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Arbeit und Soziales
Gemeinsam fordern Sommer (DGB) und Hundt (BDA) Tarifeinheit im Betrieb
Einschränkung des Streikrechts droht
Von Franz Kersjes
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) verlangen von der Bundesregierung eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinen Entscheidungen vom 27. Januar und 23. Juni 2010 seine bisherige Rechtsauffassung zur Tarifeinheit im Unternehmen aufgehoben hat, soll nun der Gesetzgeber tätig werden. Bei sich überschneidenden Tarifverträgen soll künftig nur derjenige gelten, den die mitgliederstärkste Gewerkschaft im Betrieb abgeschlossen hat. Während der Laufzeit des Vertrags sollen konkurrierende Gewerkschaften nicht streiken dürfen.
War es vielleicht eine Initiative des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer in Absprache mit einigen Vorsitzenden von Einzelgewerkschaften? Am 4. Juni 2010 verkündete Sommer die Initiative zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes vor der Presse. Die Forderungen zur Tarifeinheit waren mit der BDA abgestimmt, aber wohl nicht mit den Juristen und Gremien in den Gewerkschaften. Nun entwickelt sich unter aktiven Gewerkschaftsmitgliedern Empörung und Widerstand. So protestiert der Bundesvorstand der Fachgruppe Verlage, Druck und Papier in ver.di (ehemalige IG Druck und Papier) in einer einstimmig gefassten Resolution gegen die DGB-BDA Initiative mit folgenden Gründen:
Online-Flyer Nr. 271 vom 13.10.2010
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Arbeit und Soziales
Gemeinsam fordern Sommer (DGB) und Hundt (BDA) Tarifeinheit im Betrieb
Einschränkung des Streikrechts droht
Von Franz Kersjes
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) verlangen von der Bundesregierung eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinen Entscheidungen vom 27. Januar und 23. Juni 2010 seine bisherige Rechtsauffassung zur Tarifeinheit im Unternehmen aufgehoben hat, soll nun der Gesetzgeber tätig werden. Bei sich überschneidenden Tarifverträgen soll künftig nur derjenige gelten, den die mitgliederstärkste Gewerkschaft im Betrieb abgeschlossen hat. Während der Laufzeit des Vertrags sollen konkurrierende Gewerkschaften nicht streiken dürfen.
Zunächst einmal ist zu fragen: Wo und von wem ist die Initiative im
gewerkschaftlichen Bereich diskutiert und beschlossen worden? Auf dem DGB-Bundeskongress (16. bis 20. Mai 2010), also kurz vor Bekanntwerden der Gesetzesinitiative, war mit keinem Wort davon die Rede. Stattdessen heißt es im Beschluss A 001 (gesellschaftspolitische Positionen und Perspektiven der Gewerkschaft) auf Seite 5 unter der Überschrift „Tarifpolitik als herausragende Aufgabe“: „Eine neue Herausforderung besteht darin, den europarechtlichen Einschränkungen des Streikrechts oder der tarifpolitischen Handlungsfähigkeit entgegenzutreten. DGB und Gewerkschaften wenden sich gegen alle Einschränkungen des gewerkschaftlichen Streikrechts auf europäischer und nationaler Ebene. Verschlechterungen unserer elementaren Rechte werden wir mit allen Mitteln abwehren.“
Eine Initiative des DGB-Vor-
sitzenden
Michael Sommer...
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Michael Sommer...
NRhZ-Archiv
...mit Bündnispartner Dieter Hundt
- BDA?
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Quelle: BDA
> Wer in Zeiten der kapitalistischen Krise eine Regierung auffordert, das in 60 Jahren seines unveränderten Bestehens bewährte Tarifvertragsgesetz zu ändern - womöglich noch verbunden mit einer Grundgesetzänderung zur Einschränkung des Grundrechts auf Streik -– liefert die Tarifautonomie auch künftig allen politischen Begehrlichkeiten der Arbeitgeber und ihrer politischen Parteien aus.
> Es ist - bei aller praktizierten Tarifpartnerschaft - ein elementarer Verstoß gegen die gesamte Geschichte, Politik und Kultur der Gewerkschaftsbewegung, sich mit Arbeitgeberorganisationen über die Ausgestaltung des Streikrechts zu verständigen und hierzu
gemeinsam Gesetzesinitiativen von der Politik zu fordern.
> Für den Fachbereich Medien, Kunst und Industrie könnte die Initiative schwerwiegende Folgen haben, insbesondere bei den Journalisten in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen wo die Konkurrenzorganisation DJV in vielen Betrieben die Mehrheit der Mitglieder dieser Berufsgruppe stellt.
> Weder im DGB noch in ver.di gab es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der DGB-BDA-Initiative Beschlüsse, die den DGB-Vorstand oder den ver.di-Vorstand zu einer solchen Initiative aufgefordert hätten. Gerade bei einer so grundsätzlichen Frage, wie der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung des Streikrechts, die gemeinsam mit den Arbeitgeberorganisationen erhoben wird, hätte es im Vorfeld einer breit angelegten Diskussion in den Gewerkschaftsgremien zur demokratischen Willensbildung bedurft.
Gewerkschaftliche Konkurrenz in den Betrieben beseitigen?
„Der Grundsatz der Tarifeinheit ist vor zwanzig Jahren vom BAG ohne jede Rechtsgrundlage erfunden worden“, erklärt der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler in einem Interview mit der Tageszeitung junge Welt. „Die wissenschaftliche Literatur hatte diese Entscheidung fast einheitlich kritisiert. Mittlerweile sind andere Richter am BAG. Diese haben, erst der 4. und jetzt auch der 10. Senat, die Kritik aufgenommen und klargestellt: Es gibt keine Tarifeinheit. Wenn in einem Betrieb Tarifverträge mit verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossen werden, haben alle diese für ihre jeweiligen Mitglieder Gültigkeit.“
Mit den Forderungen von DGB und BDA würde die gewerkschaftliche Konkurrenz in den Betrieben grundsätzlich beseitigt. Und wo es sie noch gibt, müsste jede Gewerkschaft nachweisen, dass sie die meisten Mitglieder hat. Die Ausweitung der tariflichen Friedenspflicht bzw. Einschränkung des Streikrechts trifft zudem ausschließlich kampffähige Gewerkschaften.
Von “Sozialpartnerschaft“ kann wirklich keine Rede sein
Für kleine “ Dumpingorganisationen“ wie die Christlichen Gewerkschaften ist sie bedeutungslos. Die können ohnehin nicht streiken. Eine tarifliche Gleichbehandlung der Beschäftigten im Betrieb ist von einer Tarifeinheit im Betrieb mit Sicherheit nicht zu erwarten. Die Arbeitgeber richten sich weiterhin nach dem Grundsatz: teile und herrsche! Sie wehren sich weiterhin vehement gegen die Gleichbehandlung von Stammbelegschaften und
Leiharbeitnehmer/inne/n. “Von Sozialpartnerschaft“ kann wirklich keine Rede sein! Und wenn ab 1. Mai 2011 die EU-Dienstleistungsrichtlinie Gültigkeit hat, werden die billigen, tarifgebundenen Arbeitskräfte aus Osteuropa gerne eingesetzt. Die Unternehmer zahlen weiterhin Dumpinglöhne und versuchen, tarifliche Verpflichtungen zu umgehen und Belegschaften zu erpressen. Und mit solchen Unternehmern machen die Gewerkschaften
gemeinsame Sache mit dem Ziel, auch noch das Streikrecht einzuschränken?
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will eine Grundgesetzänderung „wohlwollend“ prüfen. Sie werde indes noch keinen Zeitplan für ein Gesetz nennen. Zunächst prüfe die Regierung, welchen Spielraum die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie dem Gesetzgeber lasse. Zudem werde auch politisch noch Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Fachpolitiker von Union und FDP haben sich bereits wie auch die SPD für eine gesetzliche
Neuausrichtung ausgesprochen. „Uns ist es wichtig, dass wir nicht durch permanente Streiks Unternehmen lahmlegen“, sagte von der Leyen nach einem Gespräch mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Trotz der (eingebildeten) Wichtigkeit des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer dürfte der Einfluss der Unternehmer auf Inhalt und Ausgestaltung des Streikrechts bei einer Novellierung des Tarifvertragsgesetzes erheblich sein.
Fiktives Schreckgespenst ständiger tariflicher Konflikte
Eine Änderung des Tarif- und Arbeitskampfrechtes hält Olaf Deinert, Professor für Arbeitsrecht an der Uni Göttingen, nicht für notwendig. Die Machtverhältnisse in den Betrieben hätten sich nicht so stark verändert, dass der Staat eingreifen müsse. Das Schreckgespenst ständiger tariflicher Konflikte sei fiktiv, schreibt Deinert in einem Beitrag für die Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht. Ebenso wenig, wie Gewerkschaften Anspruch auf einen bestimmten Arbeitgeberverband als Ansprechpartner hätten, habe ein Arbeitgeber Anspruch auf exklusive Verhandlung mit nur einer Gewerkschaft. Zum unternehmerischen Risiko gehöre, dass in einem Betrieb mehrere Berufsverbände existierten, die die Interessen der bei ihnen Organisierten vertreten. Eine Koordination von Tariflaufzeiten, wie sie in dem gemeinsamen Papier von DGB und BDA verlangt wird, hält Deinert nicht für praktikabel, zudem würde damit die grundrechtlich garantierte Tarifautonomie angetastet.
Das Streikrecht ist das wichtigste Grundrecht der abhängig Beschäftigten. Ohne das Recht auf Streik können Arbeitnehmer ihre Interessen nicht durchsetzen. Die Koalitionsfreiheit wird durch unsere Verfassung garantiert. Jede Einschränkung muss hart bekämpft werden. Hoffentlich werden noch viele Gewerkschafter und gewerkschaftliche Vorstände und Gremien gegen die gemeinsame Initiative von DGB und BDA protestieren. (PK)
Franz Kersjes war viele Jahre Landesvorsitzender der IG Druck und Papier/IG Medien in NRW und gibt jetzt die www.weltderarbeit.de heraus.
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