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Literatur
„Alles klappt in ihrem Leben. Doch nichts glückt.“
Novellen von A.J. Weigoni
Von Karl Feldkamp

Weigonis Novellenbuch endet mit: „ … übrigens gibts ein Leben nach der Kunst, vielleicht ist es das bessere. Who cares?“ Als ich das Kunstwerk ausgelesen hatte, verspürte ich umgehend die Sehnsucht nach einem (wenigstens) anderen Leben. Die Novellen hatten mich in eine künstliche Welt medialer Kunst hineingezogen. Immerhin kostet das 319 Seiten umfassende Buch mich Wochen, da ich es nur langsam lesen und verstehen konnte.
  
Bei durchaus vorhandenen „Ätschen“ -Teilen zieht es immer wieder in intensiv geschilderte Szenen und in nachdenkenswerte Dialoge hinein, die in der jeweilig dazu gehörigen Fachsprache geführt werden. Allein wer diese Szenen nachfühlen und die Dialoge verstehen will, braucht Zeit und nicht selten Fachwörterbücher. Natürlich lassen sich, ganz der real virtuellen Welt dieser Lektüre gehorchend, die meisten den jeweiligen Fachjargons entlehnten Wörter auch stilgerecht ergooglen.
 
Lautmalend verdichtet
 
Unüberlesbar ist der Autor ein begabter Lyriker. Er versteht es, die Erlebnisse seiner Protagonisten auch lautmalend so zu verdichten, dass er seinen Lesern damit zumutet und ermöglicht, sie immer wieder durch eigene dazu fantasierte Wortbilder und Vermutungen aufzulockern.
 
In einer dem Kapitalismus dienenden Welt gerät, wenn der Leser sich auf die Folgerungen des Autor einlässt, offenbar alles zum Geschäft und nimmt sowohl als Hobby und als auch als Beruf Liebhaber sowie Profis in seinen Besitz. Die Mediensprache - einschließlich ihrer mehr oder weniger originellen Werbesprüche und Politphrasen - wird zur beherrschenden Alltagssprache, welche die Muttersprache im eigentlichen Sinne überlagert, verdrängt oder gar zu widerlegen versucht.
 
Krimi und Liebesgeschichten
 
Weigonis Novellen haben dabei durchaus aufregende Krimi-Anteile. Selbst Liebesgeschichten kommen nicht zu kurz. Dennoch bleiben die daraus entstehenden Spannungshöhepunkte und emotionalen Szenen irgendwo zwischen Realität und Virtualität stecken. Sie hinterlassen den Eindruck, als würden die Protagonisten nicht leben sondern sich gegen eine gewisse Langeweile um ein vermeintlich zeitgemäßes selbst bestimmtes Leben bemühen. Eigentlich aber werden sie gelebt.
 
Spannendes Detektivspiel
 
Für den Leser bleibt das Buch bei aller Verstehensmühe dennoch ein spannendes und verzwicktes Detektiv-Spiel auf der Suche nach einem erfüllteren Leben mit mehr Tiefe – und das umso mehr, je weiter die handelnden Personen sich davon entfernen. Der von ihnen angestrebte „Cyberspasz“ gleicht bei allem Bemühen um individuelle Originalität eher seichter Comedy und nicht jenem tiefgründigen Humor, der durchaus noch lebenslustvermittelnd sein könnte. „Massenmedien“ lässt der Autor feststellen, „forcieren das niedere Niveau, züchten es gar teilweise.“
 
„Alles klappt. Doch nichts glückt.“
 
Das „utopische Konzept der Eigenverantwortung einer Declaration of Independence als MAGNA CHARTA FÜR DAS ZEITALTER DES WISSENS“ in Weignonis Buch behauptet, „Cyberspace“ sei „das Land des Wissens“, und „dessen Erforschung die wahrste und höchste Berufung der Zvilisation“. Selbst wenn das für die Zivilisation stimmen mag, drängt sich dem Leser unweigerlich die Frage auf, wie es um unsere Kultur steht. Bei ihr geht es nur angeblich um Aufklärung und eigentlich um deren Wiederverschleierung durch so genannte Wirtschaftwissenschaften und Medien.
 

Andrascz Jaromir Weigoni
Quelle: editiondaslabor.de
Somit kommt Weigoni über das Zusammen- leben seiner Figuren zu dem Fazit: „Zusam-menhang gibt es nur durch Zitate, Wieder-holungen, Wörter-schleifen und Text- spiralen. Alles klappt in ihrem Leben. Doch nichts glückt.“
 
Ein Buch für kritische Leser, das bei allen vermittelten Sach- Inhalten dennoch ein ausgesprochen belle-tristisches geblieben ist und daher nacher-lebbar unsere kapitali-stische Bild und Wort verwertende Mediengesellschaft zu durchschauen hilft. (PK)
 
A.J. Weigoni "Cyberspasz, a real virtuality, Novellen", Verlag der Artisten, Edition Das Labor, Bad Mühlheim, 2012, 319 Seiten, handsigniert und limitiert € 29,80, TB € 19,80
 
Andrascz Jaromir Weigoni, geb. 1958 in Budapest, ist ein ungarischer und deutschsprachiger Schriftsteller. Von 1979 bis 1984 studierte er Medienpädagogik an der Universität Düsseldorf und wurde als Autor von Essays, Lyrik, Prosa und Hörspielen, Gedichten und Aufsätzen bekannt, die in zahlreichen Anthologien, Literaturzeitschriften und Künstlerbüchern veröffentlicht wurden.
 


Online-Flyer Nr. 386  vom 26.12.2012

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