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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Rezension: Über die Ursachen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise
„Gangsterwirtschaft“
Von Prof. Karl-Joachim Schmelz

Der Zug der Medien-Lemminge ist groß; er produziert überwiegend wiedergekäuten Brei aus oberflächlichen, häufig sogar sachlich falschen Meldungen zu Themen, über die ohnehin alle berichten. Jürgen Roth aber tut unermüdlich das, was heute allenthalben fehlt: mehr mutigen und unabhängigen, investigativen Journalismus’ bräuchte das Land. Mit seinem neuen Buch „Gangsterwirtschaft“ führt er nach seinen Berichten über die Mafia in allen ihren Erscheinungs- und Verbergungsformen das Thema fort und verfolgt die neueren Tentakel der Kraken. Das geschieht nicht theoretisch, sondern Roth berichtet über akribisch recherchierte und belegte Fälle – und reiht so einen spannenden ‚Krimi’ an den anderen.

(„Wie und warum die Geld- und Machtelite es der Mafia ermöglicht, Deutschland aufzukaufen“) widmet sich Roth den Entwicklungen in Deutschland und zeigt an sechs aktuellen Themen auf, wie Deutschland im Zuge der Globalisierung mafioser Strukturen unter die Fuchtel von Wirtschaftsgangstern geraten ist und gerät. Die Verbindungen zwischen dem ‚Nürburgring-Projekt’ und mexicanischen Drogenkartellen, dem ‚Fall Opel’ und zweifelhaften russischen Investoren, der organisierten Kriminalität im internationalen Gasgeschäft (z.B. Gazprom), bei der Zusammenarbeit mit undemokratischen und kriminellen Systemen (z.B. Kasachstan), dubiosen russischen Werften-Investoren und schließlich zweifelhaften Geschäftspartnern deutscher Luftfahrtunternehmen werden von Roth aufgezeigt und belegt. Es muß bezweifelt werden, daß die Nationalstaaten überhaupt noch in der Lage sind, den globalisierten Aktivitäten der Wirtschaftsgangster effektiv entgegenzutreten (Seite 79).
 
Organisierte Kriminalität und Wirtschaftsgangstertum
 
Im zweiten Teil („Organisierte Kriminalität und internationale Wirtschaftskrisen“) befaßt sich Roth mit den Zusammenhängen zwischen organisierter Kriminalität und Wirtschaftsgangstertum und den globalen Krisenerscheinungen, insbesondere im Finanzsektor. Das geht über die Schnittstelle ‚Geldwäsche’ weit hinaus. Nach den japanischen Yakuza und der Mafia widmet er sich den Bankstern, Finanzgangstern und ihren politischen Hilfstruppen. Was man da bis hin zu unter Beteiligung nationaler Notenbanken gefälschten Staatsanleihen (Venezuela) liest, ist atemberaubend. Roth stellt fest, daß „Einfallstor … die politische Entscheidung der Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte“ war (Seite 205, 210), in Deutschland forciert von der rot-grünen Regierung unter Schröder (Seite 173). ‚Finanzinnovationen’, wie z.B. nicht regulierte, unbeaufsichtigte, ja nicht einmal meldepflichtige CDS-Verträge, die ‚over the counter’ (besser: under the counter) geschlossen werden, ermöglichen es kriminellen Elementen, völlig problemlos schmutzige Gelder zu ‚waschen’ (Seite 174). Die von Roth beschriebenen Fälle, Vorgänge und Zusammenhänge werfen ein grelles Licht auf die bestehenden Zustände, aus denen heraus sich die globale Finanzkrise entwickelte und entwickeln mußte (Seite 207).
 

Autor Jürgen Roth und Stephan
Gallenkamp vom Eichborn Verlag (l)
Im dritten Teil („Das Billionenverbrechen“) untersucht Roth die Aktivitäten des Wirtschaftsgangstertums an den globalen Finanzmärkten und die Erzeugung der ‚globalen Finanzkrise’ (Seiten 210 ff.), die ja nach verbreiteter Ansicht als ‚Unglück’ oder eine Art ‚Naturkatastrophe’ über uns gekommen sein soll. Gelegentlich wird zwar selbst von den Verteidigern der ‚Finanzinnova-tionen’ immerhin beschönigend ein „Marktversagen“ zugestanden, aber Insider sprechen auch von „organisiertem Betrug“ und „Staats-kriminalität“. Berichtet wird  - immer konkret - über ein Beispiel der (auch von Rot-Grün) hochgelobten und hochgepuschten ‚Private Equity’ (‚Wagnis-kapital’) im deutschen Alterspflegebereich (Seite 211). Roth zeigt ursächliche Fehlentwicklungen auf: seit Schröder / Eichel wurde wesentliche Gesetz-gebung praktisch direkt auf die betroffenen Wirtschaftsgangster und deren Gehilfen selbst übertragen (Seite 215), die ‚Wissenschaft’ wurde systematisch korrumpiert (Seite 219), die dubiosen Ratingagenturen wurden in internationalen Vereinbarungen (Basel II) ‚geadelt und so der Bock zum Gärtner gemacht (Seite 220), die BaFin wurde ‚zurückgepfiffen’ und personell geschwächt (Seite 227), die Strafermittlungs- und -verfolgungs-Ressourcen bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Strafgerichten wurden von der Politik systematisch gekürzt (Seite 229), in der Richterschaft sind gravierende Fehlentwicklungen zu konstatieren (Seite 230), die Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwälte von der Politik behindert effektive Strafermittlungen (Seite 234) und die ‚Bayerische Gangsterwirtschaft’ (LfA Förderbank Bayern, BayernLB) ist einen eigenen Abschnitt wert (Seite 242).


Prof. Karl-Joachim Schmelz, Matthias Thieme (FR), Jürgen Roth (v.l.) bei der von der Frankfurter Rundschau organisierten Buchpremiere
Quelle: www.buchmarkt.de
 
Mit diesen exemplarischen Berichten legt Roth die tatsächliche Grundlage für die Erkenntnis einer schwerwiegenden Gefährdung der freiheitlichen Gesellschaften: die Verschmelzung von Mafia-Wirtschaft und herkömmlicher Wirtschaft ist längst vollzogen, teilweise stellen sich die Vorgänge bereits als Übernahme von Teilbereichen der ‚Wirtschaft’ durch mafiose kriminelle Strukturen dar. Sein erschreckender Befund: das schließt ‚die Politik’, also die Parlamente und Regierungen auf nationaler und internationaler Ebene mit ein. „Tatwaffe“ sind nicht mehr vorrangig Baretta und Kalaschnikow, sondern Gesetze und Verwaltungsbescheide (z.B. ‚Förderungsbescheide’), die (pflichtwidrig) erlassen oder auch nicht erlassen werden. Die Wirtschaftsgangster haben mittlerweile global gelernt, die ‚politische Klaviatur’ und die ‚Medien-Orgel’ zu spielen und die vermeintlich noch ‚demokratischen’ Rechtssysteme auszunutzen. Die Parasiten sind allenthalben eine funktionierende Symbiose mit ‚der Wirtschaft’ eingegangen. Immer schwerer ist auseinanderzuhalten, was noch legales Wirtschaften oder was bereits kriminelles Wirtschaftsgangstertum ist (Seite 197).
 
Verlust der ‚Kultur demokratischer Zivilcourage’
 
Abgesehen davon, daß die klare Benennung und Dokumentation von Mißständen stets schon den ersten Lösungsansatz in sich trägt, schwingt sich Roth nicht auf, umfassende Lösungen in Form von ‚Patentrezepten’ anzubieten. Verschiedene, bereits diskutierte Lösungsansätze führt er aber auf, z.B. die Forderung nach einer unabhängigen ‚Bundesstaatsanwaltschaft für schwere Wirtschaftskriminalität’ (Seite 197) oder die Bemühungen um die Installation einer wissenschaftlich fundierten ‚Wirtschafts- und Unternehmensethik’ (Seite 263). Zutreffend bedauert Roth den Verlust der ‚Kultur demokratischer Zivilcourage’ (Seite 263), der eine der wichtigsten Entstehungsbedingungen für das Wirtschaftsgangstertum sein dürfte.
 
Wie richtig Roth mit seinen Feststellungen und Analysen liegt, zeigt der erst nach Drucklegung des Buches durch die Zivilklage der US-Börsenaufsicht SEC gegen die Investmentbank Goldman Sachs bekanntgewordene Krimi im Zusammenhang mit der Verbriefung von subprime-Hypotheken, deren Ausfall vorhersehbar war und die als ‚CDO’ außerhalb der USA verkauft wurden, während an der Verbriefung Beteiligte gleichzeitig Wetten auf den Ausfall eben dieser Papiere (‚CDS’) abschlossen und damit Milliarden verdienten. Dabei handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs und es ist zu hoffen, daß durch diese Ermittlungen mehr Wahrheit über die ‚Finanzinnovationen’ und die ‚Banksterwirtschaft’ ans Tageslicht kommt.
 
Wirtschaftsfaschismus
 
Wer Jürgen Roth’s ‚Gangsterwirtschaft’ gelesen hat, weiß, daß die kriminellen Strukturen in der Wirtschaft nicht über Nacht oder versehentlich entstanden sind. Er belegt, daß sie ‚gewachsen’ sind und einer Kulmination und einer höheren Qualitätsstufe zustreben. Der Wirtschaftsfaschismus kommt ebenso wie der politische Faschismus nicht plötzlich und über Nacht  –  er kommt in leisen Schritten, auf vielerlei und manchmal verschlungenen Wegen, vorbei an den schlafenden (oder betäubten) Nachtwächtern der freiheitlichen Demokratien. Manchmal steht er als hölzernes Pferd vor den Toren der Stadt zurückgelassen und wird von den Bürgern begeistert auf den Marktplatz gezerrt und bejubelt. Manchmal wird er den unwissenden Gläubigen von ihren Hohepriestern als Gottes Werk verkündet und als neue Heilslehre in die Seele gepflanzt. Immer aber ist das Erwachen fürchterlich …
Jürgen Roth kommt der Verdienst zu, darauf sachlich fundiert und sehr kompetent hingewiesen zu haben. (PK)

Jürgen Roth, "Gangsterwirtschaft – Wie uns die organisierte Kriminalität aufkauft“, Eichborn Verlag, Frankfurt, 2010, ISBN 978-3-8218-5680-3
 
Prof. Dr. jur. Karl-Joachim Schmelz begann sein Berufsleben als Offsetdrucker. Nach einem wirtschaftswissenschaftlichen Grundstudium in Frankfurt studierte er Rechtswissenschaften in Marburg und promovierte danach an der Universität Konstanz im Staats- und Verwaltungsrecht. Anschließend war er Richter an einer Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Bank- und Börsenrecht) und ging dann als Professor für Rechtswissenschaften an die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Vor seiner Pensionierung war er zuletzt Professor an der Fachhochschule Darmstadt. Dr. Schmelz hat seit 1978 stets auch im Bankrecht gearbeitet und veröffentlicht und war u.a. kürzlich Sachverständiger beim Finanzausschuß des Deutschen Bundestages zum Thema 'Kreditverkäufe'.


Online-Flyer Nr. 249  vom 12.05.2010

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