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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Inland
Aus dem jüngsten Schlichtungsgespräch zum Konflikt um "Stuttgart 21"
Stadtentwicklung
Von Peter Conradi

Beim fünften Gespräch zur Faktenschlichtung im Konflikt über Stuttgart 21 oder Kopfbahnhof 21 zwischen Bahn, Stadt-, Landes- und Bundesregierung auf der einen Seite und der großen Mehrheit der Stuttgarter Bürger auf der anderen, hat der bekannte Stuttgarter Architekt Peter Conradi einen Vortrag zur Stadtentwicklung gehalten, den wir hier im Wortlaut wiedergeben. – Die Redaktion

1. K 21 – Phantom oder Alternative?



Peter Conradi
"K 21 – Phantom oder Alternative?", so titelte kürzlich die Stuttgarter Zeitung. Der 4. Tag der Faktenschlichtung hat gezeigt, dass K 21 kein Phantom, sondern eine machbare Alternative ist. Ihre Kernstücke sind der bestehende Kopfbahnhof, der Schritt für Schritt saniert, modernisiert und verbessert werden kann, und eine menschenfreundliche, behutsame, der Zeit angepasste Stadtentwicklung.
 
2. S 21 = Immobilienprojekt
 
Das Projekt "Stuttgart 21" war von Anfang an ein Immobilienprojekt: Die Deutsche Bahn AG wollte die nicht mehr bahnnotwendigen Flächen in Stuttgart und die mit der Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs frei werdenden oberirdischen Gleisflächen verkaufen. Das war der Geburtsfehler von "Stuttgart 21". Statt zu fragen, was für den Bahnknoten Stuttgart, was für eine bessere Bahnerschliessung der Region und des Stuttgarter Flughafens, was für kürzere Fahrzeiten nach Ulm-München notwendig wäre, und nach diesen Zielen zu planen, beschlossen der damalige Bundesverkehrsminister Wissmann, der damalige Ministerpräsident Teufel, der damalige Oberbürgermeister Rommel und der damalige Bahnchef Dürr 1994 im Hubschrauber das Projekt "Stuttgart 21", ein für die Deutsche Bahn gewinnträchtiges und für Stuttgart städtebaulich interessantes Immobilienprojekt: der leistungsfähige, funktionierende, schöne Kopfbahnhof sollte durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit zuerst zehn, jetzt nur noch acht Gleisen und durch kilometerlange unterirdischen Tunnelstrecken ersetzt werden. Seither bemühen die Projektträger sich vergeblich zu beweisen, dass dieses Immobilienprojekt S 21 fahrplanmässig funktioniert. Das nennt man: Das Pferd von hinten aufzäumen.  
 
3. Frei werdende Flächen
 
Eine "Jahrhundertchance für Stuttgart" jubeln Stadt und Land und behaupten keck, S 21 bringe 100 Hektar Fläche für Bebauung und Parkerweiterung. Wahr ist, dass von den freiwerdenden Flächen etwa ein Drittel unabhängig von den Konzepten S 21 oder K 21 frei wird. Ein weiteres Drittel wird frei, wenn der jetzige Abstellbahnhof vom Rosensteinpark nach Untertürkheim verlegt wird. Bei S 21 muss er verlegt werden, bei K 21 kann er verlegt werden. Wir schlagen für K 21 vor, die gesamte Fläche des Abstellbahnhofs dem Park zuzuschlagen. Fazit: Mit S 21 wird zusätzlich nur ein Drittel der behaupteten Flächen frei, nämlich die Gleisflächen, die bei K 21 Gleisflächen bleiben.
 
Wir sind hier nicht in einem Wettbewerb, wer mehr oder weniger Flächen für bauliche Nutzung oder für Parkerweiterung frei bekommt, wichtiger ist es, welche Flächen wann und für welche Nutzung frei werden: Bei S 21 werden die meisten Flächen erst in zehn oder 15 Jahren frei, weil sie während der Bauzeit als Baustellenflächen genutzt werden müssen. Bei K 21 werden sie zum grössten Teil schon jetzt frei.
 
4. Städtebauliche und architektonische Schäden
 
S 21 verursacht als totales Grossprojekt schwere städtebauliche und architektonische Schäden:
- Der Talkessel, der sich mit der Luft- und Wasserströmung zum Neckar hin öffnet, wird durch den S 21-Tiefbahnhof quer abgeriegelt. Die Grundwasserabsenkung gefährdet die mineralwasserführenden Schichten.
- Der Mittlere Schlossgarten wird durch den Wall des Tiefbahnhofs entwertet, und der durchgehende Grünzug vom Neuen Schloss bis zum Neckar wird zerschnitten.
- Der denkmalgeschützte Bonatz-Bahnhof wird in seiner baulichen Gestalt beschädigt und seiner Funktion beraubt.
- Würde eine andere deutsche Grossstadt mit so schönen, erlebnisreichen Bahnzufahrten wie Stuttgart, würden Berlin, Hamburg, Köln oder Frankfurt am Main ihre schönen Bahnhöfe mit den interessanten Zufahrten unter die Erde verlegen? Welche andere Stadt würde die Gäubahnstrecke von Vaihingen zum Hauptbahnhof, eine der schönsten städtischen Bahnstrecken in Deutschland beseitigen?
 
K 21 dagegen verursacht keine städtebaulichen oder architektonischen Schäden: der kundenfreundliche Kopfbahnhof, die schöne Gäubahnstrecke und der für die Stuttgarter wichtige Mittlere Schlossgarten werden erhalten, die Mineralquellen werden nicht gefährdet. Bewährtes wird behutsam saniert und ergänzt.
 
5. Bebauungsqualität
 
In der Diskussion über S 21 geht es überwiegend um Quantitäten, nicht um Qualitäten. Die neue Bebauung des Baugebiets A 1 ist dafür ein Beispiel, das "Musterprojekt" für S 21: Das inzwischen zum Teil überbaute Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs mit maximaler Flächenausnutzung, mit massstabsloser Bürohausarchitektur ist das Ergebnis einer von Investoreninteressen bestimmten Stadtplanung. Stuttgart hat Besseres verdient. Das vom Oberbürgermeister favorisierte Mega-Einkaufszentrum (ECE-Einkaufscenter-Entwicklungs-GmbH) schädigt den Stuttgarter Einzelhandel und unsere Innenstadt. Der Stuttgarter Stadtplaner Professor Pesch schlägt dagegen einen Wohnungsanteil auf den frei werdenden Gebieten zwischen 50 und 80 Prozent vor. Davon ist die Stadt meilenweit entfernt, doch aus Büro- und Konsumbauten entsteht keine lebendige Stadt.
 
Bei K 21 dagegen können statt grossflächiger Investorenblöcke auf kleiner parzellierten Grundstücken unterschiedliche Nutzungen in vielfältiger baulicher Gestalt mit neuen sozialen Wohnideen und ökologisch orientierten Bauvorhaben entstehen.
 
6. Bürgerbeteiligung
 
Die Stuttgarter Bürgerschaft hat mit der Bürgerbeteiligung keine guten Erfahrungen gemacht:
- In den 1990er Jahren gab es eine offene Bürgerbeteiligung zum Baugebiet A 1: 400 BürgerInnen haben in 13.000 Stunden 900 Ideen eingebracht. Von den damaligen Vorschlägen wurde nichts verwirklicht.
- Der beratende Städtebauausschuss hat nach dem Tiefbahnhofs-Wettbewerb eine Reihe städtebaulicher Forderungen aufgestellt. Nichts davon hat die Stadt weiter verfolgt.
- Bei allen Stuttgarter Grossprojekten der vergangenen Jahre hatten nicht die Bürgerschaft, sondern die Investoren das Sagen: der Trump-Tower in Feuerbach, das Fürst-Modezentrum am Killesberg, das Einkaufsquartier "S" der Württembergischen Versicherung in Stuttgart-Süd, das Da-Vinci-Zentrum von Breuninger in der Stadtmitte – überall fordern die Investoren eine massive Erhöhung der zulässigen Baunutzung, und überall gab bisher die Stadtverwaltung nach. Wenn OB Schuster und BM Hahn jetzt eine Bürgerbeteiligung für die 2020 und später frei werdenden Bahnflächen anbieten, ist das ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver, zumal beide nicht mehr im Amt sein werden, wenn diese Flächen bebaut werden können. Wir haben keinen Glauben mehr an Versprechungen einer ergebnisoffenen, ernst gemeinten Bürgerbeteiligung in Stuttgart.
 
7.  Fazit
 
Wir bleiben dabei: Bei der Stadtentwicklung steht S 21 für brutale, nicht wieder gutzumachende Eingriffe in die Stadt und ihre Grünanlagen, für ein hohes Risiko für die Mineralquellen und für einen unattraktiven unterirdischen Tunnelbahnhof. Dagegen steht K 21 für eine schrittweise, behutsame und ökologisch vernünftige Weiterentwicklung unserer Stadt mit einem Kopfbahnhof mit einzigartiger baulicher und funktionaler Qualität. (PK)

Peter Conradi ist Architekt und gehörte auch in der frühen Planungsphase schon zu den Gegnern. Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete konnte mit seiner Skepsis allerdings seine eigene Partei nicht überzeugen, diese befürwortete den Bau.



Online-Flyer Nr. 277  vom 24.11.2010

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