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Sport
Zum bei der WM vermeintlich aufkommenden „gefährlichen“ Nationalismus
Eine unsportliche Nachbetrachtung
Von Claus Hübner

Die 19. Fußballweltmeisterschaft ist mit der Findung des neuen und erstmaligen Weltmeisters Spanien vorbei. Manche sind heilfroh und manche werden auf Entzug sein, wenn erst mal keine Fußballspiele mehr im TV übertragen werden. Die Berichterstattung vor allem aus den TV-Anstalten war zum Teil unerträglich. Eine Stunde vor dem Spiel und eine Stunde nach dem Spiel wurden Vorberichte und Nachberichte von Fanmeilen und vermeintlichen Fachleuten oder Politikerköpfen gesendet. Manchmal hatte man den Eindruck, das zu übertragende Spiel ist dabei eine Nebensache! Aber egal wie man es bewertet, das größte Sportereignis der Welt hat über 4 Wochen hinweg auch weltweit Millionen Menschen bewegt. Bewegt heißt in diesem Fall emotional und physisch. Eine neue Form der „Bewegung“ an solchen Großereignissen hat sich endgültig etabliert: Die Beteiligung an den sogenannten Public Viewing´s.


Foto: Claus Hübner
 
Wenn in Großstädten wie Berlin mehrere hunderttausend Zuschauer zusammen kommen um Fußball zu gucken, bekommt das eine neue Qualität und eine besondere Dynamik. Man feiert sich selber und genießt das Zusammenkommen. Wenn dann die „eigene“ Mannschaft gewinnt, ist es für die meisten emotional kaum zu überbieten! Die üblichen Fanrituale mit Schal, Fantrikot und Fahne werden beim Public Viewing in unüblicher Weise außerhalb der Stadien unübersehbar auf den Straßen und Plätze öffentlich praktiziert.
 
Das erstaunliche daran ist, das diese Public Viewing´s in solchen Massen meist friedlich und entspannt verlaufen. Allerdings gibt es in Deutschland eine kleine Gruppe von Menschen, die mit solchen Ereignissen wenig bis gar nichts anfangen können. Erschrocken über die Massen an Deutschlandfahnen und Deutschlandtrikots usw. befürchten und propagieren sie einen neuen aufkommenden Nationalismus in Deutschland! In den entsprechenden meist linken Medien werden Sozialwissenschaftler und deren Untersuchungen bemüht und zitiert, die solche Befürchtungen stützen. Es wird von Fahnenschwenkern gemunkelt, die sich von den Massenmedien haben gleichschalten lassen, von Ausgrenzungen anderer Nationen und entpolitisierten Massen.
 
Niemand muss diese Massenspektakel oder die Fähnchenschwenkerei gut finden. Es ist auch nicht verwerflich, genau hinzugucken, wenn nationale Symbole bei Veranstaltungen aller Art eingesetzt werden.
 
Aber hier wird mit einem vermeintlich aufkommenden „gefährlichen“ Nationalismus argumentativ mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Es erweist sich leider wieder einmal, dass manche links denkenden und empfindenden Menschen in Deutschland mit so profanen Dingen wie einem Fußballspiel und dessen Fans nichts anfangen können und fatalen Fehleinschätzungen unterliegen!
 
Sie entwerfen zwar gerne gesellschaftliche Zukunftsmodelle, aber sie verstehen schon die normalen Fanrituale bei simplen Sportereignissen nicht und sie selbst grenzen den normalen Fußballfan aus und diskriminieren ihn als dumpfen Nationalisten. In ihrem dogmatischen Denken bewegen sie sich in diesem Fall aus meiner Sicht in einem geistigen Paralleluniversum und verhalten sich dabei selbst höchst unwissenschaftlich. Sie berufen sich einerseits auf wissenschaftliche Untersuchungen und Kapazitäten, aber nirgendwo werden diese sogenannten Untersuchungen genannt oder demokratisiert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, so dass sie auf ihre Aussagen „untersucht“ oder überprüft werden können.
 
Meiner Ansicht nach wird es auch keine seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen darüber geben, die bestätigen, dass aufkommender Nationalismus oder gleichgeschaltete Massenmedien die Ursache für die Fähnchenschwenkerei und „Deutschland, Deutschland“- Rufen bei den Fußballspielen ist. Das wäre ja auch absurd, den jugendlichen Fans, die z.B. mit ihren türkischen oder italienischen Kumpels und Schulkollegen zusammen zu solchen Fußballspielen gehen, Nationalismus vorzuwerfen.
 
Obwohl ich persönlich solchen Massenveranstaltungen eher aus dem Weg gehe, habe ich in Köln gesehen, dass nach erfolgreichen Spielen der deutschen Mannschaft nicht nur offensichtlich deutsche Fans bei Public Viewing´s gefeiert haben, sondern z.B. in Köln-Kalk (einem sogenannten sozialen Brennpunkt) auch türkische, griechische, italienische, marokkanische Fahnen geschwenkt wurden. Die Fans mit diesem ethnischen Hintergrund haben sich mit deutschen Fans zusammen die Spiele angeguckt und gemeinsam die Siege gefeiert. Was ich auch beobachten konnte, war, dass alle Fans diese Gemeinsamkeit und die Feiern auf den Straßen sichtbar genossen haben und alle dabei eine Fröhlichkeit an den Tag legten, die man ansonsten nicht so offen sieht!
 
Dies entspricht auch meinen persönlichen Erfahrungen als Sozialarbeiter in einem Bürgerzentrum. Als wir 2006 in Köln-Mülheim, ebenfalls einem sogenannten multikulturellem und sozialen Brennpunkt, die WM vorbereitet hatten, waren wir nicht sicher, was auf uns zukam. Was aber dann passierte, war insgesamt gesehen höchst erfreulich. Egal welche Spiele übertragen wurden, sehr viele Fans outeten durch ihre „National“-Trikots ihre Sympathien. Ein Zuschauer kam bei einem Spiel in einer deutschen Fahne eingewickelt zum Zuschauen, bei einem anderen in einer italienischen Fahne. Darauf angesprochen, sagte er, sein Vater sei Italiener, seine Mutter Deutsche und er hier geboren. Und so seien seine Sympathien aufgeteilt. Als Deutschland gegen Italien spielte, kam er in einem deutschen Trikot und einer italienischen Fahne! Ein Kioskbesitzer zeigte durch eine an seinem Fenster angebrachte „türkische“ Deutschlandfahne seine Sympathie und seine Identität! (siehe Foto!)
 
Eine ghanaische Gruppe mietete Räume bei uns an, um im großen Rahmen die Spiele ihrer Mannschaft zu sehen. Die Feiern nach den Spielen waren sensationell, es wurde getrommelt und getanzt, und aus dem ganzen Viertel kamen alle möglichen Leute, um mitzufeiern und auf der Straße zu tanzen! Dabei waren alle möglichen Nationalfahnen zu sehen und alle hatten ihren Spaß und niemand wurde ausgegrenzt!
 
Dieses Fanverhalten mit Trikot, Fahne usw. ist für mich lediglich ein Ausdruck der persönlichen Sympathie und Identifikation. Identifikation nicht unbedingt mit einer Fahne, sondern mit einer (möglichst erfolgreichen und bewunderten) Gruppe von Menschen auf dem Fußballplatz. So hat der Deutschlandfunk am 4.7. um 23:30 Uhr in einem Feature mit Originaltönen aus Südafrika von südafrikanischen, italienischen und englischen Fans der deutschen Nationalmannschaft berichtet. Diese Fans hatten einfach Sympathien mit der erfolgreichen deutschen Mannschaft und waren scharf auf Deutschlandfahnen und Trikots. Sie fanden es schade, dass auf Grund der großen Nachfrage in Johannesburg alles ausverkauft war!
 
Ich habe nach einem Hollandspiel in der Kölner Innenstadt zwei Jugendliche mit einer Hollandfahne und dem entsprechendem Trikot getroffen. Da ich nicht wusste, wie das Spiel ausgegangen ist, fragte ich die beiden. Sie antworteten beide in deutlichem Kölner Dialekt, dass „ihre“ Mannschaft 2:0 gewonnen hat. Ich war an zwei Kölner Hollandfans geraten!
 
Und wenn die Fans mit einer Deutschlandfahne einer Nationalmannschaft zujubeln, deren Spieler z.B. in Polen, Brasilien, Kroatien oder Ghana geboren sind, dann ist das für mich nicht das Schlechteste! Was ist daran z.B. nationalistisch? Das, was hier kritisiert wird, wird im Übrigen in allen Ländern der Welt genauso praktiziert. Wer die TV-Bilder von den Public-Viewing´s in Holland oder Spanien gesehen hat, wird dies bestätigt finden. Kein Mensch redet aber in Holland oder Spanien ernsthaft von einem aufkommenden Nationalismus, wenn die „eigene“ Fußball­mann­schaft gefeiert wird!
 
Solange die Bevölkerung in Deutschland am 3.Oktober, dem sogenannten „Tag der Deutschen Einheit“ oder bei einer Bundespräsidentenwahl zur Feier des Tages nicht freiwillig ihre Fahnen raushängt, wäre ich sehr vorsichtig, von einem aufkommenden Nationalismus in Deutschland zu palavern. Mit so einer Diskussion treibt man die Leute in die Arme der Politiker, die es gerne hätten, wenn die Bevölkerung sich „patriotischer“ bzw. nationaler verhalten würden. Dabei regen sich in den Internetforen sogar die eher konservativen Leser wie z.B. der „Welt-Online“ auf, dass man beim Argentinienspiel der Deutschen alle paar Minuten eine dümmlich in die Hände patschende Angela Merkel ins Bild brachte, und es wurde diskutiert, ob man dieses Vergnügen dem deutschen Fernsehen oder der Weltregie des übertragenden Senders zu verdanken habe. Aber das nur am Rande.
 
Über 60% der deutschen Bundesligaspieler haben das Abitur, und die passiv zuschauenden Fußballfans werden auch nicht gerade blöder (auch wenn sich das nicht immer in der Öffentlichkeit bemerkbar macht). Wer mit einer solchen fehlgeleiteten Diskussion in die Öffentlichkeit geht, diskreditiert sich selber, bringt sich politisch selbst ins Abseits und wird möglicherweise nicht mehr ernstgenommen, wenn er in anderen Punkten richtig liegt. Ein bisschen mehr Gelassenheit bei den nächsten Länderspielen und vielleicht auch ein wenig Orientierung an den Gepflogenheiten unserer Nachbarn in Europa bei solchen Anlässen würde der Diskussion über Nationalismus in Deutschland vielleicht gut tun! (PK)
 
Zum selben Thema auch der Artikel „Bilanz der Nationalismus-Party“ in dieser Ausgabe


Online-Flyer Nr. 258  vom 14.07.2010

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