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Globales
Das Drama um den ‚Patrimoine culturel‘ im alten und neuen Tunesien
Thapsus – ‚Zone touristique‘?
Von Dietmar Spengler

Eine rhetorische Frage? Eher eine, die zu schlimmsten Befürchtungen Anlass gibt. Denn das Ausgrabungsgelände von Thapsus, einer antiken civitas libera der römischen Provinz Africa zwischen Leptis Minor (Lemta) und Sullectum (Mahdia), an der tunesischen Ostküste gelegen, ist nicht nur dem Vergessen, vielmehr der völligen Zerstörung zugedacht. Im Jahre 46 v. Chr. fand hier die Entscheidungsschlacht zwischen Julius Caesar und der Allianz von Anhängern des Pompeius und Nuba statt, die ersterer für sich entschied. Um 430 n. Chr. hatte die Stadt die erste Plünderung durch die Vandalen hinzunehmen. Bis heute hält diese unaufhörliche Barbarei an. 
 
 
Kaum jemand außerhalb der Fachszene kennt dieses Thapsus. Allein die katholische Kirche konserviert, ihrer vielen Würdenträger wegen, den Namen als Titularbistum. Als zu unbedeutend wurde die Ausgrabung jahrzehntelang vernachlässigt. Die Arbeiten dort sind seit Menschengedenken eingestellt, obgleich der ‚Specialist in Cultural Historical Travel‘ Gegenteiliges weiß: „the site is still undergoing excavation, with interesting finds beeing uncoverd“.
 
Schön ist der Landstrich an der Küste allemal; die römischen Großgrundbesitzer hatten sich stets die ansehnlichsten Gebiete ihrer Provinzen als Wohnlagen ausgesucht. Das Hinterland ist mäßig fruchtbar, früher eine Kornkammer Roms, heute Anbaugebiet von Oliven. Verwaltet wird das Gelände um Thapsus von der Kommune Bekalta, die vorwiegend von der Landwirtschaft lebt. In knapp zwei Stunden gelangt man von Sousse mit der 'Metro du Sahel' dorthin.
 
Das antike Areal erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer, ausgegraben ist lediglich ein kleiner Teil; unter anderem das ovale Amphitheater, ein kleines Villenquartier, mehrere Zisternen, Thermenreste und Überbleibsel einer Mole. Nicht berühmt wie die großen Ausgrabungsstätten von Uthica, Bulla Regia, Thugga, Thuburbo Majus, Thysdrus (El Djem), Mactaris (Maktar), Sufetula (Sbeitla), eher klein und unspektakulär fristen die Ende des 19. Jahrhunderts ausgegrabenen Ruinen der antiken Stadt ihr Dasein.
 
'Zone touristique'
 
Wie es um die Besitzverhältnisse des Ausgrabungsgeländes steht, ist nicht auszumachen. Jedenfalls hat die Kommune das Sagen und diese hat seit kurzem das Gelände als eine 'Zone touristique' ausgewiesen. Folglich fühlt sich keiner der angrenzenden Grundbesitzer an Auflagen gebunden, die schon vor Jahrzehnten nur auf dem Papier standen. „C'est mon terrain, et je peux faire avec, que-ce que je veux“ ist die Antwort auf die vorsichtige Frage nach der Nutzung des angrenzenden Terrains. Und da man sich viel verspricht vom Tourismus, wird hier heftig gebaut. Wo vormals braches Gelände oder weitflächige Gärten sich erstreckten, schaufeln Bagger tiefe Baugruben aus, ragen nun Rohbauten in den blauen Himmel. Keine dreißig Meter vom Außenring des Amphitheaters entfernt hat ein brandneues Luxushotel, das von solventen Libyern belegt ist, eine vier Meter hohe Mauer gezogen. Auf der Landseite sind es keine 20 Meter von der Theatermauer zum Neubau einer Villa. Hart am Schuttberg des Befestigungswerks wurde ein Gelände von ca. 200 Metern Länge einplaniert - um einem touristischen Projekt Platz zu machen? Unmittelbar am Schuttwall des antiken Villenareals hat ein Bauer die tiefen Furchen seines Ackers gezogen. Rötlich schimmert die Erde. Antike Tonware und Steinzeug ist zu kleinsten Teilen zerschlagen. Gegenüber auf der Nordseite wuchert noch das Unkraut, wachsen Büsche, weiden einige Ziegen. Bis zum nächstliegenden Haus ist das Gelände mit Unrat und Müllhaufen übersät, Kinder spielen zwischen den spärlichen Mosaikresten.
 
In der Villa selbst hat sich ein Obdachloser mitsamt Matratze in einer Gewölbenische einquartiert. Viele der ursprünglich alle Zimmer schmückenden Mosaiken sind verschwunden. Nicht etwa ins nahe Archäologische Museum in Sousse sind sie gelangt, vielmehr ‚in Luft haben sie sich aufgelöst‘. Von der figuralen Ausstattung dieser Villen ist kein Stück geblieben.
 
‚Patrimoine culturel‘ perdu?
 
Wie in den europäischen Provinzen des römischen Imperiums wurden die antiken Bauwerke bereits von den Siegermächten, hier von Vandalen und Byzantinern demoliert, Tempel, Foren, Theater, Thermen und Bibliotheken umfunktioniert und zerstört. Die im 7. Jahrhundert aus dem Osten eindringenden arabischen Stämme wussten mit den Resten nichts anderes anzufangen, als sie als Steinbrüche für ihre Herrschaftsbauten auszuschlachten. Alles Figurale fiel dem islamischen Ikonoklasmus zum Opfer. Das Wenige, das gerettet werden konnte, brachten die Archäologen der einstigen Kolonialmacht Frankreich in einigen Museen des Landes in Sicherheit. Die einstige civitas, von deren Ruhm das große Oval des Theaters kündet, ist zu einem jämmerlichen Müllhaufen zusammengeschrumpft. Die wenigen Mosaikreste, die man damals bergen konnte, verstauben in den Depots des Bardo-Museums. Den Rest erledigt nun die Ignoranz profitorientierter Lokalmatadore.
 
In der Regel ist es Armut, die den Menschen seine Herkunft vergessen lässt. Hier aber sind spekulative Interessen im Spiel. Die Gemeindeverwaltung hat sich mit der 'Zone touristique' einen schönen Coup ausgedacht; mit einer Klappe zwei Fliegen geschlagen! Die Verantwortung für den Patrimoine abgegeben und zugleich daraus Nutzen gezogen. Seit Anfang des Jahres ist das Gelände entlang der Uferstraße kilometerweit mit Laternenmasten und Anschlüssen für Strom und Wasserversorgung gespickt. Stichtrassen zerteilen das Terrain der antiken Stadt. Dass hier irgendein Archäologe oder Historiker involviert war, ist, setzt man bei derlei Personen ein gewisses Kulturbewusstsein voraus, nicht vorstellbar. Der Konservator im Museum von Sousse klagt über den Raubbau bei solchen Projekten: „Keiner scherte sich um Auflagen und die Bauaktivitäten in dieser Zone seien allesamt illegal!“ Seit der Revolution brauchte man nicht einmal mehr die unter Ben Alis Regime notwendigen Bestechungsgelder fließen zu lassen, so der verbitterte Altertumshüter.
 
Währenddessen hier eingeebnet wird, legen deutschen Archäologen in Chemtou im Nordwesten des Landes, mit ihrer 'Campagne tuniso-allemandes', neue Ruinen frei. Allerdings ist dort für Bauspekulanten nichts zu gewinnen: Bekanntlich ist das Meer zu weit entfernt.
 
Für Bekalta kann dieses Projekt, eine touristische Zone zu erschließen, nur ins Auge gehen. Sich an das große Geschäft anzuhängen ist in der gegenwärtigen und voraussichtlichen Situation reichlich naiv. Die nahen Touristenhochburgen von Monastir und vom nur wenige Kilometer entfernten Mahdia klagen schon seit dem Sommer über starke Geschäftseinbrüche und nun leere Hotels. Es ist nur zu wünschen, dass den Bäuerchen, die sich in Thapsus von den Spekulanten übers Ohr hauen ließen, das Geld nicht zu schnell von der galoppierenden Inflation aufgefressen wird. Dann haben wenigstens sie von dem chaotischen Zustand im Lande profitiert. (PK)
 
Dietmar Spengler aus Köln ist promovierter Kunsthistoriker im Ruhestand und kann das Räsonieren nicht lassen!


Online-Flyer Nr. 343  vom 29.02.2012

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