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Lokales
Sexuelle Belästigungen für Roma-Frauen in der Düsseldorfer Innenstadt
"Ruşine - Ich schäme mich"
Von Maria Kupczyk

"fiftyfifty" ist eine gemeinnützige Organisation zur Unterstützung von Armen
in Düsseldorf, die bisher mehr als 3.000 Obdachlose in neuen Wohnungen unterbringen über 300 Obdachlosen Arbeit vermitteln konnte. Weil durch ihre Projekte wie Armenspeisung und Notschlafstellen auch minderjährige, drogensüchtige Prostituierte unterstützt werden, wurden in jüngster Zeit immer wieder rumänische Frauen auf der Straße beim Verkauf der "fiftyfifty"-Zeitschrift angemacht. "fiftyfifty"-Mitarbeiterin Maria Kupczyk hat acht davon betroffene Frauen interviewt. – Die Redaktion
 

"fiftyfifty"-Kalender
"Roma-Kinder" – kann
noch bestellt werden
Quelle: "fiftyfifty"
Bei Kälte und Hitze stehen sie in der Stadt, auf dem Markt oder vor Einkaufsläden. Stundenlang halten sie die Zeitung in ihren Händen in der Hoffnung, dass jemand stehen bleibt. Prallgefüllte Einkaufswagen rollen an ihren Augen vorbei. Es sind Roma-Frauen aus Rumänien, die den Straßenstrich verabscheuen und derzeit weder eine Chance auf legale Arbeit in der EU noch das Recht auf Sozialhilfe in Deutschland haben. Deshalb verkaufen sie "fiftyfifty", um ein wenig Geld für ihre Kinder und Familien zu verdienen.
 
Viele dieser Frauen werden bei ihrer Arbeit sexuell belästigt und dadurch gedemütigt. Manche Männer glauben wohl, „Zigeunerinnen“, wie sie verunglimpfend sagen, würden aus purer Not alles machen. „Ficky Ficky“ - diese Obszönität müssen viele Roma-Frauen, die unsere Straßenzeitung anbieten, oft hören. Auch wer nur wenig Deutsch kann, versteht diese Grenzüberschreitung der übelsten Art. „Das ist eine Schande“ empört sich die 19jährige, schwangere Cristina, die bereits einen kleinen Sohn hat. Schande heißt auf Rumänisch „Ruşine“ (gesprochen: Ruschine) und zugleich „Ich schäme mich“. Und Cristina schämt sich sehr, wenn sie so übel angemacht wird. Wie fast alle ihre Landsleute ist sie tiefgläubige Christin. Die rumänische Volksfrömmigkeit ist vergleichbar mit der polnischen, ebenso wie die Moralvorstellungen. Cristina würde sich nicht einmal vor ihrem Kind unbekleidet zeigen.
 
Rebeca (16): "Ich stehe immer vor Lidl. Ich kannte diesen Mann, er hatte schon oft eine Zeitung bei mir gekauft. Einmal fragte er mich: „Willst du bei mir zu Hause putzen?“ Ich sagte: „Nein.“ Ein anderes Mal fuhr er mit dem Auto vor und rieb genüsslich seine Finger, machte ein Zeichen für Geld und winkte mir entgegen, ich solle einsteigen. Ich sagte wieder: „Nein, ich rufe die Polizei!“"
 
Maria (22): "Die ersten Male sagte er nichts, kaufte einfach eine Zeitung und lächelte mir zu. Aber dann meinte er, mir einen Tipp geben zu müssen. Er sagte zu mir: „Du bist eine schöne Frau, warum verkaufst du Zeitungen? Du würdest viel mehr Geld auf dem Strich verdienen. Komm zu mir nach Hause, ein bisschen Küssen, Spaß haben. Du hast wirklich einen so schönen Körper.“ Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Dann sagte ich, dass ich fiftyfifty verkaufe, weil ich eben gerade nicht auf den Strich gehen möchte."
 
Gina (17): Ein junger Mann so zwischen 20 und 25 Jahren kam auf mich zu und sagte ganz direkt heraus: „Komm ficken, ich gebe dir Geld dafür.“ Ich sagte ihm: „Hau ab, Arsch, ich rufe die Polizei.“ Ich bin so sauer. Wie kann man so etwas machen?"
 
Ana Maria (37): "Ein Mann hat mich einmal gefragt: „Wie viel die Stunde?“ Ich sagte: „Nein ich will nicht. Ich brauche das nicht. Ich verkaufe Zeitungen.“ Manchmal bin ich froh, dass ich nicht alles verstehe, was sie mir sagen. Ich würde mich über manche Worte sicher schämen. Ich habe einen Mann und sechs Kinder. In meinem Dorf in Rumänien würde ein Mann niemals öffentlich eine fremde Frau fragen, ob sie mit ihm ins Bett gehen möchte. Ich traue mich kaum, dies überhaupt auszusprechen. Ruşine."
 
Angela (59): "Ein Mann um die 45 kramte in seiner Tasche und zog einen Fünf-Euro-Schein heraus, er nahm meine Hand und legte mir das Geld hinein. Dann fing er an, sie zu streicheln, meinen Arm entlang über die Schulter und langsam meinen Hals hinunter, dabei sagte er: „Du hast so eine hübsche braune Haut.“ Am liebsten würde ich meinen Stapel Zeitung nehmen und sie ihm ganz fest auf den Kopf schlagen. Mein Gott, ich habe fünf Kinder und elf Enkel. Dass ich mir so etwas gefallen lassen muss."
 
Cerasela (29): "Er war so um die 50, zeigte sich zunächst interessiert an der Zeitung, fragte, wie teuer sie ist. Dann fragte er, warum ich sie verkaufe, wie alt ich bin, ob ich Familie hab, Kinder und einen Mann. Dann sagte er: „Du bist so hübsch, das hast du doch gar nicht nötig, willst du nicht mit zu mir kommen, dann trinken wir einen Kaffee und unterhalten uns. Vielleicht habe ich Arbeit für dich.“ Sie sagen nicht direkt, was sie wollen, sondern versuchen erst das Vertrauen zu bekommen, aber im Endeffekt denken sie: Rumänische Frauen sind billig, sie sind arm und haben kein Geld und machen alles. Ich sage dann immer: „Nein ich brauche das nicht.“ Meistens gehen sie dann auch, weil ich immer auf einem Marktplatz stehe, wo viele Leute sind und es peinlich wäre, würde das jemand mitbekommen."
 
Narcisa (18): "Häufig sind es alte Männer. Sie sagen dann: „Oooh Ficky Ficky!“ Da werde ich sehr sauer und auch traurig. Aber ich bin nicht auf den Mund gefallen, kann mich wehren. Oft sage ich: „Haben Sie ein Problem? Ich bin 16 und kann die Polizei rufen. Gehen Sie weg.“
 
Livia (22): "Ich stehe immer vor Aldi. Neulich sagte ein Mann: „Hast du schöne Augen.“ Und dann schaute er ungeniert ein wenig tiefer auf meine … ich mag das nicht sagen, ruşine. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien. „Hau ab, glotz' nicht so ungeniert.“ Aber ich weiß nicht, was das auf Deutsch heißt. Mein Mann liegt in Solingen in einem Krankenhaus, er hat eine schwere Lungenentzündung. Ich muss für meinen kleinen Sohn allein sorgen. Am liebsten würde ich nicht mehr "fiftyfifty" verkaufen, weil ich immer angemacht werde. Aber was soll ich machen? Ich bin auf das Geld angewiesen. Zum Glück gibt es auch anständige Menschen"

Hinweise der Redaktion:
 
Alle Namen wurden zum Schutz der Frauen geändert. Übersetzung und Redigat: Hubert Ostendorf, Mitarbeiter von "fiftyfifty".
 
"fiftyfifty" wird von der Ordensgemeinschaft der Armen-Brüder des hl. Franziskus in Düsseldorf verwaltet. Die Organisation wird von verschiedenen Unternehmen, der Stadt Düsseldorf und dem Land NRW sowie ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt. Ein großer Teil der Kosten wird seit 15 Jahren durch den Verkauf der Zeitschrift, durch Spenden und Benefiz-Kunst aufgebracht. "fiftyfifty" betreibt in seinen Räumen auch eine Kunstgalerie. Für die Galerie haben bedeutende Künstler wie Jörg Immendorff, Günther Uecker, Otto Piene, Markus Lüpertz, Katharina Sieverding und Felix Droese Werke gestiftet.
 
Die aktuelle Ausstellung "Inspiration of Colours" des "fiftyfifty"-Förderers Prof. Hermann-Josef Kuhna wurde am 30. September eröffnet und dauert bis zum 16. November. Sie zeigt zum Teil sehr große Ölbilder des Meisters der strukturellen Malerei (Originale ab 2.800 Euro, Serigraphie ab 300 Euro, Kunstdrucke ab 100 Euro).
Adresse der "fiftyfifty"-Galerie: Jägerstr. 15, 40231 Düsseldorf
Öffnungszeiten: Mo. - Sa. von 14–17 Uhr oder nach Vereinbarung
Fon: 0211. 921 62 84, Fax: 0211. 921 63 89, E-Mail: info@fiftyfifty-galerie.de
http://www.fiftyfifty-galerie.de/
(PK) 


Online-Flyer Nr. 322  vom 05.10.2011

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