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Aktueller Online-Flyer vom 16. Mai 2024  

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Lokales
Nachrufe auf den ehemaligen Besitzer des Kölner Zirkuscafés "Bel Air"
Ade, Heiner Moers!
Von Rainer Kippe und Dirk Groll

Kennengelernt habe ich Heiner Moers im Jahre des Herrn 1970. Es war im Hause der Familie Grünebaum in Refrath, einem Ortsteil von Bensberg, an der Straßenbahnlinie 1, in dem in öden Reihenhäusern die Jugend erst dem Fernsehen und danach den Drogen verfiel. Heiner war nicht von der Sorte. Selbstbewusst, aktiv, mit klarem Blick und natürlicher Autorität und dem unvergleichlichen Altstadt-Kölsch, welches die Herkunft seiner Familie verriet und auch sonst einiges erklärte. Der Vater war Straßenkehrer in Köln, bzw. war dort inzwischen aufgestiegen und hatte einen Straßenkehrabschnitt unter sich, damals in Marienburg.
 

Heiner Moers
Quelle: Rainer Kippe
Als ich eine Nacht mit ihm gesoffen hatte, wusste ich, dass er ein alter Kommunist war und genau soviel vertragen konnte wie ich. Klaren Blicks und frohen Mutes fuhr ich, die aufgehende Sonne im Rücken, im Käfer quer durch die Stadt die Olpener Straße hinunter zurück in mein Heim in Lindenthal - die A4 gab es da noch nicht.
 
Heiner war gerade aus dem Erziehungsheim Abtshof entlassen worden und betrieb eine kleine Garagenwerkstatt im Veedel - ich vermute schwarz, denn er hatte keinerlei Zeugnisse vorzuweisen. Er war einer Gefängnisstrafe nur knapp entgangen, nachdem ihm als Rädelsführer einer Jugendgang 120 Straftaten, vor allem Diebstähle und Einbrüche, nachgewiesen worden waren.
 
Heiner besaß nicht nur Mut, sondern auch Überzeugungskraft. Im Abtshof reparierte er die Autos seiner Erzieher und kam schon nach drei Monaten im eigenen Wagen aus dem Wochenendurlaub vorgefahren - natürlich ohne Führerschein, denn den hielt er Zeit seines Lebens nicht für erforderlich.
 
Seine natürliche Autorität und sein Verantwortungsbewusstsein, aber auch sein Blick für die Nöte und Qualen anderer - heute spräche man buddhistisch von Mitgefühl - brachten es mit sich, dass sich bald nach der Entlassung schon wieder junge Leute um ihn scharten. Mit ihnen gründete er ein selbstverwaltetes Jugendwohnkollektiv in Refrath, das HAUS MARGARETE, in einer leerstehenden Gründerzeitvilla an der Haltestelle Kieskaulerstraße. Hierhin schickte die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SSK) regelmäßig aus der Fürsorgeerziehung entflohene Jugendliche. Das Fernsehen berichtete (damals noch) darüber.
 
Mit Drogen pflegte Heiner sehr einfach umzugehen: er vernichtete sie. Der Drogenentzug wurde kalt durchgeführt: der oder die Betreffende wurde solange eingesperrt und bewacht, bis er/sie clean war.
 
Eine seiner Klientinnen heiratete er dann. Es handelte sich um die Tochter eines namhaften deutschen Herstellers von Autopolitur. Bald residierte Heiner mit Frau und Kind in einer bescheidenen Villa. Danach hörte ich lange Zeit nichts mehr von ihm.


Zirkuscafé "BelAir"
www.bilderbuch-koeln.de
 
In den 90ern tauchte sein Name im Zusammenhang mit einer sagenhaften Eventstätte im Kölner Westen auf, dem "BelAir". Hier gab sich alles, was in Köln Rang und Namen hat, die Klinke in die Hand. In alten Zirkuswagen, liebevoll restauriert. Da er kein eigenes Gelände besaß, war er auf Miete und Duldung auf leerstehenden Flächen angewiesen. Dabei geriet er an den Kölner Immobilienmakler Lammerting, der ihn genauso wie eine große Schar Künstler, erst mit offenen Armen und Versprechungen aufnahm und dann versuchte, ihn mit allen Mitteln loszuwerden. Gegen Lammerting und seine Räumungsversuche hat sich Heiner mit großer Energie und erstaunlichem Geschick über viele Jahre bis zu seinem Tode verteidigt. Bis dahin ist es L. nicht gelungen, seinen nun auf einmal unerwünschten Mieter loszuwerden.
 
Aber politische Beziehungen reichen weit, und wer Dir gestern noch vor klickenden Kameras die Hand gereicht und im Séparé in trauter Runde mit Dir angestoßen hat, ist morgen schon für Dich nicht mehr erreichbar und übermorgen Dein erbitterter Feind.
 
Eines Tages kam die Gewerbeaufsicht mit Ordnungsamt, Feuerwehr und allem was die Stadt zu bieten hat, und machte den Laden dicht. Und obwohl es nach unerlaubter Einflussnahme geradezu roch, gelang es ihm nicht, das Verbot abzuschütteln. Seither jedenfalls blieb das "BelAir" geschlossen - ein schöner Traum. Aber wer die Hallen mit den ungenutzten Wagen besuchte, konnte noch ein wenig von der Atmosphäre vergangener Festlichkeiten erschnuppern.
 
Es ist kurzweilig, die Liste der Parteien und ihrer Vertreter zu lesen, die sich für den Fortbestand des "BelAir" eingesetzt haben und sich Köln ohne diesen Platz schlicht nicht mehr vorstellen konnten. Am Ende blieb von allen nur ein ehemaliger CDU-Ortsvorsitzender übrig, der vom Verhalten seiner Parteifreunde so angewidert war, dass er austrat und mit anderen eine Wählergemeinschaft gründete.
 
Es ist zu hoffen, dass der Schatz der Freundschaftsbekundungen und Versprechungen, die Heiner im Laufe der Jahre erhielt, gut archiviert erhalten bleibt, um in einigen Jahren gehoben und Gegenstand von Diplomarbeiten im Bereich "freie Kulturarbeit“ zu werden, wenn wieder einmal darüber Klage geführt werden wird, dass in diesem großen Provinznest am Rhein "nichts los“ sei.
 
Dann wird die Stadt ihm sicher ein Denkmal setzen, und wenn nicht die Stadt, so der Stadtteil Braunsfeld, und man wird in Ehrenfeld eine Straße und in Bickendorf eine Schule nach ihm benennen. „Heiner- Moers-Bekenntnisschule“, oder so ähnlich. - Klingt doch gut, oder? (PK)

Ich habe einen Vater verloren
 
Als ich mit 18 Jahren nicht mehr zur Schule gehen wollte und mich selbst ins freie Leben entlassen hatte, landete ich zufällig in Heiners Autowerkstatt. Hinterhofhalle, Köln-Ehrenfeld. Das war aber keine Werkstatt wie üblich. Natürlich musste Geld verdient werden, das braucht ja jeder zum Leben, und es gab zahlende Kunden und verschiedene Leute, die verschiedene Arbeiten machten. Heiner leitete sie an und gab klare Aufgaben. Das Besondere daran war, welche Leute er beschäftigte und wem er am Abend großzügig einen Hunderter zusteckte und in der Kneipe etliche Biere ausgab. Das waren nämlich durchaus nicht die taffen Strebsamen, eher genau das Gegenteil davon. Leute hart auf der Kante, denen Heiner einen Sinn vorgab. Und sei es auch nur, eine Antriebswelle bis drei Uhr nachmittags auszuwecheln, wenn nämlich der Kunde sein Auto funktionierend abholen wollte. Heiner gab mir konkrete Aufgaben und Verantwortung, das war keine kommerzielle Sache, sondern - auch damals schon gefühlt - eine soziale. An den Aufgaben, die er mir stellte, konnte ich mich beweisen und festigen, Selbstvertrauen gab es auch für viele andere in dieser scheinbar chaotischen Werkstatt als Lohnbestandteil. Probleme, die gelöst werden mussten, verteilte Heiner als Chef dann so vertrauensvoll, dass man daran wachsen konnte, so verantwortungsvoll, dass man nicht daran scheiterte. Auch wenn Heiner Moers selbst von der Gemeinschaftsleistung der Werkstatt lebte, hatte ich immer den Eindruck, dass er mehr gab als nahm. Den wirklich entscheidenden Nutzen aus der Zeit bei ihm zog ich selbst. Er hat mich in die Spur gebracht, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich danke ihm dafür aus tiefstem Herzen, und mit seinem Tod habe ich einen Vater verloren, den ich in früher Zeit wirklich nötig hatte. Danke, Heiner!
Dirk Groll
 
Rainer Kippe (*1944) ist Dipl.Sozialarbeiter, Mitbegründer der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK) und später der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM), in der er heute noch lebt und arbeitet. Mehr über dieses selbstverwaltete Projekt unter www.ssm-koeln.org/




Online-Flyer Nr. 287  vom 02.02.2011

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