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Beliebigkeit und Austauschbarkeit als neue Markenzeichen
Quo vadis – GAG Köln?
Von Rainer Kippe

GAG-Siedlung in Köln, Rochusstraße

Günter Ott – Mitläufer beim “Machmit“ des
Institut für Neue Arbeit e.V
Auf diesen Brief gab es lebhafte Erwiderungen. So schrieb Gerd Brust, von DEN GRÜNEN: „Was sollen diese saublöden Verschwörungstheorien? Sicher hat G. Ott große Verdienste für die GAG erworben. Deswegen hat sich auch niemand im Aufsichtsrat die Sache leicht gemacht. Aber weswegen sollten diejenigen, die damals mit G. Ott gegen die Privatisierung gekämpft haben, jetzt, wo die GAG auf einem guten Weg ist, die GAG verkaufen wollen? Die damaligen Verkaufsbefürworter der CDU stellen nur noch zwei der 15 AR-Mitglieder, aber alle 15 waren einstimmig der Meinung, dass die Vorwürfe der internen Revision, des Sonderprüfers und der regulären Wirtschaftsprüfer so schwerwiegend waren, dass uns gar keine andere Wahl als die Ablösung von G. Ott blieb.“
Online-Flyer Nr. 253 vom 09.06.2010
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Lokales
Beliebigkeit und Austauschbarkeit als neue Markenzeichen
Quo vadis – GAG Köln?
Von Rainer Kippe
„Köln wirft der global agierenden Immobilienwirtschaft die GAG zum Fraß vor - Rot-grüne Wahlversprechen???“ hieß die Überschrift eines Artikels des Kölner SSM-Mitgründers Rainer Kippe in der NRhZ 252. Darin warnte er vor einer Entwicklung, an deren Ende eine Privatisierung der unter Konrad Adenauer gegründeten sozialen Wohnungsgesellschaft und ihrer 40.000 Wohnungen zur Sanierung der Stadtkasse stehen könnte. Das Echo von GAG-Mietern war so stark, dass uns und dem Autor eine Fortsetzung sinnvoll erschien. – Die Redaktion

GAG-Siedlung in Köln, Rochusstraße
Quelle: www.gag-koeln.de/
„Gegenstand des Unternehmens ist die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit sicherem Wohnraum zu sozial angemessenen Bedingungen“, heißt es in der Satzung der Kölner GAG Immobilien AG in der Fassung vom 13. August 2007 Das Geschäftsfeld ist deshalb von den Gründervätern bewusst weit gefasst worden: „Die Gesellschaft kann alle im Bereich der Wohnungswirtschaft, des Städtebaus und der Infrastruktur anfallenden Aufgaben übernehmen. Hierzu gehören auch die Betreuung von Bauvorhaben, die Sanierung von Bauten, die Betreuung von Sanierungsvorhaben sowie die Durchführung städtebaulicher Maßnahmen im Zusammenhang mit der Erneuerung oder Entwicklung von Wohngebieten.
Die Gesellschaft kann Gemeinschaftsanlagen und Folgeeinrichtungen, Läden und Gewerbebauten, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen und Dienstleistungen bereitstellen.“
Als Günter Ott vor einem Jahr bei der GAG gehen musste, hat die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) in einem offenen Brief protestiert: „Wir fürchten, dass der Grund für Ihre Entlassung eher darin liegt, dass Sie durch Ihr vielfältiges soziales Engagement in überzeugender Weise versucht haben, die GAG gegen eine Übernahme durch Heuschrecken
abzusichern. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie nach der Kommunalwahl ein neuer Kämmerer „ungeahnte“ Millionenlöcher im Haushalt der Stadt Köln entdeckt, die „nur“ durch den Verkauf der GAG gestopft werden können. Mit einem Günter Ott wäre das nicht zu machen.“

Günter Ott – Mitläufer beim “Machmit“ des
Institut für Neue Arbeit e.V
Quelle: machmit.ina-koeln.org
Damals versprachen alle Politiker hoch und heilig, dass sich bei der GAG, insbesondere bei ihrem sozialen Engagement, nichts ändern werde. Nun, die GAG soll nicht verkauft werden. Noch nicht, könnte man sagen. Doch die Entwicklung seit Günter Otts Ausscheiden lässt fragen, ob die Kostenüberschreitung von einigen Millionen beim Umbau einer alten Gaststätte am Heumarkt der einzige Grund für seine Entlassung waren, in einer Stadt, wo öffentliche Bauvorhaben wie die Nord-Süd-U-Bahn ganz locker und ohne Folgen für die Beteiligten um eine halbe Milliarde überzogen werden können.
Noch wird nicht verkauft, dennoch sind wir dem Verkauf einen großen Schritt näher gekommen, denn das soziale Bollwerk, welches Günter Ott ganz gezielt gegen eine feindliche Übernahme errichtet hatte, wird nun geschleift. Als Gründe werden wie immer Kostenmanagement und Ertragssteigerung genannt. Das soziale Engagement, bisher das Markenzeichen der stadteigenen GAG, wird einer Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen.
Geld nicht mehr so leicht zu haben.
Am 10 Januar äußerten sich Vorstand und Aufsichtsrat in der Kölner Presse. DerStadtanzeiger schrieb: „Ihre Kollegen Uwe Eichner und Kathrin Möller sowie Aufsichtsratschef Jochen Ott (SPD) warnten jedoch vor zu großen Erwartungen an die GAG als stadtentwicklungs- und sozialpolitisches Instrument. „Zu glauben, dass wir alle Wohnungsprobleme der Stadt lösen können, ist falsch“, so Ott. So könne die GAG auch nicht überall in der Stadt als potenzieller Käufer von heruntergekommenen Häusern bei
Zwangsversteigerungen auftreten. Das sei nur dann sinnvoll, wenn die GAG in der Nachbarschaft selber Häuser habe. Dann gehe es darum, zu verhindern, dass ein ganzes Quartier kippe, weil einzelne „Ausplünderer“ (Ott) Häuser verkommen ließen. „Wir kaufen nur da, wo wir als Nachbarn betroffen sind“, so Eichner. Er verwies darauf, dass der Spielraum der GAG für Zukäufe, aber auch Investitionen kleiner werde. Die GAG bestätigt aus eigener Erfahrung die aktuelle Klage vieler Unternehmen: Die Beschaffung von Geld bei Banken sei nicht mehr so leicht. Im vorigen Jahr habe die GAG erstmals mit einer Bank über die Rahmenbedingungen für einen Kredit verhandeln müssen.“
Man hätte also vorgewarnt sein müssen. Dennoch ist es erstaunlich, wie leicht der Kurswechsel im sozialen Köln von Statten geht. Warum gab es nach dieser Bilanzpressekonferenz der drei amtierenden Vorstände und deren Ankündigung einer neuen Unternehmenspolitik der GAG im Rathaus keinen Aufschrei? Wenn ich als Stadt Köln zu 72 % an einem Unternehmen beteiligt bin und noch 10 % der Aktien bei meiner Tochter, der Stadtsparkasse, habe, ist es völlig unverständlich, dass ich akzeptiere, dass sich die Unternehmensleitung von mir, ihrem Eigentümer, derart distanziert und erklärt, ein "normales Wohnungsunternehmen" werden zu wollen.
Sozialer Kurswechsel macht die GAG zur Ware
Die Entwicklung, die diese Gesellschaft seit nunmehr fast 1 ½ Jahren nimmt, stimmt deshalb nachdenklich. Die GAG-Satzung, die der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer mit Weitblick verfasste, scheint aus dem Blickfeld der Unternehmenspolitik geraten zu sein. Hier steht nicht nur schwarz auf weiß, welchen Gesellschaftszweck das Unternehmen für die Stadt Köln zu erfüllen hat, sondern auch zwischen den Zeilen der Geist, der mit der Gründung der GAG erfüllt werden sollte - zum Nutzen der Kölnerinnen und Kölner und der Entwicklung der Stadt Köln. Aber die drei Vorstände, aus Oberhausen, Erfurt und Frankfurt, die - wie man lesen konnte - stolz darauf sind, eben nicht aus Köln zu kommen, weil das ja nach Klüngel riechen könnte, können eine solche Verbundenheit zur Stadt nur schwer entwickeln, geschweige denn aus dem Herzen heraus und aus Liebe zu Köln und zu den
ca. 100.000 Mieterinnen und Mietern der GAG leben.
Bei der derzeitigen Geschäftspolitik der GAG, die wahrscheinlich vom Aufsichtsrat gestützt wird, entwickelt sich das Unternehmen zu einer ganz normalen Wohnungsbaugesellschaft, die im Charakter der Beliebigkeit und der Austauschbarkeit ausgesetzt ist. Mit anderen Worten: irgendwann in naher Zukunft wird man in der Politik auf die Frage: “Warum halten wir uns mit insgesamt 82% der Aktien (der Rest gehört freien Aktionären) überhaupt noch eine solche Gesellschaft, die für die Stadt und die Entwicklung dieser Stadt keine gesteigerte Verantwortung mehr übernimmt?“ ganz schnell zu dem Ergebnis kommen, die GAG am Markt zu platzieren, um den maroden Stadthaushalt zu sanieren. Die Maßnahmen , die derzeit die Geschäftspolitik der GAG prägen – also Erhöhung der Grundmieten ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter, Nichteinhaltung der Zusage, Mietsenkungen für Sanierungsbetroffene durchzuführen, reine Kosten-Nutzenbetrachtung für soziale Aufwendungen, Aufgabe der Kooperation mit der Stadt und dem städtischen Wohnversorgungsbetrieb bzw. dem Wohnungsamt der Stadt, das Zusammenwirken mit Vereinen und Verbänden, die sich für Benachteiligte einsetzen unter reiner Kosten/Nutzen-Betrachtung etc. – werden in den Köpfen der Kölnerinnen und Kölner dazu führen, irgendwann nicht mehr gegen einen Verkauf der GAG anzugehen. Dies wird dann deshalb nicht mehr erfolgen, weil die sozialen Vorteile, die diese Gesellschaft in ihrer Geschichte seit 1913 geschaffen hat, nicht mehr existieren werden und von daher auch kein Sinnmehr erkennbar ist, die GAG zu halten. Die Schlussfolgerung: dann kann man die GAG auch verkaufen, wenn der Sozialkatalog stimmig klingt. Die freien Aktionäre der GAG fordern dies schon seit langem und werden es begrüßen.
Noch ist Zeit, sich zu besinnen
Die GAG ist ein wesentlicher und nicht zu unterschätzender Machtfaktor im
wohnungs- und sozialpolitischen Umfeld der Stadt. Die Gesellschaft ist durch eine innovative Geschäftspolitik der letzten Jahre reich geworden und kann es sich erlauben, soziale, wohnungspolitische und stadtentwicklungspolitische Verantwortung für Köln zu übernehmen. Hierauf sollten die Verantwortlichen in Rat und Verwaltung der Stadt drängen. Projekte und Probleme gibt es in Zeiten leerer Kassen im öffentlichen Haushalt genug. Die GAG als Arbeitgeber für das mittelständige Handwerk in Köln darf dabei nicht vergessen werden. Gehen ihre Aufträge an Köln vorbei, werden ca. 2.500 Arbeitsplätze im Handwerk der Stadt gefährdet. Die GAG sichert also durch ihr Auftragsvolumen mindstens diese Zahl von Arbeitsplätzen in der Kölner Handwerkerschaft.
Unser neuer OB Jürgen Roters, als Kandidat von SPD und Grünen und ohne Gegenkandidaten der Linken von einer breiten Mehrheit der Kölner ins Amt gewählt, hat das soziale Köln auf seine Fahnen geschrieben. Das immer weitere Auseinanderdriften der Kölner Stadtteile macht ihm besondere Sorgen. Deshalb setzt er sich auch für Mülheim 2020 ein, ein Programm, mit dessen Hilfe der benachteiligte Stadtteil Mülheim, was Arbeit und Ausbildung anbelangt, wieder an die städtischen Durchschnitte herangeführt werden soll. Für Köln hat Mülheim 2020 Pilotcharakter, sollen doch nach seinem erfolgreichen Abschluss andere benachteiligte Stadtviertel folgen.
Unter den vielen Projekten, die in diesem Rahmen an die Stadt herangetragen wurden, gibt es auch solche des Wohnungsbaus in Selbsthilfe, vorgeschlagen u.a. von der Nachbarschaft Mülheim Nord und ihrem Architekten Kai Büder im Verfahren „advocacy planning“. Besonders soll die Industriebrache Alter Güterbahnhof Mülheim bebaut werden.
Diese Initiativen knüpfen an Selbsthilfeprojekte an, die in den 80er Jahren in der Düsseldorfer Straße 74 und der Holweider Straße 128 von Bewohnern in Eigenarbeit mit Unterstützung der stadteigenen GruBo verwirklicht worden sind, die heute zum GAG- Konzern gehört. Dazu gehört auch der Umbau des Kulturbunkers Mülheim, den ebenfalls die GruBo mit ihrem Architekten Thomas Gisder unter Einbeziehung von Eigenleistung und Selbsthilfe durchgeführt hat.
Auch hier, wo es darum geht, durch eine städtebauliche Maßnahme nicht nur ein Viertel zu entwickeln, sondern auch Menschen in Arbeit und Brot zu bringen und sie mit günstigem Wohnraum und Arbeitsstätten zu versorgen, hat die GAG unter ihrer neuen Leitung bisher jedes Engagement abgelehnt, obwohl die Erfahrung und die Ressourcen dazu vorhanden sind und die GAG an eine lange Geschichte der Selbsthilfe anknüpfen könnte, wie sie vor allem in den Erwerbslosensiedlungen der Weimarer Republik in Vogelsang und anderen Stadtteilen repräsentiert sind.
Die neuen GAG-Rechenkünstler am Werk
Mit der Beseitigung von Günter Ott, der tief in die sozialen Strukturen Kölns eingebettet war, wurde der Weg frei gemacht für eine Generation von unabhängigen Wirtschaftsfachleuten, Menschen also, die es gelernt haben, menschliches Glück mit wirtschaftlichem Erfolg gleichzusetzen und diesen in Geld zu bemessen.
Es ist erstaunlich und spricht für die tiefe Provinzialität der politischen Führung dieser Stadt, dass ihre Vormänner und -frauen auf diese abgeschmackten Buchhaltungstricksereien just zu dem Zeitpunkt hereinfallen, als diese sich im größten Börsen- und Finanzcrash aller Zeiten weltweit abgrundtief blamiert haben.
Die große Vergangenheit ihrer Stadt und deren führenden Parteien auf dem Gebiet der Selbsthilfe hingegen verleugnen sie. Arbeitslosigkeit scheint für sie geradezu ein Zeichen von Modernität, des vielbeschrieenen Strukturwandels also, zeigt sie doch, dass Köln nicht mehr zu jenen bedauernswerten Städten gehört, in denen Menschen noch mit den Händen arbeiten. Das grüne Kommunalwahlprogramm von 2009 spricht hier eine ganz moderne, zukunftsweisende Sprache. Nach ihm liegen die „Entwicklungspotenziale Kölns unverkennbar in der Medien- und Kulturwirtschaft, Finanzdienstleistern, dem Kongresswesen, dem Städtetourismus, insbesondere aber in den Branchen der kreativen Ökonomie.“ „Die ehemaligen Industrieflächen in Mülheim“ kommen darin folgerichtig nicht als Gelände vor, auf dem sich Arbeitslose und bedürftige Familien in Eigenarbeit Wohn- und Arbeitsstätten errichten und sich aus eigenen Gärten (mit)ernähren, sondern als „kreative Räume“, in denen sich die neuen Gewerbe, sprich Finanzdienstleister und Medienwirtschaft, „in einem städtischen Milieu mit urbanen und ökologischen Qualitäten weiter entfalten“.
Arbeitslose bekommen, anders als zu Zeiten Adenauers und Brünings, nicht mehr ein Stück Land, eine Schaufel und einen Platz in einer Wohnungsbaugenossenschaft, sondern einen 1-Euro-Job, der dazu dient, ihnen ihre Defizite auf dem Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts klarzumachen und sich in ihrer Rolle als staatlich alimentierte Langzeitarbeitslose einzurichten. Hier ist auch der Grund zu suchen, warum die Mitglieder des Sozialausschusses so hartnäckig die 1-Euro-Jobs im Möbelverbund verteidigen, obwohl sie damit die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze bei SSM und SSK gefährden.
Kein Geld! - Kein Geld?
Als Grund für dieses Geschäftsgebaren wird wie immer die Verteuerung der Kredite angegeben - der Mangel an (Kredit-)Geld also also Ursache für den Mangel an (Investitions-)Geld. Arbeitsplätze entstehen nach Meinung dieser Fachleute durch Investitionen - indem man der Finanzbranche Milliarden schenkt, zum Beispiel. Das große ungelöste Rätsel bleibt für sie die öffentliche Verschuldung. Die Stadt muss an Sozialleistungen sparen, weil sie kein Geld hat.
Adenauer und Brüning, unterstützt oder zumindest geduldet von Sozialdemokraten und Kommunisten, haben seinerzeit einen anderen Weg eingeschlagen. Sie haben Selbsthilfe gefördert, haben damit brachliegende Arbeitskraft mobilisiert und so dringend erforderliche gesellschaftliche Werte geschaffen, nämlich Wohnungen und Gärten. Diese Wohnungen und Gärten gibt es heute noch. In einer Phase der breiten Verarmung wurde die Gesellschaft damals an einer Stelle reicher. Dabei wurde das vielleicht größte gesellschaftliches Kapital gestärkt: Hoffnung.
Wie die Zeitgenossen das empfunden haben, zeigt ein Bericht über die Nachkriegszeit in der Erwerbslosensiedlung Vogelsang: „Die Bewohner konnten sich durch ihre eigene kleine Landwirtschaft selbst mit Obst und Gemüse versorgen und durch die Kleintierhaltung waren zusätzliche Fleischrationen möglich. Von den Bürgern der zerstörten Stadtteile wurden die Vogelsanger deshalb beneidet, sodass einige zur Selbsthilfe griffen und bei Nacht und Nebel sich das besorgten, was sie zum Leben brauchten - schließlich hatte der damalige Kardinal Joseph Frings diese Art des Mundraubs in einer Predigt legitimiert.“ (PK)
Die GAG und Kölns soziale Zukunft
Unter den vielen Projekten, die in diesem Rahmen an die Stadt herangetragen wurden, gibt es auch solche des Wohnungsbaus in Selbsthilfe, vorgeschlagen u.a. von der Nachbarschaft Mülheim Nord und ihrem Architekten Kai Büder im Verfahren „advocacy planning“. Besonders soll die Industriebrache Alter Güterbahnhof Mülheim bebaut werden.
Diese Initiativen knüpfen an Selbsthilfeprojekte an, die in den 80er Jahren in der Düsseldorfer Straße 74 und der Holweider Straße 128 von Bewohnern in Eigenarbeit mit Unterstützung der stadteigenen GruBo verwirklicht worden sind, die heute zum GAG- Konzern gehört. Dazu gehört auch der Umbau des Kulturbunkers Mülheim, den ebenfalls die GruBo mit ihrem Architekten Thomas Gisder unter Einbeziehung von Eigenleistung und Selbsthilfe durchgeführt hat.
Auch hier, wo es darum geht, durch eine städtebauliche Maßnahme nicht nur ein Viertel zu entwickeln, sondern auch Menschen in Arbeit und Brot zu bringen und sie mit günstigem Wohnraum und Arbeitsstätten zu versorgen, hat die GAG unter ihrer neuen Leitung bisher jedes Engagement abgelehnt, obwohl die Erfahrung und die Ressourcen dazu vorhanden sind und die GAG an eine lange Geschichte der Selbsthilfe anknüpfen könnte, wie sie vor allem in den Erwerbslosensiedlungen der Weimarer Republik in Vogelsang und anderen Stadtteilen repräsentiert sind.
Mit der Beseitigung von Günter Ott, der tief in die sozialen Strukturen Kölns eingebettet war, wurde der Weg frei gemacht für eine Generation von unabhängigen Wirtschaftsfachleuten, Menschen also, die es gelernt haben, menschliches Glück mit wirtschaftlichem Erfolg gleichzusetzen und diesen in Geld zu bemessen.
Es ist erstaunlich und spricht für die tiefe Provinzialität der politischen Führung dieser Stadt, dass ihre Vormänner und -frauen auf diese abgeschmackten Buchhaltungstricksereien just zu dem Zeitpunkt hereinfallen, als diese sich im größten Börsen- und Finanzcrash aller Zeiten weltweit abgrundtief blamiert haben.
Die große Vergangenheit ihrer Stadt und deren führenden Parteien auf dem Gebiet der Selbsthilfe hingegen verleugnen sie. Arbeitslosigkeit scheint für sie geradezu ein Zeichen von Modernität, des vielbeschrieenen Strukturwandels also, zeigt sie doch, dass Köln nicht mehr zu jenen bedauernswerten Städten gehört, in denen Menschen noch mit den Händen arbeiten. Das grüne Kommunalwahlprogramm von 2009 spricht hier eine ganz moderne, zukunftsweisende Sprache. Nach ihm liegen die „Entwicklungspotenziale Kölns unverkennbar in der Medien- und Kulturwirtschaft, Finanzdienstleistern, dem Kongresswesen, dem Städtetourismus, insbesondere aber in den Branchen der kreativen Ökonomie.“ „Die ehemaligen Industrieflächen in Mülheim“ kommen darin folgerichtig nicht als Gelände vor, auf dem sich Arbeitslose und bedürftige Familien in Eigenarbeit Wohn- und Arbeitsstätten errichten und sich aus eigenen Gärten (mit)ernähren, sondern als „kreative Räume“, in denen sich die neuen Gewerbe, sprich Finanzdienstleister und Medienwirtschaft, „in einem städtischen Milieu mit urbanen und ökologischen Qualitäten weiter entfalten“.
Arbeitslose bekommen, anders als zu Zeiten Adenauers und Brünings, nicht mehr ein Stück Land, eine Schaufel und einen Platz in einer Wohnungsbaugenossenschaft, sondern einen 1-Euro-Job, der dazu dient, ihnen ihre Defizite auf dem Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts klarzumachen und sich in ihrer Rolle als staatlich alimentierte Langzeitarbeitslose einzurichten. Hier ist auch der Grund zu suchen, warum die Mitglieder des Sozialausschusses so hartnäckig die 1-Euro-Jobs im Möbelverbund verteidigen, obwohl sie damit die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze bei SSM und SSK gefährden.
Kein Geld! - Kein Geld?
Als Grund für dieses Geschäftsgebaren wird wie immer die Verteuerung der Kredite angegeben - der Mangel an (Kredit-)Geld also also Ursache für den Mangel an (Investitions-)Geld. Arbeitsplätze entstehen nach Meinung dieser Fachleute durch Investitionen - indem man der Finanzbranche Milliarden schenkt, zum Beispiel. Das große ungelöste Rätsel bleibt für sie die öffentliche Verschuldung. Die Stadt muss an Sozialleistungen sparen, weil sie kein Geld hat.
Adenauer und Brüning, unterstützt oder zumindest geduldet von Sozialdemokraten und Kommunisten, haben seinerzeit einen anderen Weg eingeschlagen. Sie haben Selbsthilfe gefördert, haben damit brachliegende Arbeitskraft mobilisiert und so dringend erforderliche gesellschaftliche Werte geschaffen, nämlich Wohnungen und Gärten. Diese Wohnungen und Gärten gibt es heute noch. In einer Phase der breiten Verarmung wurde die Gesellschaft damals an einer Stelle reicher. Dabei wurde das vielleicht größte gesellschaftliches Kapital gestärkt: Hoffnung.
Wie die Zeitgenossen das empfunden haben, zeigt ein Bericht über die Nachkriegszeit in der Erwerbslosensiedlung Vogelsang: „Die Bewohner konnten sich durch ihre eigene kleine Landwirtschaft selbst mit Obst und Gemüse versorgen und durch die Kleintierhaltung waren zusätzliche Fleischrationen möglich. Von den Bürgern der zerstörten Stadtteile wurden die Vogelsanger deshalb beneidet, sodass einige zur Selbsthilfe griffen und bei Nacht und Nebel sich das besorgten, was sie zum Leben brauchten - schließlich hatte der damalige Kardinal Joseph Frings diese Art des Mundraubs in einer Predigt legitimiert.“ (PK)
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