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Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

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Kommentar
Kommentar über "zweierlei Maß" vom "Fuße des Blauen"
Feigheit vor dem Freund
Von Evelyn Hecht-Galinski

Kanzlerin Merkel empfindet Ekel und Abscheu nach dem schrecklichen Attentat in Ägypten, begangen an koptischen Christen. Das schrieb sie an Präsident Mubarak. Auch ich verabscheue dieses Attentat. Aber sind nicht auch Abscheu und Ekel zu empfinden vor einer Diktatur des Regimes Mubarak und seines fürchterlichen Sicherheitsapparates? Wurde nicht   El Baradei zum Weggang vor der Wahl, zum Weggang aus Ägypten „genötigt“? War es nicht eine Farce, diese ägyptischen Wahlen widerspruchslos hinzunehmen, aber die „demokratisch gewählte Hamas-Regierung“ in Gaza zu negieren und angebotene Verhandlungen auszuschlagen? Unsere Christliche Leit/Leid-Kultur mit Kriegen im Irak, Afghanistan, Pakistan und Jemen einzuführen, das rächt sich jetzt.

Ich vermisse das Mitgefühl von Frau Merkel für das Gaza-Massaker, das am 27. Dezember 2008 begann, bei dem 1.417 Palästinenser getötet wurden und das formal am 18. Januar 2009 endete. In Wahrheit endete es nicht und setzt sich bis heute fort. Das Blockieren, Besetzen und Morden an den von Israel in Geiselhaft gehaltenen Palästinensern wird von Kanzlerin Merkel toleriert.
 
Noch in diesem Monat wird das jährliche Kabinettstreffen mit der israelischen Regierung fortgesetzt. Jetzt fordern deutsche Politiker (Kauder) eine Distanzierung der Muslimverbände von dem Attentat. Warum fordert man nicht vom Zentralrat der Juden in Deutschland eine Distanzierung von der israelischen „Staatsterror-Politik“? Z.B. von der Tötung eines unschuldigen Palästinensers am Check Point, oder einer unschuldigen Palästinenserin in Bi’lin, die von der israelischen Armee mit einem Gemisch aus Tränengas und Phosphor getötet wurde?
 
Muslime sollen sich distanzieren - und der Zentralrat?
 
Ein Attentat – und die muslimischen Verbände werden „aufgefordert“ sich zu distanzieren. Distanzierte sich der Zentralrat der Juden vom Massaker in Hebron, begangen von einem jüdischen Extremisten, oder jetzt von Aufrufen rassistischer Rabbiner? Im Gegenteil! Wäre es nicht sogar eine moralische Pflicht des Zentralrats gewesen, sich von diesen rassistischen Rabbinern zu distanzieren? Wo bleibt also die Aufforderung zur Distanzierung der deutschen Politik von „jüdischem Fanatismus und Rassismus“? Es reicht nicht, auf dem Koran „rumzutrampeln“, den Talmud aber auszulassen. Religionsmissbrauch und ideologischer Fanatismus gehören verurteilt, egal aus welcher Richtung sie kommen. Würde man solche Distanzierungen vom Zentralrat der Juden verlangen, würde dieser aus dem Distanzieren nicht mehr rauskommen. Also wieder und wieder zweierlei Maß. Ist das die gegenüber Israel angebrachte Staatsräson? Sie widerspricht unserem Grundgesetz! Ist das die „Feigheit vor dem Freund“?
 
Zweierlei Maß – hier die christlich-jüdische Einheit, dort die Islamophobie. Vertreten wir hier nur noch die „christlichen Menschenrechte“ – unter großzügiger Miteinbeziehung der „jüdischen Freunde“? Nein, Menschenrechte sind unteilbar und gelten für alle gleich! Ersetzt man das Wort Moslem durch Jude, dann wird einem ganz schnell klar, welche Parallelen man ziehen kann.
 
Klar leben wir in einem „zivilisierten“ Staat. Wir töten nicht mehr „altmodisch“. Warum auch? Heute haben wir hochtechnische Methoden. Computergesteuerte Drohnen, die sogar von Soldatinnen bedient werden – jeder „Joy Stick“ kann ein Menschenleben kurz und „schmerzlos“ auslöschen. Tarnkappenbomber, die Bomben abwerfen, Töten leicht gemacht, ohne Gewissensbisse – und Landminen. Das alles erleichtert heute die Massaker. Ekel und Abscheu sollten wir alle zeigen, wenn rassistische Staaten wie Israel mit unserer Hilfe ethnische Säuberungen begehen.
 
Krokodilstränen für zwei BILD-Reporter
 
Deutsche Politiker vergießen werbewirksam Krokodilstränen in der Tagesschau, wenn es um zwei BILD-Reporter geht, die unter falschen Voraussetzungen in den Iran reisten und dort gefangen genommen wurden.

Firas Maraghy im Hungerstreik vor
der Botschaft Israels in Berlin
Foto: NRhZ-Archiv
Diese BILD-Reporter haben sich dort auf keinen Fall für die Menschenrechte eingesetzt, sondern sensationslüstern ein Interview ergattern wollen. Die wahren Helden sind die „Reporter ohne Grenzen", die während ihres Einsatzes für die Menschenrechte in Kauf nehmen, selbst zu Schaden zu kommen. Sind nicht aktuell wieder beim Springer-Konzern mit „BILD“ und „Welt“ die „Schreibtischtäter und geistigen Brandstifter“ der Islamhetze? Im Verbreiten von Unwahrheiten ist der Springer Konzern jedenfalls „einsame Spitze“, wie einst bei den „68ern“ in Berlin mit den „Jubelpersern“ heute gegen den Iran. Anständige und mutige Menschen, wie Walter Herrmann von der Kölner Klagemauer werden mit falschen Behauptungen diffamiert. Sarrazin wird hoffähig gemacht – eine erbärmliche Figur, die sonst als „nuschelndes Nichts“ in die Geschichte eingehen würde.
 
 
Wo bleiben Abscheu und Ekel vor dem empörenden Vorgehen der israelischen Regierung gegen Firas Maraghy – diesem mutigen Palästinenser, dessen Hungerstreik am 4. September vor vier Monaten endete? (1) Was hat es ihm gebracht außer körperlichen Strapazen und am Rande des Todes zu stehen? Nicht viel! Die israelische Regierung hat ihm die ihm zustehenden Papiere bis heute verweigert. Auch hier zeigt sich wieder die Hilflosigkeit der deutschen Politik gegenüber israelischer Willkür. Warum nutzen Politiker wie Gysi und Polenz ihre Fernsehauftritte z.B. in der Tagesschau nicht, sich anstatt für die BILD-Reporter für unterdrückte und ihrer Rechte beraubter Palästinenser einzusetzen? Warum spricht man nicht über die mehr als 10.000 gefangen gehaltenen Palästinenser? Warum hört und sieht man in der Tagesschau nichts vom täglich schleichenden Morden Israels an Palästinensern? Warum muss ich erst um 19.00 Uhr auf das Arte Journal gehen, um darüber informiert zu werden?
 
Als guter Vorsatz zum Jahresbeginn 2011: BDS (Boykott, Desinvestment, Sanctions = Boykott, Abbruch der Investitionen, Sanktionen) muss schon aus

Ilan Pappé | NRhZ-Archiv
dem „Innern“ kommen, also bei uns beginnen! Opponieren wir gegen immer neue Städtepartnerschaften mit Israel! Universitäten sollten so lange keinen wissenschaftlichen Austausch pflegen, solange die palästinensischen Wissenschaftler unfrei, unter der Besatzung Israels leben müssen und nur von „Gnaden“ der „Besatzer“, ein und ausreisen dürfen. Es sollte keinen Parteien- und Gewerkschaftsaustausch, keine Handelsabkommen mit dem „Jüdischen Staat“ geben, solange dieser sein Unterdrückungs- und Apartheidregime aufrecht erhält.
 
Seit ich Ilan Pappes Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ gelesen habe, seit ich das Glück hatte, in Stuttgart auf der Palästina-Solidaritätskonferenz dabei sein zu dürfen und dort gemeinsam mit Ilan Pappe, Mazin Qumsiyeh, Haidar Eid, Ali Abunimah, Lubna Mazarwa als Referentin aufzutreten, hat sich mein Blick über Deutschland und Palästina nochmals verändert.
 
Welche Tragik: Mazin Qumsiyeh und Haidar Eid begegneten sich in Stuttgart (4.000 km von ihrem besetzten Heimatland entfernt) das erste Mal persönlich – der eine aus der Westbank, der andere aus dem „Freiluftgefängnis“ Gaza. Beide sind ständig der Gefahr ausgesetzt aufs Neue verhaftet zu werden. Als diese Menschen authentisch und kämpferisch vortrugen, wusste ich, dass wir „deutschen Experten“ kleine Räder im großen Getriebe sind. Wir haben – wie sie sehr richtig forderten – die Pflicht gerade auch als Deutsche mehr zu tun! Es muss erlaubt sein, Zionismus als eine Ideologie des Rassismus und des Kolonialismus zu bezeichnen.
 
Realität hat die Hoffnung eingeholt
 
Nehmen wir uns ein Beispiel an diesen Forderungen. Es reicht nicht, eine „Hoffnungsideologie“ zu verbreiten, nur weil diese auch für gewisse kirchliche und politische Kreise besser „zu verkaufen“ ist. Die Wahrheit ist: die Realität hat die Hoffnung eingeholt. Man kann mit dieser „jüdischen Ideologie“ keine Hoffnung haben, sondern diese nur mit Taten und Fakten bekämpfen.
 
Daher empfehle ich auch Gilad Atzmon und seinen Blog aufmerksam zu lesen. Dieser begnadete Jazz-Saxophonist wird von verschiedenen „Kreisen“ verunglimpft, weil man hier noch nicht so weit ist, sich vorurteilsfrei mit seinen richtigen und hoch intelligenten Thesen auseinanderzusetzen. Wir hatten das Glück, Gilad Atzmon mit einem Grußwort auf der Stuttgarter Konferenz erleben zu dürfen.
 
Eine weitere Lehre aus dieser einmaligen Konferenz: Vergessen wir die „Experten“ von gestern und lernen wir von den Betroffenen von heute kennen. Vergessen wir die Utopisten, halten wir uns an die Visionäre. Den Weg dazu haben Verena und Attia Rajab mit der Ausrichtung dieser unvergesslichen Konferenz gewiesen. (PK)
 
 

NRHZ-Archiv






Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und die Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Mit ihrem aktuellen Kommentar für die NRhZ, den sie "vom Fuße des Blauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, geschrieben hat, beginnt sie eine Serie.
 
 


Online-Flyer Nr. 283  vom 05.01.2011

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