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Feindbilder im Rosenmontagszug in Köln
Gestern Juden, heute Islam
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Das Erste Deutsche Fernsehen zeigte Höhepunkte der Rosenmontagszüge. Darunter war in Köln der Motiv-Wagen „Kernspaltung“. Zu sehen war laut Fernsehkommentator einer der „gefährlichsten Politiker“ unserer Zeit, der mit der Atombombe hantiert und sie in das New Yorker UN-Gebäude rammt. Es gab Karnevalisten, die sich dabei an den Kölner Rosenmontagszug des Jahres 1936 erinnert fühlten und dies auch öffentlich zum Ausdruck brachten.
 
 
Bestandteil eines Motiv-Wagens beim Kölner Rosenmontagszug 2012 – Juden-Nase?
Alle Bilder: arbeiterfotografie.com – Klaus Franke, Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
 
Der Motiv-Wagen „Kernspaltung“ verlässt am Rosenmontag morgens gegen 6:30 Uhr die Wagenhalle in Köln-Braunsfeld
 
Der Wagen zeigt den iranischen Präsidenten, wie er eine Atombombe ins New Yorker UN-Gebäude rammt – Eine Karnevalistin kommentiert
 
Der Wagen bewegt sich durch die Menschenmassen und erreicht eine Million Zuschauer vor Ort und mehrere Millionen Fernsehzuschauer
 
Der Wagen zeigt einen islamischen Geistlichen (vergleichbar dem Papst) wie er den iranischen Präsidenten anstachelt, eine Atombombe ins New Yorker UN-Gebäude zu rammen – Eine Karnevalistin kommentiert
 
Motiv-Wagen „Ja, Du willst“ zum Thema Zwangsehe im Islam – mit Burka-Frau, die schon für den Afghanistan-Krieg herhalten musste
 
Detail aus dem Motiv-Wagen „Kernspaltung“ – Die Atombombe, deren Besitz dem Iran wahrheitswidrig unterstellt wird, lässt das UN-Gebäude zerbersten
 
Der Wagen vor dem EL-DE-Haus, in dem die Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums „Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz – Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda“ läuft.
 
Eine Karnevalistin kommentiert: „Pfui, Kölner Karneval...“
 
Kölner Rosenmontagszug 1936 mit antisemitischer Propaganda – aus der aktuellen Ausstellung „Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz – Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda“ im EL-DE-Haus (noch zu sehen bis 4. März).
 
 
Im EL-DE-Haus, dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, läuft zurzeit (noch bis zum 4. März) die Ausstellung „Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz – Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda“. Das Motiv, mit dem für diese Ausstellung geworben wird und das auf den Plakaten wiedergegeben ist, stammt aus dem Kölner Rosenmontagszug von 1936. Zu sehen ist eine Figur mit einer ausgeprägten Nase. Die Zuschauer von damals wissen: es ist ein Jude dargestellt. Es geht um die propagandistische Schaffung des antisemitischen Feindbildes "Die Juden". Die Ausstellung ist sehenswert, denn sie kann den Besuchern die Augen öffnen und sie dazu animieren, auch heute genau hinzusehen.
 
Und siehe da, es ist erschreckend, was wir heute zu sehen und zu hören bekommen. Es ist Propaganda, die sich durchaus mit der der NS-Zeit messen kann. Sie ist Bestandteil der aktuellen Kriegshetze gegen den Iran. Dem Iran wird - ohne dass es dafür irgendwelche Indizien gäbe - unterstellt, er entwickle oder verfüge bereits über die Atombombe. Es ist wie bei den Lügen des US-Außenministers Collin Powell, der erwiesenermaßen ohne Schamesröte die UN-Vollversammlung belog und dies auch eingestanden hat, als er dem Irak den Besitz von Massenvernichtungswaffen unterstellte. Das Ergebnis: mehr als eine Million Tote im Irak seit 2003. Es sind die Hauptkriegstreiber USA und Israel, die längst über Atomwaffen in großem Stil verfügen. Sie werden nicht zum Thema gemacht, obwohl die Bedrohung von ihnen ausgeht.
 
Bestandteil des Kölner Rosenmontagszugs war ein Wagen, der zeigt, wie der iranische Präsident eine Atombombe ins New Yorker UN-Gebäude rammt und dabei von einem islamischen Geistlichen - dem Papst vergleichbar - angestachelt wird. Der Kölner Fotograf und Sohn eines Holocaustopfers, Klaus Franke, hat an das Festkomitee des Kölner Karnevals geschrieben, gegen den Wagen protestiert, mit dem sich das Festkomitee „disqualifiziert“. Doch eine Antwort, die er eingefordert, hat er nicht erhalten.
 
Iran, ein Land, das nach der Atombombe strebt?
 
Tatsächlich ist es der Iran, der Atomwaffen als große Gefahr sieht und sich für ihre weltweite Ächtung stark macht. Am 3. Mai 2010 hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor den Vereinten Nationen eindringlich ausgeführt, was in den Medien der Kriegstreiber nicht zu lesen ist: die ganze Welt sei von der Gefahr der Atombomben überschattet. „Erstens verliert das Land, welches sie herstellt und anhäuft, selber seine Sicherheit. Zweitens werden bei Anwendung der Atomwaffe alle Lebewesen und die Umwelt zerstört, wirken sich deren Strahlungen auf die nachfolgenden Generationen aus und bleiben die Folgen bis zu mehreren hundert Jahren bestehen. Die Atombombe ist ein Feuer, das sich gegen die Menschheit richtet und keine Waffe zur Verteidigung. Es gereicht niemandem zur Ehre, sie zu besitzen...“
 
Verstärkt wird die verheerende Wirkung des Propaganda-Wagens durch die Kommentierung in den Medien. Im Kölner Stadt-Anzeiger wird das Bild des Wagens gezeigt und der legal gewählte iranische Präsident Ahmadinedschad in der Bildunterschrift als Diktator bezeichnet. Und in der Kommentierung zur ARD-Fernsehübertragung am Rosenmontag wird das ganze Register der Propaganda gezogen. Ahmadinedschad, der als „einer der schlimmsten und gefährlichsten Politiker“ bezeichnet wird, wird unterstellt, er wolle Israel definitiv von der Landkarte wegwischen, er leugne den Holocaust und sei stolz darauf.
 
Wörtlich bekommen die Zuschauer zu hören: „Ja, der Wagen der löstigen Innenstädter widmet sich einem ganz brisanten Thema. Also die Paradoxie des Karnevals oder des Rheinlandes - wie man sagen soll - die löstigen Innenstädter haben eines der ernstesten und schlimmsten Themen, die zurzeit die Welt bewegen, aufgenommen. Und zwar: sie nennen es Kernspaltung. Das ist der Umgang der UNO, der Vereinten Nationen mit dem Iran: Ahmadinedschad, einer der schlimmsten und gefährlichsten Politiker, glaub ich, spaltet im wahrsten Sinne des Wortes die UNO und - wird es zur Atombombe in den Händen eines Menschen eines Landes kommen, der Israel definitiv von der Landkarte wegwischen will, der den Holocaust leugnet und stolz darauf ist. Ja, ein ernstes Thema von den löstigen Innenstädtern, aber nochmals sei es gesagt, dass [Zugführer] Christoph Kuckelkorn die ernsten Themen nicht scheut und damit aufruft: wir dürfen das nicht vergessen und aufhören, darüber zu diskutieren. Wie steht es mit unserer Solidarität mit Israel und wie gehen wir damit um? Wir haben ein ernstes aber gutes Thema für den Zoch.“
 
Iran: Israel von der Landkarte tilgen?
 
Kein Wort bekommen die Zuschauer zu hören vom längst erwiesenen, aber geheim gehaltenen, illegalen Atomwaffenbesitz Israels. Wieder und wieder wird die Behauptung von der angeblichen iranischen Absicht, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen, aufgerufen. Dass diese Behauptung nicht zutrifft, hatten seinerzeit sogar Repräsentanten der Mainstream-Medien wie dpa und ZDF zugegeben. „Die dpa wird in Zukunft bei der Berichterstattung darauf achten, dass der Iranische Präsident, Mahmud Ahmadinedschad, nicht die Auslöschung Israels oder dessen Tilgung von der Landkarte gefordert hat.“ (dpa-Chefredakteur Dr. Wilm Herlyn am 13.6.2008) „Sie kritisieren, dass die Rede des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad falsch übersetzt worden sei. Wir können Ihrer Kritik zustimmen... Ich möchte Ihnen versichern, dass alle Kolleginnen und Kollegen über diesen Vorgang Kenntnis erhalten haben und die Übersetzung entsprechend berücksichtigen.“ (ZDF-Intendant Markus Schächter am 5.6.2008)
 
Und weiter heißt es in der Kommentierung der ARD-Sendung: „Der Zug ist dieses Jahr sehr ernst in seinen Themen, obwohl er es wunderbar bunt und wunderbar satirisch rüber bringt. Tucholsky hat gesagt: Satire darf alles. Darf sie das? Satire darf alles. Für mich persönlich heißt das aber, die Grenze ist da, wo Menschen in ihrer Würde gedemütigt werden. Das ist die Grenze. Wenn ein Mensch auf dem Boden liegt, darf auch die Satire nicht drauf treten. Es sei denn, es ist ein Diktator, ein Verbrecher, ein wirklich schlimmer Mensch. Aber selbst der hat eine Würde.“ Da ist sie wieder, die Verteufelung desjenigen, gegen den Krieg geführt werden soll. Ahmadinedschad: „ein Diktator, ein Verbrecher, ein wirklich schlimmer Mensch“. Kein Wort ist zu hören von denjenigen, die die großen Verbrechen unserer Zeit begehen - die Führer der westlichen Welt - in Afghanistan, Irak, Libyen und so weiter und so fort.
 
Karneval: frei von politischen Tendenzen?
 
„Politische Tendenzen haben sich nie im Innenleben des Kölner Karnevals breit machen können, und so ist dieses in der ganzen Welt berühmte Volksfest auch stets frei von politischen Einflüssen geblieben.“ Das ist in den Leitsätzen der Denkschrift des Festausschusses des Kölner Karneval von 1935 zu lesen. Das war damals eine Lüge, und trifft auch heute nicht zu.
 
„Der Kölner Karneval hat eine Spiegelfunktion: gesellschaftskritisch, werteorientiert und unabhängig.“ So lautet einer der aktuell gültigen Leitsätze des Festkomitees des Kölner Karnevals. Bedauerlicherweise hat das mit der Realität nichts zu tun. Diese Art von Karneval ist ein nicht unbedeutendes Element zur Manipulation der Massen - abhängig und Bestandteil im Gefüge des weltumspannenden Propaganda-Apparats - orientiert an den Werten derer, die die Welt mit Krieg und sozialem Kahlschlag in ihrer Hand behalten wollen.
 
Eingebettet ist das alles in durchaus schöne Worte von der Stadt Köln als einem Melting Pot, in dem alles zusammenfließt: „Ob die so genannten Normalen, ob die so genannten Behinderten, ob schwarz, weiß, egal welche Rasse, groß und klein“, so die ARD-Kommentatoren. „Das Besondere und das Schöne ist, wenn mehr zosamme kumme Und nicht getrennt werden. Der Ursprung aller Kriege ist immer Trennung, immer Spaltung. Das ist das Übel. Das ist das Diabolische. Das Gegenteil von diabolisch ist symbolisch. Zosamme kumme. Echte Fründe stonn zosamme... Karneval ist eines der Mittel, um den Leuten das klarzumachen...“
 
Mit philosophischer Gebärde erinnern die ARD-Kommentatoren an den großen Monolog aus des „Teufels General“ von Carl Zuckmayer, der von der Abstammung „vom Rhein“ gesprochen hatte. „Vom Rhein. Von der großen Völkermühle… Vom Rhein – das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel.“ Nichts von Adel haftet den Fernseh-Philosophen an, die Analogien und große Bilder ins Bewusstsein rufen, aber nicht das Bild der „Todesmühle“, dem Motivwagen im Nürnberger Faschingsumzug von 1938, der in der dortigen Zug-Dramaturgie als „End- und Höhepunkt“ gefeiert und bejubelt wurde. „Wie an einem Galgen baumelnd war dort unter anderem die Figur eines Juden aufgehängt.“, heißt es bei den Autoren Dietmar und Leifeld des Buches „Alaaf und Heil Hitler“. Dies sei der „Tiefpunkt der antisemitischen Propaganda“ heißt es im Wochenmagazin Nordbayern zu dieser Darstellung. Hetze ist selten von Adel und hat nichts mit Karikatur oder Satire zu tun.
 
Doch nicht alle machten beim Rosenmontagszug 2012 dieses diabolische Spiel mit. Der unter dem Motto „Kernspaltung“ laufende Wagen wurde kommentiert mit: „Das ist Kriegshetze“, „Ihr baut Feindbilder“ und „Gestern Juden, heute Islam“. (PK)
 


Online-Flyer Nr. 342  vom 22.02.2012

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