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Inland
Vermarktung der olivgrün ausgelegten Zivilklausel der Uni Tübingen
„Militante Pazifisten“
Von Dietrich Schulze

Mit großem öffentlichen Getöse ist Mitte Januar in der Uni Tübingen das bereits ein halbes Jahr zuvor erschienene Buch „Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium. Hochschulen zum Frieden verpflichtet“ ( Hrg. Volker Harms, Thomas Nielebock, Simon Meisch, NOMOS-Verlag Baden-Baden) von den Herausgebern erneut vorgestellt worden. Abgesehen von der mageren Pressebeteiligung, je eine Vertreterin der Tagblatts, des SWR4 und des UniRadios Tübingen, zeigten die Referate von Thomas Nielebock, Volker Harms und Hendrik Burmester jede Menge Widersprüchliches und eine unglaubliche Aussage.
 
Zum Verständnis des letzteren die kurze Vorgeschichte: Ende 2009 hatten die Studierenden zwecks Beendigung von Forschung und Lehre für militärische Zwecke eine Zivilklausel verlangt, die Mitte 2010 rechtskräftig wurde - mit Billigung der früheren schwarz-gelben Landesregierung, die eine Zivilklausel als verfassungsrechtlich unzulässig bezeichnet hatte. Das war merkwürdig genug, konnte aber erst später verstanden werden. Klammheimlich war Ende 2010 der Kriegsbefürworter Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner „Sicherheits“konferenz zum Honorarprofessor bestellt worden, unter Mitwirkung des Politikwissenschaftlers Thomas Nielebock, der bis heute mit Ischinger eng zusammen arbeitet. Kurz danach begann der Ethnologe Harms zusammen mit Nielebock eine zivil­militärische Ringvorlesungsreihe zu organisieren, u.a. mit dem Autor als Auftaktredner unter Verschweigen der Ischinger-Bestellung. Nachdem das Mitte 2011 bekannt wurde, hagelte es Proteste mit der Forderung nach Abberufung wegen offensichtlichem Verstoß gegen die Zivilklausel. Zum Beispiel neben vielen anderen vom Arbeitskreis „Universität in ziviler Verantwortung“ mit ausdrücklicher Zustimmung von Volker Harms. Weil der Autor es gewagt hatte, die gleiche Forderung presseöffentlich zu erheben, wurde er von den Verantwortlichen der Ringvorlesungsreihe ausgeladen, mit Zustimmung von Volker Harms. Und jetzt das Unglaubliche. Eben jener Ethnologe Harms titulierte im obigen Pressegespräch diejenigen, die bei ihrer Ablehnung der Honorarprofessur geblieben sind, als „militante Pazifisten“.
 
Dazu ein kurzer Ausflug zur Bedeutung der Worte. Laut Wiki ist Militanz „eine kriegerische Haltung, ein aggressives Auftreten oder eine physische oder verbale Gewaltbereitschaft von Personen und Gruppen im Kampf für beziehungsweise gegen politische oder religiöse Überzeugungen.“ Unter Pazifismus versteht man „im weitesten Sinne eine ethische Grundhaltung, die den Krieg prinzipiell ablehnt und danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen. Eine strenge Position lehnt jede Form der Gewaltanwendung kategorisch ab und tritt für Gewaltlosigkeit ein.“
 
Es handelt sich also um gewaltbereite Gewaltgegner. Solche Worte entspringen einem Orwell`schen Denken wie die gesamte Konstruktion der Ringvorlesungsreihe und des darauf basierenden Buches „Krieg ist Frieden.“ Volker Harms erklärte, gegen die Honorarprofessur zu sein, und hält es für selbstverständlich, das Gegenteil zu praktizieren. Wenn die unsinnige Wortschöpfung auf jemanden passt, dann auf ihn selbst. Und nun schon gar nicht mehr erstaunlich. Kein Wort der Kritik an einem zum Pressegespräch verteilten Flyer der „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“, in dem eine Verriss-Rezension des Webportals german-foreign-policy.com über das NOMOS-Buch zitiert und die Forderung „Ischinger go home“ bekräftigt wird.
 
Seinem Partner Nielebock rutscht während der langatmigen Erklärungen, die auch Kritik am Uni-Rektor und an fehlender Kontrollmöglichkeit der Forschungsprojekte enthält, der Begriff „Armee im Einsatz“ für die Bundeswehr heraus. Bezeichnend, dass der geistige Urheber beider Begriffsbildungen kein Geringerer als Vorwärtsverteidigungsminister Thomas de Maizière ist.
 
Kann man sich eine intelligentere Arbeitsteilung von Oben gegen die Zivilklausel-Bewegung vorstellen? De Maizière betreibt Kriegspolitik und lehnt die Zivilklausel wegen behaupteter Verletzung der Freiheit der Wissenschaft strikt ab, die harte Variante. Und die Akademiker fahren die weichgespülte Variante, indem sie eine olivgrüne Zivilklausel propagieren, die nicht jegliche militärischen Zwecke in Forschung und Lehre ausschließt. Das soll Verwirrung stiften und bundesweit Schule machen. Wer die Ischinger-Politik genauer studiert hat, wird an der Überlegung nicht vorbei kommen, dass er der Stichwortgeber der olivgrünen Zivilklausel ist. Wurde er gerade deshalb bestellt?
 
Nur ein Beispiel für Schule machen. In einem Podium an der FU Berlin erklärte kürzlich Sven Chojnacki, dass er eine Zivilklausel will, die die Kooperation mit militärischen Akteuren nicht ausschließt, d.h. die ihm die Fortsetzung seiner Besatzungswissenschaft im umstrittenen Sonderforschungsbereich SFB 700 erlaubt. Er hatte übrigens das NOMOS-Machwerk direkt neben sich liegen.
 
Was hat die Presse aus den Akademiker-Berichten gemacht? Ulrike Pfeil vom Tagblatt, die selbst im olivgrünen Sinne an Ringvorlesung und Buch mitgewirkt hat, begriff wohl die Brisanz der Wortschöpfung „militante Pazifisten“ und übersetzte sie in das weniger angreifbare aber ebenso unsinnige „absolute Pazifisten“. Einzig in der SWR4-Sendung spricht die SWR-Vertreterin vom „strengen Pazifisten“, durchaus angemessen, wie die zitierte Wiki-Bedeutung zeigt.
 
Der Autor ließ es sich nicht nehmen, an die Presse ein anderes Buch zu verteilen, die Streitschrift „Jetzt Entrüsten – Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder „Kriegs“Dienstleister?“ über die Karlsruher Tagung im Juni 2012 gegen Kriegsforschung, erschienen im Verlag Peter Grohmann Die AnStifter. Mit 48 Seiten keine tiefschürfende, aber ehrliche Auseinandersetzung mit der Militarisierung der Hochschulen und den Perspektiven der Zivilklausel-Bewegung.
 
Was sagt zu alledem die Grün-Rote Landesregierung? Entgegen früheren Oppositionsanträgen pro Zivilklausel, Wahlversprechen und persönlichen Unterschriften vertreten MP Winfried Kretschmann und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer die olivgrüne Zivilklausel mit den gleichen widerlegten Argumenten „Freiheit der Wissenschaft“ und Unterstützung der Bundeswehr. In der Ausgabe 1-2013 der Zeitschrift BdWi Forum Wissenschaft wird dazu Näheres vom Autor ausgeführt.
 
In Tübingen gibt es keine Ruhe für die Olivgrünen: Vortrag und Diskussion am 29. Januar "Wehrwissenschaften an der Exzellenzuniversität Tübingen" mit Christoph Marischka (IMI) auf Einladung der [`solid].SDS- Hochschulgruppe Tübingen.
Das Kennzeichen von guter Wissenschaft ist vor allem Redlichkeit, das Gegenteil von dem, was die Herausgeber mit ihrem Buch betreiben. (PK)


Online-Flyer Nr. 390  vom 25.01.2013

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