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Inland
KIT-Präsident zur Zivilklausel: „Schnee von gestern“ und „Relikt des Kalten Krieges“
Universitäre Freiheitskämpfer neuen Typus
Von Dietrich Schulze
Für Präsident Prof. Eberhard Umbach vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist die Zivilklausel, die satzungsmäßige Bindung bzw. Selbstverpflichtung, Lehre und Forschung an der Hochschulen nur zivilen und friedlichen Zwecken zu widmen, „Schnee von gestern“ und ein „Relikt des Kalten Krieges“. Das erklärt ausgerechnet der Manager einer Institution, deren Großforschungsteil über Jahrzehnte eine Zivilklausel mit Erfolg praktiziert hat.
KIT war im Oktober 2009 aus dem Zusammenschluss von Universität Karlsruhe und dem (Kern)Forschungs-zentrum hervor gegangen. Seit vier Jahren läuft die Auseinandersetzung zur Übertra- gung der Zivilklausel des Forschungs-zentrums auf das gesamte KIT, wofür die Studierenden der Uni in einer Urabstim- mung votiert hatten. Umbachs plumpe und empörende Äußerungen stammen aus einem Interview vom 12. Juli (1).
Nach solchen Äußerungen kein Zufall mehr, dass Prof. Umbach und sein Ko-Präsident Prof. Horst Hippler es noch nicht einmal für nötig gehalten hatten, ihre Nichtteilnahme an der Ehrung des bedeutenden Professors der Fridericiana zu entschuldigen. Dass überhaupt Tagungsräume für den Abschied von Werner Buckel zur Verfügung gestellt wurden, ist allein der energischen Unterstützung der Studierenden und der Studierendenvertretung UStA zu verdanken.
Prof. Horst Hippler
Im Interview spricht Umbach davon, dass KIT beim Arbeitsschwerpunkt "funktionale Nanostrukturen“ im strengen wissenschaftlichen Wettbewerb nicht die erforderliche Fortune gehabt habe. Er redet von der fortbestehenden Exzellenz des KIT und erklärt zum Verlust an Drittmitteln wörtlich: „Wir werden beim Wettbewerb um Forschungsgelder vielleicht sogar erfolgreicher sein, weil wir uns mehr anstrengen und weil jetzt der Neidfaktor keine Rolle mehr spielen sollte. Die Industrieunternehmen werden auch in Zukunft ihre Partner nicht nach einem Titel beurteilen, sondern danach, was eine Zusammenarbeit bringt.“
Online-Flyer Nr. 363 vom 18.07.2012
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Inland
KIT-Präsident zur Zivilklausel: „Schnee von gestern“ und „Relikt des Kalten Krieges“
Universitäre Freiheitskämpfer neuen Typus
Von Dietrich Schulze
Für Präsident Prof. Eberhard Umbach vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist die Zivilklausel, die satzungsmäßige Bindung bzw. Selbstverpflichtung, Lehre und Forschung an der Hochschulen nur zivilen und friedlichen Zwecken zu widmen, „Schnee von gestern“ und ein „Relikt des Kalten Krieges“. Das erklärt ausgerechnet der Manager einer Institution, deren Großforschungsteil über Jahrzehnte eine Zivilklausel mit Erfolg praktiziert hat.
Botschaft des Friedens
Das komplette Gegenteil von dem was der KIT-Präsident behauptet ist richtig. Die Zivilklausel ist eine außerordentlich wichtige und aktuelle Botschaft des Friedens gegen die zunehmende Militarisierung der Hochschulen. Die Äußerungen des Präsidenten kommen übrigens zu einem Zeitpunkt, an dem das KIT in gefährliche Strömungen geraten ist.
KIT hat den Exzellenz-Titel verloren - just an dem Tag, an dem in den Räumen des Universitätsteils von KIT ein bundesweiter Kongress gegen Kriegs- und Atomforschung (2a, 2b) begann - mit einer Laudatio auf den 2003 verstorbenen langjährigen Direktor des Physikalischen Instituts der Uni Karlsruhe, Prof. Werner Buckel, einen vorbildlichen Hochschullehrer, Friedenswissenschaftler und frühen Atomkraftkritiker.
Abgang des Ko-Präsidenten
Zum Verlust des Exzellenztitels kommt hinzu, dass sich kurz zuvor der Ko-Präsident Prof. Horst Hippler, Vater von KIT und Exzellenz-Uni, vom Acker gemacht hatte, indem er sich zum Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz wählen ließ (3). Ähnlich wie bei der Fußball-Europameisterschaft der deutsche Sieg als selbstverständlichste Sache der Welt dargestellt wurde, hatte KIT in überheblicher Manier fortlaufend die Unantastbarkeit seines Exzellenztitel propagiert. Umso größer war in beiden Fällen die Ernüchterung nach dem Absturz. Während in der Nationalelf Besinnlichkeit und Ursachenanalyse vorzuherrschen scheint, kann man das bei KIT nicht gerade beobachten.
Prof. Horst Hippler
Foto: Universität Karlsruhe
Fast nicht zu glauben, welches Maß an Widersprüchen von einem leitenden Naturwissenschaftler hier öffentlich kund getan wird. Wissenschaft als Glücksspiel? Wozu wird ein Exzellenzprogramm gebraucht, das sich an der Höhe der Drittmitteleinnahmen orientiert, wenn ohne dieses noch erfolgreicher Industriemittel eingeworben werden können? Was für eine öffentlich finanzierte Wissenschaft ist es, die danach ausgerichtet wird, Industrieinteressen statt dem Allgemeinwohl zu dienen?
Es kommt aber noch schlimmer. Die gleiche Person, die mittels verstärkter Einwerbung von Industriemitteln die universitäre Wissenschaft und Forschung in eine noch größere Abhängigkeit führt, spricht später im Interview von der Notwendigkeit, den Wissenschaftlern ihre Freiräume zu lassen, um ihre Integrität nicht infrage zu stellen. Und er beruft sich dabei auf den Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes, der die Freiheit von Forschung und Lehre vorschreibt.
Gutachten von Professor Denninger
Genau um die Freiheit geht es im Kern, wenn von der Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit gesprochen wird, so der Titel der Karlsruher Tagung am 15./16. Juni am KIT. Diese Freiheit ist nicht grenzenlos und wertefrei. Keineswegs wird gegen das Grundgesetz mit einer Zivilklausel der Art „Das KIT verfolgt nur friedliche Zwecke“ verstoßen. Als KIT-Präsident sollte Prof. Umbach das Gutachten „Zur Zulässigkeit einer so genannten ‚Zivilklausel‘ im Errichtungsgesetz für das geplante Karlsruher Institut für Technologie (KIT)“ (4) des Verfassungsrechtlers Prof. Erhard Denninger kennen. Dort wurde im Februar 2009 die Übereinstimmung der Zivilklausel mit dem Grundgesetz nachgewiesen. Trotz mehrfacher vollmundiger Ankündigungen von Gegengutachten gibt es bis heute keines. Warum wohl?
Widersprüche ohne Ende
Auch die anderen Umbach-Argumente im Interview gegen die KIT-Zivilklausel strotzen nur so von hanebüchenen Halbheiten und Unrichtigkeiten:
a) „Im Grundgesetz ist auch die Bundeswehr verankert, weshalb wir auch Forschung im Auftrag des Grundgesetzes nicht verbieten können.“ Damit stellt er selbst die nach der Verschmelzung ohnehin fragwürdige Teilzivilklausel infrage: „Zur Wahrnehmung der Großforschungsaufgabe betreibt das KIT im Interesse der Allgemeinheit Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken vorwiegend auf dem Gebiet der Technik und ihrer Grundlagen.“ (5) Die Nanotechnologie ist eine Großforschungsaufgabe und von starkem Interesse für die Bundeswehr. Im heimlichen KIT-Vorbild MIT (Massachusetts Institute of Technology) gibt ein eigenes Department dafür mit dem sinnfälligen Namen „Institute for Soldier Nanotechnologies“ (6).
Friedliche und Angriffswaffen
b) „Wenn am KIT aber jemand an Angriffswaffen forschen wollte, würde ich mich dem entgegenstellen.“ Ach so: Drohnen, Kriegsschiffe, Panzer, Raketen für die Bundeswehr sind keine Angriffswaffen, sondern friedliche Waffen. Nur ohnehin völkerrechtlich geächtete Waffen wie Chemiewaffen sind Angriffswaffen. Das erinnert an Orwell: „Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke." - wenn es die eigene Seite betrifft. In den Großstädten der sog. Dritten Welt dagegen lauert die große Gefahr. Deswegen hat auf der Wehrtechniktagung "Urban Operations“ im Januar in Berlin ein KIT-Referent des angeblich rein zivilen KIT-Projekts "unbemannte kognitive Fahrzeuge“ (auf dem Schlachtfeld Killerdrohnen genannt) einiges über ein Minidrohnen-Navigationssystem (7) vorgetragen. Alles rein friedlich, versteht sich. Gegen die kriegsverherrlichende städtische Patenschaft mit der "Fregatte Karlsruhe“ gab es jedenfalls gerade eine beachtliche Protestaktion vor dem Rathaus (8).
Unechte Argumente
c) „Echte Zivilklauseln gibt es nirgendwo, das sind alles nur vorsichtige Absichtserklärungen – sonst würden sie ja ins Grundgesetz eingreifen.“ Der Herr Professor möge bitte die Zivilklauseln der Universitäten Konstanz und Bremen (9) studieren, die unzweideutig eine Teilnahme an militärischer Forschung verbieten aufgrund von verfassungsrechtlich zulässigen Senatsbeschlüssen. In Bremen tobt gerade eine Auseinandersetzung wegen eines früheren Verstoßes gegen die Zivilklausel von 1986 (10). An dieser nachrichtentechnischen Rüstungsforschung der Uni Bremen war auch die Uni Karlsruhe beteiligt. Bei einer solchen Führungskultur im KIT ist kaum noch verwunderlich, dass auf ein diesbezügliches Auskunftsersuchen zut KIT-Rüstungsforschung (11) nicht reagiert wird.
Abgeschriebenes Relikt
d) „Unsere Satzung geht weiter als eine Zivilklausel, die nichts anderes als ein Relikt des Kalten Krieges ist.“ Ein empörend Geschichte verfälschender Satz, der obendrein gar nicht neu ist. Wissenschaftsministerin Bauer erklärte am 9. Mai bei der Verabschiedung des KIT-Weiterentwicklungsgesetzes im Landtag Baden-Württemberg: „Auf dem Flugblatt, das bei der heutigen Demonstration draußen verteilt wurde, wird von verschiedenen Aktivisten angekündigt, den ‚Widerstand gegen einen sich entwickelnden zivilmilitärisch-industriellen Forschungskomplex KIT fortzusetzen`. Es sei einmal dahingestellt, in welcher Welt die entsprechenden Akteure leben. Mir klingt es ein wenig nach den Achtzigerjahren, als wir noch mitten im Kalten Krieg waren. Ich glaube aber, der Kalte Krieg ist schon seit einer Weile vorbei, und ich meine, mit einer solchen Sicht auf die Dinge wird man dem KIT – so, wie es heute existiert – nicht wirklich gerecht.“ (12) Der Professor und die Ministerin: Wer hat bei wem abgeschrieben? Es könnte auch ein Stichwortgeber existieren, bei dem beide abgeschrieben haben? Die geschichtlichen Zusammenhänge aus einer nichtmilitaristischen Sicht sind jedenfalls bereits zurechtgerückt worden (13).
e) „Am KIT gibt es keine Rüstungsforschung im engen Sinne.“ Kein Kommentar. Übrigens auch nicht neu. Offenbar eine KIT-Sprachregelung wie schon früher von der Pressesprecherin geäußert (14).
Weitere Freiheitskämpfer
Eine Klarstellung sei am Schluss erlaubt. Prof. Umbach und sein Ex-Ko-Präsident sind beileibe nicht die einzigen derartigen Verfechter einer Sorte von Autonomie der Universitäten, die diese zu Selbstbedienungsläden für Wirtschaft und Militär machen. Diesen neuen Typus von universitären Freiheitskämpfern gibt es selbst an Unis mit Zivilklausel wie Bremen, Konstanz und Tübingen, wie der Autor am 3. Juli an der Uni Konstanz vorgetragen hat. (15) Das spricht aber nicht gegen die Zivilklausel, sondern gegen urdeutsches Anpasser- und Mitläufertum, das es endlich zu überwinden gilt. Der Widerstand gegen einen sich entwickelnden zivilmilitärisch-industriellen Forschungskomplex KIT wird fortgesetzt.
Herausforderung Umweltzerstörung
Die größte Herausforderung unserer Zeit ist die globale Zerstörung der Umwelt. Hierauf müssen alle Energien der Hochschulen gerichtet werden, wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden wollen. Weg mit Rüstungsforschung aller Art! Weg mit Atomwaffen und Atomkraft! Schluss mit Atomforschung der IV. Generation am KIT und anderswo! Beendigung jeglicher Rüstungsexporte! (PK)
Zitate im Internet
(15) http://cms.uni-konstanz.de/zivilklausel/startseite/vortragsreihe-keine-forschung-fuer-die-ruestung/
Folien mit Reader (Seiten 2-5).
Autor Dr.-Ing. Dietrich Schulze war von 1966-2005 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord) tätig, anfangs als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hochenergiephysik-Projekten und später als Betriebsratsvorsitzender. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. und arbeitet in der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten. Viele Infos zur Zivilklausel-Bewegung finden sich in der Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
Kontakt: dietrich.schulze@gmx.de
Online-Flyer Nr. 363 vom 18.07.2012
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