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Inland
Palästinensischer Dorfbewohner Saeed Amireh hielt einen Vortrag in Mainz:
Gewaltloser Widerstand in Ni'lin
Von Anis Hamadeh
Zu Gast in Mainz war der 20-jährige Saeed Amireh aus Palästina. Er berichtete am 9. November im Rahmen einer Europa-Vortragsreise eindrucksvoll über die Zustände in seinem Heimatort Ni'lin. Es ist seine erste Reise nach Europa, ja, der junge Mann verriet vor der Veranstaltung, dass er noch nicht einmal im nahen Nablus war. Genau genommen war Ramallah der entfernteste Ort, den er zuvor gesehen hatte.
Auf Vortragsreise in Europa:
Dorfbewohner Saeed Amireh
Diesen Eindruck machte er allerdings nicht. Weltgewandt, authentisch und mit einer ausgezeichneten Präsentation setzte er in den Räumen der Katholischen Hochschulgemeinde ein Zeichen, das die Zuhörer nicht vergessen werden. "Es erstaunt mich, wie ihr hier lebt", sagte er in akzeptablem Englisch. "Keine nächtlichen Razzien, keine Militärpräsenz. Ihr werdet auf der Straße nicht beschossen." Seine Worte kommen nicht von ungefähr. Einige aus seiner Familie sind von israelischen Soldaten angeschossen worden, mehrere andere Menschen aus dem 5.000-Seelen-Ort wurden in den letzten Jahren einfach umgebracht. Es ist einer der schlimmsten Orte der Welt.
Online-Flyer Nr. 328 vom 16.11.2011
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Inland
Palästinensischer Dorfbewohner Saeed Amireh hielt einen Vortrag in Mainz:
Gewaltloser Widerstand in Ni'lin
Von Anis Hamadeh
Zu Gast in Mainz war der 20-jährige Saeed Amireh aus Palästina. Er berichtete am 9. November im Rahmen einer Europa-Vortragsreise eindrucksvoll über die Zustände in seinem Heimatort Ni'lin. Es ist seine erste Reise nach Europa, ja, der junge Mann verriet vor der Veranstaltung, dass er noch nicht einmal im nahen Nablus war. Genau genommen war Ramallah der entfernteste Ort, den er zuvor gesehen hatte.
Auf Vortragsreise in Europa:
Dorfbewohner Saeed Amireh
Foto: Yasemin Vardar-Douma
Ni'lin ist (leider nur) ein Beispiel dafür, dass die israelische Politik nicht auf Frieden oder auf Verteidigung aus ist. Auf der Karte (1) sieht man deutlich, dass die Mauer keineswegs auf der Grenze gebaut ist, sondern den Bauern ihr Land nimmt. Es ist unmöglich, dies eine Verteidigung zu nennen. Mehrere jüdische Siedlungen haben sich rings um den Ort eingenistet, sie sind rechtlich ebenso illegal wie die Mauer und die ausgebauten Versorgungsstraßen für die Siedlungen ("Apartheid Roads").
Seit Jahren protestieren die Bewohner des Dorfes gewaltlos gegen diese Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Der gewaltlose Widerstand hat als Strategie schon vor vielen Jahren in den palästinensischen Dörfern und Städten Einzug gehalten. "Als Anwohner Teile der illegalen Mauer mit Hebeln und Seilen eingerissen haben, waren sie vermummt, weil sie sonst später von der Armee aufs Korn genommen worden wären", erklärt Saeed. "Mit Terrorismus hat das nichts zu tun, auch wenn es manchmal so dargestellt wird."
In vielen palästinensischen Orten gibt es so genannte Volkskomitees, Graswurzelbewegungen, die von politischen Parteien unabhängig sind, und die den gewaltlosen Widerstand mit Demonstrationen und auf Webseiten, mit YouTube-Filmen und durch Informationen verbreiten. Es sind Menschen, deren Leben jeden Tag gefährdet ist, deren Land weggenommen wird und deren Menschenrechte zu Gunsten anderer nicht gewährleistet sind. Saeed Amireh konnte nur ausreisen, weil er offiziell von Schweden eingeladen wurde. Norwegen, Deutschland und weitere Länder stehen auf dem Programm der dreimonatigen Reise, über die Saeed Tagebuch führt.
Die Mainzer Presse und Politik waren bei dem Vortrag nicht anwesend. Den zufrieden grinsenden israelischen Soldaten im Video, der gerade eine Tränengasgranate vor einem Wohnhaus auf Frauen und Kinder geschossen hatte, wollten sie nicht sehen. Von Landraub und brutalen militärischen Angriffen auf friedliche Demonstranten wollten sie nichts hören.
Es ist immer wieder erschreckend, dass eine Gesellschaft mit einer Geschichte wie der deutschen so wegsehen kann. Die deutsche Bevölkerung ist sich wohl über dieses Unrecht Israels und die Unterdrückung bewusst, auch wenn die Nachrichten nur sehr gefiltert bei uns ankommen. Doch so viel kann man gar nicht filtern. Die Mainstreammedien und -Politiker tendieren allerdings dazu, eine Art Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit zu ziehen, und dieser Schlussstrich heißt: Nibelungentreue zur israelischen Armee und keine grundsätzliche Debatte. So sieht unsere Vergangenheitsbewältigung aus. Wir sehen wieder weg, aber in eine andere Richtung. Dabei fühlen wir uns fortschrittlich und überlegen. Wer will da behaupten, dass Deutschland verstanden hat, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, so klug sich unsere Medien und Politiker auch finden.
Saeed Amireh darf für ein paar Monate aus seinem Gefängnis, um in Europa darüber zu berichten, wie der Alltag seines Dorfes aussieht. Er ist ein dynamischer junger Mann, der zwischen Fakten und Propaganda ebenso unterscheiden kann wie zwischen Juden und Israelis. Der nicht verbittert ist oder aggressiv, der sich klar für die Werte der Gewaltlosigkeit einsetzt und der weiß, wovon er spricht. Einer, der uns nicht fremd erscheint, sondern wie ein Mensch.
"Nachdem ich ihn gesehen und gehört habe, wurde mir wieder bewusst, wie wichtig unsere Arbeit hier ist", so Yasemin von der Hochschulgruppe für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel, der Veranstalterin des Vortrags. Er endete mit einem Besuch der Nakba-Ausstellung in der benachbarten Kirche der Evangelischen Studierenden Gemeinde. Diese Wanderausstellung zeigt die Flucht und Vertreibung der Palästinenser - der größten Flüchtlingsgruppe auf der Welt. "Ich frage mich, warum es in ganz Deutschland so viele Versuche gibt, diese Ausstellung zu verbieten", meinte einer der Besucher, "da steht doch nichts Strittiges, es ist reine Aufklärung über die Geschichte."
Man versteht das vielleicht, wenn man berücksichtigt, dass Deutschland gegen die Aufnahme Palästinas in die UNESCO gestimmt hat, einen symbolischen Schritt, um die Identität Palästinas endlich anzuerkennen, wie es seit nunmehr fast hundert Jahren Konsens ist.
Anis Hamadeh - Schriftsteller, Musiker, Maler, Journalist und Islamwissenschaftler, Redakteur von www.anis-online.de, Autor von "Islam für Kids" (2007), Übersetzer von "Nonkilling - Wissenschaft von der nicht tötenden Gesellschaft" (2009). Geboren am 25.10.1966 in Hamburg, Mutter Deutsche, Vater gebürtiger Palästinenser. Zivildienst und zwei Jahre Ausland, Bagdad mit 16, Alexandria mit 22. Magister der Islamwissenschaft, Anglistik und Linguistik. Fünf Semester Arabisch-Dozent an der Universität, seit 2001 freiberuflich. Seit 2005 wohnhaft in Mainz.
Online-Flyer Nr. 328 vom 16.11.2011
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