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Arbeit und Soziales
Jobcenter-Verantwortliche verweigern die Rechenschaftslegung
(K)Ein Zahltag
Von Markus Omar Braun
Als die Deutsche Christy Schwundeck am 19. Mai zum Jobcenter Gallus in Frankfurt am Main aufbrach, fehlte ihr wohl jegliches Geld. Für sie sollte das ihr letzter Tag sein: Ihre Auseinandersetzung im Jobcenter um die ausbleibende Zahlung endete mit den Polizeischüssen auf sie und ihrem Tod im Krankenhaus am gleichen Tage. (1) Die afrikanische Gemeinschaft in Frankfurt und Umgebung, aber auch die Erwerbsloseninitiativen, zeigen sich immer noch erschüttert und aufgebracht. (2)
Rechthaber vom (öffentlichen) Dienst
Gedenken an ChristySchwundeck
Ferner meinte man behördlich-erseits aufs "Deeskalations-training" verweisen zu können, welches von 700 Mitarbeitern bereits absolviert worden sei. Dessen Maßnahmen seien im vorliegenden Fall alle korrekt angewandt worden, meinte Huth feststellen zu müssen. Wer diese Untersuchung nach welchen Kriterien durchgeführt hatte und ob damit eine unparteiische Stelle beauftragt worden war, interessierte dann offensichtlich weder Podium noch angereiste Presse. Unsachliche Frage, wahrscheinlich. So behält die ganze Affäre um die Umstände des Todes von Christy Schwundeck den schlechten Geschmack, den sie von Anfang an hatte, und den z.B. die Presseerklärung des "braunen mobs" (4) zu Recht beklagt und eingehend seziert. Nicht nur am 8. Juni auf der Pressekonferenz, sondern immer noch und mehr denn je nach dem Schweigen auf die bohrenden Fragen der Demonstration vom 18. Juni.
"Zahltag"-Galerie in Köln
Da die Behördenseite für ihre der Wirklichkeit hohnsprechende Sicht keiner konkreten Belege bedarf, sondern unbelegt Einzelfälle zitiert, wird dem gleichen Verfahren von Seiten der Erwerbsloseninitiativen und Anwälte der Betroffenen nichts entgegenzusetzen sein. Hier lehrt einen der Blick ins Internet Schreckliches: Da werden nämlich alltäglich unabweisbare Nöte von Betroffenen eiskalt abgewiesen, mit dem sachlich falschen Hinweis auf das Sozialrecht. So war wohl auch die Auszahlung der von Christy Schwundeck verlangten Summe nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich für das Jobcenter verpflichtend. (10) Deshalb ist es wohl mehr als ein starkes Stück, wenn der Versuch der Kriminalisierung von Christy Schwundeck, die sitzen bleiben wollte, bis sie das benötigte Geld erhielt, wie erwähnt, in der Pressekonferenz als Teil einer "Deeskalation" gewertet wurde, deren "[...]Stufen ... richtig angewandt" (Huth) worden seien.
NRhZ-Archiv
Online-Flyer Nr. 308 vom 29.06.2011
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Arbeit und Soziales
Jobcenter-Verantwortliche verweigern die Rechenschaftslegung
(K)Ein Zahltag
Von Markus Omar Braun
Als die Deutsche Christy Schwundeck am 19. Mai zum Jobcenter Gallus in Frankfurt am Main aufbrach, fehlte ihr wohl jegliches Geld. Für sie sollte das ihr letzter Tag sein: Ihre Auseinandersetzung im Jobcenter um die ausbleibende Zahlung endete mit den Polizeischüssen auf sie und ihrem Tod im Krankenhaus am gleichen Tage. (1) Die afrikanische Gemeinschaft in Frankfurt und Umgebung, aber auch die Erwerbsloseninitiativen, zeigen sich immer noch erschüttert und aufgebracht. (2)
Von offizieller Seite findet man bisher nur Schweigen, wie von der Oberbürgermeisterin Petra Roth oder dem für Hartz-IV in der Arbeits-agentur zuständigen Heinrich Alt, oder selbstgefällige Äuße- rungen, ganz wie in der Pressekonferenz des Jobcenter Frankfurt vom 8. Juni. (3) Leider trifft auf die Haltung des "Establishment", also von Politik, Behörden und Monopolmedien, im Wesentlichen immer noch folgende Charakterisierung zu: "Erschießung anscheinend völlig unproblematisch" (Titel der Presseerklärung von "der braune mob e.V."). (4) Vor ihrer Pressekonferenz am 8. Juni in Frankfurt hatte die Geschäftsführerin des Jobcenter Frankfurt, Frau Czernohorsky-Grüneberg, sich anscheinend noch einmal schnell den Titel eines sozialpsychologischen Buches gemerkt: "Mistakes were made – but not by me!" - "Manche haben Fehler gemacht, ich aber nicht!"
Kriminalisierung von Bedürftigen
Dazu hat sie wohl noch schnell den Titel der deutschen Übersetzung desselben Buches kombiniert: "Ich habe recht, auch wenn ich mich irre!". So jedenfalls muss man nach den Meldungen der Presse über jenes Desinformationsereignis schließen. (5) Nachdem Frau Czernohorsky-Grüneberg rassistische Dimensionen bei der Behandlung der Jobcenter-Klienten auf eine Art ausgeschlossen hatte, die eher das Gegenteil vermuten ließ, schritt sie dann im Verein mit ihren ebenfalls anwesenden Vorgesetzten zur umfassenden Kriminalisierung der gesamten Kundschaft. (6) Diese Methode brauchte gar nicht erst erfunden zu werden. Im mittlerweile berüchtigten Hartz-IV-Komplex deutscher Sozialbehörden wird diese lange schon flächendeckend angewandt, zuletzt von ihrem Ober-Beamten, Heinrich Alt vom Vorstand der Arbeitsagentur. (7) Insgesamt können aber viele Erwerbslose auch von ganz praktischen Versuchen berichten, die Polizeikeule gegen mündig auftretende Erwerbslose und deren Initiativen zu schwingen. (8)
Das Amt konstruiert seine Beweise selber
Als der Reporter der Frankfurter Rundschau Frau Czernohorsky-Grüneberg offensichtlich um Belege für ihre Behauptung einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Jobcenter-Kunden bat, musste sie passen. (9) Auch sonst kam die Diskussion seitens des Podiums, also besagter Geschäfts(ver)führerin, der Sozialdezernentin der Stadt, Daniela Birkenfeld (CDU) und des örtlichen Leiters der Arbeitsagentur, Karl-Heinz Huth, anscheinend ohne Belege oder Beweise aus. Stattdessen machte man die eigene (Definitions-)Macht und (Diskussions-)Hoheit zur Gelegenheit der Selbstheiligung durch Beschimpfung der Kunden. Indem herauf und herunter noch die Idee von Sicherheitsschleusen und ähnlichem Sicherheitsmumpitz ventiliert und zugleich "großzügig" als eigentlich unpassend (wenn doch nötig...) vorerst verabschiedet wurde, sollte eines klargestellt werden: Bei uns funktioniert alles, nur die Kunden sind nicht gescheit. Dazu hatte man noch eine Untersuchung bereit (nur nicht gerade greifbar), welche die gleichen zum Problem ernannten Kunden dem Jobcenter das Vertrauen aussprechen ließ. Die lieben Kunden, gerade noch ein Problem, gleich darauf zum Berufungstitel befördert!
Jede Eskalation noch zur Deeskalation umgelogen
Gedenken an ChristySchwundeck
NRhZ-Archiv
Jobcenter 2011 – schlimmer als ein Winkeladvokat
Also bleibt den Betroffenen, die wie Christy Schwundeck am 19. Mai tagtäglich das Opfer nicht nur der neoliberalen Hartz-IV-Gesetzgebung, sondern vor allem auch ihrer illegalen selektiven Umsetzung durch die lokalen Jobcenter werden, auf die zigtausend Skandale aufmerksam zu machen, die jährlich in deutschen Jobcentern geschehen.
"Zahltag"-Galerie in Köln
NRhZ-Archiv
"...lasst alle Hoffnung fahren!" (Dante)
Diese Form von "Deeskalation" kennen Erwerbslose und ihre Initiativen schon zu Genüge. Weidlich wird von Jobcenter-Mitarbeitern landauf landab der Macht- und Wissensvorteil genutzt, um die Bedürftigen regelmäßig um die sowieso gering bemessenen Rechte nach SGB II zu bringen. Ausgenutzt wird dabei ferner, dass für manche "Freundlichkeiten" bei der Kundenbehandlung nachher keine Zeugen existieren. Da kann manchmal auch gelogen und genötigt werden, wie bereits bei so manchem Betroffenen geschehen: "Wenn Sie der 'Maßnahme' nicht jetzt, hier und auf der Stelle zustimmen, werde ich Sie sanktionieren!" gehört hier leider zu den Evergreens, die Jobcenter-Kunden so oder so ähnlich zu berichten haben. So ist auch schriftlich von Jobcentern nur ganz schwer eine verständlich begründete Stellungnahme zu erhalten, sowohl im individuellen Fall als auch in allgemeinen Belangen.
Insofern waren Czernohorsky-Grüneberg et coll. auf der Pressekonferenz in entscheidenden Fragen nur so nebulös wie ihre Chefs im Römer und Berlin – und ihre Behörde jeden Tag. Dagegen gibt es seit Jahren bei Erwerbsloseninitiativen das Programm "Zahltag": Ehrenamtliche Sozialberater klären vor Ort in einer gemeinsamen Aktion über die Notwendigkeit einer Begleitung der Antragsteller durch einen Zeugen auf und bieten eine solche Begleitung auch gleich an. (11)
Für einen bundesweiten "Zahltag"
NRhZ-Archiv
Hätte Christy Schwundeck an jenem Tage eine kompetente Begleitung gehabt, so wäre wohl davon auszugehen, jedenfalls nach Erfahrungen vieler Sozialberater, dass die Behörde nicht durch einen Anruf bei der Polizei, sondern die erwünschte Auszahlung der dringend benötigten 10 Euro "deeskaliert" hätte. Wenn! Auf jeden Fall ist die Faktenlage geeignet, sowohl kritische Medien als auch Bürgerinitiativen auf echter Aufklärung des Falles bestehen zu lassen. (2) Hier könnte auch die bewusste Anwendung der Aktionsform des "Zahltages" bundesweit vor Jobcentern dazu dienen, eine Vertuschung des Skandals um den Tod von Christy Schwundeck zu verhindern. "Zahltag" sollte vor deutschen Jobcentern noch viel häufiger stattfinden als bisher, jetzt ganz aktuell auch mit den legitimen Forderungen nach Aufklärung und Reform aufgrund des Todes von Christy Schwundeck. (PK)
(1) Der Gatte, Peter Schwundeck, zu seiner Sicht der Hintergründe:
Die Neue Rheinische Zeitung berichtete: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16540
(2) Vgl. die Website der Initiative Christy Schwundeck:
Die Initiative Christy Schwundeck hielt am 18. Juni in Frankfurt eine gut besuchte und unter den Passanten viel und mit Interesse beobachtete Kundgebung ab:
Die Initiatve braucht für ihre Arbeit nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Geld:
(3) Ein erster Bericht über die Pressekonferenz in der NrhZ:
(4) "der braune mob e.V." ist eine Vereinigung farbiger Mitbürger, die sich primär die Überwachung der Öffentlichkeit und der Medien im Bezug auf nicht nur subtilen Rassismus erfolgreich auf die Fahnen geschrieben hat: http://www.derbraunemob.de/deutsch/index.htm
Ihre sehr lesenswerte Presseerklärung zum Tod von Christy Schwundeck und der leider völlig tendenziösen, unsachlichen und im wesentlichen entstellenden Darstellung des Falles in den Medien: http://blog.derbraunemob.info/2011/05/24/pressemitteilung-erschiesung-anscheinend-unproblematisch-ruge-der-medienberichterstattung-uber-tod-im-jobcenter-frankfurt/
Die Presseerklärung als pdf:
(5) Neben dem unter Anmerkung (3) zitierten Artikel gibt der Pressespiegel der Initiative Christy Schwundeck einen guten Überblick über die gesamte Presseberichterstattung. Die Berichte zur Pressekonferenz findet man unter den Daten 8. und 9. Juni:
(6) Siehe auch im Artikel unter Anmerkung (3).
Die angesprochene Kriminalisierung von Antragsstellern bei der Sozialbehörde dokumentiert sich vor allem in folgendem Artikel des Journal Frankfurt über die Pressekonferenz:
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(7) Da hat er es einmal mit den Selbständigen unter den Hartz-IV-Beziehern versucht:
(8) Ein unschönes Beispiel aus dem Jahre 2008/09 aus Köln:
bzw. in der Berichterstattung der Neuen Rheinischen Zeitung:
(9) Vgl. den Artikel in der FR vom 8. Juni 2011:
(10) Eine kleine Auswahl nur zum Fall:
Erfahrungen Schwarzer mit deutschen Beamten; das Interview mit Manga Diagne in der Jungen Welt: http://www.jungewelt.de/2011/06-03/027.php
Einschätzung des Falles nach Dr. Bernhard Schülke von der Initiative "Lucky Losers" in Frankfurt; ebenfalls ein Interview in der Jungen Welt: http://www.jungewelt.de/2011/05-24/021.php
Und einige Informationen von Roman Thilenius, ebenfalls Sozialberater im Rhein-Main-Gebiet, noch ein Interview der Jungen Welt: http://www.jungewelt.de/2011/06-15/026.php
Der folgende Artikel nicht nur zur verheerenden Pressekonferenz zitiert auch Roman Thilenius und außerdem Martin Behrsing aus Bonn: http://www.elo-forum.net/topstory/2011061328429.html
(11) Vgl. die allgemeinen Seiten bei labournet:
und beim elo-forum: http://www.elo-forum.net/?s=zahltag
bzw. bei den KEAs: http://www.die-keas.org/aktionen
Zuletzt zum Beispiel in Bonn: http://www.elo-forum.net/topstory/2011050217951.html
Das Buch zum Thema: Peter Nowak. Zahltag. Zwang und Widerstand – Erwerbslose in Hartz-IV. transparent – soziale krise. Unrast Verlag, Münster 2009, 7,80 Euro.
Das Buch auf der Website des Verlages: http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,324,7.html
Die Libri-Daten (für die Bestellung beim nicht-monopolistischen kleinen Buchhändler):
Vgl. auch die Berichte über die Aktionen vergangener Jahre im Rheinland:
2007 in Köln: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11450
(Anfang der Aktion in Köln)
(Interview u. Ankündigung)
(Bilder)
2007 in Köln-Mühlheim: http://www.die-keas.org/zahltag-2
2008 in Köln: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12373
2009 in Köln-Mühlheim: http://www.die-keas.org/kleiner-zahltag
2009 in Bonn:http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13746
2009 in Wuppertal: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14106
Der Autor, Jahrgang '67, seit 1999 Muslim (praktizierend), Diplom-Mathematiker, lebt zur Zeit in Frankfurt am Main.
Online-Flyer Nr. 308 vom 29.06.2011
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