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Medien
Der Standpunkt der „Time“ spiegelt den der CIA
Bibi Aishas Nase
Von John Gorenfeld
Das TIME-Cover der verstümmelten Afghanin Aisha wurde von vielen europäischen Medien nachgedruckt: „So geht es den Frauen, wenn wir nicht in Afghanistan bleiben“, war der Grundtenor sämtlicher Artikel, die sich des Bildes bedienten. Stimmen, die mit Recht darauf verwiesen, daß es den Frauen überhaupt nicht besser gehe, seit der Krieg ausgebrochen sei, darüberhinaus, daß man „Mädchenschulen“ ja nicht herbeibomben könne, wurden durch Bibi Aishas Geschichte übertönt. Doch es gibt zwei kleine, hässliche Details: die Islamabad-Korrespondentin von TIME, Aryn Baker, eine embedded Journalistin im Pressecorps des Weissen Hauses, profitiert möglicherweise finanziell vom Krieg (1) – und die ganze Geschichte folgt auffällig dem CIA Red Cell Paper(2).
Neue Kriegsikone: Bibi Aisha
Auch Frau Baker hat einen facebook-account
Die aufrichtige Frau Baker
„Eine aufrichtige Reportage“, protestierte ein TIME-Sprecher nachdem die Recherche des Observer (6) herausfand, daß die schockierende Titelgeschichte möglicherweise ein fragwürdiger Baustein im gesamten Befürwortungsjournalismus war - kompromittiert dadurch, daß Bürochefin Aryn Baker möglicherweise persönlich von NATO-unterstützten Kriegsverträgen und den Verbindungen zum Investment-Projekt eines afghanischen Ministers profitierte. Der Verteidigung der Time von letzter Woche, in der sie ihre Arbeit als unemotional und objektiv bezeichnete, scheint zu widersprechen, daß Herausgeber Richard Stengel in einem Interview mit CBS-Anchorfrau Katie Couric am 2. August einräumte, das No-Nose-Teil transportiere „starke Ansichten.“
Frau Baker und Gatte
Sternstunde des Journalismus: Watergate
Dieser Text von John Gorenfeld wurde übersetzt von Dr. Dagmar Schatz
Online-Flyer Nr. 263 vom 18.08.2010
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Medien
Der Standpunkt der „Time“ spiegelt den der CIA
Bibi Aishas Nase
Von John Gorenfeld
Das TIME-Cover der verstümmelten Afghanin Aisha wurde von vielen europäischen Medien nachgedruckt: „So geht es den Frauen, wenn wir nicht in Afghanistan bleiben“, war der Grundtenor sämtlicher Artikel, die sich des Bildes bedienten. Stimmen, die mit Recht darauf verwiesen, daß es den Frauen überhaupt nicht besser gehe, seit der Krieg ausgebrochen sei, darüberhinaus, daß man „Mädchenschulen“ ja nicht herbeibomben könne, wurden durch Bibi Aishas Geschichte übertönt. Doch es gibt zwei kleine, hässliche Details: die Islamabad-Korrespondentin von TIME, Aryn Baker, eine embedded Journalistin im Pressecorps des Weissen Hauses, profitiert möglicherweise finanziell vom Krieg (1) – und die ganze Geschichte folgt auffällig dem CIA Red Cell Paper(2).
Neue Kriegsikone: Bibi Aisha
Quelle: TIME
Lassen wir zunächst mal dies ausräumen: die CIA kauft sich keine Journalisten. Zumindest keine amerikanischen. Sie hörte 1976 damit auf, als eine unangenehme Untersuchung durch Senator Frank Church (3), der für die Demokratische Partei als Senator von Idaho im Parlament saß, aufdeckte, daß es die auf die fünfziger Jahre (4) zurückgehende üble Angewohnheit gab, Nachrichtenredaktionen zu infiltrieren. Doch jetzt hören wir förmlich, wie im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, auf die provozierende TIME-Titelgeschichte (5) von letzter Woche angestoßen wird, die den Afghanistan-Krieg damit begründete, sich für die verstümmelte 18-Jährige Schönheit Bibi Aisha einzusetzen.
Auch Frau Baker hat einen facebook-account
Quelle: http://www.facebook.com/profile.php?
id=896150105&ref=search/New York Observer
id=896150105&ref=search/New York Observer
„Eine aufrichtige Reportage“, protestierte ein TIME-Sprecher nachdem die Recherche des Observer (6) herausfand, daß die schockierende Titelgeschichte möglicherweise ein fragwürdiger Baustein im gesamten Befürwortungsjournalismus war - kompromittiert dadurch, daß Bürochefin Aryn Baker möglicherweise persönlich von NATO-unterstützten Kriegsverträgen und den Verbindungen zum Investment-Projekt eines afghanischen Ministers profitierte. Der Verteidigung der Time von letzter Woche, in der sie ihre Arbeit als unemotional und objektiv bezeichnete, scheint zu widersprechen, daß Herausgeber Richard Stengel in einem Interview mit CBS-Anchorfrau Katie Couric am 2. August einräumte, das No-Nose-Teil transportiere „starke Ansichten.“
Ein Team, dessen Ansichten vom Artikel über Bibi Aisha sicherlich nicht mehr geradegerückt werden können, sind die Analyst_Innen der CIA „Red Cell“, einem Team, das nach dem 11. September vom Chef der CIA ins Leben gerufen wurde, und das den Auftrag hat, durch „Querdenken“ Lösungen für anstehende Probleme zu finden. Die Brainstorming-Sitzungen der Gruppe, um die Unterstützung für den Afghanistan-Krieg zu verstärken, wurden im letzten Monat durch die Herausgabe von 76.000 Dateien durch den Wikileaks-Hacker Julian Assange enthüllt.
Aryn Baker, wie eine Menge anderer, die im Pressecorps des Weissen Hauses akkreditiert sind, schrieb das Material in TIME herunter (7). Sie stellte das Material realen Kriegsreportagen gegenüber und nannte es „unzuverlässig“. „Die Daten sind roh, ungefiltert und unqualifiziert,“ schrieb sie in einem Artikel über die Wikileaks-Berichte, darüber, daß der pakistanische Geheimdienst gegen die NATO arbeite, und sagte, die Berichte zu diesem Thema seien in etwa so nützlich, als hätte jemand gegoogelt: „Der pakistanische Geheimdienst hilft den Aufständischen“(8).
Frau Baker und Gatte
Quelle: NY-observer, „courtesy of facebook“
Den Krieg menschlich machen: Horrorgeschichten mit Frauen
Okay. Doch etwas überlässt TIME Ihnen zum Selbergoogeln – vielleicht liegt das an dessen Rohheit – und zwar das vom 11. März datierte Memorandum der CIA-Red-Cell-Problemlöser_Innen (2). Das aktuelle Thema war die schwankende öffentliche Unterstützung; und die Lösung war, die Horrorgeschichten von Frauen zu promoten. Im Unterkapitel des Memos, unter der Überschrift „Warum es nicht reicht, auf Apathie zu zählen“, warnten die Agenten, daß man mit der Entsendung von noch mehr Soldaten nach Afghanistan die Empörung der deutschen und französischen Öffentlichkeit riskiere. „Dann wird Indifferenz zu aktiver Feindschaft“, schrieben sie, speziell dann, wenn Soldaten und Zivilisten sterben. Die Lösung? Anstatt Generale in Wüstentarn als Gesicht der NATO-Mission zu nehmen, nimm unterdrückte Frauen! Diese Opfer seien die „idealen Botschafterinnen“, schrieben die Analysten, „die Rolle von ISAF im Kampf gegen die Taliban zu vermenschlichen, denn Frauen haben generell die Fähigkeit, persönlich und glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter den Taliban, ihre Hoffnungen für die Zukunft und ihre Angst vor einem Sieg der Taliban zu sprechen.“ Der Report drang auch darauf, daß solche Geschichten TV-Shows mit einer großen weiblichen Zuschauerschaft angeboten werden sollten.
Nach den Veröffentlichungen von Wikileaks waren die in dem Memo angegebenen Telefonnummern von Red Cell nicht mehr geschaltet und Red Cell selber für eine Stellungnahme nicht mehr erreichbar.
Sternstunde des Journalismus: Watergate
Quelle: Columbusunderground.com
Ethik ist etwas für Journalisten, nichts für Geheimdienstler
Mit der Zusammenarbeit von TIME und anderen Periodika in der Vergangenheit wurde 1977 in einer Rolling-Stone-Titelgeschichte (9) von (A.d.Ü: Watergate-Enthüller und Pulitzer-Preisträger) Carl Bernstein (10) hart ins Gericht gegangen. Er berichtete, während des Kalten Krieges hätten mehr als 400 Journalisten, einschließlich des TIME-Gründers Henry Luce, mit der CIA zusammengearbeitet. Einer der CIA-Bosse, William B. Bader, erzählte Senatoren, die 1976 das Hauptquartier in Langley besuchten, es gebe „ein unglaubliches Netz von Beziehungen… Wir haben es beispielsweise nicht nötig, das „TIME magazine“ zu manipulieren, den wir haben Agency-Leute (A.d.Ü: CIA) in der Chefetage.“
„Aus der Perspektive der Agency,“ bemerkte Bernstein, „ist nichts Ungehöriges in solchen Verbindungen, und dabei auftretende Ethikfragen sind Sache des Journalistenstandes, nicht die der Geheimdienste.“ Die Zeiten haben sich geändert (die TIME auch). Doch als Bush senior bei seinem Amtsantritt als Direktor der CIA den Deckel auf die bezahlten Beziehungen mit Journalisten setzte, notierte er, daß nichts Reporter davon abhalten könne, der Regierung unbezahlte Dienste zu leisten, und daß solche Hilfe sogar „willkommen“ sei.
Die Aufmerksamkeit von TIME half Aisha, letzten Donnerstag eine Reise von einem Frauen-Schutzhaus in Kabul nach Los Angeles zu gewinnen, wo Ihr Aussehen mit Hilfe der Grossmann Burn Foundation wiederhergestellt werden soll. (A.d.Ü.: die Grossmann-Foundation (11) führt eine Kampagne „Stop Violence against Women Globally“ und bietet entstellten Frauen Wiederherstellungsschirurgie an.) Doch die „point-of-view“-Geschichte von TIME war kein journalistischer scoop. Aisha hatte ihre verstörende Geschichte schon „The Daily Beast“ (12) und Diane Sawyer (13) von ABC erzählt (A.d.Ü.: Mit diesem Video hatte ABC um die Aufmerksamkeit geworben um Aisha eine OP zu ermöglichen.
Während die Taliban abgelehnt haben, für die Verstümmelung der jungen Frau die Verantwortung zu übernehmen, gibt einer ihrer Sprecher unumwunden zu, daß das Rechtssystem der Taliban Menschenrechtsverletzungen enthält. Mullah Dahoud, ein Kommandeur, sprach mit der britischen Times und erzählte, daß eine Frau, die der Unzucht angeklagt worden sei, von den Taliban „vor den Augen aller Einheimischen als warnendes Beispiel erst ausgepeitscht wurde. Dann haben wir sie erschossen (14).“ (PK)
Dieser Text von John Gorenfeld wurde übersetzt von Dr. Dagmar Schatz
(1) http://www.huffingtonpost.com/2010/08/12/aryn-baker-time-magazines_n_680380.html - hier sind noch weitere Artikel verlinkt
(4) A.d.Ü: McCarthy-Ära
Online-Flyer Nr. 263 vom 18.08.2010
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