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Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

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Globales
Ehemaliger General und Botschafter Pakistans Asad M. Durrani im Interview
„Zwischen NATO und Pakistan herrscht Krieg“
Von Jürgen Rose

Asad M. Durrani (71) war Generalleutnant der pakistanischen Streitkräfte, 1980 – 1984 Verteidigungsattaché in Bonn, 1989 – 1992 Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI (»Inter Services Intelligence«) sowie Botschafter seines Landes in der Bundesrepublik Deutschland (1994 – 1997) und in Saudi-Arabien (2000 – 2002). Ursprünglich Artillerieoffizier, absolvierte er im Verlauf seiner militärischen Karriere unter anderem einen Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, diente als Generalstabsoffizier in verschiedenen Stabs-, Lehr- und Führungsverwendungen, war Brigadekommandeur, leitete als Generalmajor den G2-Bereich (militärische Sicherheit und Nachrichtengewinnung) der pakistanischen Streitkräfte, bevor er 1989 für 18 Monate den ISI übernahm, war anschließend Chef der Ausbildung im pakistanischen Heer und zuletzt bis zu seinem Ausscheiden aus dem militärischen Dienst Kommandeur des National Defense College in Islamabad. Mit ihm sprach Jürgen Rose über den unerklärten Krieg der USA gegen Pakistan, die NATO-Niederlage in Afghanistan, die Shangai Cooperation Organization sowie die potentielle Nuklearmacht Iran.
 

Asad M. Durani
Foto: Jürgen Rose
Jürgen Rose: Herr General, wie schätzen Sie aus Ihrer Sicht die Lage nach zehn Jahren Krieg der NATO in Afghanistan ein?
 
Asad M. Durrani: Inzwischen gibt es einen Krieg zwischen NATO und Pakistan. Wir waren an und für sich anfangs deren Alliierte, aber das war natürlich eine Illusion. Wir hatten nicht dieselben Ziele, insbesondere die USA hatten etwas anderes vor. Vielleicht haben wir das nicht richtig eingeschätzt, aber nach ein paar Jahren haben wir festgestellt, es geht nicht um Osama bin Laden und seine Kameraden, es geht vielmehr darum, den Charakter des Landes Afghanistan zu verändern, um hier für längere Zeit entweder Stützpunkte zu errichten oder ein Regime zu etablieren, das den USA gegenüber loyal bleibt und um das New Great Game zu spielen. Das brachte für Pakistan viele Schwierigkeiten. Zunächst betraf das die Flüchtlinge aus Afghanistan, die über unsere Grenze gekommen sind. Von Anfang an bestand zudem eine heftige Aversion gegen die Invasion der USA, die die Taleban, Mujaheddin und Widerstandskämpfer zwang, über die Grenze zu uns zu kommen. Anfänglich versuchte Pakistan, dies zu verhindern, aber das war unmöglich, das konnte wegen des Geländes und wegen des Charakters der Menschen auf beiden Seiten der Grenze nicht funktionieren. Das Resultat war dann, daß viele unserer eigenen Leute und der Stammesangehörigen ihre Gewehre auf uns gerichtet haben, nach dem Motto: Wenn ihr Freunde der USA seid und die sind gegen uns, dann seid auch ihr Feinde. Es hat dann ein paar Jahre gedauert, bevor wir soweit waren, diese Kämpfe einzustellen. Wir konnten das nicht weitermachen, denn die Implikationen für das Land waren zu gravierend. Der Effekt war, daß wir dann den USA gegenüberstanden, da wir in deren Wahrnehmung den Widerstandskämpfern entweder Asyl gewährten oder diese sogar unterstützten. Seit zwei oder drei Jahren haben wir jetzt eine Situation, die man tatsächlich als »Low Intensity War« zwischen den USA und Pakistan bzw. auch zwischen der NATO und Pakistan bezeichnen kann.
 
Jürgen Rose: Das Verhältnis Pakistans zu den USA ist also, gelinde ausgedrückt, ambivalent. Einerseits brauchen die USA Pakistan als Verbündeten, andererseits rückt das Land immer mehr ins Fadenkreuz von Aktionen US-amerikanischer Streitkräfte, so erst neulich, als Dutzende pakistanischer Soldaten bei einem US-Angriff starben. Wie beurteilen Sie das Verhältnis der beiden Staaten und wie wird es sich weiterentwickeln?
 
Asad M. Durrani: Ambivalenz gibt es da keine mehr, mit feindselig ist das Verhältnis viel besser beschrieben. Was ist passiert? Ja gut, auf der einen Seite könnte man sagen unsere Hilfe wird gebraucht, um Frieden zu schaffen oder wenn es darum geht, die Taleban niederzukämpfen. Aber letzteres kann Pakistan nicht leisten. Die Afghanen sind unsere Nachbarn, sie sind hier und sie bleiben immer hier. Die USA und die NATO gehen aber irgendwann mal weg, so hoffen wir jedenfalls und daran arbeiten wir auch, denn wenn sie bleiben, gibt es Aufruhr im Land, Unruhe und keine Stabilität. Daraus folgt, daß Pakistan die Hilfe, die Washington benötigt, nicht leisten kann. Immer noch interessant bleibt vielleicht die logistische Kooperation. Erheblich größer könnte die Rolle Pakistan sein, wenn es vernünftig in die Verhandlungen einbezogen würde. Doch von solcher Hilfe ist keine Rede, sondern immer nur davon, daß wir gegen die Taleban vorgehen und logistische Unterstützung leisten.
 
Jürgen Rose: Als souveräner Staat hat Pakistan nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, seinen Luftraum und sein Territorium zu schützen. Warum also geht die pakistanische Luftwaffe nicht entschlossen gegen die US-Drohnenangriffe vor? Warum nimmt Pakistan es hin, daß immer wieder Soldaten Aktionen der US-Streitkräfte zum Opfer fallen?
 
Asad M. Durrani: Also das sieht man hierzulande pragmatisch. Was den Einsatz der Luftwaffe betrifft, so würde der wahrscheinlich fehlschlagen, denn die andere Seite ist einfach zu stark. Angesichts der neuartigen elektronischen Mittel heutzutage, kann ich gut nachvollziehen, daß die pakistanische Luftwaffe im Kampf gegen die NATO-Luftstreitkräfte in Schwierigkeiten geriete. Es gibt jedoch noch andere Möglichkeiten: Zum Beispiel haben wir die Logistik gekappt und die USA aufgefordert, bestimmte Stützpunkte zu räumen. Die beste Option besteht jedoch darin, die Taleban zu unterstützen, entweder von Seiten des Staates Pakistan – wobei ich nicht weiß, inwieweit das tatsächlich der Fall ist – oder wenigstens durch nichtstaatliche Akteure. Das ist eine gute Option. Eine weitere besteht darin, die Taleban in einer so guten Verfassung zu bewahren, daß es den USA und der NATO schwer wird ihre Ziele zu erreichen, sowie abzuwarten und Tee zu trinken und auf Zeit zu spielen.
 
Jürgen Rose: Welche Beziehungen pflegt denn Pakistan genau zum afghanischen Widerstand, insbesondere zu den Taleban?
 
Asad M. Durrani: Wir haben nichts gegen sie, zumindest die Öffentlichkeit in Pakistan hat viel Sympathie für die Taleban. Denn man glaubt, daß sie gegen die fremde Besatzung in Afghanistan kämpfen. Das ist ein Freiheitskampf, so wird das Verhältnis beurteilt.
 
Jürgen Rose: Stichwort „Terrormanagement“: Sie selbst haben in unserem Gespräch vor zwei Jahren von „Rogue Groups“, also „Schurkengruppen“ gesprochen, die für Terroranschläge benutzt werden, Jürgen Todenhöfer berichtete von „amerikanischen Taleban“, der investigative US-Journalist Wayne Madsen und auch die britische BBC liefern zahlreiche Berichte über geheimdienstlich gelenkte Terroraktionen. Existiert Ihrer Kenntnis nach weiterhin solcher staatlich inszenierter Terrorismus, um den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ propagandistisch zu flankieren und eine Rechtfertigung für die dauerhafte Präsenz von Besatzungstruppen in Afghanistan zu liefern?

Asad M. Durrani: Es existieren sogenannte Counter Terrorism Pursuit Teams, das sind 3.000 von der CIA ausgebildete afghanische Soldaten, die angeblich zur Bekämpfung des Terrorismus dienen. In Wirklichkeit handelt es sich um Verbände, die ich als „Rogue Groups“ bezeichnen würde. Die führen auf beiden Seiten der AFPAK-Grenze Aktionen durch. Die Idee besteht darin, daß diese genug Unruhe stiften und dabei den Eindruck erwecken, daß es in Wirklichkeit die Taleban in Pakistan bzw. diejenigen, die diese unterstützen, sind, die diese Terrorakte durchführen. Damit man dann sagen kann: Na ja, ihr Pakistanis, ihr seid nicht bereit, gegen die Taleban oder diese Gruppen vorzugehen, die in Peshawar, in Quetta und anderswo Terroranschläge gegen Zivilisten verüben – darin besteht die Philosophie, darin besteht immer die Philosophie. Es gibt auch anderes, wozu diese „Rogue Groups“ benutzt werden, aber das ist die Philosophie und das ist auch der Beweis für ihre Existenz. Das ist auch sehr attraktiv in Bezug das Publikum, denn die meisten Leute haben keine Möglichkeit festzustellen, wer diese Anschläge durchgeführt hat: die „echten“ Taleban oder die Counter Terrorism Pursuit Teams, die sich aus Afghanen rekrutieren. Zumindest in den letzten sechs Monaten hat der Einsatz dieser Gruppen entlang der Grenze viele Schwierigkeiten verursacht. Unsere Truppen sind dabei beteiligt gewesen und das Schlechte bei dem Kampf war, daß an dem Salala-Checkpost 28 oder 24 pakistanische Soldaten umgebracht wurden, wobei als Grund angegeben wurde, die Taleban, die gegen die USA kämpften, hätten auf die reguläre pakistanische Armee bzw. auf die NATO-Truppen geschossen. So wird dieses Spiel gespielt und auf diese Tour kann man inzwischen immer rechtfertigen, daß man das deshalb gemacht hat. Die Philosophie heißt, die Atmosphäre so zu vergiften, daß man nicht mehr weiß, wer Freund und wer Feind ist. Die Fachleute jedoch verstehen das gut, die haben auch andere Mittel herauszufinden, wer die „Rogue Groups“ und wer die Taleban sind. So gibt es in den Stammesgebieten eine ganz große „Rogue Group“, die TTP, die Tehreek-e-Taleban Pakistan. Als wir vor zwei Jahren in Süd-Waziristan eine Operation durchgeführt haben, haben wir lediglich gegen diese Gruppe gekämpft. Diese Gruppe haben wir lokalisiert. Die übrigen Gruppen dort haben uns davon überzeugt, daß sie nichts gegen Pakistan haben und sie nur diejenigen sind, die mit den afghanischen Taleban kooperieren und warum auch immer versuchen, ihnen, also den Widerstandskämpfern dort, Hilfe zu leisten. Diese Gruppen haben wir an unserer Seite gehabt. Das hat gut geklappt, und die haben sich auch nicht in die Kämpfe eingemischt. Auf diese Weise wurde nach einer gewissen Zeit klar, welche Gruppen bekämpft werden und welche nicht. Das Problem für die andere Seite sind jedoch die Gruppen, die die Amerikaner nicht in Ruhe lassen. Genau die sollen getötet werden. Darin besteht aber natürlich das Problem, denn das führt zu jener Lage, die ich schon beschrieben habe, nämlich, daß zwischen Pakistan und USA Krieg herrscht.
 
Jürgen Rose: US-Präsident Obama kündigt den Abzug seiner Kampftruppen vom Hindukusch bis zum Jahr 2014 an, zugleich spricht aber der britische Generalstabschef General Sir David Richards davon, daß man sich auf eine Präsenz von 30 bis 40 Jahren einstellen muß, während zugleich das Pentagon mit Milliardenaufwand seine Militärbasen in Afghanistan enorm ausbaut. Für wie aussichtsreich schätzen Sie die Chancen der Angloamerikaner ein, sich auf Dauer erfolgreich im Lande festzusetzen?
 
Asad M. Durrani: Den Krieg haben sie schon verloren, die NATO hat den Krieg in Afghanistan verloren. Der sogenannte asymmetrische Krieg ist so zu verstehen: Wenn die Taleban nicht vernichtet werden, haben sie gewonnen, die Sicherheitskräfte dagegen haben verloren, wenn sie nicht gewinnen. Es ist sehr nachvollziehbar, daß Henry Kissinger das schon so ähnlich formuliert hat. Wie lange aber werden die Besatzer bleiben? Zunächst einmal sprechen wir jetzt nicht mehr von einem Rückzug. Was bedeutet das Rückzugsdatum 2014? Nach 2014 bleiben mindestens drei große Stützpunkte. Man kann das daran erkennen, wie diese konstruiert worden sind und wie sie weiter befestigt werden. Daher muß man davon ausgehen, daß Bagram, Mazar-i-Sharif und Shindand, allesamt im nicht-paschtunischen Teil Afghanistans gelegen, 2014 nicht geräumt werden. Mittlerweile wurde auch schon offiziell zugegeben, daß dort nicht nur Kampfflugzeuge und Drohnen, sondern auch Special Forces stationiert bleiben. Das heißt, man kann faktisch nicht von einem Rückzug sprechen. Wenn sie aber nicht abziehen, sind die Gespräche und Vereinbarungen mit den Taleban gescheitert, das kann man dann vergessen. Wenn die NATO jedoch ganz klar erklärt hätte, daß sie im Zeitraum 2014 bis 2016 abzieht, dann wären die Taleban bereit gewesen, mit den anderen Volksgruppen in Afghanistan zu verhandeln, um einen Konsens zu erzielen. Denn ohne eine solche Einigung kann es in Afghanistan keine Ruhe, keinen Frieden, keine Stabilität geben. Aber eine solche Strategie kann man nun vergessen, und das heißt: der Krieg geht weiter. Die große Frage lautet: wie lange, wer gibt als erster auf? Diesbezüglich gilt: Die Afghanen leben im Land, sie können daher den Kampf, wenn auch vielleicht nicht für immer, so doch noch für sehr lange Zeit durchhalten. Ein Taleban-Kommandeur sagte einmal: Ihr Westler habt eure Uhren, aber wir Taleban haben Zeit. Historisch zeigen das auch die jahrzehntelangen Kämpfe der Afghanen mit ihren Feinden und auch untereinander. Daran erkennt man auch heute noch, daß die Widerstandskämpfer in der Lage sein werden, den Kampf durchzuhalten. Dazu kommt, daß sie von den Ländern in der Region, insbesondere von Pakistan, aber auch von Iran und von China – daran erkennt man, wo die Sympathien Chinas liegen – und inzwischen auch von Rußland – entweder, um sich zu revanchieren oder, um dort zukünftig Einfluß zu gewinnen – sowie mit großem Fragezeichen, wobei sich freilich die Stimmung dort einigermaßen genau einschätzen läßt – auch von Indien aktiv unterstützt werden. Wir alle sind dabei, wenigstens zu versuchen, Hilfe zu leisten, um den Aufenthalt der ausländischen Truppen in Afghanistan langfristig zu beenden. Wenn wir zudem noch die politische und wirtschaftliche Lage im Westen berücksichtigen, dann ist es nur eine Frage der Zeit – und die haben die Taleban eben. Wie lange das aber ganz genau dauert, kann ich nur schwer beurteilen.
 
Jürgen Rose: Angesichts der Erfolge der afghanischen Widerständler kamen Überlegungen auf, daß die internationalen Truppen sich auf der Grundlage eines Waffenstillstandes aus den besonders heftig umkämpften Gebieten im Osten und Süden zurückziehen und sich auf die Sicherung des kooperationsbereiteren Westens und Nordens Afghanistans, wo ja auch die erwähnten Militärbasen ausgebaut werden, konzentrieren sollten. Was halten Sie von solchen Rückfall-Planungen, dem sogenannten „Plan B“?
 
Asad M. Durrani: Ja, von einer Teilung Afghanistans hat man schon immer gehört und darüber Überlegungen angestellt, und die erwähnten Militärstützpunkte tragen natürlich verstärkt dazu bei, daß die Frage offen bleibt. Aber schauen wir uns einmal an, wie das die Afghanen selbst sehen. Alle Afghanen – Paschtunen, Tadschiken, Hazaras, Usbeken – sagen schon immer, daß sie in erster Linie Afghanen sind. Von einer Teilung wurde unter den Afghanen kaum gesprochen. Das muß jedoch nicht immer so bleiben. Es ist durchaus denkbar, daß irgendwann die Auffassung entsteht, daß das mit den Taleban zu schwierig wird und man daher auf absehbare Zeit keine andere Wahl hat, als mit dieser Situation zu leben – provisorisch, für ein paar Jahre oder Dekaden. Das ist vorstellbar. Das Problem dabei besteht jedoch darin, daß es sich immer noch nicht um eine Lage handeln würde, die man als stabil bezeichnen könnte. Solange die fremden Truppen egal in welchem Teil Afghanistans stehen, würden auf jeden Fall die Paschtunen, aber auch andere Afghanen danach trachten, jenen das Leben dort so schwer wie möglich zu machen und nicht zu kooperieren. Vielleicht mag es einige geben, die kooperationsbereit wären, doch handelt es sich bei denen um diejenigen, welche entweder die Taleban oder das Volk der Paschtunen insgesamt hassen oder, viel wichtiger noch, sich von dieser Teilung rsp. von diesem NATO-unterstützten Arrangement Vorteile versprechen. Von denen hört man überhaupt nichts über ein vereintes Afghanistan. Bei denen handelt es sich um diejenigen, die von einer Teilung nur profitieren würden. Denn in einem vereinten und befreiten Afghanistan stünden ganz andere Leute an der Spitze, nämlich solche, die im Konsens dorthin gelangt und nicht durch Vereinbarungen wie in Bonn an die Macht gebracht worden wären. Solange aber die fremden Militärstützpunkte in Afghanistan bleiben, kann es keine Ruhe in Afghanistan geben und um Afghanistan herum kann man Stabilität dann vergessen. Eine provisorische Teilung entlang einer Linie zwischen Paschtunen und Nicht-Paschtunen wäre denkbar, die Wahrscheinlichkeit erscheint mir allerdings gering. Selbst wenn aber diese Situation einträte, dann bliebe sie äußerst labil.
 
Jürgen Rose: Gibt es denn aus der Sicht Pakistans eine Aussicht für eine Friedensregelung in Afghanistan, solange das Karsai-Regime und die Repräsentanten der ehemaligen Nordallianz an der Macht sind oder ist eine Rückkehr der Paschtunen an die Macht unabdingbar?
 
Asad M. Durrani: Aus Sicht Pakistans spielt es keine Rolle, wer in Afghanistan an der Macht ist. Für diejenigen, die Afghanistan verstehen, handelt es sich bei Karsai, den ehemaligen Angehörigen der Nordallianz, den Hazaras und allen möglichen anderen allesamt um Afghanen und um unsere Nachbarn. Denen ist bewußt, welche Rolle Pakistan für Afghanistan spielt. Alle diese Leute haben viel Geld in Afghanistan, Geschäfte, historische Verbindungen, Familien. Sogar an der usbekischen Grenze gibt es Leute, die, sofern sie es sich leisten können, wenn etwas passiert oder auch zur medizinischen Behandlung, nach Peshawar kommen. Selbst wenn sie Usbeken sind, wechseln sie nicht auf die usbekische Seite. Das heißt, egal, wer an der Macht ist, tatsächlich oder auch symbolisch, was in Afghanistan üblicherweise der Fall ist, gilt: Solange die Afghanen die Situation akzeptieren, hat auch Pakistan keine Probleme, egal, ob es sich um einen König wie Zahir Shah, den alle damals als König anerkannt haben, oder heute um Karzai oder Dostum oder sonst irgend jemand handelt. In Pakistan weiß man zwar, daß in Afghanistan keine Stabilität herrscht, dennoch braucht Afghanistan einen Modus Vivendi mit Pakistan, denn ohne einen solchen hätte es Probleme.
 
Jürgen Rose: Warum ist Afghanistan für Pakistan so eminent wichtig?
 
Asad M. Durrani: Zunächst einmal haben Unruhe und Instabilität in Afghanistan Überfälle in Pakistan zur Folge. Obendrein kommen die Flüchtlinge zu uns. Zudem leben auf beiden Seiten der Grenze dieselben Völker. Wenn also dort etwas passiert, gehen unsere Leute, das heißt die Stammesleute, nach Afghanistan. Das ist nur ein Faktor. Zweitens, wenn man, wobei die Globalisierung wenig damit zu tun hat, heute die Lage in Iran und besonders in Zentralasien analysiert, wo viele regionale und überregionale Mächte engagiert sind, wo es um Rohstoffe und Einfluß geht, wo historische Beziehungen, kulturelle und religiöse Faktoren eine Rolle spielen, wo China sehr aktiv ist, wenn man also die Situation insgesamt betrachtet, dann hat auch Pakistan dort eine kleine Rolle zu spielen und möchte das auch. Selbst wenn man einem Land wie Pakistan, obwohl es nicht gerade klein und unwichtig ist, diesbezüglich keine Bedeutung beimißt, sollte man bedenken, was beispielsweise die Chinesen machen, etwa im Hinblick auf die Pipelines von Iran über Afghanistan. Wenn einmal der Hafen von Gwadar betriebsbereit sein wird und von dort aus einmal die Pipelines sowie die Straßen und Verkehrswege über den Hindukush mit dem Karakorum Highway nach China führen, dann wird das in der Zukunft von großer Bedeutung sein. Wenn man also diese Gesamtsituation berücksichtigt, versteht man auch, welche Bedeutung Afghanistan für Pakistan besitzt. Und vergessen wir zuletzt auch nicht, daß auch wenn die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan in den letzten paar Jahren, besonders jedoch in den letzten 5 bis 6 Monaten, viel besser geworden sind, besser als vorher – besser als je vorher! –, doch eine gewisse, auch historisch begründete Rivalität existiert, aus der heraus wir miteinander in Afghanistan konkurrieren. Wir haben einige Vorteile, sowohl unter geographischen als auch unter ethnischen und religiösen Aspekten. Aber auch Indien hat viele Vorteile: es ist ein großes Land, hat mehr Geld und aufgrund seiner Distanz wenig historische Belastungen. Auch wenn man die Vorstellung von einem New Great Game nicht übertreiben darf, so befindet sich doch Afghanistan schon unter einer ganz normalen geopolitischen Perspektive in einer zentralen Lage – als Crossroad of History wie Arnold Toynbee einst gesagt hat. Das gilt besonders für Afghanistan, aber teilweise auch für Pakistan und andere Länder.
 
Jürgen Rose: Wenn man auf die Gründungsgeschichte Pakistans zurück blickt, dann gab es mehrere Kriege zwischen Indien und Pakistan, Indien gilt quasi als Erzfeind Pakistans. Auch wenn, wie Sie angemerkt haben, sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern nun verbessert hat, baut Indien doch seinen Einfluß in Afghanistan aus. In der Wahrnehmung der pakistanischen Führung könnte dies, insbesondere in Anbetracht des schwelenden Kashmir-Konflikts, als Versuch der Inder gedeutet werden, sozusagen im Rücken Pakistans eine zweite Front im Westen aufzubauen. Ist dies als eine reale Gefahr einzuschätzen und beeinflußt diese Entwicklung die Politik Pakistans gegenüber Afghanistan oder messen Sie dem eher geringere Bedeutung bei?
 
Asad M. Durrani: Die Beziehungen zwischen den Nachbarn in der Region gestalten sich teilweise schwierig, aber man kann mit Indien durchaus sprechen. Daher gehen wir nicht davon aus, daß die Inder als sogenannte Erzfeinde versuchen, uns in den Rücken zu schießen. Das haben die nie gemacht. Als es 1962 Probleme zwischen Indien und China gegeben hat, wurde gesagt, das wäre nun eine gute Gelegenheit für Pakistan, den Kashmir-Konflikt zu seinen Gunsten zu lösen. Aber das hat es nicht getan. Während unserer beiden Kriege gegen Indien 1965 und 1971 stand kein einziger pakistanischer Soldat an der Westgrenze. Wir haben sogar die Grenztruppen von der Grenze zu Afghanistan nach Osten verlegt, weil in der pakistanischen Führung keinerlei Besorgnisse hinsichtlich der Westgrenze existierten und man alle verfügbaren Kräfte im Osten brauchte. Seit zehn Jahren haben wir Probleme im Westen, wobei die Inder kein einziges Mal versucht haben, die Lage auszunutzen. Das heißt, in der Region denkt man anders, weil man nicht nur untereinander Probleme hat, sondern insbesondere auch deshalb, weil fremde Mächte wie die USA dort ihre eigenen Interessen verfolgen. Indien hat keine Hintergedanken, denn es weiß, egal, was es tut, daß die Amerikaner irgendwann einmal weg sein werden. Und dann würde man in der Region sagen: Die Inder sind die Leute, die, als Pakistan in Schwierigkeiten war, ihm in den Rücken gefallen sind. Deshalb tun die das nicht. Und daher nennen die Pakistanis, wenn sie gefragt werden, wer denn der einzige Feind sei, derzeit Indien nicht mehr an erster, sondern vielleicht erst an dritter oder vierter Stelle – zuallererst kommen die USA. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die USA Indien als Gegenmacht zu China instrumentalisieren. Doch Indien ist viel zu groß und zu klug, um sich auf dieses Spiel einzulassen, jedenfalls was die Interessen der USA betrifft. Natürlich verfolgt Indien legitime eigene Interessen gegenüber dem Konkurrenten China, aber nicht nach Maßgabe der USA. Was ich damit sagen will: Wenn fremde Mächte glauben, daß sie die Afghanen, die Iraner, die Pakistanis oder auch die Inder für ihre eigenen Zwecke ausnutzen können, dann haben sie falsch gedacht.
 
Jürgen Rose: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie also der Auffassung, daß Indien viel eher an einer Friedensregelung mit Pakistan interessiert ist, als zu versuchen, die Lage in Afghanistan auszunutzen, um Pakistan unter Druck zu setzen?
 
Asad M. Durrani: In der Tat hat Indien meiner Einschätzung nach schon seit zehn Jahren keinerlei Absicht mehr, Pakistan unter Druck zu setzen. Für letzeres gibt es auch keinerlei Beweise. Vielleicht hat man nämlich dort erkannt, daß die Auswirkungen, sollte Pakistan wegen eines Bürgerkrieges implodieren oder auseinanderfallen, sehr gravierend wären, denn dann hätte Indien selbst eine sehr instabile Situation an seiner Westgrenze. Und diese wiederum hätte ernste Konsequenzen für Indien selbst, nicht allein im Hinblick auf die religiöse Dimension, weil dort so viele Muslime leben.
 
Jürgen Rose: Angesichts des globalen militärischen Interventionismus hat sich seit geraumer Zeit die SCO, die Shanghai Cooperation Organization formiert, ein Zusammenschluß Rußlands, Chinas, der zentralasiatischen Republiken, bei dem auch Iran, Indien und Pakistan bereits einen offiziellen Beobachterstatus besitzen ...
 
Asad M. Durrani: Ja, Indien und Pakistan besitzen bei der SCO Beobachterstatus und werden irgendwann, vielleicht schon in den nächsten Monaten, reguläre Mitglieder werden und anschließend wird versucht, Afghanistan und vielleicht auch dem NATO-Staat Türkei einen Beobachterstatus einzuräumen.
 
Jürgen Rose: Welche strategische Bedeutung besitzt die SCO aus Ihrer Sicht, formiert sich da etwas, was man als „Brzezinskis Alptraum“ apostrophieren könnte?
 
Asad M. Durrani: Ja, in dem Sinne ja, denn die SCO hat sich nach 9/11 formiert, als die fremden Truppen schon in Afghanistan waren und versucht haben, von den zentralasiatischen Staaten Unterstützung zu erlangen und dort Militärstützpunkte einzurichten – zu dieser Zeit hörte man erstmals von der SCO. Zum einen habe ich ungeachtet all jenem, was geschrieben wurde, die Gründung der SCO so verstanden, daß sie der Bekämpfung des Terrorismus dienen sollte. Zum anderen ging es in meinen Augen darum, in überschaubarer Zeit eine Vereinigung zu bilden, die versucht, gegen die fremden Einflüsse etwas zu unternehmen, damit die fremden Truppen abziehen oder die zumindest militärische Präsenz zeigt. Dabei ist es typisch, daß sowohl Rußland als auch China sich Zeit lassen und nicht ein Militärbündnis nach dem Muster NATO oder Warschauer Pakt gründen nach dem Motto: Jetzt führen wir in Zentralasien Krieg gegen die NATO. Wie sich das in der Zukunft weiter entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Für viel bedeutsamer noch als die SCO, halte ich die intensive Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ländern, vor allem Rußland und Pakistan, aber auch Iran und China, die auf unterschiedliche Weise versuchen das Ziel zu erreichen. In Istanbul konnten wir beobachten, wie diese Länder den Plan der USA und der NATO, in Zentralasien ein Sicherheitsarrangement nach dem Vorbild der OSZE zu schaffen, zum Scheitern brachten. Indien übrigens hat sich in Istanbul zu den NATO-Vorschlägen nicht geäußert, nur aus Kabul kam ganz verhaltener Beifall. Wenn man diese Entwicklung betrachtet, wird klar, in welcher Richtung diese Länder und vielleicht auch die SCO weiter zusammenarbeiten wollen.
 
Jürgen Rose: Sie erwähnten ja bereits, daß demnächst auch Pakistan bei der SCO mit dabei sein soll – heißt das, Pakistan verabschiedet sich als Alliierter der USA endgültig und wechselt das Bündnis?
 
Asad M. Durrani: Wie ich schon sagte, war Pakistan nie Alliierter der USA, allenfalls in den ersten fünf, sechs Monaten nach dem 11. September konnte davon die Rede sein, und auch nur im Hinblick darauf, daß wir logistische Hilfe leisteten und Stützpunkte bereitstellten, um das Regime von Mullah Omar in Kabul zu stürzen. Im Zeitraum danach beruhte die weitergehende Unterstützung seitens Pakistans auf der einsamen Entscheidung Musharrafs. Zwar hat man in den folgenden Jahren stets von einer Allianz gesprochen, doch haben sich beide Länder nicht wie Alliierte verhalten. Sie haben keine miteinander abgestimmten Entscheidungen getroffen, keine gemeinsamen Rules of Engagement beschlossen. Schon seit langem also ist Pakistan nicht mehr mit den USA verbündet, im Gegenteil, man muß von einer feindlichen Beziehung sprechen. Ja, Sie haben Recht, Pakistan befindet sich jetzt in einem anderen Lager. Allerdings arbeitet dieses Lager nicht offen gegen die USA und die NATO, sondern versucht deren Ziele mit nicht-militärischen Mitteln zu durchkreuzen.
 
Jürgen Rose: Pakistan ist seit langem mit der aufstrebenden Supermacht China verbündet, die auch das pakistanische Nuklearprogramm unterstützt hat und sich immer stärker – Stichwort Kupferminen von Aynak – auch in Afghanistan engagiert. Trifft diese Politik in Pakistan auf uneingeschränkte Zustimmung?
 
Asad M. Durrani: Ich habe weder in Pakistan noch in anderen Ländern der Region, auch nicht in Indien, etwas von Kritik an der chinesischen Politik bemerkt. Rußland und China etwa kooperieren im Hinblick auf die geplanten Pipelines in Zentralasien eng miteinander, neulich erst haben sie ein milliardenschweres Projekt miteinander vereinbart. In Afghanistan hat China in der Tat mit dem Kupferprojekt begonnen und auch Indien zeigt Interesse an den dortigen Rohstoffvorkommen. Zu Konfrontationen hat das meines Wissens bislang nicht geführt. Überhaupt ist es China gelungen, sich einen Status und eine Position zu schaffen, in der es von anderen Staaten, auch nicht von den USA, nicht beeinträchtigt wird, wie sich beispielsweise am ungestörten Ölhandel mit Iran zeigt. Auch von den Irritationen mit Indien im südchinesischen Meer hört man nichts mehr. Aus verschiedenen Gründen unterstützt Pakistan nachdrücklich die chinesische Politik, auch wenn Pakistan davon nicht nur Vorteile hat, was beispielsweise die Überflutung der pakistanischen Märkte mit chinesischen Billigprodukten angeht, wodurch die pakistanische Wirtschaft teilweise erhebliche Einbußen erlitten hat.
 
Jürgen Rose: Sie haben Iran schon mehrfach erwähnt. Nun spitzt sich der Konflikt zwischen Iran und dem Westen in der Atomfrage immer mehr zu. Wie stellt sich aus der Sicht Pakistans die Möglichkeit dar, in Zukunft einen nuklear bewaffneten Staat Iran als westlichen Nachbarn zu haben?
 
Asad M. Durrani: Wir sehen das sehr gelassen. Es gibt viele Nuklearmächte, nicht nur in der Region, sondern auch weltweit, und nicht alle stehen Pakistan eben freundlich gegenüber. Das betrifft Indien, in jeden Fall die USA sowie im multilateralen Kontext auch Frankreich und Großbritannien – warum also sollte uns ein befreundetes Land an unserer Westgrenze, das Atomwaffen besitzt, beunruhigen. In der Regel betreiben Länder, sobald sie Nuklearmächte sind, eine vorsichtigere Politik, wie sich gerade am Beispiel Indiens und Pakistans zeigt. In Pakistan hat man allerdings erstens die Sorge, daß es im Falle eines Angriffs von Seiten der USA, von Seiten Europas oder insbesondere von Seiten Israels auf Iran einen großen Knall in der Region gibt. Eine Destabilisierung der gesamten Region wäre die Folge. Nicht nur der schiitische Bevölkerungsteil, sondern ganz Pakistan wäre bereit, egal wo, an der Seite Irans zu kämpfen. Zweitens würde im Falle eines Krieges der Ölpreis durch die Decke gehen. Was würde, drittens, mit den alliierten Truppen in Afghanistan geschehen? Während derzeit vor allem die Afghanen selbst, unterstützt von einigen Pakistanis, kämpfen, befänden sich dann alle im Kampf. Dies wären die Hauptsorgen, wenn mit militärischer Gewalt gegen das potentielle Nuklearwaffenprogramm Irans vorgegangen würde. Davon abgesehen macht uns eine Hand voll Atomwaffen in den Händen Irans nicht unglücklich. Wenn man zudem die iranische Zivilisation insgesamt betrachtet und berücksichtigt, wie raffiniert die Iraner sind, bleibt festzuhalten, daß egal, wie sie sich in den letzten 10 oder 15 Jahren benommen haben mögen, sie sich in den letzten 200 Jahren gegenüber ihren Nachbarn niemals aggressiv verhalten haben. Zwar gab es den Krieg mit dem Irak, doch jeder weiß, daß dieser nicht von Iran begonnen wurde. Es mag sein, daß Iran wegen der Schiiten im Irak vielleicht bestimmte Interessen verfolgte und den Irak eventuell provoziert hat, aber davon ist mir nichts bekannt. Insgesamt gesehen stellt der Iran keinesfalls eine aggressive Macht dar und deshalb bleibt man in Pakistan auch sehr gelassen.
 
Jürgen Rose: Es gibt Hinweise darauf, daß es dem Iran schon in den neunziger Jahren gelungen ist, mehrere nukleare Gefechtsköpfe aus Kasachstan zu beschaffen. Man weiß nicht sehr viel darüber, allerdings besteht die Möglichkeit, daß ein potentieller Krieg zwischen den USA, Israel und Iran auch mit nuklearen Waffen geführt würde. Wie schätzen Sie die Gefahr eines solchen Szenarios ein?
 
Asad M. Durrani: Die Wahrscheinlichkeit eines solchen halte ich für sehr gering, denn verschiedene Gründe sprechen gegen einen nuklearen Krieg. Zunächst einmal ist gar nicht sicher, ob die Iraner tatsächlich über solche Optionen verfügen. Außerdem steht bei der Erörterung von Angriffsszenarien der Einsatz konventioneller Waffen im Vordergrund. Die konventionellen Waffenarsenale der USA als auch Israels reichen völlig aus, um einen solchen Angriff politisch und militärisch wirksam durchzuführen. Daher erscheint ein Atomwaffeneinsatz in diesem Konflikt unwahrscheinlich.
 
Jürgen Rose: Gesetzt den Fall, der Iran würde tatsächlich angegriffen, würde sich Pakistan dann neutral verhalten oder würde es als Verbündeter an der Seite Irans eingreifen?
 
Asad M. Durrani: Eine militärische Unterstützung des Nachbarn im Krieg wäre schwierig, das bedürfte umfangreicher Vorbereitungen. Sicherlich hätte man es in erster Linie mit Luftangriffen zu tun. Wenn sich der Iran nicht selbst erfolgreich dagegen verteidigen könnte, was könnte dann Pakistan schon zusätzlich leisten? Ein paar Luftabwehrraketen, wenn überhaupt? Also militärisch könnten wir wohl nicht sehr viel tun. Politisch sieht das jedoch ganz anders aus. Es gäbe sicherlich jede Menge freiwillige Kämpfer, Schiiten ebenso wie Nicht-Schiiten, und Pakistan würde gegen diese nichts unternehmen, sondern sie in den Krieg ziehen lassen. Was werden die USA und Israel dann unternehmen – Luftangriffe auch auf pakistanisches Territorium? Insgesamt erscheinen zwar die Risiken eines solchen Konflikts als völlig unabsehbar, gleichwohl ist die Gefahr eines Krieges sehr groß.
 
Jürgen Rose: Wir nähern uns dem Ende unseres Gesprächs, gibt es aus Ihrer Sicht noch einen wichtigen Punkt, den wir noch nicht erwähnt haben, aber ansprechen sollten?
 
Asad M. Durrani: Sehr interessant für mich in den letzten Jahren war, daß kaum jemand gedacht hätte, daß Rußland und Pakistan eine solche Achse bilden würden. Rußland unterstützt Pakistan nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Aber auch im Hinblick auf Indien sind die Dinge in Bewegung geraten. Zwar haben wir auch schon in der Vergangenheit viele Anläufe unternommen, die Beziehungen zu verbessern. Aber diesmal ist die Lage anders: Pakistan hat den Meistbegünstigten-Status Indiens akzeptiert und reagierte auch äußerst besonnen auf eine große Militärübung Indiens an seiner Ostgrenze, obwohl es in der Vergangenheit in solchen Fällen immer großen Krach geschlagen hat. Als es einen Zwischenfall mit einem Hubschrauber im pakistanischen Teil Kashmirs gab, wurde dieser innerhalb weniger Stunden geregelt. In Istanbul war Indien in diesem Jahr präsent, während Pakistan dies noch im letzen Jahr verhindert hat. Mit Iran arbeitet Pakistan eng gegen die vermutlich von den USA unterstützte Terrorgruppe der Jundallah zusammen, die im Iran Aufruhr stiften sollte. Auch haben sich die Beziehungen zwischen Indien und dem Iran angenähert, was sich an der Kooperation bei dem geplanten TAPI-Pipelineprojekt ablesen läßt. Es hat sich also die ganze politische Atmosphäre in der Region entscheidend verbessert. Zurückzuführen ist dies ganz entscheidend auf das Verhalten der NATO in Afghanistan und die Politik der USA dort. Letzteres hat nämlich dazu geführt, daß jetzt alle Länder in der Region zusammenarbeiten, um mit allen Mitteln dafür zu sorgen, die NATO aus der Region zu vertreiben, oder irgendwie davon zu überzeugen, ihre Militärpräsenz dort aufzugeben.
 
Jürgen Rose: Herr General, ich danke Ihnen für das Gespräch! (PK)
 
Jürgen Rose ist mittlerweile als Oberstleutnant aus dem Dienst in der glorreichen Bundeswehr ausgeschieden und daher nicht länger gezwungen, aus disziplinarrechtlichen Gründen darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt. Seit November 2006 ist er Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises Darmstädter Signal, einer Organisation aktiver und ehemaliger Offiziere, Unteroffiziere und ziviler Mitarbeiter der Bundeswehr, die sich der Friedensbewegung verbunden fühlen.


Online-Flyer Nr. 371  vom 12.09.2012

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