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Inland
Internationale Liga für Menschenrechte fordert von der Regierung Israels:
Freie Ausreise für Mordechai Vanunu!
Von Fanny-Michaela Reisin

Die Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 muss ihm endlich in Berlin verliehen werden können! Aus Anlass der bevorstehenden Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2012 an den Regisseur Peter Lilienthal am 9. Dezember um 11:00 Uhr im GRIPS Theater Berlin erinnert die Internationale Liga für Menschenrechte unter Protest daran, dass die Medaille 2010 an den Pazifisten Mordechai Vanunu immer noch nicht übergeben werden konnte. Diesem wird nach wie vor die Ausreise aus Israel verwehrt.
 

Mordechai Vanunu
Quelle: wikipedia
Mordechai Vanunu wurde 2010 für seine Zivilcourage und herausragende Standhaftigkeit im Einsatz für die vollständige atomare Abrüstung und für transparente Demokratie ausgezeichnet. Er hatte bekanntlich 1986 als erster Israeli die internationale Öffentlichkeit über das Kernforschungszentrum informiert, welches Israel – unterstützt durch Frankreich und geduldet von den USA – während der 60er Jahre in der Negev-Wüste nahe der Stadt Dimona unterirdisch aufgebaut und unter völligem Ausschluss der eigenen und der internationalen Öffentlichkeit betrieben hatte.
 
Das in der Atomanlage produzierte und verarbeitete Plutonium hat Israel befähigt, bis heute mehrere Hundert Atomsprengköpfe herzustellen. Vanunu wurde, noch bevor seine Informationen an die Öffentlichkeit gelangten, vom israelischen Geheimdienst Ende September 1986 nach Rom gelockt, dort überwältigt und per Schiff in die israelische Hafenstadt Ashdod verbracht. Im März 1988 verurteilte ihn ein Militärgericht am Ende eines streng geheimen Verfahrens wegen Landesverrats und Spionage zu einer 18jährigen Freiheitsstrafe.
 
Am 21. April 2004 wurde Vanunu nach Verbüßung der Strafe – davon 11 Jahre Isolationshaft in einer kleinen Zelle – aus dem Gefängnis entlassen. Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie im UN-Zivilpakt über bürgerliche und politische Rechte verbrieften Grundrechte auf Bewegungs- und Meinungsfreiheit bleiben ihm allerdings nach wie vor versagt: So darf Vanunu Israel nicht verlassen und keinen Kontakt mit ausländischen Botschaften und Journalisten aufnehmen. Er muss die Behörden über jeden geplanten Ortswechsel verständigen.
 
Die Liga fordert
· die Regierung Israels, namentlich den Premier-, den Innen- und Verteidigungsminister, eindringlich auf, Mordechai Vanunu freie Ausreise zur persönlichen Entgegennahme der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 in Berlin zu gewähren;
· die Bundesregierung auf, gegenüber Israel die Einhaltung seiner Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat des UN-Zivilpakts nachdrücklich anzumahnen und die volle Bewegungs- und Meinungsfreiheit für den in der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichneten Mordechai Vanunu zu verlangen.
 
Die mutige Haltung Vanunus erinnert zweifellos an den unerschrockenen Widerstand Carl von Ossietzkys gegen Aufrüstung und Krieg in der Weimarer Republik. Die kontinuierliche Zurückweisung der Anträge auf Ausreise- und Bewegungsfreiheit durch die Gerichte einschließlich des Obersten Gerichtshofs Israels mit Verweis auf die Gefahr, die von ihm für die militärische Sicherheit des Landes ausgehe, offenbart ein rechtsstaatlich unhaltbares Vergeltungsgebaren. Mordechai Vanunu hat nach Verbüßung seiner 18-jährigen Strafe weitere acht Jahre und damit mehr als 26 Jahre seines Lebens in Unfreiheit verbracht - ein enorm hoher Preis dafür, dass er die israelische und internationale Öffentlichkeit über die Gefahren der atomaren Aufrüstung informiert und vor ihnen gewarnt hat.
 
In seinem vierten Brief des offenen Briefwechsels mit dem japanischen Schriftsteller Kenzaburo Oe fragt der mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnete Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass 1995, 50 Jahre nach Abwurf der Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki: „Ist Vanunu ein Landesverräter oder jemand, der aus Verantwortung gehandelt hat?“ Seine eigene Antwort im selben Brief: „Ich bin der Überzeugung, dass es, nach all den Kriegen, die dieses zu Ende gehende Jahrhundert zu einem mörderischen gemacht haben, an der Zeit ist, jedes militärische Geheimnis offenzulegen – und sei es durch Verrat.“
 
Die jüngsten Entwicklungen in Nah- und Mittelost bestätigen auf besorgniserregende Weise: Die Beweggründe Mordechai Vanunus waren seinerzeit vorausschauend und sind bis heute Mahnung geblieben. Die Belagerung und die abermals militärische Befriedung der Bevölkerung von Gaza, ohne Aussicht auf ein menschenrechtlich oder auch nur humanitär vertretbares Zivilleben, die instabile innenpolitische Situation in Ägypten, Syrien, Pakistan, Israel und Iran oder die militärischen Unruhen an der türkisch-syrischen Grenze erzeugen eine kaum beherrschbare Gemengelage in der Region Mittelost. Nicht zuletzt angesichts der beiden Atommächte Israel und Pakistan sowie der unübersichtlichen Atomkapazität Irans aber auch wegen der nicht wenigen, auf israelischen und NATO-Trägern in den Gewässern der Region lagernden Atombomben, muss jede Zuspitzung der Konflikte schon gegenwärtig als äußerst gefährlich beurteilt werden.
 
Vor diesem Hintergrund übt die Liga scharfe Kritik an dem - mit Steuermitteln subventionierten - Export mehrerer U-Boote des Typs Dolphin an Israel. Dolphin U-Boote sind durchaus auch mit Nuklearsprengköpfen bestückbar. Die Regierung Israels nimmt eine solche Option ins Kalkül. Die sich abzeichnende Tendenz eines atomaren Wettrüstens im Mittleren Osten muss auf politischem Wege dringend verhindert werden. Kaum verständlich ist daher, dass die von 189 Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags (NPT) für dieses Jahr anberaumte UN-Konferenz „Der Mittlere Osten soll atomwaffenfreie Zone werden“, wegen des Rückzugs der USA und des Drucks Israels, auf unbestimmte Zeit vertagt wurde.
 
Gerade gegenwärtig wären bi- und multilaterale Verhandlungen zwischen den Staaten in der Region, die die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen ins Zentrum stellen, dringend geboten. Es kann nicht gewartet werden, bis alle Staaten der Region den Weg an den Verhandlungstisch finden. Der Prozess hin zu einer atomwaffenfreien Zone Mittelost könnte sofort eingeleitet werden. Vom Brandherd Nahost könnte ein hoffnungsvoller Beitrag zur weltweit vollständigen atomaren Abrüstung ausgehen.
 
Die Liga fordert von der Bundesregierung,
· nachdrücklich und öffentlich erkennbar auf die frühestmögliche Einberufung der UN-Konferenz „Der Mittlere Osten soll atomwaffenfreie Zone werden“ hinzuwirken;
· mit gutem Beispiel voranzugehen und alle Exporte zu stoppen, die geeignet sind, die atomaren Kapazitäten auf- oder auszubauen und das atomare Wettrüsten im Mittleren Osten anzuheizen. (PK)
 

Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin ist Präsidentin der Berliner Internationalen Liga für Menschenrechte und israelische Friedensaktivistin. Ihr Vater floh vor den Nazis aus Berlin, sie wurde in Israel geboren und erlebte den Sechs-Tage-Krieg 1967 dort als Studentin. Seit Jahren lebt sie in Berlin und ist dort Professorin für Informatik an der Technischen Fachhochschule.



Online-Flyer Nr. 383  vom 05.12.2012

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