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Inland
Israels Kampf um Aachen geht weiter beim Aachener Friedenspreis
Phantom Antisemitismus
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Israels Kampf um Aachen geht weiter. Im November 2011 waren bei der Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreises die Weichen gestellt worden. Seitdem fehlen im Vorstand zwei wesentliche, von der Israel-Lobby unabhängige Stimmen. Zwei Monate später, am 21. Januar, hat jetzt eine Veranstaltung des Aachener Friedenspreises stattgefunden. Ihr Titel war "Herausforderung Antisemitismus“. Als Referenten traten auf: Prof. Dr. Wolfgang Benz, Ex-Leiter des "Zentrums für Antisemitismusforschung“ der TU Berlin, und Dr. Dr. Peter Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe "Zivilengagement“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Damit war die Zielrichtung vorbestimmt.
Online-Flyer Nr. 339 vom 01.02.2012
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Inland
Israels Kampf um Aachen geht weiter beim Aachener Friedenspreis
Phantom Antisemitismus
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Israels Kampf um Aachen geht weiter. Im November 2011 waren bei der Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreises die Weichen gestellt worden. Seitdem fehlen im Vorstand zwei wesentliche, von der Israel-Lobby unabhängige Stimmen. Zwei Monate später, am 21. Januar, hat jetzt eine Veranstaltung des Aachener Friedenspreises stattgefunden. Ihr Titel war "Herausforderung Antisemitismus“. Als Referenten traten auf: Prof. Dr. Wolfgang Benz, Ex-Leiter des "Zentrums für Antisemitismusforschung“ der TU Berlin, und Dr. Dr. Peter Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe "Zivilengagement“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Damit war die Zielrichtung vorbestimmt.
Prof. Dr. Wolfgang Benz, Ex-Leiter des „Zentrums für Antisemitismusforschung“ der TU Berlin
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com
Gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie von DGB, Stadt und Volkshochschule Aachen und veranstaltet vom Aachener Friedenspreis, vom Evangelischen Erwachsenenbildungswerk und von der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen, begann das Seminar „Herausforderung Antisemitismus“ mit zwei Vorträgen von Prof. Benz und Dr. Ullrich..
Es standen viele Fragen im Raum, z.B. die zentrale Definitionsfrage: Was genau sind überhaupt Juden? Wie ist der Begriff Jude definiert: als Anhänger einer Religion, als Mitglied einer Rasse oder als was sonst? Darüber hinaus: Gibt es heute in Deutschland überhaupt noch Antisemitismus, oder ist er ein Kampfbegriff zur Legitimation von Unrecht? Inwieweit dient der Antisemitismus-Vorwurf dem Rufmord an denen, die Unrecht Unrecht nennen? Ist die Forderung nach gleichen Rechten und Chancen für alle eine antisemitische Forderung? Ist die Forderung nach einer Ein-Staaten-Lösung antisemitisch? Ist das Eintreten gegen Apartheid in Südafrika gut, aber gegen Apartheid in Israel antisemitisch? Ist BDS, also die gewaltlose Kampagne für Boykott, Kapitalentzug und Sanktionen antisemitisch? Gibt es einen rechtsfreien Raum? Gibt es ein auserwähltes Volk? Was hat die Kritik an völkerrechtswidriger Politik mit Judenfeindlichkeit zu tun? Dürfen Juden Juden kritisieren? Ist die Aussage, es sei ungerecht, dass Palästinenser für deutsche Verbrechen büßen müssen, antisemitisch? Ist die Aussage, gerecht wäre die Ansiedelung Israels in einem Teil Deutschlands, antisemitisch? Vielfach kam in den Vorträgen der Begriff Verschwörungstheorie vor. Daraus ergab sich die Frage: ist der Begriff Verschwörungstheorie ein Kampfbegriff gegen kritische Gedanken?
Moderator Dr. Stefan Kirschgens - vor schriftlich formulierten Fragen stehend, die überwiegend - insbesondere sofern sie kritischen Charakter hatten - nicht zum Thema gemacht wurden
All diese Fragen und noch einige mehr standen auf Karten, die von den Teilnehmern des Seminars beschriftet worden waren und die nach den Worten der Veranstalter im Anschluss an die beiden Vorträge diskutiert werden sollten. Aber mitnichten war das so. Der überwiegende Teil der formulierten Fragen wurde nicht behandelt. Es wurden vom Moderator einige wenige unkritische Fragen herausgegriffen, zu denen die beiden Referenten Äußerungen von sich gaben. Nebenbei wurden die Themen der Workshops am Nachmittag vorgeschlagen und festgelegt.
Israel in Deutschland
„Gewiss, wäre es mit historischer Gerechtigkeit zugegangen, hätte der Staat der Juden in Deutschland gegründet werden müssen, am besten in Schleswig-Holstein, das etwas kleiner als das heutige Israel ist... Es wäre eine halbwegs angemessene Entschädigung für den Raubzug im Osten gewesen und nebenbei auch das größte Mahnmal gegen das Vergessen... 'Warum sollen wir für die Verbrechen anderer bezahlen?' fragen die Araber – aus ihrer Sicht vollkommen zu Recht. Warum sollen sie auf einen Teil ihres Landes verzichten, weil die Deutschen vor über sechzig Jahren der Wahnidee verfallen sind, Europa judenrein zu machen?“ Kaum jemand hat sich über diese Ausführungen aufgeregt. Sie stammen von einer Person, die die Kölner Klagemauer für Frieden und Menschenrechte eine Installation nennt, „die wie eine Sonderausgabe des Stürmer anmutet“, und die im Dezember 2011 von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen mit ihrem Ehrenpreis bedacht worden ist. Diese Person heißt Henryk M. Broder.
„Wir fragen Euch: wenn ihr in der Tat dieses große Verbrechen begangen habt, warum soll dann das unterdrückte Volk der Palästinenser dafür bezahlen? [...] Wenn ihr dieses Verbrechen begangen habt, solltet ihr selber dafür bezahlen. Unser Angebot war und ist das folgende: Wenn ihr dieses Verbrechen begangen habt, ist es nur angemessen, wenn ihr ihnen ein Stück eures Landes zur Verfügung stellt...“ Weltweit inszenierten die westlichen Medien einen Sturm der Entrüstung in Anbetracht dieser Äußerung. Es ist klar: diese Äußerung hat als Ausdruck von Antisemitismus zu gelten. Sie stammt vom iranischen Präsidenten Ahmadinedschad.
Das alles wurde nicht diskutiert. So konnte all das, was die beiden Referenten als reales Antisemitismus-Problem ausgebreitet hatten, fast unangefochten stehen bleiben. Und darunter war nicht wenig, was auf entschiedenen Protest hätte stoßen müssen. Nur in einem der fünf parallelen, etwa einstündigen Workshops konnte der Gedanke vorgetragen werden, dass das Problem des Antisemitismus zu vielleicht 90 Prozent darin bestehe, dass er als Waffe gegen missliebige Kritik zum Einsatz gebracht werde. Mit den restlichen 10 Prozent werde der reale Antisemitismus in Deutschland fast zu einem Phantom, das zudem teils künstlich am Leben gehalten werde.
Im Stile von Broder
Dr. Ullrich projizierte – wie gewohnt aus dem Zusammenhang gerissen – die Karikatur, die jetzt schon weit mehr als ein Jahr mit dem Ziel herangezogen wird, Walter Herrmann und seiner Kölner Klagemauer für Frieden und Menschenrechte Antisemitismus unterzuschieben. Die bekannten Methoden der Diffamierung durften nicht fehlen. Im Stile von Broder kombinierte Dr. Ullrich das Bild von der Klagemauer mit anderen Darstellungen, z.B. aus dem "Stürmer“ der Nazis, anstatt deutlich zu machen, dass es sich bei dem gezeigten Bild von der Klagemauer um ein in der deutschen Presse veröffentlichtes DPA-Foto von einer Demonstration in Indien gegen das israelische Gaza-Massaker im Winter 2008/9 gehandelt hat, und auf dem zu sehen ist, wie eine Demonstrantin ein Schild mit einer Karikatur trägt, die das Verbrechen, nämlich das Töten hunderter unschuldiger Kinder, in krasser Weise anprangert, und in dessen Bildunterschrift es dementsprechend heißt: „Protest in Indien: Eine Studentin hält ein Plakat, auf dem ein Israeli ein palästinensisches Kind zerschneidet“. Es ist das gängige Muster: statt die großen, von "westlichen“ Staaten begangenen Verbrechen ins Blickfeld zu rücken, werden diejenigen gebrandmarkt, die sich genau gegen diese großen Verbrechen wenden.
Dr. Dr. Peter Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe "Zivilengagement“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Gleichsetzen und vergleichen
Auch der bei den Israel-Propagandisten gängige Vorwurf, Walter Herrmann würde das Warschauer Ghetto und die Situation in Gaza gleichsetzen, wurde zum Einsatz gebracht. Es ist klar, dass dieser Vorwurf falsch ist. Ein Seminarteilnehmer rief dazwischen, vergleichen und gleichsetzen sei nicht das gleiche. Walter Herrmann selber hatte in einem Schreiben vom August 2010 ausgeführt: „Matthias Fischer aus Aachen will bei einem Besuch in Köln an der Klagemauer ein Plakatschild mit der Aufschrift 'Gaza-Ghetto = Warschauer Ghetto' gesehen haben. Ein Schild mit dieser Aufschrift befand sich zu keinem Zeitpunkt an der Klagemauer. Er kann sich nur auf ein Schild mit folgender Aufschrift beziehen: 'gestern: Warschauer Ghetto / heute: Gaza-Ghetto / Wie sich die Bilder gleichen!'. Darüber hätte man kontrovers diskutieren können. Doch Fischer wollte nicht diskutieren. Im Beisein meines Kollegen Klaus Franke kamen wir miteinander in Streit, weil er darauf insistierte, auf dem Schild würden Gaza-Ghetto und Warschauer Ghetto gleichgesetzt. Damit würden die Nazi-Verbrechen verharmlost. Ich bestritt die Gleichsetzung und stellte klar, dass es erlaubt sein müsse, das eine mit dem anderen in Beziehung zu setzen.“ Aber auch darüber wurde im Seminar nicht gesprochen.
Im März 2007 besuchten katholische Bischöfe die Gedenkstätte Yad Vashem und dann Ramallah: „Morgens in Yad Vashem die Fotos vom unmenschlichen Warschauer Ghetto, abends fahren wir ins Ghetto in Ramallah. Da geht einem doch der Deckel hoch“, sagte der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke. Es sei schwer zu ertragen, wenn man am Morgen in der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem die Bilder aus dem Warschauer Ghetto sehe und am Nachmittag durch Stacheldraht und Mauer in ein „Ghetto wie Ramallah“ fahre. Auch der Augsburger Bischof Mixa sprach von einer „ghettoartigen Situation“. Darauf reagierte die Israel-Lobby mit dem entsprechenden Antisemitismus-Vorwurf. Die vorrangige Aufgabe des Seminars einer Friedensorganisation wäre es, diese Methoden der Diskreditierung zum Thema zu machen und nicht zu einer Diffamierungskampagne beizutragen.
Antisemitismus-Vorwurf als Ruhigstellungsinstrument
Felicia-Langer, die nur knapp dem Holocaust entkommen ist, sagt, „dass die Deutschen gerade wegen ihrer Vergangenheit besonders klar und deutlich den Mund dort aufmachen sollten, wo Menschenrechte verletzt werden… Wenn Israel die Kritiker seiner Politik gegenüber Palästinensern in die Nähe des Antisemitismus rückt, dann ist das ein Vergehen an den Opfern des Holocaust. Sie werden unredlich benutzt. So eine Haltung kann den wirklichen Antisemitismus nur befördern.” Der Antisemitismus-Vorwurf dient der Ruhigstellung derer, die das Unrecht in Palästina anprangern und besonders derer, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Unrecht mit wirkungsvollen Formen von Protest und Widerstand zu bekämpfen – so wie es Walter Herrmann mit der Klagemauer in Köln tut und so wie es weltweit viele Menschen im Rahmen der BDS-Kampagne tun. Dr. Ullrich gab in seinem Veranstaltungsschlusswort noch den "Rat“, nicht nach „jüdischen Kronzeugen“ für antisemitische Ambitionen zu suchen. „Falsche Kritik“ werde nicht dadurch besser, dass sie von Juden vorgetragen werde. Einen abschließenden Rat anderer Art gab Prof. Benz. Der Antisemitismus sei nicht durch ein neues Feindbild, die Feindschaft gegen den Islam, zu überwinden. Beides müsse gleichermaßen bekämpft werden.
Insgesamt war das Seminar so angelegt, dass im Plenum fast kein Spielraum für grundsätzliche, tiefer gehende Auseinandersetzungen war – auch nach den Workshops im Abschluss-Plenum nicht. In einem persönlichen Gespräch war davon die Rede, das Seminar habe der Reinwaschung des Aachener Friedenspreises gedient, Ziel sei es gewesen, den Aachener Friedenspreis in Kreisen der Israel-Lobby wieder salonfähig zu machen. Ob das zutrifft, ist eine Frage, die es zu beantworten gilt. Kurz vor Schluss gelang es noch, im Plenum einen Vorschlag zu unterbreiten, eine ähnliche Veranstaltung mit weniger „systemkompatiblen“ Referenten zu veranstalten, z.B. mit Norman Finkelstein und Georg Meggle. Die Entscheidung, eine derartige Veranstaltung zu realisieren, wäre ein wesentlicher Schritt zur Beantwortung der gestellten Frage. Damit würde sich möglicherweise auch ergründen lassen, wer ein Interesse am Antisemitismus hat – sei es als reale Erscheinung oder als Phantom und fiktives Feindbild. (PK)
Online-Flyer Nr. 339 vom 01.02.2012
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