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Inland
Berlin nutzt Schuldenkrise, um nach der Hegemonie in Europa zu greifen
Deutschland - die USA Europas
Von Tomasz Konicz
In ihrer Regierungserklärung Ende letzter Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die deutsche Bevölkerung auf harte Zeiten und die Staaten Europas auf die deutsche Hegemonie eingestimmt. Die parlamentarische Aussprache fand im Vorfeld des deutsch-französischen Gipfeltreffens am heutigen Montag statt, auf dem Merkel und Sarkozy die zwischen beiden Regierungen ausgehandelte Reform der EU-Verträge der europäischen Öffentlichkeit vorstellen wollen. „Wer sich ihrer Taktik nicht fügt, bleibt auf der Strecke“, fasste das größte deutsche Nachrichtenportal die von Merkel vorgegebene Linie zusammen.(1)
Online-Flyer Nr. 330 vom 05.12.2011
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Inland
Berlin nutzt Schuldenkrise, um nach der Hegemonie in Europa zu greifen
Deutschland - die USA Europas
Von Tomasz Konicz
In ihrer Regierungserklärung Ende letzter Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die deutsche Bevölkerung auf harte Zeiten und die Staaten Europas auf die deutsche Hegemonie eingestimmt. Die parlamentarische Aussprache fand im Vorfeld des deutsch-französischen Gipfeltreffens am heutigen Montag statt, auf dem Merkel und Sarkozy die zwischen beiden Regierungen ausgehandelte Reform der EU-Verträge der europäischen Öffentlichkeit vorstellen wollen. „Wer sich ihrer Taktik nicht fügt, bleibt auf der Strecke“, fasste das größte deutsche Nachrichtenportal die von Merkel vorgegebene Linie zusammen.(1)
In Europa gebe „Kanzlerin Merkel den Kurs vor.“(2) In ihrer Regierungserklärung forderte Merkel, die Krisenpolitik mit einem langwierigen und entbehrungsreichen „Marathonlauf“ vergleichend, zum wiederholten Male die Umgestaltung der Europäischen Union gemäß deutschen Interessen. Die in Europa anschwellenden Warnungen vor deutscher Dominanz nannte sie „abwegig“, um wenig später für den Fall von „Widerstand gegen die Änderungen der EU-Verträge“ eine Spaltung der Europäischen Union anzudrohen, bei der „neue Verträge innerhalb der Euro-Gruppe geschaffen“ würden: „Es führt kein Weg daran vorbei, die europäischen Verträge zu ändern oder – das wäre die zweitbeste Lösung – neue Verträge innerhalb der Euro-Gruppe zu schaffen.“(3)
Merkel stellte dabei abermals klar, dass verschuldete Euro-Staaten künftig auf ihre Souveränität in zentralen Haushalts- und Finanzfragen verzichten müssen: „Regeln müssen eingehalten werden; ihre Einhaltung muss kontrolliert werden; ihre Nichteinhaltung muss Konsequenzen haben“, und zwar „ohne Wenn und Aber“.(4) Um entsprechende Sanktionsmechanismen schnellstmöglich zu installieren, kursieren in Berlin inzwischen Ideen; sie sehen bilaterale Abkommen unter Umgehung der bisherigen EU-Regeln vor. Bis zum Jahresende soll ein entsprechendes, von Berlin und Paris ausgearbeitetes Vertragswerk vorliegen – und den Staaten Europas oktroyiert werden.(5) Die Neuausrichtung der EU sieht entsprechend den bekannten deutschen Forderungen eine „europäische Schuldenbremse“ ohne „politischen Spielraum“, eine strenge Haushaltskontrolle der Eurostaaten samt „Durchgriffsrechten“ europäischer Institutionen sowie automatische Sanktionen gegen sogenannte Schuldensünder vor. (Siehe Details in: „Jetzt wird Deutsch gesprochen“ http://www.konicz.info/?p=1914 ) Zudem verlangt Merkel die Umsetzung von „weiteren Strukturreformen insbesondere im Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten“; im Endeffekt läuft dies darauf hinaus, die in Deutschland unter den Schlagworten „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ bekannten Regularien durchzusetzen, die Arbeitszwang beinhalten und erhebliche Bevölkerungsteile in Verelendung treiben.
Sakozy in „deutscher Gussform“
Kurz zuvor hatte der französische Präsident Nikolas Sarkozy in einer Rede an die Nation sein Einschwenken auf die deutsche Linie bekräftigt. „Der Vertrag von Maastricht hat sich als mangelhaft herausgestellt“, erklärte Sarkozy über das Vertragswerk, das 1999 die Einführung des Euro regelte.(6) Er schloss sich den deutschen Forderungen nach „automatischen, schneller wirkenden und schärferen Sanktionen“ für verschuldete Staaten an: „Wenn man mehr Solidarität will, braucht man mehr Budgetdisziplin.“(7) Deutschland und Frankreich würden künftig im „Zentrum einer Stabilitätsunion in Europa stehen“, die ein „Zeitalter der Entschuldung“ zu bewältigen habe. Sarkozy kündigte auch harte Sparmaßnahmen und Reformen nach deutschem Vorbild an. Hierbei kritisierte er insbesondere die 35-Stunden-Woche und das angeblich zu niedrige Renteneintrittsalter in Frankreich.
Damit setzt der französische Staatschef seine Politik der Unterordnung unter die deutschen Pläne fort. „Ob Euro-Bonds, die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) - immer wieder ging Sarkozy vor der Berliner Kanzlerin in die Knie“, bilanziert ein einflussreiches deutsches Nachrichtenportal. (8) Im Pariser Establishment regt sich inzwischen zunehmend Kritik an Sarkozys Kurs. Die Vorsitzende der französischen Sozialisten, Martine Aubry, wirft ihm öffentlich die „Kapitulation vor Deutschland“ vor. Der Linkspolitiker Jean-Pierre Chevènement klagte, Sarkozy schmiege sich „in die extrem starre deutsche Gussform. Das führt uns geradewegs in die Katastrophe.“(9) In dem französischen Magazin "Marianne" wurde Sarkozy als ein Politiker bezeichnet, der „mit ängstlichem Blick auf die Rating-Agenturen“ nichts anderes tue, „als sich an unserem deutschen Nachbarn“ zu orientieren.(10) Der Unmut über Deutschlands Dominanz erstreckt sich auch auf Regierungskreise. Gegenüber der Zeitung Le Monde klagte ein französisches Regierungsmitglied: „Die Deutschen dominieren alles. Wir warten auf ihre Entscheidungen, ohne dass wir Einfluss auf die Ereignisse haben.“(11) Jacques Attali, Ökonom und längjähriger Berater des französischen Präsidenten François Mitterrand, formulierte eine deutliche Warnung vor den drohenden Folgen deutscher Dominanz: „Europa hat sich zweimal selbst umgebracht während der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert. Heute ist es wieder Deutschland, das die Waffe für den kollektiven Selbstmord in der Hand hält.“(12)
Griff nach Hegemonie
Dabei regt sich angesichts des deutschen Griffs nach der Hegemonie in Europa – und der damit verbundenen Blockadehaltung – nicht nur in Frankreich zunehmend Unmut. Die Krise erfasst, gefördert durch das Va Banque-Spiel Berlins um die Hegemonie in der EU, längst auch Kernländer der Eurozone. Vor einer aus der deutschen Blockadehaltung etwa in Sachen EZB resultierenden „Katastrophe“ warnte auch Polens Finanzminister Jacek Rostowski, der langfristig sogar neue Kriege in Europa nicht ausschließen wollte.(13) Der Spanische Regierungschef Zapatero wandte sich kurz vor seiner Abwahl mit einem dramatischen Appell an Berlin, endlich durch Anleiheaufkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) „die gemeinsame Währung zu verteidigen.“ Deutschland ziehe zwar „gewisse Vorteile“ aus der gegenwärtigen Situation, doch drohe die „gesamte Euro-Zone (...) von der Krise“ erfasst zu werden - „einschließlich Deutschlands“. Forderungen nach mehr EZB-Aufkäufen wurden auch von der britischen Regierung mehrmals eindringlich erhoben.(14) Heftige Auseinandersetzungen um die Änderung der EU-Verträge lieferte sich Merkel auch mit dem britischen Premier Cameron. Die britische Zeitung "The Times“ sprach gar von einem „Krieg“, den Berlin der Eurozone erklärt habe und der auf die „Unterwerfung fremder Völker“ abziele.(15) Heftige öffentliche Kritik an der Blockadehaltung Deutschlands übten auch Kommissionschef Barroso, der Vorsitzende der Eurogruppe Jean-Claude Juncker und die OECD.(16)
Tatsächlich ist die deutsche Dominanz in der EU im Laufe der letzten Wochen und Monate dramatisch gestiegen. Berlin entscheidet mit seiner Blockadepolitik in Sachen Euro inzwischen de facto über den Fortbestand von Regierungen in der südlichen Peripherie der Eurozone: Ebendiese Blockadepolitik war maßgeblich für den Sturz der gewählten Regierungen in Italien und Griechenland verantwortlich, die durch gegenüber Berlin und Brüssel hörige Technokratenkabinette ersetzt wurden. Die Methode, mit der diese Regierungen installiert wurden, bezeichnete die Zeitschrift "Businessweek" jüngst als „Einmischung durch Unterlassung“: „Der schnelle Fall von Regierungen in der Eurozone demonstriert den enormen Einfluss, den Deutschland und die EZB über souveräne Nationen errungen haben. Durch das Zurückhalten von Geld, das zur Wiedergewinnung des Vertrauens in die Finanzen der strauchelnden Länder benötigt wird, haben sie dabei geholfen, die Führer Griechenlands, Italiens und (...) Spaniens zu stürzen, zugunsten von Regierungen, die auf Austerität fokussiert sind.“(17) Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass die EZB in jüngster Zeit die Wahrung eines hohen Zinsniveaus bei den europäischen Schuldenstaaten fördert. Gerade in derjenigen Woche, als der langjährige EU-Funktionär Mario Monti aufgrund eines eskalierenden italienischen Zinsniveaus auf den Posten des italienischen Regierungschefs gehievt wurde, beliefen sich die Anleiheaufkäufe der europäischen Notenbanken auf nur 4,5 Milliarden Euro – in der Vorwoche waren es noch 9,5 Milliarden gewesen.(18)
„Deutscher Wahn“
Das Berliner Hegemonialstreben wird inzwischen in deutschen Medien offen bejubelt. So schrieb die Süddeutsche Zeitung, in der Euro-Krise hänge nun alles von Deutschland ab: „Die Bundesrepublik könnte in Europa wirtschaftlich das werden, was Amerika immer noch für die Welt ist: unvollkommene, ungeliebte, aber entscheidende Macht. Jetzt muss Deutschland führen, und Merkel ist dazu bereit.“(19) In Europa regiere jetzt „Angela Merkels harte Hand“, jubelte die Online-Ausgabe der Tageszeitung Die Welt: „Klar ist: Wenn die gemeinsame Währung weiter bestehen sollte – und die Chancen dafür stehen nicht so schlecht –, wird Europa deutscher werden. Mehr Kontrolle, mehr Disziplin und härtere Strafen.“(20) Angesichts dieses ungeschminkt angemeldeten Herrschaftsanspruchs und einer damit einhergehenden chauvinistischen Welle werden inzwischen warnende Stimmen laut. „Merkel hat Deutschland mit ihrer Politik in Europa isoliert“, urteilt der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und verglich das Agieren der Bundesregierung mit „der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg“(21) Der „Wahn der Deutschen, sich aufzuspielen“, urteilt Schmidt, „macht mir wirklich Sorgen“.
Indes scheint die Machtpolitik Berlins eher auf knallhartem Kalkül denn auf Wahnvorstellungen zu beruhen. Beobachter halten es für möglich, dass Merkel ihre Blockadehaltung gegenüber Eurobonds oder unbegrenzten Anleiheaufkäufen durch die EZB aufgibt, sobald die Änderungen der EU-Verträge gemäß deutschen Vorstellungen durchgesetzt sind. Die französische Zeitung "Le Canard Enchainé" zitierte in diesem Zusammenhang eine entsprechende Äußerung Sarkozys: „Das Tauschgeschäft ist eher einfach: Das Ende des EZB-Dogmas gegen absolute Einhaltung der Haushaltsdisziplin.“(22) Merkel selbst lässt sich diese Hintertür offen, indem sie immer wieder betont, die EZB müsse unabhängig bleiben; selbstverständlich könnte sie, wenn die Deutschen die Umstrukturierung der EU durchgesetzt haben, die Notenpresse anwerfen – formal aus freien Stücken. Berlin jedoch wird das nur zulassen und damit die Eurozone "retten“, wenn es über sie herrschen kann. (PK)
1. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,801272,00.html
1. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,801272,00.html
11. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/frankreich-warnungen-vor-deutscher-hegemonie-11541441.html
Online-Flyer Nr. 330 vom 05.12.2011
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