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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Lokales
Landschaftsverband Rheinland muss seine Nachkriegsgeschichte aufarbeiten
1954 bis 1975 Nazi-Psychiatrie
Von Lothar Gothe

Vor der für November vorgesehenen Bundespreisverleihung zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, "Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte", wird schon am 18. Juli ab 11 Uhr die "Landespreisverleihung Nordrhein-Westfalen im Haus der Geschichte in Bonn an eine Gruppe Pulheimer SchülerInnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums stattfinden. Sie haben sich für ihren kritischen Text über das höchst umstrittene und deshalb geschlossene Landeskrankenhaus (LKH) Brauweiler unter anderem auf Erfahrungen und Veröffentlichungen von Lothar Gothe, Mitbegründer der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK), gestützt. Gothe hielt vor einigen Wochen vor dem Gesundheitsausschuss des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) einen Vortrag. – Die Redaktion
 

Ein Mausoleum für Lebende – Skulptur von Denis Stuart-Rose
 Foto: Lothar Gothe
 
Im Laufe von fast 20 Jahren Auseinandersetzung mit der Psychiatrie und besonders natürlich den LVR Einrichtungen hat sich bei mir umfangreiches Material angesammelt. Den größten Teil habe ich 2007 dem Köln-Archiv übergeben, dort wurde es von einem Historiker aufgearbeitet, um dann mit dem Stadtarchiv im Kölner U-Bahn-Korruptionsloch unterzugehen. Deshalb muß ich Jahreszahlen und andere Daten aus der Erinnerung wiedergeben, weshalb Irrtümer in Details möglich sind.
 
Seit der Verleihung des Rheinlandtalers an Kurt Holl vor ungefähr 3 Jahren habe ich die alte SSK-Forderung an den Landschaftsverband Rheinland (LVR) wieder aufgenommen, daß er seine Nachkriegsgeschichte aufarbeiten solle. Es geht darum, die Ursachen herauszufinden für massives Unrecht, welches tausenden Schutzbefohlenen in den LVR-Heimen und -Psychiatrien bis in die 80er Jahre zugefügt wurde. Der Vorsitzende der Landschaftsversammlung spricht selbst von „erlittener Pein, unvorstellbaren Schmerzen und grober Ungerechtigkeit“. Er hat mir angeboten, daß ich die Forderung vor diesem Ausschuss erläutern darf.
 

Vorsitzender der Enquete-
Kommission Prof. Dr.
Caspar Kulenkampff
Da ich hier vor dem sogenannten Gesundheits-ausschuss spreche, muß ich zu Beginn klarstellen, daß es dem SSK und auch mir in erster Linie nicht um eine "innermedizinische“ Auseinandersetzung ging und geht, nicht um alternative medizinische Behandlungsmethoden, obwohl wir natürlich Prof. Dr. Caspar Kulen-kampffs Reformen begrüßen und Verbesse-rungen durch die sogenannte gemeindenahe Psychiatrie nicht leugnen. Wie Kulenkampff sehen wir aber eine politische Ursache als Kern des Übels. Unser Hauptvorwurf war und ist, daß die universellen Menschenrechte der Insassen auch mehr als 30 Jahre nach dem 2. Weltkrieg ständig, massiv und systematisch verletzt wurden. Die Gründe dafür liegen bis heute im Dunkeln. Auch die Studie über Erziehungsheime mit dem unsäglich verharmlosenden Titel "Verspätete Modernisierung“ hat die Frage, warum das alles im Rechtsstaat Bundesrepublik so lange möglich war, nicht beantwortet.
 
Erschütternde Berichte von Psychiatrieinsassen
 
1969 zog ich mit anderen APO-Leuten ins Haus Salierring 41 ein. Weil wir auch Obdachlose in unserer Wohngemeinschaft übernachten ließen, kamen mehr und mehr entflohene Heimzöglinge und Psychiatrieinsassen. Ihre Berichte waren so erschütternd, daß wir sie zunächst für maßlose Übertreibungen hielten. Sie erzählten von schweren körperlichen Übergriffen, Demütigungen, sexuellem Mißbrauch, Zwangsarbeit, Freiheitsberaubungen und von der Unmöglichkeit, sich dagegen zu wehren. Derartige staatliche Gewalt und solche Rechtlosigkeit von Menschen kannten wir bis dato nur aus den Berichten von geflohenen Oppositionellen aus südamerikanischen oder afrikanischen Diktaturen oder eben aus dem Nazi-Reich. Die grausamen Einzelheiten sind heute längst bekannt, vielerlei Dokumentationen informieren darüber, damals geschah das alles im Verborgenen.
 
Wir Studenten hatten gegen die autoritären Strukturen der Ordinarienuniversität rebelliert und sahen uns nun auf einmal mit ganz anderen Formen von Unterdrückung konfrontiert; es verstand sich von selbst, daß wir den Flüchtlingen aus den "Gulags“ beistanden. So wurde diese Studentenkommune am Salierring zu einer Art Keimzelle des späteren SSK.
 
Sympathisch-harmloser Name
 
Es stellte sich heraus, daß hauptverantwortlich für die rheinischen Heime und Anstalten eine Mammutbehörde mit damals 12.000 Angestellten und Milliardenetat war mit dem sympathisch-harmlosen Namen Landschaftsverband. In der Öffentlichkeit fast unbekannt, unterlag diese Monsterverwaltung keiner unabhängigen Kontrolle und es stand ihr nicht ein demokratisch legitimiertes Parlament gegenüber. Das Prinzip der Gewaltenteilung war außer Kraft.
 
Das ist auch heute noch so. Es gibt keine direkte Wahl zur Landschaftsversammlung, die Mitglieder der Landschaftsversammlung werden vielmehr von den Stadträten und Kreistagen der rheinischen Kommunen bestimmt. Einige sind gar nicht, die anderen für ganz andere Parlamente gewählt worden, in denen Heimerziehung oder Psychiatrie kein Thema ist. In den wenigen jährlichen Sitzungen, zu denen Sie ein paar Mal im Jahr aus dem ganzen Rheinland für ein paar Stunden zusammenkommen, ist es unmöglich, eine wirksamen Kontrolle auszuüben, die Verwaltung hat eine erdrückende Übermacht. Wie wenig diese die Rechte des Parlaments achtet, zeigt sich auch daran, daß meine Schreiben an die Fraktionen regelmäßig nicht weitergeleitet, sondern von der Verwaltung selbst beantwortet wurden. Dieser demokratische Geburtsfehler besteht fort und begünstigt weiter Fehlentwicklungen.
 
Kurzer Rückblick auf die 70ger Jahre
 
Um die damaligen Zustände in den Landeskrankenhäusern zu beschreiben, beschränke ich mich auf Brauweiler als exemplarisches Beispiel. Im Zusammenhang mit unseren Vorwürfen und der Schließung der Anstalt gab es eine gerichtliche Auseinandersetzung über 5 Jahre hinweg, die schließlich mit einem für den LVR geradezu vernichtenden Urteil endete. Weder vorher noch nachher waren die Verhältnisse in den psychiatrischen Anstalten derart umfangreich mit zahlreichen Zeugen, Dokumenten und anderen Beweismitteln einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen worden.
 
Es ging um ein Flugblatt, welches der SSK nach der Aufsehen erregenden Schließung des Landeskrankenhauses Brauweiler verbreitet hatte und gegen das der LVR strafrechtlich und zivilrechtlich vorging, weil es massivste Vorwürfe erhob: „Daß nämlich die Schließung des LKH Brauweiler und die Strafversetzung von 3 Ärzten nicht etwa eine „überfällige Säuberungsaktion“ sei, sondern eine “raffinierte Vertuschung“: „Die feinen Herren vom Kennedyufer in Köln haben den Skandal gemacht, um die Katastrophe zu vermeiden. Der Skandal ist, daß Menschen wie Vieh gehalten werden können, mit Dämpfungsmitteln vollgestopft. Wer bei diesem Drogenmissbrauch stirbt, wird sang- und klanglos unter die Erde gebracht. Die Katastrophe wäre, wenn die ganze Wahrheit ans Tageslicht käme: Brauweiler ist nicht ein einzelner Missstand, denn in keinem anderen LKH ist es anders als dort. Dieser Missstand hat System. Und das wird vom LVR bestimmt und aufrechterhalten. Da werden die Lebensbedingungen der Patienten bestimmt, die Arbeitsbedingungen für das Personal, da sitzt die offizielle "Aufsicht“...“
 
Zunächst reagierte die Justiz, indem sie mich als Unterzeichner ohne weitere Nachprüfung per Strafbefehl wegen Beleidigung verurteilte. Im zivilrechtlichen Verfahren ließ das Landgericht die Äußerungen jedoch zu, soweit sie Brauweiler betrafen, untersagte aber die weitergehenden. Der Systemvorwurf bedeute ja im Grunde, die Euthanasie werde in den LVR-Anstalten fortgesetzt. Diese Behauptung könne nur dann zulässig sein, wenn Todesfälle und Übergriffe wie die im LKH Brauweiler für alle 16 LKH’s des LVR nachgewiesen würden. Das schien unmöglich. Juristen hielten das für aussichtslos. Aber unsere Empörung, angefacht durch immer neue Berichte und Hilfsgesuche an Beschwerdezentren und SSK, war so groß, daß wir Jahr für Jahr neue Beweismittel herbeischaffen konnten. Letztendlich wurde dieser ungeheure Vorwurf vom Oberlandesgericht zugelassen, weil er durch Fakten untermauert war. Der LVR stand als (Unrechts-) Staat im Staate da.
 
Über die Jahre jagte ein Skandal den nächsten: Brauweiler, Düren, Bonn usw. Keiner wurde vom LVR selbst oder der Landschaftsversammlung aufgedeckt. Im Gegenteil: Verdunkeln, Vertuschen, Hausverbote, Strafanzeigen gegen uns statt gegen seine eigenen Täter waren die üblichen Reaktionen. Mitte der 70er Jahre wurden uns 12 Doktorarbeiten der Universität Düsseldorf zugespielt: Die Doktoren hatten im LKH Grafenberg für eine Düsseldorfer Pharmafirma an Patienten, auch Zwangsuntergebrachten, eine Studie mit nicht zugelassenen Medikamenten durchgeführt und akribisch die qualvollen, teils lebensbedrohlichen Nebenwirkungen notiert. Die Herren wurden nicht zur Verantwortung gezogen, wohingegen in den Nürnberger Prozessen Ärzte verurteilt worden waren, weil sie ähnlich quälerische Versuche mit Meerwasser an KZ-Häftlingen durchgeführt hatten.
 
Der Stern veröffentliche Berichte von russischen Dissidenten über deren Mißhandlungen in den psychiatrischen Anstalten. Das Schlimmste sei, so hieß es dort, das "Medikament" Haldol, und sie beschrieben dessen schwere Nebenwirkungen. Was der KGB als Foltermittel importierte und einsetzte, war in den hiesigen Psychiatrien ein medizinischer Renner. Weil es geschmack- und geruchlos ist, ließ es sich unbemerkt in Getränken verabreichen. An Wochenenden war es Usus, daß Pfleger per "Bedarfsverordnung“ die Insassen mit einer Zusatzdosis "pflegeleicht“ machten. Während diese mit Blickstarre und aus dem Mundwinkel tropfenden Speichel im chemischen Nebel dahindämmerten, konnten jene in Ruhe Skat kloppen.
 
Ende der 70er Jahre rügte Amnesty International in seinem Jahresbericht die Bundesrepublik wegen Menschenrechtsverletzungen in den psychiatrischen Einrichtungen. Das zugrunde liegende Beweismaterial stammte überwiegend vom SSK, es betraf also in der Hauptsache die Anstalten des LVR. Spätestens da wäre es für den LVR angebracht gewesen, eine scharfe Zäsur durchzuführen, Ursachen für die katastrophalen Tatbestände zu erforschen und die Fehlentwicklungen offen zu legen. Unweigerlich wäre aber so das braune Netzwerk ans Tageslicht befördert worden. Man saß das aus, beließ die Leichen im Keller und die Kulenkampff-Epigonen wie Kukla und Köster arbeiteten weiter an der Psychiatrie-Reform, ohne den eigenmächtigen unkontrollierbaren Verwaltungsapparat anzugreifen und zu entmachten, an dem ihr Mentor ja nach eigener Auskunft gescheitert war. So aber stehen die Reformen auch heute auf tönernen Füßen, und es ist zu befürchten, daß sie nach und nach wieder einkassiert werden, wenn die Zeiten härter werden und es opportun erscheint, "Ballastexistenzen“ wieder kürzer zu halten.
 

Udo Klausa - erster Landesdirektor
des Landschaftsverbandes Rheinland
Das Haupthindernis für einen offenen Umgang mit der „jüngsten Vergan-genheit“ scheint mir in der Person des Udo Klausa zu liegen, der den LVR 21 Jahre lang autoritär geführt und geprägt hat. Bis heute steht er beim LVR auf einem Denkmal, an dem sich immer noch keiner zur rütteln traut. Das Tabu Klausa blockiert die historische Aufarbeitung der 50er, 60er und 70er Jahre, wie man auch an der Studie „Verspätete Modernisierung“ erkennen kann.
 
Unbestreitbar übte Klausa von 1954 bis 1975 einen beherrschenden Einfluß aus und regierte autokratisch den LVR unter souveräner Mißachtung des Parlaments. Ohne seine Person, seine Geisteshaltung und seine Vergangenheit zu erforschen, können die Ursachen des Nachkriegselends dort deshalb nicht aufgedeckt werden. Weil das bisher nicht geschah, will ich nun wenigstens versuchen, den ungeheuer schädlichen Einfluß dieser Person auf den Verwaltungsapparat, die Heime und die Psychiatrien anhand der mir vorliegenden, natürlich unvollständigen Informationen darzustellen. Dies kann deshalb nicht mehr sein als ein Anstoß für eine grundlegende historische Forschung, die längst überfällig ist.
 
Die Schlüsselrolle des Udo Klausa
 
Von 1954 bis 1975 war Udo Klausa ein fast unumschränkter Herrscher im LVR, den er „aus dem Nichts“ aufgebaut habe, so das LVR-Presseorgan "Neues Rheinland". Daß Klausa bis 1945 an hervorgehobener Stelle als Nationalsozialist und Wehrmachtangehöriger am Zustandekommen dieses "Nichts“ mitgewirkt hat, wird nicht erwähnt. Seine Biografie wird bis heute auf den Internetseiten des LVR geschönt und durch Weglassungen unerträglich verfälscht, auch wenn sich seine Nazikarriere nicht ganz verbergen läßt.
 
Einige Schlaglichter:
 
1926 sei der jugendliche Klausa als „glühender Nationalist“ in die illegale Reichswehr eingetreten. Als Untergrundkämpfer gegen die demokratische Regierung wäre er aber zutreffender als rechtsradikaler Militarist einzuordnen.
1933 sei er „auf dringendes Anraten eines Freundes“ in die NSDAP und die SA eingetreten. Das klingt, als sei er verführt worden. Was da so dringend gewesen sein könnte, bleibt im Dunkeln.
Von 1940 bis 45 war er Landrat im "Generalgouvernement", einem Landkreis im annektierten Polen. 1942 habe er sich zur Wehrmacht gemeldet, weil er von den Judendeportationen erfahren habe; das Landratsamt sei dann bis Kriegsende kommissarisch von seinen Stellvertretern ausgeübt worden. Das klingt fast schon nach Widerstandskämpfer! Heute ist jedoch längst historisch belegt (z.B. durch die Wehrmachtsausstellung), daß in jedem polnischen Landkreis gleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen die schlimmsten Verbrechen an der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung begangen wurden. Es wäre daher nicht einmal einem blinden und tauben Landrat möglich gewesen, nicht davon zu erfahren. Es ist kaum vorstellbar, das der Verwaltungschef nicht direkt oder indirekt an den Verbrechen in seinem Landkreis beteiligt war.
 
Damit diese haarsträubend beschönigende Legende notdürftig aufrecht erhalten werden kann, müssen andere "Leistungen“ Klausas verschwiegen werden. So erfahren wir nicht seinen militärischen Rang und den in der SA. Da er nach dem Krieg einen "Persilschein“ vom Wehrmachtskameraden Graf Baudissin vorlegen konnte, wird er wohl kaum wie sein damaliger Führer Hitler nur Gefreiter gewesen sein.
 
Vor allem bleibt unerwähnt, daß er 1938 beim Kohlhammerverlag die Hetzschrift "Rasse und Wehrrecht“ veröffentlicht hat. Damit hat er juristische Pionierarbeit für den Nationalsozialismus geleistet, da er dessen menschenverachtende Rassentheorie ins Wehrrecht eingearbeitet hat. Er forderte u.a. die „Aussonderung der Entarteten“, die ja dann auch einige Jahre später unter dem zynischen Begriff "Euthanasie“ grausam verwirklicht wurde. Ein solch lupenreiner nationalsozialistischer Schreibtischtäter kann sich natürlich schlecht auf Verführung oder Befehlsnotstand berufen - also unter den Teppich mit diesem Teil der Biografie!
 
Wenn der 21 Jahre lang regierende LVR-“Herr“ eine solche Vergangenheit hat, wundert es nicht, daß es beim "Gescherr“ kaum anders aussieht: So konnte der Euthanasiegutachter Friedrich Panse bis zur feierlichen Verabschiedung in die satte Pension durch Klausa beim LVR als Klinikchef Karriere machen und an der Düsseldorfer Universität Psychiaternachwuchs ausbilden. Als "T4-Verbrecher" hat er mindestens 15 Menschen in den Tod geschickt und traumatisierte Soldaten mit Elektroschocks geschunden.
 
Andere rheinische Klinikchefs, welche die ihnen anvertrauten Menschen selektierten und insgesamt tausende in die grauen Todesbusse schickten, unzählige andere sterilisieren ließen, wurden 1945 durch die Besatzungstruppen zum Teil in Haft genommen, aber später wegen „Befehlsnotstand“ von deutschen Gerichten freigesprochen. So z.B. der Grafenberger Direktor Sioli, den man als "Euthanasiehemmer“ einstufte, weil er prozentual weniger Patienten in den Gastod schickte als seine Kollegen! Nach diesem "Widerstandskämpfer“ ist noch heute ein Düsseldorfer Heim benannt.
 
Welch furchtbare Situation für überlebende Anstaltsinsassen und Heimzöglinge, wenige Jahre nach Kriegsende wieder mit dem alten Nazipersonal konfrontiert zu sein, vom Anstaltsdirektor bis zum Wärter! Welch eine Diskrepanz zur Aufarbeitung des "DDR-Unrechts“, wobei 20 Jahre nach dem Ende der DDR eine gewaltige Behörde immer noch akribisch nach jedem erbärmlichen Stasispitzel sucht, um ihn aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen!
 
Da der Landschaftsverband erst 1953 gegründet wurde, begünstigte dieser späte Zeitpunkt die Wieder- oder Neubeschäftigung belasteter Nazis. Es hat den Anschein, als wären im LVR im Vergleich zu anderen Behörden deutlich mehr belastete Nazis untergekommen. Das könnte die grundrechtswidrigen Verhältnisse erklären, die dort mehr als 30 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik vorzufinden waren, ausgerechnet in den staatlichen Einrichtungen, in welchen der Nazismus schlimmste Mordtaten verübt hatte.
 
Im Hausblatt "Neues Rheinland" immer wieder gerühmt
 
Anstatt aber diese Hintergründe offen zu legen und auch die Person des "letzten Preussen am Rhein“ auf der "Kommandobrücke“ kritisch zu hinterfragen, herrscht bis heute eine unglaublich devote und unterwürfige Haltung gegenüber Klausa vor. Zu seinem Abschied konnte man im Hausblatt "Neues Rheinland" z.B. lesen: „Immer wieder stahl der Landesdirektor auf Grund seines Aussehens und Auftretens anderen die Schau. Wenn Klausa auf Veranstaltungen erschien, hochgereckt und formvollendet, war das in der Regel so, wie wenn sich ein Rassepferd in eine Herde von Ackergäulen verirrt hätte. Auf Klausa, nicht auf Staatssekretäre und Ministerialräte richteten sich die Fernsehkameras, wenn Charakterköpfe gesucht wurden.“ Offensichtlich fiel keinem der hoch qualifizierten LVR-Mitarbeiter auf, wie instinktlos und zynisch der Vergleich des Verfassers des Buches "Rasse und Wehrrecht" mit einem Rassepferd wirken muß und daß hinter der weiteren Titulierung „in seinem ganzen Zuschnitt ein Herr“ zwangsläufig der "Herrenmensch“ hervortritt. Weiter in der Eloge: „Gerühmt, gelobt und geehrt hat man ihn viel, einiges steht ihm beim offiziellen Abschied noch bevor.“
 
Zu dieser prunkvollen Abschiedsfeier im Oktober 1975 hatte der SSK eine Protestkundgebung vor dem Landeshaus angemeldet, welche vom Polizeipräsidenten untersagt, vom Gericht aber erlaubt wurde. Während drinnen die "Ackergäule“ wie z.B. auch der Polizeipräsident ihre verbalen Kratzfüße vor dem "Rassepferd“ machten, wurde ich draußen festgenommen und die Nacht über im Waidmarkt eingesperrt. Meine "Straftat“: Ich hatte den "Charakterkopf“ bei der Eröffnung der Kundgebung wahrheitsgemäß und eher verharmlosend als „Altnazi“ bezeichnet! Am nächsten Tag konnten die Kölner im Express sehen, wie Kripobeamte den „SSK-Mann“ wie einen Schwerverbrecher abführten, ohne daß aber dessen "Verbrechen“ genannt wurde.
 
1968 verlieh die Universität Düsseldorf (siehe: Euthanasie-Panse / Menschenversuche) Klausa die Ehrendoktorwürde in Medizin wegen seiner Verdienste um die Behinderten, die er zuvor als "Entartete“ erfolgreich „auszusondern“ gefordert hatte! Läßt sich solche Schamlosigkeit noch toppen?
 
Klausa stellte seinen autokratischen Führungsstil und seine Verachtung des Parlamentarismus (im Nazijargon „Weimarismus“) ziemlich offen zur Schau, in der Würdigung klingt das dann so: „Natürlich hat ihn seine Zeit geprägt, natürlich war ihm vieles fremd und suspekt, was vielen Weimarianern in Fleisch und Blut steckte“. Weiter: „Es wäre falsch, dieses anfängliche Schwertun mit der Demokratie allein Klausa anzulasten.“
 
Der „allround gebildete Mann“ ging neben der Jagd weiteren edlen Hobbys nach. So der Wappenkunde und der Genealogie seiner Familie und der seiner adeligen Gemahlin. Die umfangreichen Ergebnisse dieser Klausaschen Ahnenforschung werden immer noch sorgfältig im LVR-Archiv gehütet: Wie bei Hofe! Es herrscht dagegen gähnende Leere, wo die historisch-kritische Auseinandersetzung mit ihm und seinesgleichen und dem Geist zu finden sein müßte, welcher für die menschenverachtenden Verhältnisse in den LVR-Einrichtungen verantwortlich ist.
 
Diesen Geist und diese Personen hat kein anderer als der Psychiatriereformer Kulenkampff 1997 in einem Brief an mich als „Dreck“ bezeichnet. Wenn wir vom SSK den nicht mit unseren radikalen Aktionen hochgespült und sichtbar gemacht hätten, so Kulenkampff, wäre die Politik nicht zu den Reformen gezwungen worden. Seine Schüler und Nachfolger sind ihrem Mentor in dieser politischen Auseinandersetzung mit den Nazirelikten leider nicht gefolgt und haben zugesehen, wie man ihn - nach eigener Aussage - „hat scheitern lassen“.
 

Landschaftsverband Rheinland in Köln heute
Quelle: www.boehnkepartner.de
Sie legen sich bis heute nicht mit dem selbstherrlichen Verwaltungsmacht-apparat an, möglicherweise vermindern gut dotierte Jobs ja auch die Kritikfähigkeit. Die Mitarbeiter des Archivs wagen es offenbar auch nicht, zur Klärung des LVR-Nachkriegs-elends beizutragen. Im Gegenteil: Statt dies zu fördern, behinderten sie gerade erst kürzlich das Schülerprojekt des Pulheimer Gymnasiums, welches die historischen Aufarbeitung des Skandals um das ehemalige Landeskrankenhaus Brauweiler zum Thema hat und versuchten, die Veröffentlichung zu verhindern! Was der LVR bis heute unterlassen hat, haben die Schüler zumindest für das LKH Brauweiler geleistet. Dafür werden sie am 18. Juli durch die Körber-Stiftung im Bonner Haus der Geschichte ausgezeichnet. Welch eine schallende Ohrfeige für den Landschaftsverband!
 
Nach alledem kann nicht länger hingenommen werden, daß der LVR inzwischen zwar das Elend, die Menschenquälerei und die Rechtlosigkeit seiner Schutzbefohlenen beklagt, andererseits aber die politischen Hintergründe und die Ursachen weiter im Dunkeln halten will. Alle seine heutigen Betroffenheitsbekundungen erscheinen angesichts dieser Blockade als unerträgliche Heuchelei und das Logo „Qualität für Menschen“ muß von seinen ehemaligen Opfern als blanker Hohn empfunden werden.
 
Daher fordere ich die überfällige, offene und ehrliche Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte, so peinlich - siehe Klausa-Verehrung - sie auch ausfallen möge. Nachdem ich lange Jahre im SSK mit vielen der Opfer zusammengelebt und gearbeitet habe, bin ich sicher, daß ich diese Forderung auch in ihrem Namen und ebenfalls eines Teils der LVR-Mitarbeiter erhebe. Viele von denen, die sich heimlich an uns gewandt hatten, sind ja an den üblen Arbeitsbedingungen auch selbst zu Opfern geworden und in Depressionen oder Alkoholismus geendet.
 
Euthanasieausstellung "Graue Busse“ nach Köln?
 
Ich habe erfahren, daß der LVR im Herbst die Euthanasieausstellung "Graue Busse“ nach Köln holen will. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es die LVR-Oberen wagen, mit soviel braunem Unrat unter dem Teppich der Öffentlichkeit die üblichen Betroffenheitsbekundungen darzubieten. Deshalb schlage ich vor, daß der Gesundheitsausschuß bis dahin ein Zeichen für wahre Betroffenheit und echtes Mitgefühl setzt: Auf dem Gelände des früheren LKH Brauweiler soll neben die vorhandene Gedenktafel für die Opfer des Naziterrors eine weitere für die Nachkriegsopfer angebracht werden, da sie genauso unschuldig und grausam zu Tode gekommen sind. Drei Namen sollen exemplarisch aufgeführt werden: Marion Masuhr, die totgespritzt wurde, Fritz Feyerabend, der beim Fluchtversuch abstürzte und starb, und Kurt Konopka, der von Pflegern zu Tode geprügelt wurde.
 
Zudem rege ich an, daß der LVR eine Skulptur des Bildhauers Dennis Stuart Rose erwirbt und diese im Foyer des Landeshauses mit einer entsprechenden Gedenktafel aufstellt. Sie trägt den Titel "Mausoleum für Lebende“ (siehe oben) und verleiht wie kaum an anderes Objekt der bildenden Kunst der Wirklichkeit der Nachkriegspsychiatrie einen zutiefst berührenden, authentischen Ausdruck. Ich hoffe sehr, daß der LVR nun endlich eine so offene und ehrliche Aufarbeitung seiner Vergangenheit in Angriff nimmt, wie es die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde gerade erst - wenn auch viel zu spät - geleistet hat. (PK)
 
Den preisgekrönten Text der Pulheimer SchülerInnen zum LKH Brauweiler wird die NRhZ ab der nächsten Ausgabe als Serie veröffentlichen.


Online-Flyer Nr. 310  vom 13.07.2011

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