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Globales
Staatsterrorismus versus Privatterrorismus – Terroristen unter sich
Lynchmord Obamas an Osama
Von Jürgen Rose

Daß es im Mutterland des raubtierhaften Neoliberalismus um Arbeitnehmerrechte nicht gerade zum Besten steht, war seit langem allgemein bekannt. Gleichwohl muß die ungemein rüde, um nicht zu sagen: bestialische Art und Weise frappieren, in der sich die Administration des Friedensnobelpreisträgers Barack Hussein Obama pikanterweise genau am 1. Mai – dem Tag der Arbeit! – desjenigen ehemaligen Mitarbeiters ihres Geheimdienstes CIA entledigt hat, der abtrünnig geworden zum meistgesuchten Terroristen dieses Planeten mutiert war. Die Rede ist selbstverständlich von jenem Osama Bin Laden und seiner Truppe, die von den USA selbst in die Welt gesetzt worden waren, wie Hillary Rodham Clinton höchstselbst zugegeben hat.
 
Wortwörtlich gab die amtierende US-Außenministerin in einem Interview, das sie am 7. November letzten Jahres im australischen Melbourne Seit‘ an Seit‘ mit Kriegsminister Robert Gates in der Sendung "ABC‘s Nightline“ bestritten hatte, zu Protokoll: "Part of what we are fighting against right now, the United States created. We created the Mujahidin force against the Soviet Union. We trained them, we equipped them, we funded them, including somebody name Usama bin Ladin.“ ("Ein Teil dessen, wogegen wir momentan kämpfen, haben die USA selbst kreiert. Wir erschufen die Mudjahedin-Streitmacht gegen die Sowjetunion. Wir bildeten sie aus, wir rüsteten sie aus und wir finanzierten sie, einschließlich eines gewissen Usama bin Ladin“).
 
Dieser Aspekt eines hausgemachten Terrorismus wird in den Berichten und Kommentaren über jene "Operation Neptune‘s Spear“, die eine unter dem Rubrum "United States Naval Special Warfare Development Group“ speziell zur militärischen Terrorismusbekämpfung eingesetzte US-Sondereinheit im pakistanischen Abottabad ausgeführt hatte, geflissentlich unterschlagen. Ein besonders schlagendes Beispiel solcher Desinformation lieferte die Wochenzeitung Der Freitag mit einem aus dem englischen Guardian übernommenen Artikel, in dem sich gleich zwei haltlose Behauptungen finden, nämlich erstens, daß es sich um eine "Legende“ handele, wenn gesagt würde, daß "Al Qaida aus Männern bestünde, welche von der CIA in den achtziger Jahren für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan ausgebildet wurden und sich dann gegen ihre Lehrmeister gewandt hätten", und zweitens: "Osama bin Laden wurde nicht von der CIA erschaffen, wie später oft behauptet“. Ob die Autoren Jason Burke und Lawrence Joffe die US-Außenministerin damit tatsächlich der Lüge zeihen wollen?
 
Ungemein treffend und zugleich entlarvend war der Umstand, daß dem Ziel, das es zu liquidieren galt, der Codename "Geronimo“, eines berühmt-berüchtigten Indianerhäuptlings, der zäh und gerissen über lange Jahre hinweg mit seinen Apachenkriegern einen Guerillakrieg gegen die US-Kavallerie geführt hatte, zugeteilt worden war. Unwillkürlich offenbart sich in dieser Namenswahl die bis zum heutigen Tage in der weißen US-Gesellschaft latent fortwirkende Perzeption der indigenen Urbevölkerung. Denn gemäß heutzutage gültiger Terminologie waren jene blutrünstigen Indianer, welche geradezu fanatisch an ihrer traditionellen Lebensweise festhalten wollten und sich den ihnen vom weißen Mann dargebrachten Segnungen der Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft gewalttätig zu widersetzen wagten, selbstverständlich ebenso Terroristen, wie derzeitig die "Sandnigger“, "Lumpenköpfe“ und "Djihadisten“ in der islamischen Welt.
 
"Geronimo EKIA!“ (Enemy Killed In Action – Feind im Kampf getötet), so lautete die Meldung an den Oberbefehlshaber, nachdem das Sonderkommando der Navy SEALs seinen Lynchmord am Staatsfeind Nummer eins verübt hatte. Sagte ich Lynchmord? Zum Thema Lynchjustiz findet sich im Brockhaus folgender Eintrag: „gesetzwidriges Töten oder Mißhandeln eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) Täters ohne gerichtliches Verfahren, meist durch eine erregte Menge; ursprünglich ein Zeichen für fehlende Durchsetzungskraft staatlicher Strafrechtspflege“.
 
Das beschreibt den in Rede stehenden Vorgang ziemlich präzise. Zwar hatte der im Weißen Haus residierende Texaner George W. Bush unmittelbar nach 9/11 in der althergebrachten Tradition US-amerikanischer Kopfgeldjäger getönt, daß er Bin Laden "tot oder lebendig“ haben wolle, doch hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 1373 vom 28. September 2001 anderes beschlossen, nämlich, daß "alle Staaten sicherstellen werden, daß alle Personen, die an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen oder an deren Unterstützung mitwirken, vor Gericht gestellt werden,…“ Von einer Lizenz zum "Abknallen von Mördern“ wie der Chefredakteur des Westdeutschen Rundfunks, Jörg Schönenborn, in seinem bemerkenswerten Tagesthemen-Kommentar vom 2. Mai so treffend anmerkte, konnte demnach keine Rede sein. Den vormaligen Jura-Professor Obama vermochte dies nicht im Geringsten zu kratzen, hatte er doch schon im Wahlkampf 2008 geschworen: "Wir werden Bin Laden töten“.
 
Und so geschah’s denn auch – gemeinsam mit einigen Getreuen sowie seinem Sohn wurde der unbewaffnete Chefterrorist ohne viel Federlesens von einem Kommando uniformierter Mörder im staatlichen Auftrag exekutiert. Der sogenannte Justizminister der USA, Eric Holder, legitimiert diese Vorgehensweise damit, daß es "rechtmäßig sei, einen feindlichen Kommandeur im Feld ins Visier zu nehmen“. Zum Zwecke der Rechtfertigung einer extralegalen Hinrichtung wird dem Al Qaida-Chef post mortem flugs das zugebilligt, was ihm und seinen Gefolgsleuten bis dato verwehrt worden war, nämlich der Status eines rechtmäßigen Kombattanten in einem bewaffneten Konflikt. Da darf man ausgesprochen gespannt sein, ob die Insassen der in Guantanamo, Bagram und anderswo unterhaltenen KZs fürderhin gemäß Kriegsvölkerrecht als Kriegsgefangene behandelt werden.
 
Davon abgesehen ließe sich einwenden, daß OBLs Henker ihn ja lediglich gemäß eben jener Maxime behandelt hätten, die er selbst zuvor seinen Terrorakten zugrundegelegt hatte, nämlich daß es erlaubt sei, zu politischen Zwecken gesetzeswidrig Menschen, gleich ob schuldig oder unschuldig, zu töten, und demzufolge mit seiner Liquidierung in der Tat, wie US-Präsident Obama sich ausdrückte, "der Gerechtigkeit Genüge getan“ worden wäre. Wer so argumentiert, muß sich dann allerdings auch bewußt sein, daß er lediglich den Teufel des Privatterrorismus eines Osama mit dem Beelzebub des Staatsterrorismus á la Obama austreibt – mag ein Buchstabe noch eine marginale Differenz der beiden markieren, so ist doch ihr moralisches Niveau allemal dasselbe, nämlich schlicht bodenlos. Dasselbe trifft, nur am Rande bemerkt, auf eine Bundeskanzlerin zu, die sich in nachgerade widerwärtiger Niedertracht kundzutun bemüßigt fühlte, sie "freue sich, daß es gelungen ist, Bin Laden zu töten“.
 
Freilich läßt sich selbst solch erbarmungswürdige Armut an Geist und Moral noch unterbieten, wie der einschlägig bekannte Henryk M. Broder mit seiner Schmutztirade beweist, die er am 8. Mai in der Welt am Sonntag abgesondert hat. "Ihr feigen Deutschen!“ krakeelt dieser unbeschreiblich dumme Mensch und insinuiert, jene seien "keine Pazifisten, sondern nur faul, feige und passiv-aggressiv. Vom ständigen Gefühl der eigenen Unterlegenheit geplagt, gönnen sie anderen keine Demonstration der Überlegenheit“. Ganz im Gegensatz zu Broders pseudo-intellektueller Sudelei zeugt es von der tatsächlichen Lernfähigkeit einer Nation, wenn sie angesichts der verheerenden Erfahrungen, die sie im Zuge ihrer eigenen von Größenwahn geprägten Versuche, anderen Völkern Dominanz zu beweisen, in der jüngeren Vergangenheit gesammelt hat, den Überlegenheitsdemonstrationen einer Supermacht, die sich vornehmlich in habituellem Völkerrechtsbruch einhergehend mit massenhaftem Morden manifestieren, rein gar nichts abzugewinnen vermag.
 
Es sei, so schrieb der große Karl Kraus dereinst in seiner "Fackel“, die "schmutzige Zumutung der Macht an den Geist: Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht und Tollwut für Vernunft zu halten“. Eine Macht stellt Henryk M. Broder nun wahrlich nicht dar, aber eine Zumutung allemal. (PK)
 
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung "Darmstädter Signal“.


Online-Flyer Nr. 301  vom 09.05.2011

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