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Interview mit dem Berater der Kölner Interessengemeinschaft Keupstraße e.V.
"Versagen des Staatsapparates"
Von Rainer Kippe
Im Fall der "Döner-Morde" berichteten Ermittler, dass es "gewisse Anhaltspunkte für einen Zusammenhang" mit dem "Nagelbombenanschlag" in der überwiegend von Türken bewohnten Kölner Keupstraße vom 9. Juni 2004 gibt. Bei dem Anschlag waren damals 22 Menschen verletzt worden. Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) führte dazu ein Gespräch mit dem Unternehmens- und Wirtschaftsberater Ali Demir, der sich seit 30 Jahren ehrenamtlich im Umfeld der Keupstraße in Köln-Mülheim engagiert und zu den Initiatoren der Interessengemeinschaft Keupstraße e. V. gehört. Er hat dieses Attentat aus nächster Nähe in seinem Büro erlebt. Siehe auch NRhZ Nr. 197 (1) – Die Redaktion
Rainer Kippe: Ali, erinnerst Du Dich an das Attentat?
Online-Flyer Nr. 328 vom 16.11.2011
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Lokales
Interview mit dem Berater der Kölner Interessengemeinschaft Keupstraße e.V.
"Versagen des Staatsapparates"
Von Rainer Kippe
Im Fall der "Döner-Morde" berichteten Ermittler, dass es "gewisse Anhaltspunkte für einen Zusammenhang" mit dem "Nagelbombenanschlag" in der überwiegend von Türken bewohnten Kölner Keupstraße vom 9. Juni 2004 gibt. Bei dem Anschlag waren damals 22 Menschen verletzt worden. Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) führte dazu ein Gespräch mit dem Unternehmens- und Wirtschaftsberater Ali Demir, der sich seit 30 Jahren ehrenamtlich im Umfeld der Keupstraße in Köln-Mülheim engagiert und zu den Initiatoren der Interessengemeinschaft Keupstraße e. V. gehört. Er hat dieses Attentat aus nächster Nähe in seinem Büro erlebt. Siehe auch NRhZ Nr. 197 (1) – Die Redaktion
Ali Demir: Es war ein Mittwoch. Ich kam gegen 14.30 Uhr von der Schule und bin zu Fuß in mein Büro in der Keupstraße gegangen. Wegen meiner Tätigkeit für die Interessengemeinschaft der Keupstraße hatte ich mein Steuerbüro an diesem Tag nicht für das Publikum geöffnet. Ich saß also allein in meinem Büro und habe eigene Arbeiten erledigt. Plötzlich hörte ich eine Explosion ganz in der Nähe und sah Rauch durch das Fenster auf der Keupstraße. Ich habe geglaubt, eine Gasflasche sei hochgegangen, was in gewissem Sinne ja auch stimmte. Ein Händler lieferte nämlich in der Keupstraße immer große Mengen Gasflaschen aus, und ich hatte ihn immer vor der Möglichkeit einer Explosion gewarnt. Als ich die Explosion hörte, dachte ich deshalb, dass Gasflaschen hochgegangen seien. Ich erwartete folglich weitere Explosionen. Deshalb habe ich mich zu Boden geworfen. Von da aus sah ich durchs Fenster, dass die Leute hin und her liefen. Zu meiner Überraschung entdeckte ich zwischen ihnen einen Zivilpolizisten ohne Jacke. Unter seiner Schulter sah ich die Waffe.
Was geschah weiter?
Ich bin daraufhin sofort auf die Straße gelaufen. Dort sah ich vor dem benachbarten Textiliengeschäft den Polizisten. Ich habe den Polizisten eingeholt und habe ihn gefragt, was passiert sei. Als er nicht antwortete, habe ich ihn darauf hingewiesen, dass ich die Interessengemeinschaft der Keupstraße vertrete und deshalb gerne eine Aufklärung hätte.
Was erhieltst du dann zur Antwort?
Er hat dann gesagt: „Schauen Sie doch einfach mal auf den Boden“. Ich habe auf den Boden geschaut und Metallstücke gefunden. Als ich ihn darauf hinwies sagte er: “Das sind nicht nur Metallstücke, das ist eine Nagelbombe.“ In diesem Moment sah ich auf der anderen Seite einen zweiten Zivilpolizisten. Beide wollten den Tatort absperren.
Erst 20 Minuten später traf die uniformierte Polizei ein.
Was war bis dahin mit den Opfern?
Die Opfer lagen teilweise auf der Straße und die herbeigelaufenen Geschäftsleute versuchten deren Blut zu stillen.
Und dann?
Mit der Polizei zusammen waren Rettungswagen eingetroffen. Die Polizei hat die Menschen in die Hinterräume gedrängt und die Keupstraße gesperrt, weil sie ein weiteres Attentat befürchtete. Die Polizei hat dann alle Häuser bis unters Dach untersucht. Ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Viertel. Spezialpolizisten in schwarzen Uniformen durchsuchten das Kanalnetz.
Wie hat das auf die Anwohner gewirkt?
Die Türken und Kurden in der Straße waren ahnungs- und fassungslos. Sie hatten die Angst im Gesicht stehen. Die Deutschen haben sich in ihren Wohnungen eingeschlossen, sie hatten Angst vor Vandalismus.
Erinnerst Du Dich an Kommentare seitens der Staatsorgane?
Ich erinnere mich, dass Otto Schily kurz nach dem Anschlag eine Erklärung abgegeben hat, des Inhalts, dass es keinen politischen Hintergrund gebe und dass kriminelle Elemente in der Keupstraße diesen Anschlag selbst organisiert hätten. Diese Meinung wurde im Weiteren als Hauptmeinung weiterverbreitet.
Was habt Ihr daraufhin unternommen?
Ich habe am nächsten Tag mit Bürgermeister Joseph Müller von der CDU und dem türkischen Generalkonsul im Lokal Karawanseray eine Pressekonferenz gegeben und darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Volksgruppen in der Keupstraße friedlich zusammenleben und keinesfalls Gewalt gegeneinander anwenden würden. Die deutschen Nachbarn haben sich daraufhin getraut, auf der Straße auf die türkischen Geschäftsleute zuzugehen und ihre Solidarität zu bekunden.
Wie haben die deutschen Behörden daraufhin reagiert? Es ist doch dann ein Videoband aufgetaucht, welches einen großen blonden Europäer mit zwei Fahrrädern - eines davon mit einer Gasflasche auf dem Gepäckträger - kurz vor der Explosion ganz in der Nähe zeigt?
Fahndungsplakat der Kölner Polizei aus dem Jahr 2004
Quelle: Polizei Köln
Als die Videobänder aus der Schanzenstraße bekannt wurden, hat die Polizei ca. 500 Leute verhört, auf die die Personenbeschreibung zutraf. Es hieß dann, der Anschlag sei vermutlich von einem Europäer begangen worden, allerdings im Auftrag der türkischen Mafia.
Wie hat das politische Köln reagiert?
Regierungspräsident Roters (der heutige Oberbürgermeister der Stadt, d.Red.) ist damals in die Keupstraße gekommen und hat sich in dem beschädigten Frisiersalon seine Haare schneiden lassen. Von allen Parteien haben Politiker die Keupstraße besucht und haben ihre Solidarität bekundet. Am 15.7. war ein großes Straßenfest. Ich konnte deshalb nicht nach Hamburg fahren, wo mein Vater auf dem Sterbebett lag.
Wie ging es weiter? Ein Täter ist doch damals nicht gefunden worden?
Drei Monate später hat im Rathaus eine Veranstaltung stattgefunden zum Thema Integration in europäischen Städten. Verschiedene Bürgermeister aus europäischen Städten, aber auch der US-Generalkonsul aus Düsseldorf mit zwei Begleitern nahmen teil. Sie haben mir am Tisch im Gespräch gesagt: „Wir haben alle Dokumente nach den USA geschickt und haben einen Bericht bekommen, demzufolge der Täter nicht erwischt werden kann“.
Wie ging es in der Keupstraße weiter?
In der Keupstraße sind die Kunden aus Angst weggeblieben, die Umsätze gingen drastisch zurück. Die Geschäftsleute hatten große Verluste. Sie hatten auf die Aufklärung des Verbrechens gehofft. Ich habe ihnen die Information der Amerikaner weitergegeben. Die Rechnung von Schily ist insofern aufgegangen, als die Migranten angefangen haben, sich untereinander zu verdächtigen. Das war der Tiefpunkt des ganzen Geschehens.
Wie habt Ihr Euch gefühlt?
Wir fühlten uns von den Behörden zu Unrecht beschuldigt und allein gelassen. Im Gegenteil: durch die Untersuchungen und Durchsuchungen sind viele Gewerbetreibende ins Visier der Behörden, z.B. des Finanzamts oder des Zollamtes geraten, und hatten große Schwierigkeiten. Ich selbst habe nach dem Attentat dreimal Drohungen erhalten.
Was lässt sich auf diesem Hintergrund zu den heutigen Enthüllungen sagen?
Bis jetzt sind das für mich nur Vermutungen. Ich habe das Gefühl, man will die Akte schließen. Auf dem Fahrrad gab es Fingerabdrücke und DNS-Spuren. Das sollte wissenschaftlich verglichen werden, um endlich festzustellen, wer der Täter ist. Ich befürchte, dass der Staatsapparat aufgrund seines Versagens dazu neigt, jetzt alle Taten den beiden Toten anzulasten, um von den eigenen Ermittlungspannen abzulenken und den politischen und wirtschaftlichen Hintergrund zu verschleiern. (PK)
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