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Aktueller Online-Flyer vom 18. Dezember 2024  

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Inland
Der Armut am effektivsten vorbeugen, indem man den Reichtum vergrößert?
Der Irrweg der "Pferdeäpfel-Theorie"
Von Hans Fricke

Von Bertold Brecht stammt der Vierzeiler: "Armer Mann und reicher Mann, standen da und sah'n sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär' ich nicht arm, wärst du nicht reich." MIt diesen wenigen Worten zeigt der Dichter Ursache, Zusammenhang und Resultat der gesellschaftlichen Fehlentwicklung einer mindestens 40jährigen Politik der Bundesrepublik, vor deren sozialpolitischen Scherbenhaufen wir heute stehen. Der verhängnisvolle Irrglaube, man könne Armut im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung durch zunehmenden Reichtum beseitigen, der die Regierungspolitik noch immer bestimmt, führt, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird, zwangsläufig zur sozialen Katastrophe und zu einem rasanten Abbau der Demokratie.
 
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Direktor des Instituts für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität Köln, erklärt dazu: "Manche neoliberale Ökonomen vertreten nun mehr oder weniger offen die Position, dass sich der Armut am effektivsten vorbeugen lässt, indem man den Reichtum vergrößert.
Nach der 'Pferdeäpfel-Theorie' muss man, um den Spatzen etwas Gutes zu tun, die Vierbeiner mit dem besten Hafer füttern, damit die Spatzen dessen Körner aus dem Kot herauspicken können.
Reichtumvermehrung statt Armutsverringerung - so lautet auch das heimliche Regierungsprogramm der Großen ebenso wie der Rot-Grünen Koalition. Besser wäre es aber, die Spatzen direkt zu unterstützen.
Dasselbe gilt für die Armen, denen viel eher geholfen wäre, wenn sie nicht als ' Faulpelze ' und 'Sozialschmarotzer' diffamiert, sondern durch eine Politik der Umverteilung von oben nach unten bessergestellt würden."
 
Anstatt diesen jedem normalen Menschen einleuchtenden Weg des sozialen Ausgleichs zwischen Arm und Reich zu beschreiten, haben sich die Regierenden im Auftrag des hinter ihnen stehenden Kapitals für einen  schleichenden Abbau des Sozialstaates entschieden, bei dem nachweislich tüchtig verdient wird. Das Zusammenspiel zwischen Kapital und Regierenden zum Nachteil der "einfachen" Bürger zeigte sich besonders deutlich bei ihrem gemeinschaftlichen hinterlistigen Angrff auf die gesetzliche Rentenversicherung.
 
Der Vorsitzende der Linksfraktion im niedersächsischen Landtag, Manfred Sohn, erklärte dazu in junge Welt vom 14.12.2011: "Er (der frühere niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff) war auch Teil des Komplotts, mit dem die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland zerschlagen und teilweise durch die unseligen Riester- und Rürup-Modelle ersetzt wurde. Dadurch wurden Milliardensummen auf die Konten von Vermögensberatern und privaten Lebensversicherern umgeleitet. Einer der Hauptprofiteure ist der Hanoveraner Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer - ein Duzfreund von Christian Wulff. Meine Fraktion hat das im Landtag mit mehreren Kleinen und Großen Anfragen thematisiert. Gegen Maschmeyer wird jetzt übrigens in Österreich wegen Betruges ermittelt."
 
Um was für ein Exemplar von "Leistungsträger" es sich bei diesem Duzfreund des späteren Bundespräsidenten Wulff handelt, hat Maschmeyer selbst zu erkennen gegeben, als er 2005 offen erklärte, die Finanzdienstleistungsbranche stehe nach der Verlagerung von der staatlichen zur privaten Altersvorsorge vor dem größten Boom, den sie je erlebt habe. Es sei so, als wenn wir - die Finanzbranche - auf einer Ölquelle sitzen, sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln.
 
Die Teilprivatisierung der Altersvorsorge hat sich als ein gigantisches Förderungsprogramm für die Versicherungswirtschaft erwiesen. Seit 2002 brachte das Riester-Geschäft den Versicherern mehr als 36 Milliarden ein. - Und das alles unter der aktiven Mithilfe der Bundesregierung !
 
Schon in den 70er Jahren begann die Kampagne gegen aktive Beschäftigungspolitik, deren Folgen sich am Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen widerspiegeln. Anfang der 70er Jahre betrug er fast 72 Prozent, 2008 lag diese sogenannte Lohnquote nur noch bei ungefähr 62 Prozent.
 
Albrecht Müller, von 1973 bis 1983 Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, jetzt Herausgeber des Internetjournals "NachDenkSeiten" sagte dazu in einem Vortrag zum Thema "Meinungsmache - Warum und wie der Sozialstaat ins Gerede kam": "Daß so etwas wie konjunkturelle Schwächen und die damit verbundene Arbeitslosigkeit bewußt geplant sein könnten, das klingt nach Verschwörungstheoie. Daß bewußt eine Reservearmee von Arbeitslosen geschaffen wird, klingt abenteuerlich. Aber es ist so. Es gibt einen britischen Notenbanker, Sir Alan Budd, ein politischer Freund von Frau Thatcher, der von der Idee, dass die Erhöhung der Arbeitslosigkeit mehr als wünschenswert und gewollt war, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen, berichtete. Die Wiederherstellung der industriellen Arbeitslosenarmee erlaube es den Kapitalisten, fortan hohe Profite zu realisieren. (...) Daß er dies offen sagt, ist ein wohltuender Beitrag zur Aufklärung."
 
Damit bestätigt ein britischer Banker die Marxistische Wirtschaftstheorie, wonach die auf dem Arbeitsmarkt bestehende "Überbevölkerung" von der kapitalistischen Entwicklung selbst produziert werde. Die Existenz dieser Reservearmee bietet nach Marx für die einzelnen Kapitale einen doppelten Vorteil. Zum einen drücken die "unbeschäftigten" Arbeitskräfte auf den Lohn der "Beschäftigten", zum anderen stellen sie eine "Reserve" für sprunghafte Ausdehnungen der Akkumulation dar.
 
Das Zitat von Sir Alan Budd ergänzt eine bemerkenswerte Einlassung des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder am 28. Januar 2005 in Davos: "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."
 
2010 verdienten 1,383 Millionen Menschen in Deutschland so wenig, dass sie als sogenannte Aufstocker zusätzlich Arbeitslosengeld bezogen, um die Grundsicherung zu erreichen. Die Versuche der deutschen Wirtschaft, den Niedriglohn zu rechtfertigen, nehmen groteske Züge an. Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" entlarvt sich mit der verlogenen Behauptung, der Niedriglohnsektor sei ein Sprungbrett für gute Arbeit, endgültig als neoliberale PR-Abteilung der Arbeitgeberverbände.
 
In Deutschland ist im Gegensatz zu vielen anderen Ländern die Aufstiegsmobilität ungewöhnlich niedrig. Das heißt, viele Beschäftigte haben keine Chance, dem Niedriglohnsektor zu entkommen. Damit wird dieser Sektor nicht zum Sprungbrett, sondern zu einer Falle in Richtung Mini-Rente und Altersarmut. Selbst Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) musste am 20.09.2012 im Magdeburger Landtag einräumen: "Die meisten Beschäftigten, die weniger als 7,50 Euro verdienen, arbeiten im Niedriglohnsektor."
 
Ein weiterer Skandal besteht darin, dass der Staat, d.h. der Steuerzahler, Armutslöhne subventioniert und damit einen erheblichen Beitrag zur Ausweitung des Niedriglohnsektors leistet. In der Zeit von 2005 bis 2011 hat der Staat für diese Form der Lohnkostenzuschüsse über 50 Milliarden Euro ausgegeben. Zusätzlich zu diesen Kosten für die Aufstockung niedriger Löhne suventionierte der Steuerzahler Minijobs mit fast 4 Milliarden Euro.
 
Dass die Bundesregierung diese Täuschung der Öffentlichkeit seit Jahren aktiv unterstützt und den Schwindel der Arbeitgeberverbände auch noch mit vielen Milliarden Euro Steuergeldern subventioniert, zeigt ihre totale Abhängigkeit von den Banken und Konzernen bei gleichzeitiger Mißachtung der Lebensinteressen der "einfachen" Menschen.
 
Am 30.08.2011 bezeichnete der DGB den Niedriglohnsektor in Deutschland europaweit als Spitzenreiter. Die Statistiker nennen solche Formen des Verkaufs der Ware Arbeitskraft wie befristete Beschäftigung, Zeitarbeit und Minijobs verniedlichend "atypische Beschäftigung". In Wirklichkeit sind diese Arbeitsverhältnisse nicht atypisch, sondern auf dem Vormarsch. Sie sind in Deutschland auf dem besten Wege, typisch zu werden. So ist nach Angaben des DGB seit 2001 ein Verlust von einer Million sozialversicherungspflichtiger Vollzeitstellen zu beklagen. Gleichzeitig entstanden weit über eine Million dieser sogenannten atypischen Stellen, was vom Wirtschaftsminister und FDP-Chef Rösler, als Erfolg gefeiert wird. Kein Wunder, dass der Anteil der Niedriglöhner zwischen 2006 und 2012 von 18,7 auf 20,6 Prozent gestiegen ist, denn sie sind für die Unternehmer ein lukratives Geschäft.
 
Uli Schwemin weist auf den Trend hin, einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob in mehrere kleine und prekäre zu zerlegen. Dadurch erhält der Unternehmer bessere Möglichkeiten zum Lohndumping und erspart sich vor allem ganz oder teilweise die Zahlung der Sozialversicherung. Dieses Geld, das nach wie vor von den Beschäftigten erarbeitet werde, wirtschaftet er in die eigene Tasche. Und für diese Art von "Regierungsarbeit" zum Nachteil der abhängig Beschäftigten und derjenigen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, und im Interesse des Profits des Kapitals, mit der Bundeskanzler Gerhard Schröder sich 2005 in Davos stolz brüstete, anstatt sich als Kanzler mit SPD-Mitgliedsbuch in Grund und Boden zu schämen - eine "Regierungsarbeit", die Angela Merkel gemeinsam mit der FDP und anderen Politikern ohne soziales Gewissen "überaus erfolgreich" fortsetzt - leisteten beide Kanzler und auch der Duzfreund des eiskalten Nutznießers der Zerschlagung des gesetzlichen Rentensystems, Carsten Maschmeyer. Christian Wulff leistete bei seiner Vereidigung als Staatsoberhaupt, folgenden Amtseid: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm abwenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."
 
Die Selbstverständlichkeit, mit der die Bundesregierungen unter Kohl, Schröder und Merkel neben den vielen bekannten Fällen der Verletzung des Grundgesetzes und anderer Gesetze auch für den Sozialraub an Millionen von Bundesbürgern die Hilfe Gottes erbitten, übersteigt nicht nur für viele Gläubige das Maß des Erträglichen.
 
Seit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen in einem Schreiben an die Junge Gruppe in der Union vor einem Verfall der Renten ab dem Jahr 2030 gewarnt hat, spielt man in Berlin verrückt, oder, wie es in einem Kommentar treffend heißt, erleben wir "Satire statt Politik". Die von Frau von der Leyen veröffentlichten alarmierenden Zahlen stimmen sicher in der Tendenz und verlangen gebieterisch ein Umdenken der Politik und längst überfällige Korrekturen. Dennoch ist zu fragen, warum so getan wird, als würde man das Problem nicht kennen. Schließlich haben mit Ausnahme der Linkspartei alle Bundestagsparteien mit der Riesterreform einen Prozess eingeleitet und unterstützt, der die Altersarmut vermehrt. Der Bundesregierung ist doch bekannt, dass heute bereits fast 120 000 Menschen über 75 Jahre zusätzlich zu ihrer Rente einen Mini-Job ausüben müssen, um leben zu können.
 
Warum also diese gespielte Überraschung der Politik nach der Erklärung der Arbeitsministerin, ab dem Jahr 2030 erhielten selbst Arbeitnehmer, die 2500 Euro brutto im Monat verdient und 35 Jahre Vollzeit gearbeitet haben, nur eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbetrages von 688 Euro? Warum empfiehlt von der Leyen eine Zuschussrente, die von ihrer eigenen Partei und der Regierung postwendend abgelehnt wird? Warum meldete sich der Vorsitzende der SPD, dessen Partei gemeinsam mit den Grünen vor gut zehn Jahren eine Rentenreform beschlossen hat, die das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 um etwa ein Viertel senkt, was gleichbedeutend mit Altersarmut per Gesetz ist, hektisch zu Wort und schlägt eine garantierte Solidar-Rente von 850 Euro vor?
 
Dass es sich hierbei weniger um Einsicht in die Notwendigkeit längst überfälliger Korrekturen an Kanzler Schröders neoliberalem Angriff auf das gesetzliche Rentenniveau, sondern um einen unausgereiften Schnellschuss handelt, mit dem Ziel der CDU-Arbeitsministerin in der Rentendiskussion keinen Platzvorteil zu lassen, beweist der interne Widerstand mehrerer SPD-Parteigliederungen gegen das Rentenkonzept ihres Vorsitzenden. Es herrsche noch "erheblicher Diskussionsbedarf", erklärte der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner am 21.9.2012 in der Welt.
 
Es ist Bundestagswahlkampf, und da macht es sich immer gut, so zu tun, als würden einem die Lebensbedingungen der heutigen und künftigen Rentner am Herzen liegen. Da nimmt man schon mal in Kauf, dass in der Öffentlichkeit Zweifel an der Ehrlichkeit geäußerter Kritiken am Rentenniveau und gemachter Vorschläge laut werden und dass die scheinbaren erheblichen Meinungsunterschiede zwischen Arbeitsministerin und Bundeskanzlerin in Wahrheit nicht bestehen.
 
Um ihre offenen und verdeckten Rentenkürzungen zu rechtfertigen verbreitet die Bundesregierung assistiert von den Medien seit Jahr und Tag die These, die Überalterung der Gesellschaft sei schuld am heutigen Rentenproblem. Was von dieser These zu halten ist, hat Prof. Dr. Christoph Butterwegge in einem Interview gegenüber der Tagesschau wie folgt erläutert: "Die Entwicklung der Rente hat wenig mit der demografischen Entwicklung zu tun. Allerdings wird immer so getan, als handle es sich hier um ein Naturereignis: Wenn die Gesellschaft kollektiv altert, müssten die Renten sinken oder die Beiträge drastisch steigen.
Das ist aber eine politische Milchmädchenrechnung. Denn die Höhe der Rente ist keine Frage der Biologie: Wie alt ist die Gesellschaft? Sondern erstens eine Frage der Ökonomie: Wie groß ist der gesellschaftliche Reichtum zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rente bezahlt werden
muss? Und zweitens eine Frage der Politik: Wie wird der ja weiter wachsende gesellschaftliche Reichtum auf die einzelnen Schichten und Altersgruppen verteilt?
 
Die Demografie fungiert als Mittel der sozialpolitischen Demagogie, weil eine Entwicklung als zwangsläufig dargestellt wird, die politisch gestaltbar ist. Wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt - alle vorliegenden Prognosen besagen das - und wenn die Bevölkerungszahl gleichzeitig abnimmt, dann ist ein größerer Kuchen auf weniger Menschen zu verteilen. Für alle müsste genug Geld da sein. Es ist aber ungerecht verteilt, und zwar nicht zwischen den Generationen, sondern innerhalb jeder Generation."
 
Altersarmut ist bereits heute ein Problem. Denn immer mehr RentnerInnen sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Seit sie in Kraft getreten ist, ist die Zahl der auf sie angewiesenen RentnerInnen um 60 Prozent gestiegen. Im Jahr 2003 gab es knapp 260 000 Betroffene, Ende 2010 waren es schon 412 000. Zwei Drittel davon waren Frauen.
Das sind die offiziellen Zahlen. Würden auch jene hinzugerechnet, die eigentlich einen Anspruch hätten, ihn aber aus Scham nicht geltend machen, stiege die Zahl der Grundsicherungsempfänger im Alter auf über ein Million!
 
Nach seiner Strategie gegen Altersarmut gefragt, antwortete Prof. Butterwegge wie folgt: "Die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel müssten rückgängig gemacht werden. Also der sogenannte Riesterfaktor, der Nachhaltigkeitsfaktor und der Nachholfaktor. Auch die Rente mit 67 müsste wieder abgeschafft werden, denn auch das ist eine verkappte Rentenkürzung. Außerdem müssten die Löhne steigen. Das Problem bei den niedrigen Renten ist ja, dass der Niedriglohnsektor weiter wächst und es immer mehr Leiharbeit, Werkverträge und Mini-Jobs gibt. Stattdessen bräuchten wir mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Dafür sollte Frau von der Leyen sorgen."
 
Nach dem Scheitern der Zuschussrente sorgen Merkel, Rösler und von der Leyen wie eine Art Dreigespann für einen neuen Schaukampf und damit für eine Neuauflage von "Satire statt Politik". Dieses Mal geht es um Steuererhöhungen für Reiche, wie einige fürchten. Der vom Arbeitsministerium erarbeitete Entwurf für den Armuts- und Reichtumsbericht, den das Bundeskabinett am 14. November beschließen soll, enthält den Prüfauftrag, "ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann".
 
Prompt ging Philipp Rösler auf die Barrikaden und lehnte jegliche Reichensteuer kategorisch ab. Der CDU-Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter schimpfte sogar in Bild: "Das, was da im Reichtumsbericht geschrieben steht, sei "Linksrhetorik pur", und auch Angela Merkel machte ihre Parteikollegin von der Leyen öffentlich zur Schnecke und lehnte ebenfalls eine Vermögenssteuer für Reiche ab.
 
Der im neuen Bericht öffentlich gemachte Skandal, dass in der BRD die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über 53 Prozent des Gesamtvermögens verfügen, während 50 Prozent nur ein Prozent davon besitzen, war für die drei Schaukämpfer kein Thema. Ihre einzige Sorge ist offensichtlich, dass alles so bleibt, wie es ist, und das Ziel ihrer Regierungspolitik, die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer zu machen, nicht angetastet wird. Wer noch immer nicht weiß, was Klassenkampf ist: Hier hat er ihn.
 
Dass Frau von der Leyen nach gelungner Schau gehorsam wieder zurückruderte und erklären ließ, es gehe "ausschließlich und allein um das Thema der gesellschaftlichen Verantwortung und des Engagements im Rahmen von freiwilligen Spenden- und Stiftertätigkeiten" und es gebe im Bericht "keinerlei Hinweise auf neue Umverteilungen über das Steuersystem", entlarvt auch diesen jüngsten Schaukampf als politisches Schmierentheater.
 
Aus alledem ergibt sich: Armut ist Strukturmerkmal und Funktionselement des kapitalistischen Systems. Sie ist für die Aufrechterhaltung der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse erforderlich, hält sie doch Betroffene, Erwerbslose und ArbeitnehmerInnen gleichermaßen unter Kontrolle. Armut dient als politisch-ideologisches Druckmittel, materielles Disziplinierungselement und soziale Drohkulisse zugleich. Sie demonstriert jenen Menschen, die arm sind, dass ihre Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft nicht ausgereicht hat, um sich zu etablieren, und sie demonstriert jenen Menschen, die nicht arm sind, dass sie weiterhin loyal bleiben müssen, um nicht abzustürzen (...) Armut ist kein ernsthaft zu bedauernder Kollateralschaden der Globalisierung, kein wirtschafts- und sozialpolitischer Betriebsunfall. Armut muss sein, sie ist gewollt! (entnommen einem Aufsatz von Prof. Butterwegge in Ossietzky 15/2009)
 
DIE LINKE ist die einzige Bundestagspartei, die sich dieser Entwicklung mit konkreten Forderungen entgegen stellt. Unter der Losung "Die Solidarische Rentenversicherung für einen sicheren Lebensstandard und gegen Armut im Alter" hat sie am 19. September 2012 ihre Rentenpolitischen Grundsätze vorgestellt, mit denen sie dieses Thema ins Zentrum ihres Bundestagswahlkampfes rücken will. (1)
Sie beinhalten in Kurzform folgende Forderungen:
- Das Rentenniveau soll wieder auf 53 Prozent angehoben, eine solidarische Mindestrente eingeführt und die ungerechten Abschläge für Erwerbsgeminderte ebenso gestrichen werden wie die Rente erst ab 67.
- Künftig sollen alle in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.
- Stufenweise Angleichung der ostdeutschen Renten innerhalb der nächsten fünf Jahre.
- Prekäre Beschäftigung muss eingedämmt, ein flächendeckender Mindestlohn von 10 Euro muss eingeführt werden.
- Kindererziehungszeiten müssen auch für vor 1992 geborene Kinder in voller Höhe gezahlt, Beiträge für Langzeiterwerbslose müssen erneut geleistet und niedrige Entgelte durch die Rente nach Mindestentgeltpunkten aufgewertet werden.
 
Schließlich will DIE LINKE den schleichenden Ausstieg der Arbeitgeberseite aus der Altersvorsorge stoppen, wie er mit der Riester-Rente begonnen hat und durch die Pläne der SPD, die betriebliche Alterssicherung auszubauen, fortgesetzt werden würde.
Jegliche Form der Mindestsicherung im Alter ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss dementsprechend auch gesamtgesellschaftlich, also durch Steuern, finanziert werden.
 
Es ist zu hoffen, dass der bundesweite Aktionstag "UmFairTeilen - Reichtum besteuern" heute, am 29. September, insbesondere die zentralen Demonstrationen und Menschenketten, der Bundesregierung und den Landesregierungen den Ernst der Lage und die Entschlossenheit der Menschen verdeutlicht haben, sich gegen sozialen Kahlschlag und dessen Folgen zu wehren.
 
Dem Chefredakteur von junge Welt, Arnold Schölzel, ist zuzustimmen, wenn er in der Ausgabe vom 19.09.2012 folgendes erklärte: "Wenn die amtierende Arbeitsministerin ausrechnen lässt, dass der Durchschnittsverdiener in wenigen Jahrzehnten eine Hungerrente erhält, dann ist das eine Drohung: "Wir" können noch ganz anders an den Schrauben drehen. Die Lohnquote kann noch weiter gesenkt werden.
Das wird nötig sein. Vom früheren US-Zentralbankchef Alan Greenspan stammt die These, dass der gegenwärtige Kapitalismus nur noch mit Finanzblasen am Laufen gehalten werden kann, sprich: Überakkumulation von Reichtum.
Wer wie Berlin und Brüssel derzeit in Griechenland, Portugal oder Spanien ungefähr Hartz X durchsetzt, um sogenannte Anleger zu retten, der muß demnächst dafür sorgen, dass hierzulande die Kosten weiter sinken. Wegen der Wettbewerbsfähigkeit und weil es nur mit mehr Armut geht."
 
Die gegenwärtige Diskussion über den Renten-Skandal und die skandalösen Aussagen im neuen Armuts- und Reichtumsbericht sollten auch den gutgläubigsten Bundesbürger aufwecken und zum aktiven Widerstand motivieren. Beide Skandale, daran sollten die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl 2013 denken, haben einen Namen: Neoliberale Politik der Merkel-Regierung und Ja-Sager/Lobby-Fraktionen des Bundestages. (PK)
 
(1) nachzulesen unter: http://linksfraktion.de/positionspapiere/rente-leben/
 
 
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag Schkeuditz erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", 250 Seiten, Preis 15.00 Euro
ISBN 978-3-89819-341-2
 


Online-Flyer Nr. 373  vom 29.09.2012

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