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Inland
Sogar Streikbruch durch Bundeswehrreservisten ist möglich
Abschaffung der Wehrpflicht - ein Betrugsmanöver
Von Ulrich Sander
Am 24.März wurde vom Deutschen Bundestag auf Antrag der Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht verfügt. Es wurde dabei der Eindruck erweckt, die Wehrpflicht gelte künftig nicht mehr. Tatsächlich wird jedoch allenfalls vorübergehend darauf verzichtet, Wehrpflichtige einzuberufen. Die Wehrpflicht der Jahrgänge 1951 bis 1990 bleibt bestehen. Und es sollen mit großem Aufwand freiwillige Dienstleistende geworben werden, sodass die Einsparungen aus der Wehrreform, von denen oft geredet wurde, in den Sternen stehen. Die Bundeswehr wird zunächst einmal teurer.
Wehrersatzdienst bei der Feuerwehr? - Werbung bei der Feuerwehr in Burgkunstadt
Quelle: http://feuerwehr-burgkunstadt.com
Sie wird aber auch größer. Denn die letzte Änderung des Wehrpflichtgesetzes, jene vom 17. Februar 2005, wird im öffentlichen Diskurs nicht mitbedacht. Damals wurde des Nachts und ohne Aussprache das "Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes" beschlossen. Kern dieses Gesetzes sind die Anhebung des Alters von bisher 45 auf nunmehr 60 Jahre, bis zu dem Reservisten einberufen werden können, und der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes. Fast ohne Berichterstattung der Medien ging diese Beschlussfassung im Bundestag über die Bühne. Ihre heutige Auswirkung: Die Bundeswehr wird mit der Aussetzung der Wehrpflicht nicht kleiner, sondern größer. Und die Wehrpflicht ist jederzeit rückholbar, und für die Reservisten bleibt sie ohnehin gültig. Obwohl es für Frauen keine Wehrpflicht gab, werden die weiblichen Reservisten nun gleich rückwirkend mit vereinnahmt. Auch sie sollen Wehrübungen ableisten, wenn sie bis 2010 ausgeschieden sind. Und "Wehrübung", das heißt nicht etwa Üben, sondern Kämpfen. Die Bundesregierung schrieb in die Begründung für die Änderung des Wehrpflichtgesetzes vom 24. März hinein: Reservistinnen und Reservisten machen dasselbe wie Aktive, und dies im In- und Ausland und zwar in einer Armee des Einsatzes. Also im Krieg.
Und dies geschieht nicht etwa freiwillig. Die Regierung schrieb an den Bundestag: „Ein Rückgriff auf Reservistinnen und Reservisten soll zur Bewältigung von Krisensituationen ohne deren Zustimmung möglich bleiben.“
An einsatzfähigen Reservisten gibt es derzeit rund 1,2 Millionen. Für 94.000 von ihnen ist ständig ein "Arbeitsplatz" bei der Bundeswehr vorhanden. Somit sinkt mit der Bundeswehrreform die Zahl der Soldaten nicht auf 185.000, wie uns weisgemacht werden sollte, sondern sie steigt auf rund 280.000. Doch darüber wird nicht berichtet.
Petra Pau (eine der beiden PDS-MdBs, die es damals gab), führte in ihrem schriftlich eingereichten Debattenbeitrag im Februar 2005 aus: „Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. ... Hinzu kommt: Mit § 6c des vorliegenden Gesetzentwurfes wollen Sie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten. Sie weisen Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu."
Ex-Verteidigungsminister Franz Josef
Jung: „Jederzeit und an jedem Ort
unseres Landes Hilfe und Unterstützung
leisten!"
NRhZ-Archiv
Zwei Jahre später meldete die Bundeswehrzeitschrift "Y": „Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf." Sie zitierte den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung: „Die flächen-deckende Einführung der Zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unserer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann." Zu den Unterstützungsleistungen - das wissen wir heute - gehört das, was eine Antwort der Bundesregierung an die LINKE im Bundestag vom 28.8.09 besagte: Zumindest im öffentlichen Dienst steht Streikbruch mittels Bundeswehr auf der Tagesordnung. Die bestehenden 450 ZMZ-Kommandos in allen Großstädten und Landkreisen kommen auch bei Demonstrationen zum Einsatz. Der Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht ausgeschlossen - eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten". (laut BT-Drucksache 16/13847 und Pressemitteilung von Ulla Jelpke vom 1. September 2009).
Ulla Jelpke: „Alle Optionen
für den Militäreinsatz im
Inneren offen"
NRhZ-Archiv
Die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Ulla Jelpke dazu: „Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstruk- turen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus."
Den Interventionen der Bundeswehr im Ausland folgen die im Inland. Guttenbergs und de Maizieres Bundeswehrreform sollte auf starken Widerspruch bei der Gewerkschafts- und Friedensbewegung stoßen. Vor allem sollten die Friedens- und die Gewerkschaftsbewegung sich endlich einbringen in diese "Reformdiskussion“. Der Satz in der Erklärung des DGB zum Antikriegstag 1. September 2010, man sei für den Erhalt der Wehrpflicht, weil sonst eine Berufsarmee als Staat im Staat drohe, ist ein unzureichender Debattenbeitrag. Denn die Wehrpflicht sollte durchaus in Frage gestellt werden und zwar als Beitrag in Richtung auf eine Demilitarisierung Deutschlands, wie sie uns 1945 völkerrechtlich auferlegt wurde.
Denn Experten haben längst festgestellt, dass die Aktivitäten der Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen, vor allem aber auch im Innern der Republik verfassungswidrig sind (Heribert Prantl SZ, 25. 01.10). Das müsste eigentlich dazu führen, dass für ein derart verfassungswidriges Unternehmen nicht auch noch an Schulen geworben werden darf. Doch der sich häufende Bundeswehreinsatz an Schulen ist längst Teil einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft. Nur scheinbar steht dem die Änderung am System der Wehrpflicht entgegen.
Auf allen Ebenen der Republik fallen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei. Am von Schäuble begründeten und seinen Nachfolgern weiter gebauten Überwachungsstaat und seinem Schnüffelsystem ist die Bundeswehr beteiligt.
Militarisierung und Demokratieabbau nach innen und ständige kriegerische Einsatzbereitschaft nach außen – dafür steht die Bundeswehr. Paul Schäfer von der LINKEN machte in der Debatte zum Wehrdienstgesetz auch darauf aufmerksam: Die Soldatinnen und Soldaten „sollen jetzt auch noch unser wirtschaftliches Interesse an billigen Rohstoffen und Ressourcen durchsetzen.“ Doch was heißt hier: „unser“? (PK)
Ulrich Sander ist NRW-Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)
Online-Flyer Nr. 298 vom 20.04.2011
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Sogar Streikbruch durch Bundeswehrreservisten ist möglich
Abschaffung der Wehrpflicht - ein Betrugsmanöver
Von Ulrich Sander
Am 24.März wurde vom Deutschen Bundestag auf Antrag der Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht verfügt. Es wurde dabei der Eindruck erweckt, die Wehrpflicht gelte künftig nicht mehr. Tatsächlich wird jedoch allenfalls vorübergehend darauf verzichtet, Wehrpflichtige einzuberufen. Die Wehrpflicht der Jahrgänge 1951 bis 1990 bleibt bestehen. Und es sollen mit großem Aufwand freiwillige Dienstleistende geworben werden, sodass die Einsparungen aus der Wehrreform, von denen oft geredet wurde, in den Sternen stehen. Die Bundeswehr wird zunächst einmal teurer.
Wehrersatzdienst bei der Feuerwehr? - Werbung bei der Feuerwehr in Burgkunstadt
Quelle: http://feuerwehr-burgkunstadt.com
Sie wird aber auch größer. Denn die letzte Änderung des Wehrpflichtgesetzes, jene vom 17. Februar 2005, wird im öffentlichen Diskurs nicht mitbedacht. Damals wurde des Nachts und ohne Aussprache das "Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes" beschlossen. Kern dieses Gesetzes sind die Anhebung des Alters von bisher 45 auf nunmehr 60 Jahre, bis zu dem Reservisten einberufen werden können, und der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes. Fast ohne Berichterstattung der Medien ging diese Beschlussfassung im Bundestag über die Bühne. Ihre heutige Auswirkung: Die Bundeswehr wird mit der Aussetzung der Wehrpflicht nicht kleiner, sondern größer. Und die Wehrpflicht ist jederzeit rückholbar, und für die Reservisten bleibt sie ohnehin gültig. Obwohl es für Frauen keine Wehrpflicht gab, werden die weiblichen Reservisten nun gleich rückwirkend mit vereinnahmt. Auch sie sollen Wehrübungen ableisten, wenn sie bis 2010 ausgeschieden sind. Und "Wehrübung", das heißt nicht etwa Üben, sondern Kämpfen. Die Bundesregierung schrieb in die Begründung für die Änderung des Wehrpflichtgesetzes vom 24. März hinein: Reservistinnen und Reservisten machen dasselbe wie Aktive, und dies im In- und Ausland und zwar in einer Armee des Einsatzes. Also im Krieg.
Und dies geschieht nicht etwa freiwillig. Die Regierung schrieb an den Bundestag: „Ein Rückgriff auf Reservistinnen und Reservisten soll zur Bewältigung von Krisensituationen ohne deren Zustimmung möglich bleiben.“
An einsatzfähigen Reservisten gibt es derzeit rund 1,2 Millionen. Für 94.000 von ihnen ist ständig ein "Arbeitsplatz" bei der Bundeswehr vorhanden. Somit sinkt mit der Bundeswehrreform die Zahl der Soldaten nicht auf 185.000, wie uns weisgemacht werden sollte, sondern sie steigt auf rund 280.000. Doch darüber wird nicht berichtet.
Petra Pau (eine der beiden PDS-MdBs, die es damals gab), führte in ihrem schriftlich eingereichten Debattenbeitrag im Februar 2005 aus: „Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. ... Hinzu kommt: Mit § 6c des vorliegenden Gesetzentwurfes wollen Sie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten. Sie weisen Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu."
Ex-Verteidigungsminister Franz Josef
Jung: „Jederzeit und an jedem Ort
unseres Landes Hilfe und Unterstützung
leisten!"
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Ulla Jelpke: „Alle Optionen
für den Militäreinsatz im
Inneren offen"
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Den Interventionen der Bundeswehr im Ausland folgen die im Inland. Guttenbergs und de Maizieres Bundeswehrreform sollte auf starken Widerspruch bei der Gewerkschafts- und Friedensbewegung stoßen. Vor allem sollten die Friedens- und die Gewerkschaftsbewegung sich endlich einbringen in diese "Reformdiskussion“. Der Satz in der Erklärung des DGB zum Antikriegstag 1. September 2010, man sei für den Erhalt der Wehrpflicht, weil sonst eine Berufsarmee als Staat im Staat drohe, ist ein unzureichender Debattenbeitrag. Denn die Wehrpflicht sollte durchaus in Frage gestellt werden und zwar als Beitrag in Richtung auf eine Demilitarisierung Deutschlands, wie sie uns 1945 völkerrechtlich auferlegt wurde.
Denn Experten haben längst festgestellt, dass die Aktivitäten der Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen, vor allem aber auch im Innern der Republik verfassungswidrig sind (Heribert Prantl SZ, 25. 01.10). Das müsste eigentlich dazu führen, dass für ein derart verfassungswidriges Unternehmen nicht auch noch an Schulen geworben werden darf. Doch der sich häufende Bundeswehreinsatz an Schulen ist längst Teil einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft. Nur scheinbar steht dem die Änderung am System der Wehrpflicht entgegen.
Auf allen Ebenen der Republik fallen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei. Am von Schäuble begründeten und seinen Nachfolgern weiter gebauten Überwachungsstaat und seinem Schnüffelsystem ist die Bundeswehr beteiligt.
Militarisierung und Demokratieabbau nach innen und ständige kriegerische Einsatzbereitschaft nach außen – dafür steht die Bundeswehr. Paul Schäfer von der LINKEN machte in der Debatte zum Wehrdienstgesetz auch darauf aufmerksam: Die Soldatinnen und Soldaten „sollen jetzt auch noch unser wirtschaftliches Interesse an billigen Rohstoffen und Ressourcen durchsetzen.“ Doch was heißt hier: „unser“? (PK)
Ulrich Sander ist NRW-Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)
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