gefälligst auch die Angehörigen langsam mal auf ihre angestammte Rolle besinnen. "Stolze Trauer", so hieß das früher einmal, als Deutschland noch einen richtigen Weltkrieg führte, und nicht nur, wie Michael Stürmer meinte, einen "kleinen".
 
Professor für kriegstaugliche Wissenschaften
 
Denn Michael Stürmer sorgt sich um den Krieg. Nicht erst seit dem 18. April. Regelmäßige Presseclub-ZuschauerInnen kennen Herrn Stürmer, den emeritierten Geschichtsprofessor der Universität Erlangen-Nürnberg, mit 71 Jahren noch amtierender Großphilosoph bei Springers "Welt". Er ist beim "Presseclub" ein gern gesehener Gast, der in dieser Sendung mit Vorliebe als rechter Flügelmann eingeladen wird, insbesondere, wenn es gilt, jegliche "pazifistische Feigheit" zu geißeln. Ihm widerspricht dann auch kaum jemand mit vergleichbarer Prägnanz. Denn das Spektrum des Presseclubs reicht ausgewogen höchstens von der Welt bis zu nicht-pazifistischen AutorInnen der taz. Im Gegensatz zu unmännlichem Pazifismus ist der Krieg, oder die Kunst, Kriegsoptionen für die "richtigen" Zwecke "nüchtern und tabufrei" offenzuhalten, ein Lieblingskind des ehemaligen Weltanschauungs-Beraters eines gewissen Helmut Kohl.


Sorgt sich um den Krieg - Michael Stürmer
Quelle: www.axel-springer-akademie.de
 
Im August 2000, als Michael Stürmer quasi noch mitregierte, erkannte der 
nationalkonservative Vordenker in der WELT den Verfall von zupackender Manneszucht als Gefahr für die Wiederauflage des deutschen Machtstaates im NATO-Verband. Die Deutschen hätten sich in ihrem Drang nach Bequemlichkeit und politischer Korrektheit zum "vegetarischen Denken" bekehrt, bekundete Stürmer im Springer-Leitblatt unter der für den deutschen Imperialismus lebenswichtigen Frage: "Wie werden wir morgen Krieg führen?" ( Die WELT, 12.8.2000.) Die Besorgnis des Macchiavellisten ist vollauf begründet. Denn an "vegetarischem Denken" würde der auf stetigen Nachschub menschlichen Frischfleisches angewiesene Kriegsmoloch womöglich noch verhungern. Krieg, so belehrt Stürmer ein Jahrzehnt später, denn auch die womöglich immer noch nicht zur Schlachthausgesinnung konvertierten ZuschauerInnen des Presseclubs, müssen insofern gepflegt werden. Wir müssen ihn im Sinne des Lieblingstheoretikers aller Freunde des Kriegerischen, Clausewitz - "aktuell wie eh und je" - als "vernünftiges Mittel zu einem vernünftigen Ziel" handhaben. Der Krieg, kurzum, soll wieder etwas vollkommen Normales werden, nicht schön, aber in dieser Welt "nun einmal" ein nicht wegzudenkendes Element im "Reiche der Notwendigkeit".

Unzeitgemäße Empfindsamkeit

"Wir sind die Empfindsamsten" (soll heißen: unter den Völkern des NATO-Kampfbundes), "weil wir uns etwas vorgemacht haben", so kanzelt der Professor, zu deutsch: Bekenner kriegstauglicher Wissenschaft die bundesdeutsche Nach- und Antikriegs-Weicheierei ab. "Es ist ein kleiner Krieg, aber ein unerbittlicher Krieg. Das müssen wir annehmen", befiehlt unser  Fronthistoriker. Der Dämonologe weiß überdies - und bitte, das hat mit Paranoia gar nichts zu tun - ganz genau, daß die Hand- und Ohrlanger des Bösen überall sind. Nun verfolgen die Taliban uns Deutsche, dräut Herr Stürmer ganz im Sinne der "verfolgenden Unschuld", nicht zuletzt die "deutsche Debatte", und als Gipfelpunkt der gnadenlosen Verfolgerei "werden sie auch unsere Sendung zur Kenntnis nehmen." Vor allem, wenn Herr Stürmer dabei ist, der sie ansonsten wegen Magnifizenzbeleidigung verklagen würde, sollten sie ihn durch Nichteinschaltung des Presseclubs zu ignorieren wagen.

Nicht ganz ausgesprochen, aber so gemeint, schwingt dabei mit, daß der Taliban eben seine Agenten und nützlichen Idioten "unter uns" hat, alle mithin, die sich irgendwie öffentlich  gegen den Kriegseinsatz unserer Friedenswehr äußern. Sie stehen vielleicht nicht im Solde, hängen aber an den Marionettenfäden der Taliban. Denn ganz gezielt schauen die Taliban, so verstärkt Moderator Schönenborn die Stürmersche Feindanalyse, "wo öffentliche Meinung und damit ihre Gegner verletztlich sind". Welche Meinung man zum Krieg vertritt, ist ab sofort  Kriegs- und geheime Kommandosache. "Gegnerische" Meinungen sind Feindbegünstigung, ja, werden vom Feind hinterhältig eingeschleust, und kommen daher im "Presseclub" auch nicht vor.

Wir sind das weichste Ziel....

Susanne Koelbl vom SPIEGEL assistiert dem Doyen der Bellizistik und fordert mehr psychologische Kriegsführung. Auch für sie sind "wir" das "weichste  Ziel"; ja: Nicht eigentlich die Soldaten sind das Ziel des Taliban, sondern "wir", wir alle, "sind das Ziel". Die Wehrkundlerin warnt: "Unsere Zweifel, unsere Uneinigkeit" machen uns angreifbar für die Ränke des Bösewichts und seinen Angriff auf unseren Wehrwillen. solange "wir" noch "uneinig" sind über "unsere nationalen Ziele", solange wir unter einem "ungeklärten Verhältnis zum Bündnis NATO" leiden, solange es unter uns also noch Widerstreben gibt gegen den totalen Kriegskonsens, sind wir des Taliban leichte Beute. Wer gegen den Krieg oder nicht ganz für ihn ist, ist Frau Koelbls Logik zufolge quasi "embedded", eingebettet nämlich in die "psychologische Kriegsführung" des Taliban, die allerdings "unsere Soldaten tödlich trifft". Ja, ja, der Dolch im Rücken der kämpfenden Front. Auch das gab es doch schon einmal. Kriegsverrat. Dolchstoß. Das sagt Frau Koelbl nicht. Aber sie redet davon.


Kriegsinterpretin des
SPIEGEL - Susanne Koelbl
Quelle:
www.koerber-stiftung.de
"Soldaten wünschen sich den Rückhalt" an der Heimatfront, tremoliert die Kriegsinterpretin des früher "im Zweifelsfalle linken" Leitmagazins; es schmerzt sie sehr, wenn in der Öffentlichkeit nicht verstanden wird, welchen Einsatz sie dort bringen. Über die Schmerzen, die eben dieser "Einsatz" in den letzten Jahren afghanischen ZivilistInnen zugefügt hat, längst schon vor dem Bombenangriff bei Kundus am 4. September 2009, schweigt sich die einfühlsame Frau Koelbl aus. Allerdings - "Einfühlung" und "Trauer" in ihren jeweiligen fernsehgerecht aufbereiteten offiziellen Darstellungsvarianten gibt es natürlich nur für "unsere Jungs", unabhängig davon, "welchen Einsatz sie dort bringen".

Stimmungstheater mit verteilten Rollen

Eine kalkuliert scheinkritische Variante vertritt  Sabine Rau, die angebliche "Militärexpertin der ARD". Sie überrascht mit der blitzartigen Erkenntnis: "Eine ehrliche Begrifflichkeit" - daß also Kriegsminister zu Guttenberg den Krieg Krieg nennt - "löst noch nicht das  Problem." 21 Schuß Salut, damit hat sie sich geradezu als Dissidentin positioniert. Oder doch nicht? Nein, hier wird nur ein Spiel mit verteilten Rollen auf der Schaubühne der offiziösen Politik- und Kiegs-PR vorgeführt. Sabine Rau erfüllt ihren Part. Aus ihrem Vor-Satz zieht die "Militärexpertin" keinesfalls die Konsequenz,  mit grundsätzlicher "Ehrlichkeit" zu kommunizieren, welchen Zielsetzungen der "Einsatz" wirklich dient. Dafür hätte sie etwa den in Marburg lehrenden Afghanistan-Experten Matin Baraki zitieren können. Der sein Geburtsland als "unsinkbaren Flugzeugträger" für die Strategie- und Rohstoffinteressen des NATO-Bündnisses und namentlich der USA in der mittelöstlichen Weltregion sieht und eben darin eine wesentliche Motivation des westlichen Afghanistan-Einsatzes erkennt. Kritische, vertiefte Analyse, die den Kriegskurs infrage stellen könnte, kommt im Presseclub nicht vor und ist auch nicht das Metier der "Militärexpertin" Rau. Sie empfiehlt einfach nur eine geschicktere Bewerbung des Krieges, mit der rein rhetorischen  Frage an "unsere"  
verantwortlichen Politiker: "Wie erklärt ihr den Menschen hier, was haben wir dort noch verloren, und was sind unsere Ziele?"

Statt Aufklärung: Werbeslogan gesucht

So sucht mit staatfraumännischen Sorgenfalten die Presseclub-Runde bei allen nur scheinbaren Nuancen nach Wegen, den Krieg dem Volke schmackhaft zu  machen. Insofern vollkommen zutreffend die Einheits-Variante von "Pluralismus" widerspiegelnd, die im Gegensatz zu kontroverser Meinungsvielfalt  offiziell wirklich gemeint ist.

Herr Moderator Schönenborn vermißt vor allem eine "Formulierung", mit der sich "die Öffentlichkeit hinter diesen Konflikt, hinter diesen Kampf" stellen lasse. "Es ist unser Geld, das in die Drogen geht, und dieses Geld kommt dann als Waffen für die Taliban wieder zurück", agitiert auf dieses Stichwort hin Michael Stürmer. Mithin könnte man dem deutschen   
Stammtisch und namentlich den zehn Millionen LeserInnen der Bildzeitung einreden, daß am  Hindukusch nicht einfach nur abstrakt "unsere  Freiheit" verteidigt, sondern unsere Jugend vor den durch die Taliban eingeschmuggelten Rauschgiften in Schutz genommen werde.  

Mit solch populistischen  Vorwänden vermeidet man immerhin, über jegliche reale Motivationen zu sprechen, die jenseits aller Menschenrechtsrhetorik hinter dem  Kriegsunternehmen Afghanistan stehen. Freilich sollte  man zugleich auch unterbinden, daß die Drogengeschäfte der Familie des afghanischen  Präsidenten-Darstellers Karzai zu intensiv erörtert werden. Der Böse ist und bleibt ausschließlich der Taliban - wie "er" immer wieder  falsch buchstabiert wird. "Taliban" ist nämlich die Pluralform; im Singular hieße es "der Talib"; doch hat sich die falsche Form schon als Wortsignal für den Feind mehrheitlich durchgesetzt. Die Maschinisten der Kriegskampagne können immerhin das als Erfolg verbuchen. Mit der psychologisch griffigen Reduzierung einer Welt von Feinden auf einen bildhaft personalisierten Einzeldämon bearbeitete stets schon jegliche Haß- Angst- und  Kriegspropaganda die Hirnknetmasse der Menschheit: "Der Jude", "der Muselman", "der  Russe", "der Taliban".

Dabei gibt es tatsächlich nichts Abstrakteres als diese vermeintlich konkrete Zuspitzung: Das Böse ist immer und überall, und je ungreifbarer, um so besser für die auf Affektschürung zielende Suggestion. Ist der oder sind die Taliban erst einmal als Inbegriff des Bösen ins kollektive Hirngewinde eingeätzt, dann darf darauf gerechnet werden, daß schon die Nennung des  Namens eine bewußtseinstrübende Panikreaktion erzeugt. So erschuf sich das christliche  Abendland seit jeher seine kriegsnotwendigen  Bösewichte - im Falle der Taliban auch ganz real, sind diese doch zunächst als Speerspitze gegen den afghanischen Sozialismus und die Sowjetunion von den USA überhaupt erst hochgezogen worden.

Alles eine Propagandafrage

Über solch differenzierende Zusammenhänge darf in einer Sendung wie dem Presseclub vom 18. April natürlich kein Wort fallen, denn dann würde wiederum eintreten, was der  Moderator und seine Runde als pädagogisch korrekturbedürftige Fehlentwicklung diagnostizieren: Verunklarung der (Bewußtseins-) Fronten in der  psychologischen
Kriegsführung, Verwischung der klaren Trennlinie zwischen Gut und Böse. Der  kriegsbehindernde Keim der "Uneinigkeit" über "unsere Ziele" in diesem Friedenskrieg würde weitere Blüten treiben.

Alles liegt halt "an der Vermittlung, wie eben uns der Konflikt vermttelt wird", betont schon zu Anfang Frau Koelbl vom Spiegel. Wie ein Großteil der etablierten Medien unterzog sich der ARD-Presseclub vom 18. April der kriegswichtigen Aufgabe, die "Vermittlung, wie eben  
uns der Konflikt vermittelt wird", im Sinne übergeordneter staatspolitischer Raison zu gestalten. Damit zur Schmerzdämpfung "unserer Soldaten" eben in der Öffentlichkeit endlich "verstanden wird, welchen Einsatz sie dort bringen". Es ist nun mal Krieg, ein "erbarmungsloser", da hat Herr Stürmer ausnahmsweise recht, aber eben kein "kleiner", da führt er uns nun wieder vorsätzlich irre. In Afghanistan tobt ein Teilstück des jahrhundertbeherrschenden Weltkrieges um Machtsphären und Ressourcen. Das ist kein neues Phänomen, freilich, sondern die zeitgemäße Fortsetzung dessen, was die Weltgeschichte der letzten fünfhundert Jahre, mit dem Vorläufer der Kreuzzüge, als Leitmotiv Kolonialismus und Imperialismus geprägt hat.

Kriegsertüchtigung durch Dauerkanonade

Der Kampf um die Köpfe ist wie eh und je Teil dieses Krieges. Hier und heute geht es darum, den Krieg im allgemeinen und den Krieg in Afghanistan im besonderen mehrheitlich konsensfähig zu machen. Dazu muß das hartleibige Weichziels unaufhörlich behämmert werden, die noch nicht ganz und gar behämmerte,  kriegsresistente "Zivilgesellschaft". Der Presseclub hämmerte am 18. April ein Stückchen mit an diesem großen Werke, um - Moderator Schönenborns Zielvorgabe folgend - eine "Formulierung" zurechtzuschmieden, dank derer sich "die Öffentlichkeit hinter diesen Konflikt, hinter diesen Kampf" stellen lasse. (PK)


Online-Flyer Nr. 246  vom 21.04.2010

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