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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen - und diesmal noch einiges mehr
Auf gleicher Augenhöhe
Von Evelyn Hecht-Galinski
Ich möchte die Verleihung des Deutschen Medienpreises in Baden-Baden zum Anlass nehmen, erneut einige vergleichende Fragen zu stellen: Wann ist man ein Antisemit? Wer hat das zu entscheiden? Und warum sollen wir dazu gemacht werden? Außerdem gibt es im Anschluss daran zum Thema noch einiges mehr zu lesen - ein Interview im Badischen Tagblatt und die Rede von Mitri Raheb zu seiner Auszeichnung mit dem Deutschen Medienpreis.
Evelyn Hecht-Galinski
1.) Ist Karlheinz Kögel, der Erfinder und Stifter des Medienpreises, jetzt ein Antisemit, weil er Mitri Raheb, einem der vier Preisträger einen vergab?
Medienpreisträger Dr. Raheb Mitri
NRhZ-Archiv
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Prof. Herzog,
Online-Flyer Nr. 343 vom 29.02.2012
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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen - und diesmal noch einiges mehr
Auf gleicher Augenhöhe
Von Evelyn Hecht-Galinski
Ich möchte die Verleihung des Deutschen Medienpreises in Baden-Baden zum Anlass nehmen, erneut einige vergleichende Fragen zu stellen: Wann ist man ein Antisemit? Wer hat das zu entscheiden? Und warum sollen wir dazu gemacht werden? Außerdem gibt es im Anschluss daran zum Thema noch einiges mehr zu lesen - ein Interview im Badischen Tagblatt und die Rede von Mitri Raheb zu seiner Auszeichnung mit dem Deutschen Medienpreis.
Evelyn Hecht-Galinski
NRhZ-Archiv
2.) Ist Prof. Roman Herzog jetzt ein Antisemit, weil er die Laudatio auf die vier Preisträger hielt, inklusive Pfarrer Mitri Raheb?
3.) Warum zog die Verleihung an "leise Friedensstifter" in diesem Jahr so wenig "A-Prominenz" an? Wollten sie es vermeiden als Antisemiten verunglimpft zu werden?
4.) Dafür kamen jede Menge "C, D und E-Prominenz". Haben diese "bunte Blätter-Prominenten" weniger Skrupel? Auf dem roten Teppich sah man nämlich unter anderem, Maschmeyer und Ferres, Almsieck und Begleiter, Schrowange und Slomka. Oder auch Regine Sixt, die spendable Sponsorin des Frankfurter Israel-Kongresses von ILY (I like Israel von Sascha Stawski, Honestly concerned). Übrigens für den Zwangsarbeiterfond war Sixt nicht ganz so spendenfreudig? Satirisch, oder?
5.) Sind die Zuschauer auf den "hinteren Rängen", wie die eingeladenen Baden-Badener Schüler, Lehrer und Angestellten des Kögel Imperiums, die wegen der vielen Lücken der fehlenden Prominenz nach vorne rücken mussten/durften, jetzt Antisemiten?
6.) Angesehene Baden Badener Bürger, wie Hans Werner von Wedemeyer, ein engagierter Christ, Mit-Initiator des "Kairos Papiers" und ein Deutscher, der sich auch bewusst, für die Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung und Besatzung des, besetzten palästinensischen Volkes durch Israel einsetzt. Das macht er gerade auch im Bewusstsein unserer gemeinsamen Vergangenheit. Ich bewundere ihn und seine Frau sehr. Wir sind uns einig: NIE wieder weg zu schauen wenn Unrecht begangen wird, auch wenn es vom Jüdischen Staat ausgeht. Ebenso erging es den anderen Mitstreitern und Freunden. Wir alle waren es nicht "wert" den roten Teppich der Selbstgefälligen zu betreten. Wir durften "extra", durch den Hintereingang eintreten und mussten uns über eine Stunde lang mehrmals hintereinander "Kögel und die große Welt", Kögel und die Polit-Prominenz von 20 Jahren Medienpreis anschauen. Wir waren die Staffage und Komparserie im "Fegefeuer der Eitelkeiten". Aber schließlich und endlich machten wir dieses Spiel mit, um unsere Solidarität mit Mitri Raheb zu beweisen.
Sagte Mitri Raheb nicht, dass man den Palästinensern von israelischer Seite endlich auf gleicher Augenhöhe begegnen soll, so war es an diesem Abend doch so, dass man durch diese Ungleichbehandlung, die eingeladenen Gäste selektierte und ihnen auch nicht "auf gleicher Augenhöhe" begegnete. Dachte ich immer, wir hätten die Selektion hinter uns gelassen, so wurde ich an diesem historischen Abend eines besseren belehrt. Wir, dass Fußvolk, dienten dem "Medien Controller" als "Klatscher und Lückenfüller" auf seiner Rampe der Eitelkeiten.
Ein Spiegelbild unserer heutigen, emporgekommenen "Pseudo-Promi-Gesellschaft" tat sich auf.
Tue Gutes und vergiss nicht es medienwirksam zu inszenieren. Aber diesmal heiligte der Zweck die Dinge.
Diese vier Preisträger verdienten es allemal, uneingeschränkt ausgezeichnet zu werden.
Bedauerlicherweise "vergaß" Medienprofi Karlheinz Kögel, am Vorabend als Gast in der SWR Fernsehen-Landesschau auf den vierten Preisträger Mitri Raheb hinzuweisen. Er sprach zwar von vier Preisträgern, erwähnte aber den vierten, nämlich Raheb nicht. Auch die Moderatorin und Interviewerin "vergaß" nachzuhaken - ein Schelm wer Böses dabei denkt. Ein trauriges Beispiel von journalistischer Hilflosigkeit und Missachtung der Zuschauer und deren (bewusster?) Desinformation!
Hier nun die anderen drei Preisträger:
Dr. Sakena Yacoobi, die afghanische Ärztin und Bildungsexpertin, die sich trotz Todesdrohungen für Frauenrechte einsetzt.
Dr. Denis Mukwege, der kongolesische Gynäkologe, der in seinem Krankenhaus für die Versorgung von Vergewaltigungsopfern medizinische und psychologische Hilfe leistet.
Stanislaw Petrow, ehemaliger russischer Oberstleutnant, der nach einem durch Fehlalarm ausgelösten angeblichen amerikanischen Atomangriff nicht auf den roten Knopf drückte und so einen Atomkrieg verhinderte.
Passten diese stillen Preisträger nicht in den glamourösen Rahmen, der sonst die sogenannte Prominenz wie die Motten ins Licht zieht?
Sicher wird Kögel, der nach 20 Jahren Medienerfolg mit dem Preis, einer Skulptur aus der Karlsruher Porzellanmanufaktur Majolica, die Preisträger auszeichnete, auch nächstes Jahr wieder "as usual" einen unverfänglichen Prominenten auswählen und ehren.
Ausdrücklich möchte ich deshalb auf Prof. Roman Herzog, den ehemaligen Bundespräsidenten und Verfassungsrichter eingehe. Dem ich nach reichlicher Überlegung keinen Brief schrieb, da ich seinem eigenen Urteilsvermögen zutraute, nicht auf Briefe der üblichen "Israel-Protagonisten" hereinzufallen. Und dass ich ihm nicht auch noch schrieb, das war gut so!
Herzog sagte zutreffend, dass bildlich gesprochen jede kleine und entschlossene Initiative die ethische Temperatur der Welt ein bisschen erhöht. Natürlich vergaß er in seiner Laudatio für Mitri Raheb nicht (für deutsche Politiker unerlässlich!) auf das Existenzrecht Israels einzugehen. Schade nur, dass gerade deutsche Politiker vergessen, dass gerade auch sie in der Verantwortung für das palästinensische Volkes stehen, weil auch dieses heute noch unter den Folgen der deutschen Vergangenheit zu leiden hat.
Aber nach den ersten - für mich natürlich unerträglichen - deutschen Floskeln ging es positiv weiter: Herzog, ließ sich trotz der vielen Briefe, die ihn erreicht hatten, nicht daran hindern, einen Vertreter dieses kleinen Territoriums auszuzeichnen, der schon lange versucht, seinen palästinensischen Mitbürgern bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Nöte zu helfen.
Er habe den Eindruck, dass es sich hierbei um eine Auseinandersetzung von kleinen christlich-jüdischen und christlichen (christlich/evangelikalen/ zionistischen?) Gruppen, handele. In theologische Streitigkeiten habe sich jedoch der Staat nicht einzumischen. Eben so wenig beteilige er sich an der geschichtsphilosophischen Debatte, welches Volk als Nachfahren vergangener Nationen gelten könnte.
Herzog vergaß dabei, jüdische Organisationen, wie Jewish Congress, Jüdische Gemeinden, Zentralrat der Juden, Jerusalem Post und Wiesenthal Center, die sich besser nicht in christlich-theologische Belange eingemischt hätten, diesmal aber glücklicherweise damit gründlich "an die Wand gefahren sind". Abgeschmettert wurden sie, ach hätten sie doch besser geschwiegen. Ein Sieg für uns alle, die sich für Mitri Raheb eingesetzt haben und weiter einsetzen.
Hat Mitri Raheb nicht völlig recht, wenn er darauf hinweist, dass er sicher mehr DNA-Übereinstimmungen mit Palästina hat, als russische Juden, die jetzt nach Israel "heimkehren". Dieses Rückkehrrecht für alle Juden in der Welt in den Jüdischen Staat ist mehr als fragwürdig. Ich und die Jewish Voice for Peace haben schon seit langem auf dieses Rückkehrrecht verzichtet.
Ähnliches gilt für den Spruch zu Pessach, dem jüdischen Oster-Pendant, bei dem gesagt und darauf "angestoßen wird": "Nächstes Jahr in Jerusalem". Ein Spruch, der nur den "Alleinvertretungsanspruch" auf Jerusalem symbolisieren soll. Dieser Spruch zeigt genug leidvolle Wirkung der willkürlichen Judaisierung Jerusalems, die täglich voranschreitet.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen Haaretz-Artikel von Gideon Levy hinweisen (1), der darin schreibt, dass auch die säkulare jüdische Bevölkerung (70%) sich als von Gott "auserwähltes Volk" sieht und dass Gott ihren jüdischen Staat führt. Wenn man so denkt, ist das die Lizenz für ALLES.
Es kann immer nur schlimmer werden, das zeigt auch der Likud-Konkurrent von Netanjahu, Mosche Feiglin, der offen sagt, dass er "zurück nach Gaza" möchte, also für die Wiederbesetzung des Gazastreifens eintritt (Israel hat dessen Besatzung doch nie beendet). Den Konflikt mit den Palästinensern möchte er lösen, indem er sie finanziell zur Abwanderung "ermuntert". Er sagt doch allen Ernstes, dass der Staat Israel reich genug ist, um allen abwanderungswilligen Familien 350.000 Dollar anzubieten, damit ihre Zukunft einen besseren Platz findet.
Verstehen Sie jetzt, warum ich vehement für einen demokratischen Staat Palästina/Israel eintrete - mit gleicher Augenhöhe für alle Bürger, ohne Unterschiede und Einschränkungen? Ebenso für die BDS-Maßnahmen, die mir wichtiger denn je erscheinen, nach Aussagen, wie reich der jüdische Staat ist und dass er in der Lage ist, außer für Waffen Geld auch für solche verbrecherischen Angebote auszugeben? Israel verpulvert schon seit langem unsere Steuergelder, indem es Projekte für Palästina mutwillig zerstört. Wie lange will man diesem Treiben noch tatenlos zusehen?
Fazit dieser Medienpreisverleihung für mich: Es waren diesmal vier große Preisträger, die "leisen". Besonders wichtig meiner Auffassung nach Mitri Raheb, ein Brückenbauer, der auf gleicher Augenhöhe mit seinen jüdischen und israelischen Brüdern und Schwestern leben möchte. Ein christlicher Hoffnungsträger im besetzten Bethlehem, besetzt vom jüdischen Staat, Ein Licht auch im Dunkel für alle muslimischen Brüder und Schwestern, ein wahrer Stern von Bethlehem gegen alle Unterdrückung und Besatzung.
Erinnern möchte ich zum Schluss noch einmal an den 30. März. An diesem "Tag des Bodens" gilt es mit dem "Global Marsch nach Jerusalem" zu beginnen. Das erscheint mir wichtiger denn je! (PK)
(1) http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/god-rules-all-in-2012-israel-even-the-state-1.409739
Weitere Infos:
Evelyn Hecht-Galinskis Interview mit dem Badener Tagblatt:
Baden-Baden – Im Vorfeld der morgigen Verleihung des Deutschen Medienpreises 2011 an den palästinensischen Pfarrer Mitri Raheb hat sich eine heftige Diskussion entwickelt. Raheb wird als Rassist und Antisemit kritisiert, unter anderem in israelischen Medien und in Stellungnahmen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Auf der anderen Seite beschreiben ihn etwa die evangelische Kirche in Baden und exponierte Israel-Kritiker wie Evelyn Hecht-Galinski als engagierten Friedensstifter. Mit Hecht-Galinski sprach BT-Redakteur Albert Noll.
BT: Frau Hecht-Galinski, welche Bedeutung messen Sie der Verleihung des Medienpreises an Mitri Raheb bei?
Evelyn Hecht-Galinski: Eine sehr große. Ich möchte Herrn Kögel danken für die Auswahl des Preisträgers. Mit diesem Preis bekommt endlich Rahebs Einsatz für die Verständigung zwischen Christen, Juden und Moslems die internationale Anerkennung, die er verdient. Endlich erhält ein Friedensstifter nach Politikern wie Bill Clinton oder Angela Merkel die Auszeichnung.
BT: Angesichts der Kritik an der Entscheidung für Mitri Raheb haben Sie auch an den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog geschrieben, der die Laudatio halten will. Haben Sie schon eine Antwort bekommen?
Hecht-Galinski: Nach reichlicher Überlegung habe ich es unterlassen, auch noch einen Brief an Professor Herzog zu schreiben, da ich davon ausgehe, dass sich so ein Mann nicht beeinflussen lässt von verleumderischen Anschuldigungen und haltlosen Angriffen der bekannten Israel-Versteher, wobei es sich immer um dieselben Protagonisten handelt.
BT: Raheb hat sich durch seine Sozial- und Bildungsarbeit in Bethlehem große Verdienste erworben, gleichzeitig vertritt er seine Auffassungen in sehr zugespitzter und provozierender Form ...
Hecht-Galinski: Das kann ich absolut nicht nachvollziehen. Ich halte ihn sogar für bewundernswert sanft, angesichts der Tatsache, dass von ehemals 20 Prozent christlichem Bevölkerungsanteil heute nur noch unter zwei Prozent in den besetzten Gebieten übriggeblieben sind. Er tritt für einen friedvollen Ausgleich zwischen den Religionen ein – immerhin in der Stadt Bethlehem, die durch eine Apartheid-Mauer geteilt wird. In diesem Zusammenhang vermisse ich beispielsweise die Stimme des CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der sich um die Christen in der ganzen Welt sorgt, nur um die palästinensischen Christen offenbar nicht.
BT: Sie selbst gehen ebenfalls keinem Konflikt aus dem Weg. Am 15. März erscheint von Ihnen ein Buch mit dem Titel „Das elfte Gebot, Israel darf alles“. Stellen Sie sich auf einen Proteststurm ein?
Hecht-Galinski: Der kommt höchstens von denselben Protagonisten, die ich gerade erwähnt habe. Ganz im Gegenteil. Zum Beispiel bekomme ich auf meine regelmäßigen Kommentare und Kolumnen in der NRhZ-Online-Zeitung nur positive Reaktionen. Ich hoffe, mit meinem Buch wachzurütteln und auf das Unrecht aufmerksam zu machen, das täglich von der israelischen Regierung an der palästinensischen Bevölkerung verübt wird. Der jüdische Staat ist die einzige verbliebene Besatzungsmacht, mit einem Freiluft-Gefängnis in Gaza.
BT: Was ist Ihrer Einschätzung nach absolut vordringlich, um auf dem Weg zur Lösung des Nahost-Konflikts weiterzukommen?
Hecht-Galinski: Ich habe mich schon seit langem von dem Politiker-Mantra der Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet. Die ist längst nicht mehr machbar. Israel ist nicht gewillt, den Siedlungsbau zu stoppen, sich in die Grenzen von 1967 zurückzuziehen, Jerusalem gerecht zu teilen und über das Rückkehrrecht der Flüchtlinge zu verhandeln. Daher gibt es für mich und viele andere nur noch eine Option: ein demokratischer Staat Palästina/Israel für alle Bürger, egal welcher Religion oder Weltanschauung. Diesem unmenschlichen System muss ein Ende gesetzt werden. Deshalb setze ich mich auch für Boykott-Maßnahmen gegen israelische Produkte ein. Das hat nichts zu tun mit „Kauft nicht beim Juden“, wie immer fälschlich behauptet wird. Es geht einzig allein um Waren, nicht um Menschen. Es geht darum, das Unterdrückungsregime zu treffen.
BT: Sehen Sie sich da auf einer Linie mit Mitri Raheb?
Hecht-Galinski: Ich denke schon. Wir sind in häufigem E-Mail-Kontakt. Man kennt sich in der Friedensbewegung, und man schätzt sich.
BT: Was sind Ihre nächsten Projekte?
Hecht-Galinski: Zusammen mit meinem Mann beteilige ich mich am 30. März, am „Tag des Bodens“, am globalen Marsch nach Jerusalem. Wir starten je nach politischer Lage von Kairo, Amman oder Beirut und wollen uns damit solidarisieren mit dem unterdrückten palästinensischen Volk. Ich möchte zudem auf den Skandal der Administrativhaft aufmerksam machen. Über 400 Menschen, auch Kinder und Jugendliche, sind momentan in Administrativhaft, ohne Urteil, ohne etwas verbrochen zu haben. Die deutsche Öffentlichkeit muss wachgerüttelt werden und darf sich nicht beeinflussen lassen von diesen Pseudo-Kritikern. Auch der Zentralrat der Juden, der ein Sprachrohr der israelischen Regierung ist, spielt da heute eine gefährliche Rolle. Auch den Palästinensern muss Gerechtigkeit zuteil werden, das sind wir unserer gemeinsamen Vergangenheit schuldig. Und deswegen nehme ich auch den Ausspruch meines Vaters sehr ernst: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.“
Das Interview haben wir mit freundlicher Genehmigung des stellvertretenden Chefredakteurs Albert Noll übernommen. (PK)
Rede zum Deutschen Medienpreis von Mitri Raheb
Das Interview haben wir mit freundlicher Genehmigung des stellvertretenden Chefredakteurs Albert Noll übernommen. (PK)
Rede zum Deutschen Medienpreis von Mitri Raheb
Medienpreisträger Dr. Raheb Mitri
NRhZ-Archiv
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Prof. Herzog,
Sehr geehrter Herr Koegel,
liebe Schülerinnen und Schüler,
meine sehr verehrten Damen und Herrn.
Ich war positiv überrascht, als ich die Nachricht bekam, den „Deutschen Medienpreis“ bekommen zu haben. Was für eine Ehre! "Was hatte ich Ausserordentliches geleistet?" habe ich mich gefragt. Womit habe ich das verdient? Dann musste ich als evangelischer Pfarrer mir selbst sagen, das meiste verdienen wir nicht, sondern es wird uns geschenkt, wie sagte damals der deutsche Reformator: „Allein aus Gnade“. Natürlich habe ich mich sehr gefreut, dass die harte und leise Arbeit über zwei Jahrzehnte und unter den schwierigsten Umständen, nicht nur von mir, sondern auch von den vielen Mitarbeitern, nun eine Anerkennung auf solch einer Ebene bekommt. Deshalb richte ich heute ein besonderes Wort des Dankes an die Jury. Ich muss mich vor allem auch beim Prof. Herzog und Herrn Koegel herzlich bedanken. Nicht nur ich weiss das sehr zu schätzen, sondern Tausende von Freunden in Palästina, in diesem Land und weltweit.
Der Kontext, in dem ich lebe, hat unsere Arbeit von Anfang an bestimmt. Ich bin "zu Bethlehem geboren" (das klingt vertraut!) und zwar in einer palästinensisch christlichen Familie. Palästina ist meine Heimat und das Christentum mein Glaube. Das ist das Land meiner leiblichen wie meiner geistlichen Vorfahren. Geboren unter jordanischer Herrschaft, erlebte ich mit fünf Jahren den Beginn der israelischen Besatzung von Bethlehem. Ich bin nicht einmal 50 und habe schon 9 Kriege miterleben müssen. Als Arafat und Rabin 1995 den Medienpreis erhalten hatten, da habe ich noch gedacht, dass Israelis und Palästinenser endlich in Frieden leben werden. Aber es kam erstens anders und zweitens als erwartet. Beide sind Hetzkampagnen zum Opfer gefallen. Heute bange ich, ob meine beiden Töchter, Dana und Tala, die heute hier sind, ob sie in ihrem Leben jemals Frieden erleben werden. Aber ich bin überzeugt, dass Krieg kein Schicksal ist. Daher haben die Engel mitten unter römischer Besatzung damals Frieden auf Erden verkündigt: Frieden auf Erden als einen Auftrag. Frieden im Heiligen Land muss unser aller Auftrag sein. Mauern zu bauen und Land für Siedlungen zu enteignen, wie jetzt um Bethlehem der Fall, oder Gewalt anzuwenden egal aus welchem Grund und auf welcher Seite, darf nicht einfach hingenommen werden. Genau hier setzt unsere Arbeit ein.
Wir haben erstens gesagt, dass das Heilige Land keine Mauern braucht, sondern Brücken. Deshalb haben wir unser Zentrum, Dar annadwa, Internationales Begegnungszentrum, genannt. Martin Buber, der jüdische Philosoph, dem ich geistig sehr nahe stehe, hatte Recht als er schrieb: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. Das Du der anderen bekommt in der Begegnung ein Gesicht und einen Namen. Dialog kann nur dann ein wahrer Dialog sein, wenn es ein Dialog von Gleichberechtigten ist, wenn das Du und das Ich auf gleicher Augenhöhe stehen. Wenn jeder seinen Narrativ, seine Geschichte und Identität haben kann, aber auf den Narrativ des anderen hören kann. Ein Monopol über Wahrheit, Sicherheit oder Opferrolle gehört nicht zum echten Dialog.
Dann haben wir gesagt: Wir dürfen nicht zu Friedensschwätzern werden. In einem Kontext, wo so viele destruktive Fakten täglich geschaffen werden, gleichzeitig von Friedensprozessen ständig die Rede ist, müssen wir ohne Unterlass Lebensräume schaffen: Lebensräume zum Aufatmen, wo Kinder aus Flüchtingslagern musizieren; wo Frauen aus entlegenen Dörfern einen Beruf im Kunsthandwerk erlernen; wo christliche und moslemische Kinder gemeinsam zur Schule gehen; wo junge Männer, die keinen Job auf dem Arbeitsmarkt finden, weitergebildet werden; wo Führungskräfte eine politische Bildung bekommen; wo junge palästinensische Frauen Fußball spielen und weltweit konkurrieren, wo Senioren in Würde ein Leben in Fülle führen können, und wo jüdische und palästinensche Akademiker und Aktivisten gemeinsam nach einer anderen Zukunft suchen. Was wir mit ihnen üben ist dies: Der Himmel und nicht die Mauer soll die Grenze des Denkens und der Kreativität sein. Das hört sich zwar gut an, ist aber in unserer Region (und nicht nur da) sehr gefährlich. Zu Denken ist gefährlich, Meinungsfreiheit zu fordern wird nicht gern angesehen, und Mythen zu hinterfragen wird öfters mit dem Leben bezahlt. Aber Leben ist nur dann echt, wenn es in Freiheit gelebt wird.
Wir haben sehr früh gesagt, dass die wichtigste Frage für die Zukunft unserer Region sein wird was für eine Kultur dort herrschen wird. Was für ein Geist wird sich im Heiligen Land ausbreiten lassen? Wird hier eine Kultur der Gewalt Menschen fesseln oder wird die Kraft der Kultur Menschen faszinieren? Wird eine Kultur des Hetzens verbreitet, oder wird eine Kultur des Dialogs gepflegt? Wenn Gruppen dort wie hier, die Zeit, die sie für Hetzkampagnen oder Gewaltaktionen nutzen, für Kampagnen des Friedens einsetzten, hätten wir schon längst Frieden. Kriege, auch Medienkriege zu gewinnen ist eine Sache. Was aber wirklich gewonnen werden muss ist der Friede. Hier haben unsere Region und die Welt total versagt.
In unserer Arbeit, wollten wir nicht warten, bis der grosse Friede auf Erden anbricht, sondern wir wollten durch unsere Arbeit, durch eine Politik der kleinen Schritte, exemplarisch zeigen, wie Palästina heute aussehen könnte und müsste , wenn eine Vision, der Glaube, der Wille und das richtige Management der Ressourcen da wären. Wir wollten uns der Verantwortung für unsere Mitmenschen nicht entziehen. Verantwortung gehört zum mündigen Bürger. Der mündige Bürger ist das Ziel unserer Arbeit auf regionaler Ebene mitten in dem sogenannten "arabischen Frühling“. Die jungen Menschen in Palästina und in der arabischen Welt, die über 55% der Bevölkerung ausmachen, müssen spüren, dass es ein Leben vor dem Tod gibt, wofür es sich zu leben lohnt. Sie verdienen ein Leben in Würde, in Frieden und in Freiheit.
Was ganz klein als ein Senfkorn begonnen hatte, ist innerhalb von 16 Jahren zu einem großen Werk geworden, mit mehr als 100 Mitarbeitern, 2.500 Mitgliedern und über 60.000 Menschen, die wir jährlich erreichen.
Meine Damen und Herren,
Schlechte Nachrichten aus der Region haben für lange Zeit die Schlagzeilen bestimmt. Es ist höchste Zeit, dass gute Nachrichten wieder aus Palästina kommen. Dafür stehen wir. Danke. (PK)
http://www.deutscher-medienpreis.de/2011/video2011.mid.html
http://www.deutscher-medienpreis.de/2011/video2011.mid.html
Online-Flyer Nr. 343 vom 29.02.2012
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